Battenberg Helene Neubürger Eltern: Geschwister: Ehemann: Kinder: Wohnung: 1920



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Transkript:

Helene Neubürger, geb. Schloß 1 geb. 1899, wohl in Framersheim gest. Januar 1975 an Darmkrebs Eltern: Rosa Schloß Geschwister: Walter, verheiratet mit Clara, Sohn Gerd Ehemann: Kaufmann Louis Neubürger Eheschließung: Nov. 1923 Kinder: Inge, geb. 1924 Werner, geb. 1926 Wohnung: Battenberg, Hauptstraße 2 Frankfurt, Mainzer Landstraße Durch seinen Schwager Sigmund 2 lernte Louis Meyer wohl gegen Ende des Ersten Weltkrieges Helene Schloß aus Framersheim in Rheinhessen kennen. Insbesondere seine Mutter wollte jedoch von einer Hochzeit noch nichts wissen, da das Mädchen zu jung sei. 1920 Im Herbst konnte Louis Neubürger erstmals nach dem Krieg nach Framersheim reisen, um Helene wieder zu sehen. Er half bei der Weinernte. 1 Alle nicht anders gekennzeichneten Informationen aus: Werner Neuburger: Auch dunkle Wolken ziehen vorüber. Erinnerungen eines jüdisch-deutschen Jungen an die 30er und 40er Jahre in Deutschland, Frankenberg, Juni 2006; die verwandtschaftlichen Beziehungen auf S. 108, das Kennenlernen mit Ehemann Louis: S. 6ff. 2 Gemeint ist hier wohl Siegmund Stahl aus Korbach, der Ehemann seiner Schwester Nanny.

1922 Helene Schloß traf Louis Neubürger in Korbach. Sie gaben ihre Verlobung bekannt. 1923 Louis Neubürger und Helene, geb. Schloß, heirateten im November; ihre Hochzeitsreise verbrachten sie auf Norderney. Schwiegermutter Rosetta machte nach Angaben von Helenes Sohn Werner ihrer Schwiegertochter das Leben sehr schwer, indem sie jede Neuerung kritisierte. Sie wollte, dass alles so geschah, wie sie es gewohnt war. 1924 Am 31. August wurde Tochter Ingeborg geboren. 1925/26 Ehemann Louis Neubürger erweiterte das zweistöckige Elternhaus um einen dreistöckigen Anbau. 1928/29 ist er im Einwohnerbuch der Kreise Wittgenstein und Biedenkopf mit obiger Adresse und als Inhaber einer Manufaktur- und Kolonialwarenhandlung gemeldet. 3 1926 Am 7. September wurde Sohn Werner geboren. 1930 Um 1930 liefen Louis Neubürgers Geschäfte so gut, dass die Familie sich eine Kraft für den Haushalt leisten konnte: Mariechen Košak. 1933 Am 10. Mai beobachten Louis und Helene Neubürger zusammen mit ihren Kindern Inge und Werner die Bücherverbrennung in der Stadtmitte Battenbergs, direkt vor ihrem Haus. 4 30er Jahre 3 Quelle: Karl Bechtold, Juden in Battenberg; Kapitel aus dem 1984 erschienenen Buch über Battenberg, S. 130 4 Neuburger, S. 24f.

Die Beziehungen zu Nachbarn und anderen Mitbürgern verschlechterten sich. Der Metzger, bei dem die Familie bisher gekauft hatte und der auch Skatbruder von Louis Neubürger war, bat die Familie, Bestellungen in Zukunft telefonisch aufzugeben; sie würden dann am Wochenende erledigt. Offensichtlich wollte man Helene Neubürger nicht mehr im Geschäft sehen. Die Familie hatte die Telefonnummer 7. Auch der Friseur wollte die Neubürgers nicht mehr während der normalen Öffnungszeiten bedienen. Seine Kunden würden sich nicht auf Stühle setzen wollen, auf denen vorher Juden gesessen hätten 5. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland gab es besonders enge Beziehungen zwischen den Familien Stern und Neubürger, außerdem mit den Druckers, Ecksteins und Isenbergs. 6 1936 Louis Neubürger entschloss sich dazu, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Um dort einen Arbeitsplatz finden zu können, wollte er sich zum Bäcker ausbilden lassen. Vorher musste er einen Käufer für sein Geschäft in Battenberg finden. Er fand einen jungen Nationalsozialisten, der ihm ganz anständig zu sein schien. Er verkaufte sein Geschäft für 5000 Mark, führte es aber vorerst selbst weiter, da der Käufer keine kaufmännische Ausbildung hatte und für eine Übergangszeit mit Louis Neubürger zusammen arbeiten wollte. Familie Neubürger konnte gemäß der getroffenen Absprache weiter im zweiten Obergeschoss des Geschäftshauses wohnen bleiben, während der Käufer, der noch alleinstehend war, sich mit der ersten Etage begnügen wollte. Zumindest im Jahr 1936 konnte Louis Neubürger seine Geschäftstätigkeit in den Nachbarorten fortsetzen und dadurch einen kleinen Nebenverdienst erwirtschaften. 7 1937 Im Sommer 1937 wurden wieder Steine in die Fenster des Neubürgerschen Hauses in Battenberg geworfen. Louis Neubürger hielt daraufhin Wache, und als die Hitlerjungen wieder kamen, leuchtete er sie während ihrer Aktion so an, dass er sie erkennen konnte. Am folgenden Tag nannte er die Namen der Polizei. Der zuständige Beamte sagte, dass er nichts machen könne, da die Partei solches Handeln schütze. Einige Tage später nahm der Beamte Louis Neubürger in Schutzhaft und begründete dies wohl mit der Erregung, die Neubürgers Beschwerde bei den betroffenen Familien ausgelöst habe. Wieder mehrere Tage später kam Louis Neubürger zurück nach Hause. Da es ihm nicht gut ging, musste er sich ins Bett legen. Er sprach nicht über das, was ihm während der Schutzhaft geschehen ist, starb jedoch nur einen Tag nach seiner Heimkehr. Der herbeigerufene Arzt, ein Kriegskamerad von Louis, kam erst nach Stunden ins Haus und stellte den Tod infolge eines Herzanfalls fest. 8 Bei der Beerdigung wurde der schwarze Leichenwagen von einem ebenfalls schwarzen Pferd zum 6 km entfernten Friedhof gezogen. Ehefrau Helene, die Kinder Ingeborg und Werner sowie die anderen jüdischen Familien folgten. Nichtjuden nahmen nicht teil; im Gegenteil: die Kinder und Jugendlichen bewarfen den Trauerzug mit Steinen und riefen Spottverse. 9 Helene Neubürger verließ mit Sohn und Tochter Battenberg und zog in eine kleine Wohnung in der Mainzer Landstraße in Frankfurt. 10 5 Neubürger, S. 47 6 Neuburger, S. 50f. 7 Neuburger, S. 59ff 8 Neuburger, S. 62f. 9 Neuburger, S. 65 10 Neuburger, S. 66

1938 Im Oktober traf die Familie des Battenfelder Lehrers und Vorsängers Moses Amsterdam in Frankfurt ein; sie hatten ihren Wohnort verlassen müssen und waren nun auf der Durchreise an die polnische Grenze. Helene Neuburger ließ sie in ihrer Wohnung übernachten, gab ihnen etwas Geld und für den nächsten Tag auch etwas zu essen mit. 11 Da Helene Neubürger sich am Tag nach der Pogromnacht in dem Haus in der Mainzer Landstraße unsicher fühlte, wollte sie mit den Kindern zu der Familie Stahl gehen, weil die nicht direkt an einer Hauptstraße wohnten, was vermeintlich sicherer sei. Unterwegs sahen sie, wie jüdische Geschäfte geplündert und zerstört und jüdische Männer von SA-Leuten in einen Bus gezwungen wurden. Im Haus der Stahls erlebten sie die Verhaftung des Schwagers Siegmund mit. An diesem oder am folgenden Tag erkundigte sich Helene Neubürger bei der Polizei nach dem Verbleib Siegmund Stahls. Sie erfuhr, dass man fast alle jüdischen Männer Frankfurts in der Messehalle interniert habe; sie müssten dort bis zu ihrem Abtransport wohin, das sagte man nicht in den öffentlichen Grünanlagen arbeiten. Siegmund Stahl wurde in Buchenwald interniert, kam weil er im 1. Weltkrieg das Eiserne Kreuz erhalten hatte bereits nach einer Woche wieder zur Familie zurück und wanderte wenig später nach England aus. 12 In einer der auf die Pogromnacht folgenden Nächte kamen überraschend Helenes Mutter Rosa Schloß mit Sohn Walter, Schwiegertochter Clara und Enkel Gerd in Frankfurt an. In Framersheim hatte man sie nach der Pogromnacht in einem öffentlichen Gebäude interniert, während ihr Haus geplündert wurde. Anschließend wurden sie für kurze Zeit nach Hause gelassen, dann aber in einem Lastwagen an die Straße nach Alzey gebracht. Ihnen wurde verboten, jemals wieder nach Framersheim zurückzukommen. Deshalb waren sie nun in Frankfurt, zogen aber am nächsten Tag in Claras Elternhaus in Allendorf an der Lumda. 13 1939 Helene Neubürger bemühte sich um eine Ausreise für sich und ihre Kinder in die USA. Den schon früher gestellten Antrag für sich und Louis ließ sie so umändern, dass er auf sie und ihre Tochter Ingeborg lautete. Für ihren Sohn Werner erreichte sie mit Hilfe einer jüdischen Organisation die Aufnahme in ein Ausreiseprogramm für jüdische Kinder nach England. Am 6. Juli verabschiedeten sie und Ingeborg Sohn Werner auf dem Frankfurter Hauptbahnhof, von wo aus er zusammen mit 300 weiteren Kindern Richtung England fuhr. 14 11 Neuburger, S. 71f. 12 Neuburger, S. 75f. 13 Neuburger, S. 77f. 14 Neuburger, S. S. 79ff.

1940 Im März emigrierten Helene und Inge Neubürger in die USA, wo im April auch Sohn Werner eintraf. Sie wohnten kurze Zeit in New York Mills in Minnesota, zogen aber bald nach Vineland in New Jersey. 1943 Die Familie zog nach New York City um und wohnte im jüdischen Viertel auf Manhattan.