Der Computer ist kein Fernseher



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Transkript:

Der Computer ist kein Fernseher Untersuchungen zum medienadäquaten Produzieren von Film und Video Zusammenfassung: Es gibt inzwischen einige Literaturangaben darüber, wie man richtig drehen sollte, wenn ein Fernsehfilm oder auch ein Werbevideo produziert wird. Aber: Gibt es darüber hinaus Regeln, die für Videosegmente auf dem Computermonitor beachtet werden müssen, also beispielsweise für Filmclips im Kontext eines Webangebots? Unterscheiden sich diese Regeln möglicherweise von dem, was für Video und Fernsehen gilt? Wie müssen Videoclips für computergestützte Medien aufbereitet werden, um die beste Wirksamkeit zu erzielen? Wann ist ihr Einsatz medienadäquat? Dieser Artikel stellt die wichtigsten Erkenntnisse zum medienadäquaten Produzieren von Film und Video vor. Entscheidend sind Probleme der Dramaturgie und der Filmplanung. Die Unterschiede beziehen sich auch auf formale Aspekte wie die Filmlänge, die Bildgestaltung und das Schnitttempo. Sie werden an Beispielen aus der Arbeit an einem Multimedia-Projekt beschrieben. Um Informationen zu übermitteln, werden zunehmend multimediale Angebote eingesetzt, im Dienstleistungssektor, besonders beispielsweise in der Touristik-Branche, aber zunehmend auch an Hochschulen, bei Biologen oder Psychologen, oder im Kontext fremdsprachlicher Philologien, etwa bei Materialien, die sich auf die Landeskunde beziehen. Aus dem Zusammenhang einer CD-ROM-Produktion mit Videosegmenten stammen auch die folgenden Beobachtungen. Die CD-ROM wurde im Rahmen eines Projekts erstellt, das von der EU-Kommission innerhalb des Interreg 2-Programms finanziert wurde. Ziel war es, Informationen, die notwendig sind, um die Zusammenarbeit von deutschen und französischen Hochschulen und Studierenden zu verbessern, zu sammeln und multimedial zu präsentieren. Dazu zählte unter anderem die Darstellung der französischen Hochschullandschaft. Da keine sterile Zusammenfassung beabsichtigt war, sondern eine lebendige Vorstellung, die Lust Bildgröße und -distanz zum Zuschauer sind die Gründe dafür, dass Bewegtbilder für den PC- Monitor anders gestaltet werden müssen als für Kino oder Fernsehen. auf die Zusammenarbeit wecken sollte, war von Anfang an geplant, auch Videoelemente zu integrieren. Während der Produktion der CD-ROM sind jedoch verschiedene Probleme aufgetreten. Es begann mit der Frage, welche audiovisuellen Elemente eigenhändig produziert werden sollten. Dass wir Interviews selbst drehen mussten, war einleuchtend. Für landeskundliche Informationen oder Stadtansichten der Hochschulorte schien es aber von Vorteil zu sein, bereits vorhandenes, gutes Material zu nutzen, beispielsweise Videos der Touristikämter oder Ausschnitte aus Spielfilmproduktionen. So war es möglich, bei der Einführung in den Hochschulort Nancy Szenen aus dem Spielfilm Une femme française einzubauen. Der Film stellt die jüngere französische Geschichte gespiegelt am Schicksal einer Frau (der femme française ) aus Nancy dar. In ihrem Heimatort spielen wichtige Szenen, etwa auf der Place Stanislas. Der Platz wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe gekürt, und die Kameraarbeit von François Catonné stellt ihn adäquat dar. Catonné ist einer der angesehensten Kameramänner Frankreichs. Mit Régis Wargnier drehte er Indochina, eine Produktion, die 1992 den Oscar als bester fremdsprachiger Film erhielt. Une femme française war die Folgeproduktion, 1994 entstanden. Was lag näher als der Gedanke, den Clip über den Hochschulstandort Nancy damit zu eröffnen? Bevor wir aber die Prozedur auf uns nehmen wollten, offiziell um die Rechte nachzufragen, digitalisierten wir versuchsweise einige Szenen. Dabei fiel überraschenderweise auf, dass die Wirkung auf dem Computer-Monitor nicht überzeugend war. So sahen wir uns gezwungen, eigene Bilder zu drehen. Aber jetzt war die Neugier geweckt: Wieso wirkt das Material Catonnés nicht auf dem Computer-Monitor? Diese Fragestellung war zugleich theoretisch wie anwendungsorientiert, denn wir wollten natürlich wissen, worauf wir bei unseren Dreharbeiten achten sollten. 17 Fachjournalist

Fachjournalist 20 Weitere Fragen warf ein Problem auf, das wir mit einer anderen Filmsequenz hatten. Wir interviewten die Präsidentin der Universität Metz, die Informationen zur französischen Forschungslandschaft geben sollte. Von der filmischen Herangehensweise schien diese Sequenz problemlos zu sein tatsächlich entspricht der Bildaufbau sozusagen dem Standard einer solchen Szene in einem Fernsehbericht: Während ihrer Aussage war die interviewte Person groß im Bildmittelpunkt zu sehen. Für die Fragen gab es Schnitte. Nun war die Interviewerin im Anschnitt zu sehen, die Interviewpartnerin befand sich auf der anderen Seite des Bildes. Der Bildaufbau war jetzt also nicht mehr zentral, sondern bipolar; keine Großaufnahme, sondern eine Halbtotale. Trotz ihrer Alltäglichkeit verursachte diese Szene bei einigen Testnutzern der CD-ROM Schwierigkeiten. Woran lag es? Wir haben verschiedene Testpräsentationen und teilstrukturiert geführte Tiefen-Interviews durchgeführt. Das hat uns Hinweise gegeben, die zu den folgenden theoretischen Aussagen geführt haben. Nutzungsbedingungen der unterschiedlichen Bildmedien Die Ursache scheint gerade in der Tatsache zu liegen, dass die Bilder eben nicht auf der Kinoleinwand oder dem Fernsehbildschirm, sondern dem Computermonitor zu sehen waren. Dabei sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung: die Entfernung, in der die Zuschauer vor dem Bild sitzen, sowie die Bildgröße. Die jeweilige Nutzung sollte nun, unseren Untersuchungen zufolge, Auswirkungen auf die Produktion von Filmen für die einzelnen Medien haben. Da das Kinobild groß ist und die Zuschauer es ungestört sehen können, kann es sehr detailreich sein es muss vermutlich sogar detailreich sein, um nicht zu langweilen. Massenszenen und totale Landschaftsaufnahmen gelten deshalb als charakteristisch für das Kino. Schon beim Fernsehen und erst recht beim Computer ist das anders, geradezu konträr zum Kinobild. Beim Computer sind die Frames ausgesprochen klein; bei unserer CD- ROM mit den Informationen über Lothringen Die Multimedialität der neuen Medien führt dazu, dass das Videobild auf dem Computer- Monitor vermutlich nur ein kleines Fenster in einer vielfältigen Umgebung bleiben wird. Abb.: Schema der Nutzersituation bei unterschiedlichen Bewegtbildmedien haben sie beispielsweise nicht ganz die Größe eines Viertelbildschirms. Dies ist im Übrigen nicht mehr nur technisch bestimmt, sondern resultiert aus der Absicht, das Videobild in eine multimediale Umgebung einzufügen. Der Hintergrund der Rahmentext, ein Navigations-Frame, auch weitere Informationen wie zusätzliche Bilder oder Animationen soll sichtbar bleiben, da die Videosequenz in diesem Kontext als Ergänzung gedacht ist. So führt gerade eine der wichtigsten Charakteristika der neuen Medien, die Multimedialität, dazu, dass das Videobild auf dem Computermonitor vermutlich nur ein kleines Fenster in einer bunten, vielfältigen Umgebung bleiben wird. Demzufolge sind auch die Möglichkeiten der Ablenkung groß. Wir haben es also mit zwei Effekten zu tun, die sich gegenseitig verstärken. Auf der einen Seite ist das Bild klein und daher weniger wirksam. Die Zuschauer müssten sich also noch mehr auf das Videoframe konzentrieren aber tatsächlich werden sie von den vielfältigen anderen Angeboten auf demselben Bildschirm noch mehr abgelenkt. In jedem Fall fanden es die befragten

Die Nutzer betrachten in der Regel gezielt nur einen Bereich des Bildschirms, oftmals gar nur einen Punkt. Studierenden recht mühsam, dem detailreichen Bild in einem kleinen Frame auf einem bunten Schirm über längere Zeit aufmerksam zu folgen. Hinzu kommt, dass es zum Computermonitor kaum noch Distanz gibt. Die Gründe dafür können erneut in einem Charakteristikum des Computers gesehen werden: der Möglichkeit und in der Regel ja auch der Notwendigkeit der Interaktivität. Die Nutzer müssen Icons oder Hyperlinks exakt mit der Maus treffen. So führt gerade die Vielseitigkeit des Computers zwangsläufig sogar zu einer Verengung der Aufmerksamkeit. Das haben alle interviewten Studierenden ausnahmslos bestätigt. Die Nutzer betrachten in der Regel gezielt nur einen Bereich des Monitors, oftmals gar nur einen Punkt. Bei den Videosequenzen ist dies ganz eindeutig der Handlungsmittelpunkt. Dies scheint die Ursache für die Irritationen der Studierenden bei den aufgezeichneten Interviewpassagen gewesen zu sein. Die Einstellung, die die Interviewpartnerin im Bildmittelpunkt gezeigt hat, war länger zu sehen (weil die Aussage recht wichtig war), so dass sich die Nutzer buchstäblich auf sie eingestellt hatten. Mit dem Umschnitt mussten sie sich umorientieren. Daher hatten sie ihre Schwierigkeiten mit dem scheinbar simplen Sprung von einem Bildzentrum auf die bipolare Bildgestaltung. Wie kann man darauf reagieren? Zunächst soll der Begriff der zuschauerfreundlichen Mediendramaturgie von Hertha Sturm aufgegriffen werden: Hier kann dies bedeuten, dass die Nutzer auf jede Verlagerung des Handlungsmittelpunkts vorbereitet werden. Grundsätzlich ist dies nicht schwer; geeignete Mittel sind etwa leichte Schwenks in die Richtung, auf die sich die Zuschauer nach dem nächsten Schnitt konzentrieren sollen (das ist die Lösung mit der Kamera), oder Bewegungen des Handlungsträgers zu der Stelle im Frame, wo nach dem Umschnitt auch der neue Handlungsmittelpunkt sein wird (die inszenatorische Lösung). In beiden Fällen ist aber ein Storyboard mit genauer Planung des jeweiligen visuellen Schwerpunkts unumgänglich ein Storyboard, das sich insbesondere auf die Gestaltung der Übergänge bezieht. In diesem Zusammenhang scheint ein weiterer Aspekt von Bedeutung zu sein. Um auf dem bunten, viel gestalteten Computermonitor die Aufmerksamkeit zu wahren, muss das Auge, solange der Film läuft, immer wieder geführt werden es sucht sich sonst zu leicht eine andere Anregung. Das scheint verschiedene Gründe zu haben. Viele Nutzer lassen unterschiedliche Anwendungen parallel laufen und blicken woandershin, wenn die visuelle Darstellung uninteressant wird. Häufig hören die Nutzer dann noch den Ton der Videosequenz. Subjektiv haben sie dadurch möglicherweise gar den Eindruck, den Inhalt weiter verfolgen zu können. Wenn das Ziel einer Videoproduktion aber war, mit der visuellen Ebene weitere Informationen zu verknüpfen (und dies sollte ja so sein), können die Informationen gar nicht vollständig aufgenommen werden von der Tatsache einmal abgesehen, dass auch die Konzentration auf den Ton durch das Betrachten anderer Anwendungen zweifellos begrenzt ist. Die beste Möglichkeit, die Aufmerksamkeit immer wieder ans Bild zu binden, liegt in der Erhöhung des Schnitt-Tempos. Diese Maßnahme gibt den Zuschauern den Eindruck, sie dürften nicht wegsehen, wenn sie nicht das Gefühl haben wollen, etwas zu verpassen. Wir haben im Rahmen unserer Experimente verschiedene Clips unterschiedlich schnell geschnitten. So hatten wir die Bilder aus Metz in einem schnellen Tempo montiert. Die durchschnittliche Länge lag hier bei etwa zwei Sekunden; teilweise war sie auch noch kürzer. Erneut hatten wir die Studierenden um eine Bewertung gebeten. Keinem schien das Schnitt-Tempo zu hoch zu sein, auch nicht auf gezielte Nachfrage; alle betrachteten es vielmehr als angemessen oder gar als Voraussetzung, um interessiert zuzusehen. Dennoch deuten die Aussagen der Studierenden auch darauf hin, dass Videosequenzen in einem Computer-Frame selbst nach Anwendung aller diskutierten Möglichkeiten nicht sehr lange konzentriert zugesehen wird. Die Zuschauer empfinden es offenbar als unangenehm, zu lange auf exakt einen Punkt oder zumindest einen kleinen Bereich des Monitors zu blicken. Das strengt an, und zumindest die befragten Studierenden waren relativ schnell ermüdet und dann auch durch noch so plakative Bilder und schnelle Schnitte nicht mehr ans Videobild zu fesseln. Unsere Befragungen lassen vermuten, dass Clips, die länger als zwei Minu- 21 Fachjournalist

Fachjournalist 22 ten sind, so gut wie nie zu Ende gesehen werden; konzentriert auf eine Stelle blicken die meisten nicht länger als lediglich etwa eine Minute, auch nicht bei Inhalten, die sie interessieren. Schließlich gibt es noch einen letzten bedeutsamen Punkt: die neue Möglichkeit, selbst in den Videoclip interaktiv einzugreifen. Häufig haben die Studierenden den Regler genutzt, um auf der Zeitachse zu navigieren, nach einer in der Regel übrigens relativ geringen Zeit. Meist sind sie ans Ende der Videosequenz gefahren, um zu sehen, wie der Clip endet. Als problematisch erwies es sich aber, wenn sie wieder zurück in den Film wollten. In der Regel gingen sie nicht zum Anfang zurück: Den hatten sie ja schon gesehen. Nun wollten sie Langeweile und Wiederholung vermeiden und suchten in etwa die Stelle, an der sie zunächst die Anwendung verlassen hatten. Zumeist fanden sie aber einen anderen, neuen Einstiegspunkt und schauten von dort weiter. Die Tatsache, dass Filme häufig nicht von Anfang bis Ende, chronologisch, sondern nur in Ausschnitten gesehen werden, kann tendenziell den Verzicht auf eine eben chronologische, auf eine Pointe oder eine Konsequenz hinzielende Darstellungsweise nahe legen. Die Bildgröße Schnitt Filmplanung Filmlänge Dramaturgie Kino TV Computer Totale (z. B. Landschaften, Massenszenen), detailreich lange Einstellungen Halbtotale detailarm historisch: lange Einstellungen Großaufnahme detailarm schnelle Schnitte, Clip -Rythmus aber: MTV (szenische) Keine Planung! (formale) Planung von Kamera Planung von Einstellungen reagiert Übergängen lediglich! (Kamerabewegungen (charakteristische Formen: Objektbewegungen) Reportage Dokumentation Talk-Show 90 ca. 20 bis 45 2 chronologisch erzählend (Geschichten!) historisch: chronologisch erzählend aber: Talk- Shows Daily Soaps: Verzicht auf Kontext und Geschichte Chronologie ist problematisch Varianten des Gleichen Verzicht auf Kontext und Geschichte Tab.: Systematik des medienadäquaten Publizierens von Bewegtbildern in unterschiedlichen Formaten inhaltliche Darstellung sollte dem Prinzip der ergänzenden Variation folgen. Die Filme sollten also monothematisch sein. Natürlich darf Monothematik dabei nicht Wiederholung bedeuten. Auf keinen Fall dürfen diejenigen Nutzer, die sich den Film in Gänze ansehen, bestraft werden. Vielleicht sollte daher eher vom Ziel der sinnhaften (und visuell abwechslungsreichen) Variation gesprochen werden. Regeln für eine mediengerechte Filmproduktion Jedes Medium hat also seine Charakteristika; mehr noch: seine Regeln, die zu kennen Voraussetzung einer angemessenen, medienadäquaten Produktion ist. Insgesamt haben wir folgende Felder herausarbeiten können, in denen sich diese unterschiedlichen Charakteristika auswirken. Erstens, die Bildgröße. Das Kinobild ist groß und deshalb häufig detailreich. Dagegen ist die typische Einstellung des Fernsehens die Halbtotale, häufig auch die Großaufnahme. Auf dem Computer-Monitor scheint nun kaum etwas anderes zu funktionieren hier ist eine Großaufnahme, ein Close-up nahezu die einzige Einstellungsgröße, die tatsächlich mediengerecht ist. Um das große Kinobild aufnehmen, erfassen und wirken lassen zu können, sind zweitens lange Einstellungen sinnvoll. Im Gegensatz dazu: das Fernsehen. Angesichts der schlechteren Chancen (allein aufgrund des viel kleineren Bildschirms), alle Details aufnehmen zu können, wirken lange Einstellungen beim Fernsehen viel weniger wenn das Bild unübersichtlich wird, kann gar Langeweile entstehen. Eine Antwort auf diesen Effekt kann nun eben darin bestehen, schnelle Schnitte als Eye-Catcher einzusetzen. Beim Videoclip für den Computer ist nun das plakativere, kognitiv leichter zu erfassende Bild, das deshalb aber tendenziell auch schneller geschnitten werden muss, die offenbar einzige mediengerechte Alternative. Um weitere Irritationen zu vermeiden, sollte drittens beim Computer jede Verlagerung des Handlungsschwerpunkts durch eine genaue Planung des Bildaufbaus aufgefangen werden. Als fernseh-typisch möchte ich dagegen die aktuelle Dokumentation mit einer die Realität begleitenden Kamera nennen, ebenso wie die Talk-Show; charakteristisch wären also Formen, bei denen der genaue Bildaufbau im Vorfeld nicht geplant werden kann, so dass auch die Gestaltungsmöglichkeiten des Kameramanns tendenziell begrenzt

sind. Dagegen sind für das Kino gerade die genaue Planung und die szenische Erarbeitung von Einstellungen symptomatisch. Unterschiede gibt es viertens auch hinsichtlich der typischen und jeweils notwendigen Länge der Filme. Spielfilme sind im Schnitt über 90 Minuten lang. Das Kino muss relativ lange Filme bieten, da ansonsten der Aufwand, für eine Vorführung die Wohnung zu verlassen, wie auch die Höhe der Eintrittspreise nicht begründbar wären. Fernsehproduktionen sind deutlich kürzer, Videosegmente für den Computer sollten nicht länger als zwei Minuten sein. Schließlich gibt es Unterschiede bei der inhaltlichen Gestaltung. Spielfilme erzählen Geschichten. Seitdem das Zappen üblich geworden ist, wird jedoch schon beim Fernsehen immer mehr mit anderen Formen experimentiert, denn man weiß, dass immer weniger Zuschauer die gesamte Geschichte verfolgen. So ist beispielsweise die Talk-Show eine typische Sendeform des Fernsehens; in der Tat handelt es sich um eine variierende Form der Präsentation, die es ertragen kann, wenn der Zuschauer ein Loch im Handlungsablauf entstehen lässt: weil es eben keinen zwingenden Handlungsablauf mehr gibt. Selbst Fernsehproduktionen, die scheinbar Geschichten erzählen, wie die Daily Soap, werden so konzipiert, dass der Zuschauer keinen Anfang benötigt und keine Entwicklung verfolgt haben muss, um das gerade gezeigte Geschehen zu verstehen. Nun steht zu vermuten, dass beim Computer eine andere inhaltliche Herangehensweise als diejenige der variierenden Präsentation gar nicht mehr sinnvoll wäre. Die Zuschauer empfinden es offenbar als unangenehm, zu lange auf exakt einen Punkt oder zumindest einen kleinen Bereich des Monitors zu blicken. dem möglicherweise anrührenden Eindruck einer Spielproduktion verglichen werden können. Aus diesem Grund glaube ich des Weiteren auch nicht, dass eines der Medien die anderen ersetzen können wird; wir müssen also auch von daher kein Medium gegen ein anderes ausspielen. Aber gerade der Anlass unserer Untersuchungen hat gezeigt, warum es wichtig ist, sich der unterschiedlichen Medien und ihrer unterschiedlichen Ästhetiken und unterschiedlichen Nutzungsformen bewusst zu werden. Wären uns diese theoretischen Überlegungen beispielsweise schon zu Beginn der Produktion unserer CD- ROM klar gewesen, hätten wir gar nicht erst versucht, François Catonnés Bilder einzubauen und uns wäre eine Enttäuschung erspart geblieben. Dieser Eindruck der Enttäuschung ist ja nun ebenfalls eine Bewertung; es liegt auf der Hand, dass sie Catonné nicht gerecht geworden wäre. Kenntnisse über die unterschiedlichen medienadäquaten Ästhetiken können demnach dabei helfen, die jeweiligen Bilder an dem Medium zu messen, für das sie geschaffen wurden: eine zumindest ansatzweise objektivere Einordnung unterschiedlicher Filme in ihrem jeweils spezifischen Umfeld. Der Autor: Dr. Hans W. Giessen ist Privatdozent für die Fachrichtung Informationswissenschaft an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Er ist zudem publizistisch tätig und hat sowohl für das Fernsehen, für Nachrichtenagenturen und für Zeitungen und Zeitschriften wie die FAZ, die Welt oder den Spiegel gearbeitet. Kontakt: h.giessen@gmx.net Fazit Die geschilderten Veränderungen können unterschiedlich bewertet werden. So kann beispielsweise das tiefe emotionale Erlebnis eines Kinobesuchs auch mit bestem Willen nicht durch Videoproduktionen für den Computer erreicht werden; dies mag Bedauern verursachen. Dennoch ist eine solche Bewertung unsinnig; dies vor allem aus zwei Gründen. Zum einen erfüllen die unterschiedlichen Medien ganz unterschiedliche Funktionen, und es liegt auf der Hand, dass die Informationen, die im Rahmen einer Computeranwendung übermittelt werden können, nicht mit 23 Fachjournalist