Lektion 5 Profil Individualität Stil: Wer bin ich? 1. Was ist Stil? Grundbegriffe aus der antiken Rhetorik 2. Populärwissenschaftliche Stilratgeber: Heilslehren oder Geldverschwendung? Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 1
1. Was ist Stil? Grundbegriffe aus der antiken Rhetorik Stil/Variationen SIE SCHLUG IHM IN... [gemeint ist die Vorderseite des Kopfes]... Fresse, Visage, Antlitz, Gesicht, Schnauze, Fratze.. DIE STIMMUNG AN DIESEM ABEND WAR... [es soll um eine positive Stimmung gehen]... traumhaft, cool, geil, heiß, erhebend, andächtig Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 2
1. Was ist Stil? Grundbegriffe aus der antiken Rhetorik Stil kommt... von dem lateinischen Wort stylus, dem Schreibgriffel Stil als... Mittel der Zuordnung zu einer Sphäre, Gruppe, Firma (corporate identity): Stil als Mittel der Stiftung von Identität. Mittel der Abgrenzung und der Differenz: Individualität Stilmuster als individuelles Markenzeichen Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 3
1. Was ist Stil? Grundbegriffe aus der antiken Rhetorik Kategorien des Stils 1. die puritas: die sprachliche Reinheit und Korrektheit (also etwa: gutes Deutsch ) - Verstoß dagegen: Solöcismus. 2. die perspicuitas: die Klarheit der Rede, ihr Gegenteil ist die obscuritas ( Dunkelheit ). 3. der ornatus: der Redeschmuck, häufig als das Zentrum der Rhetorik betrachtet: Metaphern, rhetorische Figuren, Besonderheiten in der Anordnung der Worte u.a. Schließlich: 4. das aptum (auch decorum): die Angemessenheit der Sprache in Bezug auf die behandelten Gegenstände: das innere oder materiale aptum - und die Angemessenheit des Sprachstils gegenüber der Situation: das äußere oder situative aptum. Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 4
1. Was ist Stil? Grundbegriffe aus der antiken Rhetorik Die Extreme: puristischer Klassizismus überbordender Manierismus Stilebenen: Die Dreistillehre : niederer (nüchternsachlicher), mittlerer, hoher (figuren- und metaphernreicher, erhabener ) Stil Stil als Ergebnis der Arbeit am Text - Anwendung der vier Änderungskategorien: 1. Hinzufügung, 2. Tilgung, 3. Umstellung und 4. Ersetzung Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 5
Populärwissenschaftliche Stilratgeber Es gibt eine unüberschaubare Vielzahl an Stilratgebern auf dem Buchmarkt. Heterogene Zielgruppen: Journalisten, Lehrer, Manager, Studenten,... Alle Stilratgeber haben einen ähnlichen Aufbau: Stilregeln kombiniert mit positiven und negativen Textbeispielen Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 6
Ziele der Ratgeber Mit der Hilfe von Ratgebern soll man ein gutes Stilgefühl entwickeln, um dann den guten Stil vom schlechten unterscheiden zu können. Stilratgeber sollen dabei helfen, schlechten Stil zu vermeiden. Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 7
Wichtige Faktoren für ein gutes Stilgefühl Angemessenheit: Ist mein Text angemessen für die Zielgruppe? Stellt er angemessen den Sachverhalt dar? Ist er in seinem Verwendungszweck angemessen? Akzeptanz: Sind die angewandten Stilregeln akzeptabel? Ist die Grammatik korrekt? Ist mein Schreibstil natürlich, d.h. individuell? Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 8
Mängel der Stilratgeber Stilnormierung durch Ratgeber Vereinfachung der Stilregeln Unschärfe der Stilregeln Trennung von Mikroebene der Stilistik (Stilregeln) und Makroebene der Stilistik (globale Stilmuster) Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 9
Beispiel: Stilnormierung Stilregel: Keine Verknüpfung von Bejahung und Verneinung im Satz Argument: Verneinung wird nicht deutlich negatives Stil-Beispiel: Die Welternährungsorganisation klagt gegen einen zunehmenden Mangel an Weizen (aus: W. Schneider, S. 144) Gegenargument: Verneinung deutlich: Mangel nimmt zu Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 10
Beispiel: Vereinfachung Stilregel: Grundsätzlich kein Aneinanderreihen von Hauptsätzen ( Asthmastil ) Argument: zu abgehackt, klingt gehetzt Negatives Stil-Beispiel: Theodor ritt bis an den Garten, sprang vom Pferde, kroch durch den Zaun und flog nach der Laube, wo Ursula ruhte, schlich sich zu ihr hin und stürzte zu ihren Füßen. Freudig hob sie ihn empor. Er setzte sich an ihre Seite, sank an ihre Brust und schwamm in Seligkeit. Das war alles Werk einer Minute. (aus: L. Reiners, S. 98) Gegenargument: Handlung des Satzes spiegelt sich im Stil wider Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 11
Beispiel: Unschärfe Stilregel: Abwechseln von mäßig kurzen und mäßig langen Sätzen (aus: W. Schneider, S. 83) Problem: Was genau bedeutet mäßig? Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 12
Beispiel: Trennung von Mikro- und Makroebene Stilmuster: Privatbrief sollte humorvoll, lebendig und natürlich sein (aus: L. Reiners, S. 228) Problem: Mit welchen Stilregeln lässt sich dieses Stilmuster umsetzen? Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 13
Allgemeiner Vergleich von zwei Stilratgeber-Bestsellern: Ludwig Reiners, Stilfibel: ausführlich viele Übungen Sprache etwas veraltet Negativ-Beispiele zu extrem und konstruiert Verwendung deutscher Wortartenbezeichnung Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 14
Wolf Schneider, Deutsch für Profis: gut lesbar Sprache: elegant, amüsant, Stil: journalistisch zeitgemäße Beispiele aus Tageszeitungen keine Übungen Polemik gegen SPIEGEL-Stil Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 15
Fazit: sehr viel Wissen und Erfahrung mit Sprache und Stil in Stilratgebern dieses nutzen trotz der Mängel dabei allerdings stets Stilratgeber kritisch hinterfragen Zum Schluss noch eine Goldene Regel: Sich die geschriebenen Texte immer laut vorlesen, auf sein Sprachgefühl hören und dann solange am Text feilen, bis es im Ohr gut klingt. Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 16
Literaturverzeichnis Gauger, Hans Martin: Über Sprache und Stil. München 1995. Nickisch, Reinhard: Gutes Deutsch? - Kritische Studien zu den maßgeblichen praktischen Stillehren der deutschen Gegenwartsprache. Göttingen 1975. Ottmers, Clemens: Rhetorik. Stuttgart 1996. Püschel, Ulrich: Praktische Stilistiken - Ratgeber für gutes Deutsch? In: Neuland, Eva / Bleckwenn, Helga (Hrsg.): Stil - Stilistik - Stilisierung. Frankfurt am M. 1991. Reiners, Ludwig: Stilfibel. München 1990. Rupp, Heinz. Über die Notwendigkeit und das Unbehagen an Stilbüchern. In: Sprachnormen in der Diskussion - Beiträge vorgelegt von Sprachfreunden. Berlin 1986. S. 102-115. Sanders, Willy: Die Faszination schwarzweißer Unkompliziertheit - Zur Tradition deutscher Stillehre im 20. Jahrhundert (E. Engel - L. Reiners - W. Schneider). In: Wirkendes Wort 38 (1988). S. 376-394. Sanders, Willy: Gutes Deutsch, besseres Deutsch - Praktische Stillehre der deutschen Gegenwartssprache. Darmstadt 1990. Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 17
Literaturverzeichnis/Fortsetzung Schneider, Wolf: Deutsch für Profis - Wege zum guten Stil. München 1999. Sowinski, Bernhard: Stilistik. Stiltheorie und Stilanalysen. 2.Aufl. Stuttgart/Weimar 1999 Spillner, Bernd: Stilistik. In: Arnold, Heinz Ludwig / Detering, Heinrich (Hrsg.): Grundzüge der Literaturwissenschaft. 3.Aufl. München 1999. Ueding, Gert / Steinbrink, Bernd: Grundriß der Rhetorik. Geschichte Technik Methode. 3.Aufl. Stuttgart/Weimar 1994. Lektion 5 vhb-kurs 'Schreibkompetenz' Folie 18