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Im Westen der Schweiz liegt der Jura. Mit wilden Schluchten und einsamen Hochflächen, voller unentdeckter Trails. Eine Durchquerung von Basel nach Genf. JURAStudium 6/09 BIKE 185
Der Jura hat seine eigenen Gesetze: Wenn es bergauf geht, dann steil. Wenn man jemanden trifft: ein Wunder. Wenn die Reifen Dreck aufwerfen, stinkt s nach Kuh-Scheiße. Drei ausgehungerte Biker ein Topf Käsefondue: Da möchte niemand der letzte am Tisch sein. TEXT u. FOTOS MATTHIAS ROTTER E Eine interessante Abfahrt führt uns ins historische Städtchen Saint Ursanne. Die Beschreibung im Roadbook klingt vielversprechend. Seit gefühlten 183 Kilometern und geschätzten 37 Anstiegen freue ich mich auf diesen Moment. Endlich. Der letzte Downhill, das Highlight des Tages. Klaus geht als Erster in die Falllinie. Vielleicht ein bisschen zu euphorisch, um rechtzeitig zu erkennen, dass es sich bei dem Pfad um die Hauptverkehrsader des ortsansässigen Fleckviehs handelt. Schon schmatzen seine Reifen durch einen interessanten Morast, der überwiegend aus den Hinterlassenschaften von Wiederkäuern besteht. Erste Spritz muster bilden sich auf Klaus Waden. Scheiße, schallt es von vorne voll und ganz der Wahrheit entsprechend. Mike und ich folgen der Dreckschleuder in gebührendem Abstand und mit deutlich gedrosseltem Tempo. Leider vergeht uns das Lachen schnell, denn ein geschlossenes Viehgatter im Epizentrum der Suhle erzwingt eine Vollbremsung und damit den direkten Kontakt zum zähflüssigen So ähnlich schaute auch die Hotel- Chefin, als wir abends dreckig und stinkend durch ihre Tür traten. Terrain... Zu erwähnen wäre noch der Gesichtsausdruck der Hotelchefin am Etappenziel, als wir nach diesem Studium der Schweizer Agrarwirtschaft in die Gaststube poltern. Da war es auch schon egal, ob der Schweiß- den Stallgeruch überlagerte, oder umgekehrt. Lagebericht: Wir befinden uns im Westen der Schweiz, irgendwo zwischen Basel und Genf. In einem Gebirge, von dem viele nicht einmal wissen, dass es dort überhaupt existiert. Kein Wunder, denn angeberische Berge im Stil von Matterhorn & Co. oder sonstige Attraktionen fehlen. Und genau diese Tatsache machte uns die gottverlassene Gegend vom ersten Pedaltritt an sympathisch. Anstifter zu unserer Mission ist ein gewisser Vital Eggenberger, seines Zeichens Bergführer und bekanntester Tourenbuch-Autor der Schweiz. Nicht nur, dass wir seiner Route in den kommenden Tagen folgen werden, nein, der Pfadfinder höchstpersönlich wird uns auf der dritten und vierten Etappe begleiten. Doch bis 186 BIKE 6/09
Traumtouren Inmitten Deutschlands größter Golf- und Bäderlandschaft Bad Birnbach 2009 für Genussradler, Rennradler und Moutainbiker! dahin werden noch etliche Kuhweiden zu durchpflügen sein und dutzende Viehgatter den Rhythmus durcheinanderbringen. Auf den ersten Blick hören sich 324 Kilometer und 7150 Höhenmeter nicht gerade Furcht einflößend an. Doch der Jura hat seine ganz eigenen Gesetze. Saint Ursanne ist ein hübsches, mittelalterliches Dorf im Tal des Doubs. Dicht drängen sich die Häuser zwischen Fluss und Steilwand. Jeden Moment glaubt man, Männer in Ritterrüstungen könnten durch die Stadttore in die engen Gassen reiten. Doch es sind nur drei bunt gekleidete Biker, die am nächsten Morgen unter Aufsicht des heiligen Nepomuk über die vierbogige Brücke rollen. Einen tiefen Canyon hat sich der Doubs in den Jurakalk gefräst. Es scheint, als wisse der Fluss nicht so recht, in welche Richtung er fließen soll. In wilden Kurven schlingert er rund 450 Kilometer lang durchs Gebirge. Dabei liegen seine Quelle und Mündung auf direktem Weg gerade einmal 90 Kilometer voneinander entfernt. Auf allerfeinsten Singletrails folgen wir dem mäandernden Lauf des Doubs. Wahnsinn! Klaus und Mike sind in ihrem Element. Ständig werden Antritte lanciert, Vorderräder über Wurzeln gelupft und Hinterräder an Engstellen versetzt. Zwischendurch immer wieder ellenlange Passagen mit Flow. Ich habe jedoch schon eine böse Ahnung, dass wir für dieses Vergnügen bald die Rechnung bekommen werden. Ein Blick ins Roadbook bestätigt die drohende Verschärfung der Bedingungen: Von den 1500 Höhenmetern Tagespensum ist nach zwei Stunden Fahrt noch kein einziger geschafft. Im Kleingedruckten lesen wir von 15 und 18 Prozent Steigung! Wenig später knallen wir an der ersten 500-Höhenmeter-Rampe zurück auf den Boden der Tatsachen. Gnadenlos der Sonne ausgesetzt, schraubt sich eine Rumpelpiste an der Steilflanke des Doubstals hinauf auf die Hochflächen des Jura. Hügel folgt auf Hügel folgt auf Hügel. Der Schweiß rinnt, die Schaltungen rattern im Dauerstress. Dennoch hat uns der raue Charme der Gegend längst gefangen genom- Am Creux du Van: Der Schweizer Tourenpapst Vital Eggenberger führte uns zu diesem Amphitheater. E Entdecken Sie unsere neuen Traumtouren mit und ohne Navi (leihweise) und genießen Sie die Abende in der Rottal Terme, einer der schönsten Thermen Deutschlands. K Kennenlernangebot: Inklusive 10 ÜN im Hotel garni, Frühstücksbuffet, Traumrad leihweise, Karten, GPS-Gerät, 5 Sportmassagen, täglich Thermalbaden und Kurtaxe. Pro Person im DZ ab756 Euro EZ 799 Euro Mehr Infos und Kartenmaterial unter: Kataloghotline: 0800 / 463 65 87 prospekt@badbirnbach.de www.badbirnbach.de
men. Ortsdurchfahrten sind seltener als Begegnungen mit grasenden Nutztieren. Nur Einsiedlerhöfe, verstreut in den karstigen Niederungen. Manchmal verliert sich der Weg im Weideland, um kurz darauf als launiger Single trail wieder aufzutauchen. Traumhaft. Wie muss man sich einen Schweizer vorstellen, der gut die Hälfte des Jahres als Guide auf dem Bike unterwegs ist, oder, alternativ, in senkrechten Felswänden herumturnt? Bis kurz vor unserem Treffen mit Vital Eggenberger schwanken wir zwischen Alm-Öhi und Müsli-Mann hin und her. Doch als er uns am Abend in der Unterkunft mit einem herzlichen Grüezi willkommen heißt, steht ein drahtiger Typ vor uns, dessen blaue Augen ziemlich schelmisch aus dem braun gebrannten Gesicht blitzen. Kein Gramm Fett zu viel am Leib, oder besser gesagt: Nur Haut, Knochen und vor allem Muskeln. Die sehnigen Beine verraten, dass Begriffe wie Erschöpfung oder Kurzstrecke in seinem Wortschatz nicht vorkommen. In meinem steht im Moment Hunger an erster Position. Das Käsefondue blubbert sämig auf kleiner Flamme. Es riecht diesmal angenehm nach Schweiz. Zum Dessert serviert Vital einen Blick auf das verdammt zickige Höhenprofil des morgigen Tages. Das Roadbook orakelt: Die Etappe beginnt mit einer hübschen Abfahrt hinunter nach Les Ponts-de-Martel. Aha, diesmal also hübsch! Wir wissen nur zu gut, was das bedeuten kann. Jura bedeutet Waldland die vielen Fernblicke erklären auch immer wieder, warum. Poeta Raisse Wie das Wasser bohren wir uns in die Schlucht, das jurassische Drainagesystem. 188 BIKE 6/09
Keine Angeber- Gipfel, keine touristischen Attraktionen das macht uns dieses Mittelgebirge gleich sympathisch. Da unten liegt er, der Genfer See: Doch es sieht leider nur so aus, als müsste man nur noch in die UNO-Haupstadt hinunterrollen... Vital Eggenberger (links) schreibt wieder von einer hübschen Strecke. Komm, schau mer lieber noch mal in der Karte nach. Der längste Anstieg der Tour führt uns über knapp 900 Höhenmeter hinauf zu einem der magischsten Orte im Jura. Am Creux du Van haben Wasser und Erosion ein gigantisches Amphitheater geschaffen. Hufeisenförmig wölbt sich ein senkrechter, fast 200 Meter hoher Felsenzirkel in den Bauch des Hochplateaus. Andächtig sitzen wir an der Abbruchkante und blicken hinunter aufs Schweizer Mittelland. Nur die Schreie eines Raubvogels durchbrechen die sakrale Stille. Die Orte und Gehöfte sind von hier oben nur noch Punkte auf einer gigantischen Landkarte. Hier hat Vital ein weiteres Highlight parat: Auf seinen Recherche- Streifzügen durchs Jura entdeckte er eine kleine Schlucht, die tief in die Eingeweide des Gebirges schneidet. Doch zunächst jagen wir in rauschender Fahrt über die Hochebenen, dem Etappenziel auf dem Gipfel des Le Chasseron entgegen. Bis sich unvermittelt am Waldrand ein Felsspalt auftut. Kaum mehr als lenkerbreit stehen die moosig-feuchten Kalksteinwände am Beginn der Poeta Raisse auseinander. Der Weg auf einem steinernen Sims scheint direkt in die Hölle zu führen. Aber es kommt noch besser: Nach ein, zwei Biegungen schweben nur noch schmale Holzstege durch die enge Kluft. Sonnenstrahlen fallen hier, wenn überhaupt, nur für wenige Minuten am Tag herein. Überall gluckert Wasser von den Wänden, wir befinden uns im Herzen des jurassischen Drainagesystems. Vital warnt: Besser gehen wir jetzt zu Fuß, bevor noch einer abstürzt! Doch unser Guide hat nicht mit der kontrollierten Fahrtechnik von Mike und Klaus gerechnet. Die beiden lassen es sich nicht nehmen, die fast schon Northshore-ähnlichen Sektionen im Sattel zu meistern. Erst die letzte, supersteile Treppe zurück ans Tageslicht kann ihren Ehrgeiz stoppen. Wieder haben wir verdrängt, dass bis auf den Le Chasseron mit 1607 Metern höchster Punkt der gesamten Tour noch ein paar Zacken im Höhenprofil übrig sind. Und was im Roadbook wie Kleinkram wirkt, kostet mich in der Realität jede Menge Körner. 18-prozentige Rampen und Schiebestrecken über schweres Geläuf machen mir zu schaffen. Mit letzter Kraft wuchte ich mich auf den Gipfel, wo ein kleines Hotel auf uns wartet. Und eine Aussicht, die ohne Zweifel zu den besten in der Schweiz zählt. Im Licht der untergehenden Sonne liegt der gesamte Westalpenbogen vor uns, vom Säntis bis zum Mont Blanc, vom Züricher bis zum Genfer See. Ein geniales Panorama, das Jura-Durchquerer auch auf den letzten beiden Etappen begleitet. Nachdem sich Vital von uns verabschiedet hat, nehmen wir das Finale in Angriff. Doch von einer lässigen Triumphfahrt in die UNO- Hauptstadt Genf hinunter kann natürlich auch am letzten Tag nicht wirklich die Rede sein... 190 BIKE 6/09
INFO UND REISEDATEN JURA >> Lage und Anreise Der Gebirgszug des Schweizer Juras verläuft zwischen Basel und Genf, entlang der Grenze nach Frankreich. So liegen auch die drei höchsten Berge des Mittelgebirges (bis 1718 Meter auf der Crete de la Neige) auf französischem Territorium. Während der Tour überquert man mehrfach die Grenze. Vom Schweizer Mittelland aus betrachtet, erscheint der Jura als fast durchgehender Gebirgskamm, ohne markante Gipfel. Charak teristisch: Im Jura findet man kaum Flüsse, da Wasser nicht auf der Oberfläche abfließt, sondern sofort im porösen Kalkstein versickert. Die wenigen Wasserläufe, die es gibt, haben sich in schluchtartige Täler eingegraben. Anreise nach Basel: Von Osten über München: Autobahn A96 bis Lindau, weiter auf der A14 nach Österreich (Pfändertunnel), Ausfahrt Dornbirn Süd Richtung Lustenau/CH. In der Schweiz auf der A1 bis Zürich und weiter auf der A3 nach Basel. Von Norden über Freiburg: Über die Rheintalautobahn A5 nach Lörrach und Basel. Entfernung von München 400 km, von Stuttgart 260 km, von Frankfurt 330 km. Transfer von Genf zurück nach Basel mit der Bahn (SBB). Fahrradtransport muss beim Kauf der Tickets mitgebucht werden. Die Fahrzeit: 5 Stunden. Info, Fahrpläne und Tickets unter www.sbb.ch. >> Übernachtungen und Info Auch wenn im Jura generell wenig los ist, empfehlen wir, Unterkünfte vorab zu reservieren. Speziell am Ziel der Etappen zwei, drei und vier gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten zu unseren Tipps. Französisch- Kenntnisse sind im Jura von Vorteil. Spätestens ab Saint Ursanne wird fast aus schließlich französisch gesprochen. Basel: Basel Tourismus, Aeschenvorstadt 36, Basel, Tel. 0041/61/2686868, www.basel.com St. Ursanne: Office du Tourisme, Rue du Quartier, Saint Ursanne, Tel. 0041/32/4204773, http://swe.jura.ch/st-ursanne Grand Som Martel: Auberge du Grand Som Martel am Gipfel, Tel. 0041/32/9311727 Le Chasseron: Hotel du Chasseron, Les Rasses (am Gipfel), Tel. 0041/24/4542388, www.chasseron.ch Col du Marchairuz: Hotel du Marchairuz, Le Brassus, Tel. 0041/21/8452530, www.hotelmarchairuz.ch Genf: Genève Tourisme, Rue du Mont Blanc 18, Genève, Tel. 0041/22/9097000, www.geneve-tourisme.ch >> Literatur Den Verlauf der Route, inklusive Kartenausschnitte zum Nachfahren: Mountainbike Erlebnis Schweizer Alpen West von Vital Eggenberger, Preis: 48 CHF, direkt über seine Homepage www.climbandbike.ch. >> GPS und Tourenbeschreibung Exklusiv für BIKE-Leser stellen wir die Trackdaten der Route zum Download bereit. Sie finden den kompletten Track im GPX-Format auf www.bike-magazin.de, Webcode: 2235. Outdoor-Navi Auto-einfach Entdecken Sie die grenzenlose Freiheit im Outdoor-Routing. Endlich gibt es ein Navi für alles: Mit bleiben Sie auf und abseits von Straßen immer und überall flexibel. berechnet neue Wege so schnell und einfach wie ein Auto-Navi. Ohne PC-Vorberechnung. Dafür mit Sprachanweisung. Knopfdruck genügt und Sie wandern, radeln, klettern, finden Ihren eigenen Weg. Den Weg zur neuen Dimension im Outdoor-Routing finden Sie jetzt unter www.ppmgmbh.de ppm