SOS-Kinderdörfer. Jedem Kind ein liebevolles Zuhause. Aktualisierte Version



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Transkript:

SOS-Kinderdörfer Jedem Kind ein liebevolles Zuhause Aktualisierte Version

-2- Inhalt Was uns ausmacht Was wir tun SOS-Engagement weltweit Tatkräftig, nachhaltig und jetzt! 19 SOS-Kinderdorf Träume vom weißen Kittel 20 SOS-Mütterschule Wichtig ist die innere Stärke 21 SOS-Kindergärten Keine Zeit verlieren 22 Vorwort Wie alles anfing 9 10 Hermann-Gmeiner-Schulen Das Mathegenie Clearing-House Fast wie eine Familie 23 24 Hermann Gmeiners Prinzipien SOS mehr als nur ein Dorf 12 SOS-Sozialzentren Die Kinder und Kindeskinder von Tschernobyl 26 Faszination SOS-Kinderdörfer Mitarbeiter-Portraits 14 SOS-Familienhilfe Estelís Mütter entdecken ihre Stärke 27 Das ist Noctula 16 SOS-Berufsbildungszentren in aller Welt 28 SOS-Berufsbildungszentren Mit beiden Beinen fest im Leben 29 SOS-Medizinische Zentren In die Enge getrieben 32 SOS-Nothilfe Wir sind vor Ort und bleiben 34 SOS-Standorte 36

-3- Inhalt Wie wir arbeiten Wie Sie aktiv werden können Spenden Der einfachste Weg zu helfen 52 Starke Freunde Sich stark machen für Kinder 54 SOS-Patenschaften Hilfe, die nachhaltig wirkt 55 SOS-Spender und private Förderer Ich bin sicher, dass mein Geld etwas bewirkt 56 Fotos: Joris Lugtigheid, Paul Hahn Organisation Meilenstein für Effizienz und Offenheit Interessenvertretung Die Rechte der Kinder im Fokus SOS-Schulprogramm Mit Jeanne in Afrika SOS-Schulprogramm Solidarität auf dem Stundenplan Geschätzt und bekannt SOS im Licht der Öffentlichkeit Tracking Footprints Wie wirksam sind wir langfristig? Sommerheimat Das SOS-Feriendorf Caldonazzo 39 40 42 43 44 45 46 Anlass-Spenden Es gibt viele Gelegenheiten, gemeinsam zu helfen Spenden im Internet, Mitmachen erwünscht: News, Infos und mehr Nachlass Immer einen Draht zu Kindern Hermann-Gmeiner-Stiftung Nachhaltig fördern mit Steuervorteil SOS-Kinderdörfer Global Partner GmbH Für Unternehmen mit Vorbildcharakter SOS-Edition weltweit Kunst kaufen Kindern helfen Service-Adressen Die SOS-Kinderdörfer Auf einen Blick Wussten Sie schon, dass 57 58 60 61 62 63 64 65 66

Slumbewohner in Kisumu/Kenia

-6- Fakten Das Elend der Kinder hat viele Gesichter Viele Kinder und Jugendliche leben weltweit in Armut. Ihren Familien mangelt es am Nötigsten, besonders an Bildung. Häufig ist der Alltag geprägt von Arbeitslosigkeit und Gewalt. 780 Millionen Menschen haben nicht genug sauberes Wasser. 2,5 Milliarden Menschen haben keine oder ungenügende sanitäre Anlagen. Daher sterben rund 3.000 Kinder unter fünf Jahren täglich an Durchfallerkrankungen. 61 Millionen Kinder unter zehn Jahren besuchen keine Grundschule, die Hälfte davon in Afrika südlich der Sahara. Weniger als 50 Prozent der Mädchen in Afrika beenden die Grundschule. 35 Prozent der Kinder weltweit sind mit 18 Jahren verheiratet. 153 Millionen Kinder in den Entwicklungsländern haben Mutter, Vater oder beide Eltern verloren. 17 Millionen Kinder sind Aidswaisen. Acht von zehn dieser Waisen leben in Afrika südlich der Sahara. 7,2 Millionen Kinder sterben jährlich mit unter fünf Jahren. Davon allein 3,8 Millionen Kinder in Afrika. 150 20 Millionen Kinder zwischen fünf und 14 Jahren arbeiten weltweit teilweise unter lebensgefährlichen Bedingungen. Millionen Kinder sind vor Krieg und Gewalt auf der Flucht. 250.000 werden als Soldaten missbraucht. 776 Millionen Menschen sind Analphabeten, zwei Drittel davon weiblich. Quelle: unicef

Foto: Toby Binder Janina und Vater Roque in ihrem Schlafzimmer an der viel befahrenen Avenida 9 de Julio in Buenos Aires, Argentinien

Was uns ausmacht

-9- Was uns ausmacht Was mit dem ersten Kinderdorf 1949 in Imst begann, hat sich zu einem weltumspannenden Netz entwickelt, das Kinder in Not schützend auffängt. An der Vision, mit der unser Gründer Hermann Gmeiner damals antrat, halten wir bis heute unverändert fest: Jedes Kind soll gemeinsam mit Mutter und Geschwistern in einem liebvollen Zuhause inmitten einer Gemeinschaft aufwachsen. Aus dieser einfachen wie wegweisenden Idee heraus sind bis heute mehr als 500 SOS-Kinderdörfer entstanden. Dort und in den angeschlossenen Jugendeinrichtungen leben rund 80.000 Kinder und Jugendliche. Delgersaikhan ist so ein Kind. Sie wohnt im mongolischen Kinderdorf Ulan Bator. Ihre Geschichte auf Seite 20 steht stellvertretend für das Schicksal vieler SOS- Kinder. Das weltweite Netz unserer SOS-Einrichtungen ermöglicht es uns, auch bei Krisen und Naturkatastrophen schnell vor Ort zu helfen. Die Hilfsaktionen gehen sofern möglich von den SOS-Einrichtungen im betroffenen Land aus. Das bisher umfangreichste Nothilfeund Wiederaufbauprogramm starteten wir nach der Tsunami- Katastrophe im Jahr 2004. Auch nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti im Januar 2010 konnte unser SOS-Nothilfeteam die Menschen rasch unterstützen (Seite 34). Gutes tun ist leicht, wenn viele helfen, hat Hermann Gmeiner gesagt. Oder anders ausgedrückt: Unser Engagement für Kinder in Not wäre nicht ohne die tatkräftige Unterstützung unserer Förderer möglich. Wie großzügig, einfallsreich und treu sich die vielen Freunde der SOS-Kinderdörfer für unsere wichtige Arbeit stark machen, lesen Sie ab Seite 50. Ob mit einer Patenschaft, einer eigenen Spendenaktion oder als STARKE FREUNDE es gibt viele Möglichkeiten Kindern in Not zu helfen. Doch die Idee Hermann Gmeiners macht nicht an den Toren eines SOS-Kinderdorfes Halt. Unsere Kindergärten, Schulen und Berufsbildungszentren stehen immer auch Kindern aus der Nachbarschaft der Kinderdörfer offen. Hier können sie lernen, wäh rend ihre Eltern sie gut betreut wissen. Bildung ist meist der Schlüssel dazu, dass Kinder später ein selbstbestimmtes Leben führen können. Francis Akoto aus Ghana ist ein ehemaliges SOS-Kind und hat das Rüstzeug für sein Leben in verschiedenen SOS-Einrichtungen gesammelt. Heute verdient er als Schreiner den Lebensunterhalt für seine Familie und hilft mit seiner Arbeit der ganzen Gemeinde (Seite 29). Die nachfolgenden Seiten geben Ihnen einen umfangreichen Einblick in die Welt der SOS-Kinderdörfer. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie darin ein wenig eintauchen, und wir Ihnen auf diesem Weg unsere wichtige und vielfältige Arbeit für Kinder in Not vorstellen dürfen. Mit meinem aufrichtigen Dank für Ihre Unterstützung und Mitarbeit in Zukunft. Herzlichst Ihr Seit einigen Jahren setzen wir bei unserer weltweiten Arbeit verstärkt auf die SOS-Familienhilfe. Diese richtet sich an die Menschen in der Nachbarschaft der SOS-Kinderdörfer. Ziel ist es, sei es durch Armut, Krankheit oder Sucht gefährdete Familien vor dem Zerbrechen zu bewahren und im Vorfeld zu verhindern, dass Kinder schutzlos auf der Straße landen. Im Rahmen der SOS- Familienhilfe fördern wir Eltern soweit, dass sie ihren Kindern aus eigener Kraft eine Perspektive bieten können. Dies stärkt nachhaltig die Gemeinschaft im Umfeld der Kinderdörfer. Wie vielschichtig diese Initiativen greifen, erfahren Sie am Beispiel der Mütter im nicaraguanischen Estelí auf Seite 27. Helmut Kutin Vorstandsvorsitzender der SOS-Kinderdörfer weltweit Foto: Alexander Gabriel Helmut Kutin im SOS-Kinderdorf Jakarta/ Indonesien

-10- Was uns ausmacht Wie alles anfing Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg engagiert sich der Medizinstudent Hermann Gmeiner, ein Bauernsohn aus Alberschwende im österreichischen Vorarlberg, in der Jugendarbeit in Innsbruck. Er ist entsetzt, wie viele Kriegswaisen in Heimen landen, wo sie keine Liebe und kaum Zuwendung kennen lernen. Gmeiner hat selbst im Alter von fünf Jahren seine Mutter Angelika verloren und kann erahnen, was die Kriegswaisen durchmachen. Gmeiner aber hatte das Glück, dass seine älteste Schwester Elsa in der Familie die Mutterpflichten übernahm und die kleinen Geschwister liebevoll aufzog. Es muss für Waisen etwas anderes geben als Heime und Anstalten, formuliert Gmeiner und entwickelt sein Konzept Mutter- Geschwister-Haus-Dorf die Idee der SOS-Kinderdörfer ist geboren: Jedes Kind sollte wieder eine Mutter bekommen und zusammen mit Geschwistern in einem Haus aufwachsen, geborgen durch den Rahmen eines Dorfes. Die Kinder sollten in diesem Kinderdorf behütet aufwachsen, lernen und ausgebildet werden, um später auf eigenen Füßen stehen zu können. Für seine Idee gab Gmeiner sein Studium auf und gründete zusammen mit Freunden 1949 das erste SOS-Kinderdorf in Imst/Tirol. Schon in den 50 er Jahren informierte der Kinderdorfbote Spender und Paten über Neuigkeiten in der SOS-Welt.

-11- Was uns ausmacht 545 SOS-Kinder dörfer in 133 Ländern gibt es heute. Fotos: Hilmar Pabel, SOS-Archiv 62.000 Kinder wachsen in ihnen derzeit heran. 6.000 SOS-Mütter umsorgen diese Kinder. 602 Jugendwohneinrichtungen beherbergen 20.277 Jugendliche. Dort werden sie auf ein selbstständiges Leben vorbereitet. 24.000 junge Menschen werden in 100 Ausbildungszentren ausgebildet, damit sie künftig auch finanziell auf eigenen Beinen stehen können. 222 SOS-Kindergärten, die auch der Nachbarschaft offen stehen, sind ein positives Beispiel für wertvolle Pädagogik: 23.000 Kinder werden dort betreut. 110.000 Kinder aus den Kinderdörfern und der Umgebung lernen an 182 Hermann-Gmeiner-Schulen. 443.000 Kinder und deren Angehörige werden von SOS-Mit arbeitern in 624 Sozialzentren rund um die SOS-Kinderdörfer betreut und im täglichen Leben unterstützt, damit die Familien nicht zerbrechen. Diese Hilfe ist befristet: Die Familien sollen am Ende wieder eigenverantwortlich leben können. Die Slums sind die Hauptarbeits gebiete der Kollegen. 74 medizinische Zentren bieten Kranken Hilfe und beraten Familien in vielen wichtigen Themen wie Hygiene, gesunde Ernährung oder Aids. 16 Nothilfestandorte helfen Kindern und Erwachsenen weltweit. 2 Mio. Kinder und deren Angehörige werden in den vielfältigen SOS- Programmen betreut Tendenz stark steigend.

-12- Was uns ausmacht Fotos: Frank May, Claire Ladavicius, Michela Morosini

-13- Was uns ausmacht Hermann Gmeiners Prinzipien SOS mehr als nur ein Dorf Seit 1949 basiert die Idee der SOS-Kinderdörfer auf dem einfachen, aber revolutionären Konzept Mutter-Geschwister-Haus-Dorf. Das Kinderdorf muss leuchten und hinausstrahlen in die Welt, hatte Hermann Gmeiner bereits kurz nach der Gründung des ersten SOS-Kinderdorfes in Imst 1949 gesagt. In einer Zeit, in der verlassene Kinder hauptsächlich in Heimen groß wurden, war das Kinderdorf ein radikal neues Modell, das die Menschlichkeit und das individuelle, behütete Aufwachsen in den Vordergrund stellte. Es basierte auf vier einfachen Prinzipien: Jedes Kind sollte wieder eine Mutter bekommen und zusammen mit Geschwistern in einem Haus aufwachsen, in der sicheren Gemeinschaft eines Dorfes. Allen Zweiflern zum Trotz glaubte Hermann Gmeiner fest an diese Idee und ihre Verbreitung. Er sollte recht behalten: Heute gibt es weltweit mehr als 500 SOS- Kinderdörfer. Die vier Prinzipien sind bis heute ihre Basis kraftvolle Grundpfeiler, aber keineswegs starr. Da, wo es sinnvoll und nötig war, entwickelte sich die Idee weiter: Als man feststellte, dass in den Entwicklungsländern Schulen fehlten, begann man, diese zu bauen. In Gegenden, wo die Menschen von medizinischer Hilfe abgeschnitten waren, entstanden medizinische Zentren oder Kliniken. Und da, wo Jugendliche keinen Ort hatten, an dem sie einen Beruf erlernen konnten, schuf SOS Ausbildungsstätten. Ausgerichtet an den Bedürfnissen der Kinder und Familien bauten die SOS-Kinderdörfer ihr Angebot weiter aus, gründeten SOS-Kindergärten, Jugendwohneinrichtungen und SOS-Sozialzentren. Auch in den SOS-Kinderdörfern selbst behielt man den wachen Blick für die eigene Arbeit, korrigierte und erweiterte. So bekommen schwerst traumatisierte Kinder heute professionelle Hilfe: Psychotherapeuten unterstützen die Kinderdorfmütter bei der Bewältigung der seelischen Verletzungen. Oben: SOS-Kinderdorf Cochin in Indien Unten links: SOS-Familie aus dem SOS-Kinderdorf Bakoteh in Gambia Unten rechts: Familienmoment aus Costa Rica Grundsätze der SOS-Arbeit Bei der Bewältigung der seelischen Verletzungen steht immer das einzelne Kind und sein ganz spezielles Schicksal im Mittelpunkt. Jedes Kind soll die Chance haben, in der Geborgenheit einer Familie aufzuwachsen. Wo dies nicht möglich ist, weil die leiblichen Eltern bei Naturkatastrophen, Kriegen oder durch Krankheiten gestorben oder geschwächt sind, bieten die SOS- Kinderdörfer eine Ersatzfamilie über die Grenzen des SOS-Kinderdorfes hinaus. Wo jedoch bestehende Familien in Gefahr sind, durch Armut, Krankheit oder soziale Not auseinanderzubrechen, versuchen die SOS-Kinderdörfer, diese Familien zu stärken und somit Kindern ihr Zuhause zu erhalten. Zum Programm der SOS-Familienhilfe gehören Ausbildungsangebote für Eltern und Kinder, medizinische Versorgung, pädagogische Unterstützung und verschiedene Beratungsangebote, die Familien befähigen sollen, ihr Leben wieder aus eigener Kraft zu meistern. Dabei sind individuelle Lösungen gefragt, die den betroffenen Menschen, ihrer jeweiligen Kultur und den besonderen Gegebenheiten entsprechen. Vor diesem Hintergrund sind immer wieder Einrichtungen entstanden, die es so vorher nicht gab. Dazu gehören beispielsweise die Krisenwohngruppen, in denen Kinder in Notsituationen vorübergehend aufgenommen werden, oder das BIWAK in Österreich, eine Wohngemeinschaft für minderjährige, elternlose Flüchtlinge. In Osteuropa stand man vor der Situation, dass es zwar genügend öffentliche Schulen gab, deren Qualität allerdings oft zu wünschen übrig ließ. Statt eigene Schulen zu bauen, geht SOS hier den Weg der Kooperation: Gemeinsam mit lokalen Verantwortlichen, Lehrern und Eltern suchen die SOS-Kinderdörfer nach Wegen, die Ausstattung, aber auch die Unterrichtsmethoden zu verbessern. Als Organisation mit großer pädagogischer Kompetenz bieten die SOS-Kinderdörfer beispielsweise Schulungen für Lehrer an oder ermöglichen den Einsatz von Logopäden oder Sonderpädagogen. Davon profitieren die Kinder auf zweierlei Weise: Zum einen verbessert sich der Unterricht deutlich, zum anderen werden Lehrer und SOS-Mitarbeiter auch auf Kinder aufmerksam, deren Familien dringend weitergehende Unterstützung benötigen. In Ecuador ist ein ganz besonderes Kinderdorf gebaut worden, das SOS-Kinderdorf Guayaquil: Elternlose Mädchen und Jungen leben mit ihren SOS-Familien nicht im klassischen Dorf, sondern in angemieteten Wohnungen in der Gemeinde Guayaquil. Die Wohnungen liegen nahe beieinander, sind jedoch Teil einer bestehenden Siedlung. Alle SOS-Kinder sind in das soziale Leben ihres Stadtviertels eingebunden. Die in der Nachbarschaft lebenden bedürftigen Familien werden im Rahmen der SOS-Familienhilfe aufgefangen und verstehen sich als Teil der SOS-Gemeinschaft. Wenn wir also davon sprechen, dass wir aktuell über eine Million Kinder erreichen, dann steht hinter dieser Zahl eine Vielzahl an Betreuungsmodellen und Unterstützungsangeboten. Es stehen unzählige Gespräche, beherzte Reaktionen und individuelle Lösungen dahinter für jedes einzelne Kind!

-14- Was uns ausmacht Faszination SOS-Kinderdörfer Mitarbeiter-Portraits Priscah Wachera Leiterin SOS-Familienhilfe in Mombasa, Kenia Khuat Thi Loi SOS-Mutter in Hanoi, Vietnam Titus Poovakulam Koordinator für Südindien Mein Ziel ist es, möglichst viele er- Unser Leben ist wie ein Vollmond, Es ist ein gutes Gefühl zu erleben, folgreiche Familien zu erleben, erklärt sagt die 50-jährige Khuat Thi Loi, SOS-Kin- dass man etwas verändern kann, sagt die 34-jährige Sozialarbeiterin Priscah Wa- derdorfmutter in Hanoi, Vietnam. Ich tra- Titus Poovakulam, Koordinator der SOS- chera. Vor zwei Jahren hat sie damit be- ge die eine Hälfte bei, indem ich meine Kinderdörfer für ganz Südindien. In seiner gonnen, die SOS-Familienhilfe in Mom- Kinder in meinem Herzen ganz und gar Aufgabe ist er verantwortlich für die Pro- basa aufzubauen. Seitdem gehen sie und annehme, und meine Kinder tragen die jekte in fünf Regionen, für 500 SOS-Mütter ihre Kollegen täglich in die Slums, hören andere Hälfte bei, indem sie mir jeden Tag und -Mitarbeiter, für Tausende von Kin- zu, beraten, motivieren, zeigen Wege auf mehr vertrauen. So wird etwas Rundes da- dern, er ist ständig unterwegs zwischen und geben Unterstützung, damit Familien raus. Mutter Loi ist bereits seit 21 Jahren unterschiedlichen Zeitzonen, Sprachen ihr Leben wieder zuversichtlich selbst in SOS-Kinderdorfmutter. Als sie damals ei- und Kulturen. Ja, das ist eine Herausfor- die Hand nehmen. Erfolg ist für Priscah nen Radio spot hörte, in dem Mütter ge- derung, sagt Titus Poovakulam. Sie ist Wachera, wenn Eltern, die die Zeugnisse sucht wurden, wusste sie, dass dies ihr deshalb zu meistern, weil ich erfahrene, ihrer Kinder bislang zum Feuer machen Weg sein würde und ließ sich auch nicht verantwortungsvolle Mitarbeiter habe, auf gebraucht haben, den Wert von Bildung er- davon beirren, dass ihre Eltern zunächst die ich mich verlassen kann. Fast erstaun- kennen. Erfolg ist, wenn Kinder Lesen und dagegen waren. Inzwischen hat Mutter lich, wie mühelos und selbstverständlich Schreiben lernen und für ihre Rechte ein- Loi 22 Kinder großgezogen, einige haben er sich trotz dieser großen Zahlen auf jedes treten. Erfolg ist, wenn sich die Menschen bereits selbst Nachwuchs. Aber sobald ein einzelne Kind einlassen kann. Manchmal zusammen tun und gemeinsam ein klei- neues Kind ankommt, das Mitglied ihrer sei er traurig, wenn er sehe, dass ein Kind nes Geschäft aufbauen, wenn Slumbewohner wieder an sich glauben, wenn Kinder von einer Zukunft jenseits des Armenviertels träumen und diese Träume wahr machen. Familie werden soll, ist sie aufgeregt wie in ihrer Anfangszeit. Da mischen sich jedes Mal neu die Sorgen um den kleinen Menschen mit der großen Freude, ihm Mutter sein zu dürfen. aufgrund von schlimmen Erlebnissen in der Vergangenheit sein Potential nicht ausschöpfen könne, sagt er. Doch die guten Tage würden überwiegen. Zu erleben, wie ein unterernährtes, bedrücktes Kind zu einem gesunden, fröhlichen Mitglied einer fürsorglichen Familie wird, ist mit nichts zu vergleichen! Fotos: Patrick Wittmann, SOS-Archiv

-15- Was uns ausmacht Domitila Orozco Leiterin SOS-Kinderdorf Estelí, Nicaragua Bernhard Spiegel Leiter des SOS-Clearing-House in Salzburg, Österreich Maria Isabel Ramirez Kinderdorf-Oma, Mexiko Ich hoffe, dass sich alle SOS-Kinder Die Kinder, die in unser Clearing- Es ist wunderbar, dass ich so vielen später gerne an ihr Leben in der SOS-Ge- House kommen, werden immer jünger, Kindern eine Mutter sein konnte, sagt meinschaft erinnern werden, sagt Domi- sagt Bernhard Spiegel. Die Schlepper ha- Maria Isabel Ramirez. Sie hat die vierjäh- tila Orozco. Die Leiterin des SOS-Kinder- ben darauf reagiert, dass in Österreich rige Natalia auf dem Arm und ihre Augen dorfs Estelí in Nicaragua kennt dieses Le- seit Jänner 2010 bei den minderjährigen leuchten unter dem breiten Strohhut. ben ganz genau, denn sie ist selbst in dem Flüchtlingen zunehmend Altersbegutach- Maria Isabel Ramirez war 21 Jahre lang Kinderdorf aufgewachsen, dem sie heute tungen durchgeführt werden. Im Clear- Mutter im SOS-Kinderdorf Huehuetoca in vorsteht. Ihre SOS-Kinderdorfmutter sei für ing-house kümmern sich Spiegel und sein Mexiko. 56 Kinder hat sie während dieser sie das größte Geschenk ihres Lebens ge- Team aus Pädagogen und Psychologen um Zeit aufgezogen und aus jedem ist etwas wesen, das Kinderdorf ein Ort der Sicher- Minderjährige, die vor Krieg und Gewalt geworden, fügt sie stolz hinzu. Vor ein heit und des Schutzes. Eine kraftvolle Basis aus ihrer Heimat geflohen sind und mut- paar Jahren war sie dann zu alt für die an- für ihren weiteren Weg: Domitila ist heute terseelenallein in Österreich stranden. Vie- spruchsvolle Arbeit als SOS-Mutter. Ich selbst Mutter von zwei Kindern, sie war le haben lange Irrfahrten hinter sich und wollte mich auch mal ausruhen, erzählt Lehrerin an der Hermann-Gmeiner-Schule sind durch den gewaltsamen Tod von El- die 71-Jährige. Aber nach 21 Jahren kann in Estelí und übernahm schließlich 2008 tern und Geschwistern schwer trauma ti- man nicht so einfach gehen das Kinder- die Leitung des Kinderdorfs. Ihre Aufgabe siert. Für Spiegel, der 2003 zu den SOS-Kin- dorf lässt einen nicht los. So ist sie noch Fotos: Sergio Beer, Udo Schmidt, Louay Yassin versuche sie mit Hingabe und Liebe zu erfüllen, sagt die schwungvolle Frau. So oft sie Zeit hat, besucht sie auch ihre Kinderdorfmutter. Manchmal verbringen wir den ganzen Tag miteinander und reden! Mit ihrer positiven Energie ist Domitila Orozco längst Vorbild für viele Kinder geworden. derdörfern kam, ist es eine spannende Aufgabe, für Kinder so etwas wie Alltag zu organisieren. Und für sie, wenn irgend möglich, einen sicheren Aufenthalt zu erwirken. Das ist schwierig, da es gesetzlich häufig keinen klaren Rahmen gibt und oft vom persönlichen Engagement der Mitarbeiter und der Behörden abhängt, erzählt der Clearing-House-Leiter. In vielen Fällen haben wir es doch geschafft, freut er sich. immer fast täglich im Kinderdorf und hilft dort, wo sie gebraucht wird. Meist sind das die Pflichten einer Großmutter: Vorlesen, Spielen, Geschichten Erzählen Die Kinder im Kinderdorf Huehuetoca nennen sie daher liebevoll Abuelita Omi.

Das ist Noctula aus dem SOS-Kinderdorf Mbabane/Swasiland. Manche kennen sie vielleicht aus einem TV-Spot (www.sos-kinderdoerfer.tv) der SOS-Kinderdörfer, in dem sie ihr Dorf, ihre Familie und die SOS-Einrichtungen vorstellt. Noctula war ein Findelkind. Sie wurde am Tag ihrer Geburt in einer Plastiktüte hinter Baracken von Plantagenarbeitern gefunden. Wer ihre Mutter oder ihr Vater war, konnte nicht eruiert werden. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt kam sie ins SOS-Kinderdorf Mbabane. Dort entwickelt sich das sehr intelligente und begabte Mädchen wunderbar. Ihre Hobbies, die sie leidenschaftlich ausübt: afrikanische und Standard-Tänze sowie Fußball.

Fotos: Paul Hahn

Was wir tun

-19- Was wir tun SOS-Engagement weltweit Tatkräftig, nachhaltig und jetzt! Die SOS-Kinderdörfer sorgen jeden Tag für viele, kleine Veränderungen, über all auf der Welt aktiv, pragmatisch und sofort, nicht irgendwann. Ein Bruch verläuft mitten durch Dschibuti. Das kleine Land ist zerrissen: hier eine gespenstisch leere Landschaft, Sand, Armut, da ein quirliger, boomender Containerhafen, Kriegsschiffe aus aller Welt, ein mächtiger Militärstützpunkt. Ja, hier brodelt es, beschreibt die Frauen- und Familienministerin Nimo Boulhan Houssein den sozialen Brennpunkt am Horn von Afrika. In der Hoffnung auf Arbeit und Sicherheit kommen tausende Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea in das kleine afrikanische Land, nur fast so groß wie Hessen. SOS will hier einen lokalen Verein gründen? SOS will hier ein Kinderdorf bauen, Familien stärken? SOS will langfristig hier bleiben, mit lokalen Führungskräften?, die Ministerin reagiert erstaunt. Eine Organisation, die Hand anlegt, praktisch handelt, einen langen Atem entwickelt, findet sie ungewöhnlich. Meist kämen die Hilfswerke, um zu beraten, Erhebungen durchzuführen, Berichte zu verfassen, Pläne für die Zukunft zu entwerfen, sagt sie. Unser Gespräch geht zügig voran und doch bleibe ich bei diesem Moment des Erstaunens hängen. Eben habe ich von der Ministerin etwas Grundlegendes über unser Selbstverständnis erfahren: Wir sind das Kinderhilfswerk der Praktiker und eben nicht der Analytiker. Wir beliefern Regierungen nicht mit Statistiken, theoretischen Abhandlungen oder langfristigen Konzeptionen, wir packen an. haben euch geholfen, also müsst ihr nun auf eigenen Beinen stehen, heißt das dann ob es funktioniert oder nicht. Die SOS-Kinderdörfer dagegen sind verblüffend sesshaft: nicht als Auswärtige, die vor Ort die Einheimischen unterstützen und irgendwann wieder abziehen, sondern als Einheimische, die genau wissen, was notwendig ist und wie lange. Wir sind nicht nur da, wir gehören dazu. Unternehmerisches Gen Es ist wohl ein unternehmerisches Gen, das uns seit den frühen Anfängen, seit Hermann Gmeiners Tagen, treibt. Die Richtung lautet: Wie müssen wir unsere (begrenzten) Mittel einsetzen, um möglichst viel für Kinder und ihre familiäre Entwicklung herauszubekommen? Im Kleinen, an mehreren hundert Standorten weltweit, wollen wir eine große Veränderung bewirken und nicht im Großen eine kleine Veränderung, wie es viele andere im Scheinwerferlicht für sich beanspruchen. Über sechs Jahrzehnte hat sich bewiesen, dass unsere vielen kleinen Veränderungen von Bestand sind und eine beachtliche Modellwirkung entfalten. Entscheidend für die Umsetzung dieses Erfolgsmodells ist auch die Akzeptanz der verschiedenen Kulturen, in denen SOS tätig ist. 1963 lernte der Inder Shri Jagan Kaul bei Hermann Gmeiner die SOS-Kinderdorf-Idee kennen. Er lehrte Gmeiner aber auch, dass diese Idee aus Europa nicht einfach exportiert werden darf, sondern dass sie vom jeweiligen Kulturkreis frisch interpretiert werden muss. Daher entsenden wir keine Fachleute aus Deutschland in die Welt, um den Nichtwissenden zu zeigen, wie soziales Zusammenleben funktioniert. Wir vertrauen vielmehr lokalen Führungskräften, mit denen wir Werte teilen, die die Südafrikaner unter dem Wort ubuntu subsumieren: Liebe, achtsames Miteinander, Sorgsamkeit, Mitgefühl, Verantwortung und Respekt für alle Kulturen. Auch in Dschibuti, einer der unwirtlichsten Landschaften der Welt, werden wir ein Stück ubuntu erleben. Wir aus dem reichen Norden geben dem vermeintlich armen Land im Süden ein Stück Entwicklung. Im Miteinander mit den Nachbarn unseres neuen Projektes werden wir aber auch erleben, wie reich deren Lebensentwürfe und familiäre Umgangsformen sind. Wer in Entwicklung investiert, wird immer auch ein Stück Kultur zurück bekommen. Foto: Andreas Friedle Kein Mangel an Daten, aber an Taten! Immer mehr Menschen sagen mir, dass sie spenden, um in eine handfeste Veränderung zu investieren. Die SOS-Kinderdörfer ihrerseits setzen auf dieser Grundlage langfristige, nachhaltige und wirksame Programme für Kinder, Jugendliche und Familien um. Natürlich geht auch bei uns jedem neuen Programm eine Analyse der Rahmenbedingungen voraus. Diese Phase dient aber dem Zweck, direkt anschließend mit sorgfältig ausgewählten Mitarbeitern sichere, förderliche Räume für Kinder zu schaffen und dabei die Nachbarschaft um das Kinderdorf umfassend mit einzubeziehen. Nicht bei jeder Hilfsorganisation ist das so. In vielen Fällen sprechen Fachleute davon, es herrsche Paralyse durch Analyse. Auf lähmenden Konferenzen wird dann darüber befunden, was einmal in ferner Zukunft umgesetzt werden könnte. Davor aber jagt eine Statistik die nächste. Die SOS-Kinderdörfer ticken anders: Wir verstehen uns als eine pragmatische, praktische Organisation. Bei uns geht die stärkste Motivation von der Frage aus: Was hast du heute für ein Kind getan? Wir sind auch keine der nomadisierenden Organisationen, die bereits zu Beginn ihrer Arbeit ihre exit strategy in der Tasche hat und nach drei oder vier Jahren das Land wieder verlässt. Wir Dr. Wilfried Vyslozil Vorstand der SOS-Kinderdörfer weltweit

-20- Was wir tun SOS-Kinderdorf Träume vom weißen Kittel Die Mongolei ist eines der ärmsten Länder der Welt. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Kinder enden oft auf der Straße oder müssen arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen. Delgersaikhan blättert gerne in ihrem Fotoalbum. Es ist rosafarben und vom vielen Blättern schon ein wenig abgegriffen. Schau, sagt sie stolz, das bin ich, das ist meine Mama, das ist meine Schwester Uyanga. Ihre SOS-Mutter Otgonchimeg hat das Album für Delgersaikhan einst begonnen und nun hat die Sechsjährige das erste Bild selbst eingeklebt: Das Foto ihrer Einschulungsfeier ist jetzt das neueste in der Reihe von Bildern von ihr als Baby auf dem Arm ihrer SOS-Mutter, als Kleinkind und mit ihren sieben Geschwistern. Delgersaikhan ist begeistert, dass sie endlich in die Schule darf. Sie ist die jüngste der acht Geschwister in der SOS-Familie. Die anderen nennen die kleine Schwester liebevoll Delgeree, manchmal auch Sharka, Blonde, weil ihr Haar so ungewöhnlich hell ist. Morgens steht Sharka schon ganz früh auf, obwohl der Unterricht erst am Nachmittag stattfindet. Sie wäscht sich und zieht sich gleich die Schuluniform an. Auf die ist sie stolz, denn nun gehört sie nicht mehr zu den Kleinen. Und sie darf etwas lernen. Bei der Einschulung hatte sie die Uniform zum ersten Mal an. Schau, sagt sie und zeigt wieder auf das Foto, jetzt bin ich ein Schulkind. An das Leben, dessen Bilder nicht im Fotoalbum abgebildet sind, erinnert sich Delgersaikhan nicht. Mit gerade einmal vier Monaten gab ihre leibliche Mutter sie im SOS-Kinderdorf Ulan Bator ab. Ihr Vater war gestorben und die Mutter konnte nicht länger für sie sorgen. Sie wohnte mit Delgersaikhan in einer verwahrlosten Jurte am Rande der Stadt, war arbeitslos und trank, um zu vergessen. Irgendwann beschloss sie, ihre unterernährte Tochter im SOS-Kinderdorf abzugeben. Es war eine schwere Entscheidung, auch wenn sie wusste, dass das Lebensumfeld für Delgersaikhan hier im Kinderdorf viel besser ist, sagt Sodnomdarjaa, Direktor des SOS-Kinderdorfs in Ulan Bator. Die Mutter ist noch tagelang vor unserem Tor auf- und abgelaufen. Für Delgersaikhan bedeutete das neue Zuhause eine Chance auf eine Zukunft, die vielen Kindern in der Mongolei nicht offen steht. Zwanzig Jahre nach dem Übergang zur Marktwirtschaft ist die Mongolei eines der ärmsten Länder der Welt. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Waisenkinder enden oft auf der Straße oder werden adoptiert und müssen dann für ihre Adoptiveltern hart arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen. Im SOS-Kinderdorf Ulan Bator haben 102 Vollwaisen und Halbwaisen wie Delgersaikhan ein stabiles und behütetes Zuhause gefunden. Sie leben an einem Ort, in dem sie vor allem eins sein können Kind. Die Kinder gehen zu Schule, spielen mit Freunden und erfahren Tag für Tag Liebe und Geborgenheit. Sie werden in ihren individuellen Begabungen gefördert und wachsen so zu selbstbewussten und selbstständigen jungen Menschen heran. Delgersaikhan liebt es, zu singen und zu tanzen. Abends, nach den Hausaufgaben, nutzen sie und ihre älteren Schwestern Uyanga und Otgontungalag die Zeit bis zum Abendbrot, um ganze Tanzchoreografien einzustudieren. Meistens sind es Choreografien aus dem Fernsehen. Derzeit stehen bei den Mädchen besonders die Tänze der mongolischen Sängerin Ariunaa hoch im Kurs. Delgersaikhan weiß, dass ihre leibliche Mutter auch Ariunaa heißt. Sie stellt sich immer vor, dass ihre Mutter so schön ist, wie die Sängerin Ariunaa, sagt SOS-Mutter Otgonchimeg. Ihrer SOS-Mutter erzählt Delgersaikhan morgens beim Frühstück oft, wovon sie in der Nacht geträumt hat. Ihr häufigster Traum ist, dass sie Ärztin ist, anderen Menschen hilft und einen weißen Kittel trägt. Wie die Ärztin, die regelmäßig ins SOS-Kinderdorf kommt. Vielleicht wird auch dies einmal ein Bild in ihrem rosafarbenen Fotoalbum. Es hat noch so viele leere Seiten, die auf die Bilder eines glücklichen Lebens warten. Delgersaikhan und ihr geliebtes Fotoalbum Es gibt 545 SOS-Kinderdörfer in 133 Ländern. Dort kümmern sich derzeit fast 6.000 SOS-Mütter liebevoll um über 62.000 Kinder. In 602 Jugend einrichtungen werden über 20.277 Jugendliche auf ein selbstständiges Leben vorbereitet. Foto: Mirco Lomoth