die Schularbeiten sehr schnell erledigte: Ich widmete ihnen nur soviel Zeit, wie unbedingt erforderlich war, um die Note»Genügend«zu erhalten.



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Transkript:

die Schularbeiten sehr schnell erledigte: Ich widmete ihnen nur soviel Zeit, wie unbedingt erforderlich war, um die Note»Genügend«zu erhalten. So vernachlässigte ich die Naturwissenschaften und leider auch die Fremdsprachen. Der Sport nahm, was bestimmt nicht richtig war, nur wenig Zeit in Anspruch. In einer Tanzschule war ich auch nicht, was ich sehr bedauere jedenfalls habe ich das Tanzen nie erlernt. Meine Lektüre wurde nicht nur von der Schule und vom Theater geprägt, sondern auch, wie sonderbar das anmuten mag, von der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Die umfangreichen gedruckten Kataloge der städtischen Bibliotheken wurden weiterhin verwendet, nur hatte man die aus dem Verkehr gezogenen Bücher mit roter Tinte ausgemerzt: Die Namen und Titel von Juden, Kommunisten, Sozialisten, Pazifisten, Antifaschisten und Emigranten jeglicher Art waren zwar gestrichen, indes weiterhin mühelos lesbar, also die Namen von Thomas, Heinrich und Klaus Mann, Döblin, Schnitzler und Werfel, Sternheim, Zuckmayer und Joseph Roth, Lion Feuchtwanger, Arnold und Stefan Zweig, Brecht, Horváth und Becher, der Seghers und der Lasker-Schüler, Bruno und Leonhard Frank, Tucholsky, Kerr, Polgar und Kisch und von vielen anderen Autoren. Allerdings fällt mir auf, daß ich damals einen Namen von höchster Bedeutung überhaupt nicht gehört hatte: Franz Kafka. Von der sechsbändigen Ausgabe seiner»gesammelten Werke«konnten noch 1935 vier Bände in Berlin, in einem jüdischen Verlag, erscheinen, die beiden letzten hingegen wurden 1937 (da man selbstverständlich 106

auch Kafka auf die»liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«gesetzt hat) in Prag publiziert. Aber allem Anschein nach hat niemand in meiner Umgebung Kafka gekannt. Noch war er ein Geheimtip. Die vielen roten Striche waren mir sehr willkommen: Nun wußte ich, was ich zu lesen hatte. Allerdings mußte ich mir diese unerwünschten und verbotenen Bücher erst noch beschaffen. Das war aber nicht sonderlich schwer. Bei den Bücherverbrennungen im Mai 1933 wurden allein in Berlin angeblich rund 20000 Bände in die Flammen geworfen sie stammten vorwiegend aus Bibliotheken. In anderen Städten war die Zahl der vernichteten Bücher wohl kleiner. Wie auch immer: Der unzweifelhaft improvisierten Aktion, die vor allem symbolisch gemeint war, fiel naturgemäß nur ein Teil der geächteten Bücher zum Opfer. Viele blieben erhalten: in Buchhandlungen, in Verlagsmagazinen, in Privatwohnungen. Die meisten landeten früher oder später in Berliner Antiquariaten, wo sie natürlich nicht in den Schaufenstern oder auf den Ladentischen zu finden waren. Doch wurden sie vom Antiquar, zumal wenn er den Kunden schon kannte, gern hervorgeholt und waren billig erhältlich. Überdies gab es bei meinen Verwandten und bei den Bekannten meiner Eltern, wie in bürgerlichen Familien üblich, Bücherschränke und in ihnen nicht wenige ebenjener Bücher, die nunmehr in den offiziellen Katalogen durchgestrichen waren. Auch bei meinem Onkel Max, dem lustigen Patentanwalt, der nicht aufhören konnte zu glauben, das»dritte 107

Reich«werde alsbald, vielleicht schon im kommenden Jahr kläglich zusammenbrechen, stand ein solcher Schrank und ich hatte oft Gelegenheit, von dieser Fundgrube Gebrauch zu machen. Denn der Onkel hatte einen hübschen Sohn, der damals etwa fünf Jahre alt war, und ich wurde häufig als Babysitter benötigt. Es waren wunderbare Abende: Ich konnte mich mit zahllosen Büchern vergnügen und wurde auch noch großzügig entlohnt. Ich bekam für jeden Abend eine Mark und zuweilen, wenn der Onkel kein Kleingeld hatte, sogar zwei Mark. Das Kind wiederum, das ich zu betreuen hatte, ist während dieser Abende kein einziges Mal aufgewacht. Ein vorbildliches Knäblein also und jetzt einer der berühmtesten Maler Englands: Frank Auerbach. Das Geld brauchte ich dringend, aber vorwiegend für Theaterkarten, nicht etwa für Bücher. Wer auswanderte, konnte nur wenig mitnehmen, die Bibliotheken blieben meist zurück. Und wenn man schon ins Exil Bücher mitnahm, dann nicht Romane oder Gedichtbände, sondern Fachliteratur und, vor allem, Wörterbücher. Was bleiben mußte, wurde verschenkt. Von einem Freund dieses Onkels, einem Chemiker in Berlin-Schmargendorf, der seine Emigration vorbereitete, durfte ich mir Bücher holen. Er riet mir, einen kleinen Koffer oder einen Rucksack mitzubringen. Ich kam aber zu ihm mit einem großen Koffer. Ich hätte, log ich, keinen kleineren gefunden. Der liebenswürdige, wenn auch allem Anschein nach deprimierte Chemiker öffnete seinen Bücherschrank und sagte gleichgültig oder gar resigniert:»nehmen Sie mit, was Sie wollen.«108

Was ich zu sehen bekam, machte mich sprachlos, die Augen gingen mir über. Noch heute weiß ich, was mir sofort auffiel: die»gesammelten Werke«von Hauptmann und Schnitzler und auch von Jens Peter Jacobsen, den Rilke so schön und nachdrücklich empfohlen hatte. Ich nahm rasch, was sich in meinem Koffer unterbringen ließ, ohne mir Gedanken zu machen, wie schwer er sein würde. Ich konnte ihn kaum tragen, brachte ihn aber schließlich doch zur nächsten Straßenbahn-Haltestelle. Die Last hat mein Glück nicht gemindert, auch nicht die elegische Warnung des freundlichen Chemikers. Denn als ich ihm herzlich dankte, winkte er ab und belehrte mich:»sie haben mir für gar nichts zu danken. Diese Bücher schenke ich Ihnen nicht. Sie sind Ihnen in Wirklichkeit nur geliehen wie diese Jahre. Auch Sie, mein junger Freund, wird man von hier vertreiben. Und diese vielen Bücher? Sie werden sie genauso zurücklassen, wie ich es jetzt tue.«recht hat er gehabt: Ich habe noch manche Bücher aus manchen Schränken zusammengerafft, aber als ich etwa zwei Jahre später aus Deutschland deportiert wurde, durfte ich nur ein einziges mitnehmen. Gelegentlich habe ich in den Lesesälen der städtischen Büchereien von den dort ausliegenden Zeitschriften profitiert und mitunter Aufsätze gefunden, die mich interessierten und die ebenfalls nicht ohne Einfluß auf meine Lektüre blieben. So fiel mir 1936 in den»nationalsozialistischen Monatsheften«der markige Titel einer literarkritischen Abhandlung auf:»schluß mit Heinrich Heine!«Ich las den Aufsatz mit wachsender Aufmerksamkeit, mehr noch: mit Genugtuung. 109

Der Autor, ein Philologe, hatte sich vor allem zweier Gedichte angenommen, die zu Heines populärsten gehören: der»loreley«und der»grenadiere«. Beide, behauptete er, seien beispielhaft für Heines ungenügende und seichte Kenntnis der deutschen Sprache und sein»noch nicht abgestreiftes Jiddisch«. Davon zeuge, schrieb damals ein anderer Germanist, schon der erste Vers der»loreley«:»ich weiß nicht, was soll es bedeuten.«ein deutscher Mann hätte geschrieben:»ich weiß nicht, was es bedeuten soll.«mir war es schon recht, daß die Nazis, die Heine beschimpften, Unsinn verbreiteten, der sich schwerlich überbieten ließ. Die Lektüre dieser»nationalsozialistischen Monatshefte«hat aus mir einen passionierten Heine-Leser gemacht. Was ich freilich nirgends finden konnte, war die Literatur der Emigranten. Natürlich wollten wir lesen, was die vertriebenen und geflohenen Schriftsteller jetzt schrieben, doch konnten wir nichts bekommen. Wer ins Ausland fuhr und wiederkam, wagte es nicht, Bücher oder Zeitschriften mitzubringen, und an postalische Übersendung war nicht zu denken. Allerdings gab es zwei bedeutsame und denkwürdige Ausnahmen, zwei aufregende Abende, die ich nie vergessen werde. An beiden wurden Dokumente der deutschen Literatur im Exil vorgelesen: Es waren zwei (sehr unterschiedliche) Briefe. Meine Schwester, die Anfang der dreißiger Jahre ihr Studium in Warschau abgebrochen hatte und nach Berlin gekommen war, lernte Gerhard Böhm kennen, einen deutschen Juden, dessen ich er ist längst tot dankbar gedenke. Denn er, der bald mein Schwager wurde, gehörte zu 110