MATERIALHEFT. Schwarze Milch oder: Klassenfahrt nach Auschwitz. von Holger Schober nach einer wahren Begebenheit (13+)



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JUMA 1/2004, Seite TIPP 1/2004, Seite 22 25

Transkript:

MATERIALHEFT Schwarze Milch oder: Klassenfahrt nach Auschwitz von Holger Schober nach einer wahren Begebenheit (13+) 1

Zum Stück und Team Schwarze Milch oder: Klassenfahrt nach Auschwitz von Holger Schober nach einer wahren Begebenheit (13+) Es spielen Rebecca Madita Hundt David Adlhoch Michał Nocon Inszenierung Ulrike Stöck Ausstattung Brigit Kofmel Dramaturgie Jutta M. Staerk Produktionsleitung Michael Witt/Oskar Feierabend Theaterpädagogik Xenia Bühler Regieassistenz Markolf Naujoks Schneiderei Maryam Behzadi Licht Michael Witt Premiere am 11. März 2011 (UA) im COMEDIA Theater Köln, Grüner Saal Unser Dank gilt den beiden Premierenklasse der Produktion: dem Kurs 9. Jahrgang mit Frau Lübbe vom Humboldt Gymnasium Köln sowie der Klasse 9d mit der Deutschlehrerin Frau Dr. Witte vom Ursulinengymnasium Köln für die aktive Mitarbeit und die Gestaltung der Ausstellung im Theaterfoyer. Ein besonderer Dank geht an die Praktikantinnen Milena Kaute und Maike Berger für die Mitarbeit in den Premierenklassen und an diesem Materialheft! Wir freuen uns über Post von unserem Publikum schreiben Sie uns! 2

Inhalt Inhaltsverzeichnis Liebe Lehrerinnen und Lehrer, wir laden Sie mit diesem Materialheft ein, sich und Ihre Schülerinnen und Schüler auf das Stück einzustimmen und nach dem Theaterbesuch das Gesehene zu vertiefen. Im Materialheft finden Sie spielerische Unterrichtsanregungen und Hintergrundinformationen. Viel Spaß wünscht die Theaterwerkstatt des COMEDIA Theaters. Xenia Bühler und Hanna Westerboer Seite 2 Zum Stück und Team Seite 3 Inhalt Seite 4 5 Hintergrund: die Autoren Schober und Celan Seite 6 Hintergrund: die wahre Begebenheit Seite 7 Vorbereitung Seite 8 11 Materialien zu Auschwitz Seite 12 15 Materialien zur Todesfuge von Paul Celan Seite 16 19 Thema Muttersprache/Vaterland Seite 20 Bühnenbild Seite 21 22 Kreatives Schreiben Die Figur des Thomas Seite 23 Quellen 3

Hintergrund Holger Schober Geboren 1976 in Graz. Studium der Germanistik und Anglistik, Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar sowie Ausbildung im Fach Kulturmanagement. Seit 1997 schreibt er für die Bühne und für Film und Fernsehen. Nach fünfjähriger Arbeit als künstlerischer Leiter am Theater Kinetis in Wien wird Schober 2005 Teil des Leitungsteams am Theater an der Gumpendorfer Straße in Wien. Von 2007 bis 2009 ist er künstlerischer Leiter der Guerilla Gorillas. 2009 gründet er das Wiener Klassenzimmertheater und übernimmt auch hier die künstlerische Leitung. Seit Beginn der Spielzeit 2009/2010 leitet er am Landestheater Linz die Sparte U/hof: Theater für junges Publikum. Nominierungen und Auszeichnungen des Autors: 2002 Nominierung für den Heidelberger Theaterpreis als Autor und Schauspieler für Full Frontal Nudity Episode 1. 2006 Nominierung für den Deutschen Jugendtheaterpreis als Autor für Hikikomori. 2008 Nominierung für die 16. Werkstatttage des Deutschen Kinder- und Jugendtheaters in Leipzig. 2009 Aufnahme in den Stückepool bei Kaas und Kappes für Clyde und Bonnie. 2010 Auszeichnung mit dem Niederländisch-Deutschen Autorenpreis Kaas und Kappes für Heimat.com. 4

Hintergrund Paul Celan Am 23.11.1920 wird der deutschsprachige Lyriker Paul Antschel, so Paul Celans eigentlicher Name, im damals rumänischen Czernowitz (Ukraine) geboren. Er wächst als Einzelkind in einer kleinbürgerlichen, deutsch sprachig-jüdischen Familie auf. Schon früh zeigen sich seine sprachliche Begabung und seine dichterischen Interessen. Der junge Celan nimmt an Lesezirkeln teil, rezitiert Gedichte und führt Gespräche über Literatur. 1938 Nach seinem Abitur beginnt er in Frankreich Medizin zu studieren, bricht das Studium jedoch wegen des beginnenden Krieges ab. Anschließend beginnt er ein Romanistik-Studium in Czernowitz. 1941 44 Als rumänische und deutsche Truppen Czernowitz besetzen, werden die Juden gezwungen, in Ghettos zu leben. Celan wird zur Zwangsarbeit in rumänischen Arbeiterlagern verpflichtet. 1942 Celans Eltern werden deportiert und ermordet. 1945 Celan siedelt nach Bukarest über und studiert dort weiter. Später arbeitet er dort als Übersetzer und Lektor. 1947 Flucht über Ungarn nach Wien. 1948 Umzug nach Paris. 1952 Celans populärstes Gedicht Die Todesfuge erscheint, 1955 70 entstehen diverse Veröffentlichungen. 1970 Paul Celan nimmt sich in Paris das Leben. Auszeichnungen: 1957 Literaturpreis Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie 1958 Bremer Literaturpreis 1960 Georg-Büchner-Preis 1964 Großer Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen 5

Hintergrund Die wahre Begebenheit Der folgende Zeitungsartikel war der Anlass für Holger Schober, das Stück Schwarze Milch oder: Klassenfahrt nach Auschwitz zu schreiben. Berliner wirft seinen Pass weg Reaktion auf KZ-Besuch Ein 24-jähriger Mann aus Prenzlauer Berg hat in Polen nach dem Besuch des früheren Konzentrationslagers Stutthof seinen Pass weggeworfen und wollte nicht mehr Deutsch sprechen. Die Nazi-Gräueltaten hätten ihn so bewegt, dass er nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wollte, sagte ein Polizeisprecher in Gdansk (Danzig). Die polnische Polizei hatte Ludwig K. am Montag zum Grenzübergang Pomellen gebracht und den deutschen Behörden übergeben, weil er keinen Pass mehr besaß. Ludwig K. war in der vergangenen Woche mit Bekannten nach Danzig gereist. Nach dem Besuch des KZ sprach er nur noch Englisch. Die Polizei wurde gerufen, als er drohte, sich selbst zu töten. Ludwig K. wurde in eine Nervenklinik untersucht, aber für gesund befunden. Dem Polizeisprecher zufolge habe der Mann nur stumm genickt, als er von seiner Abschiebung erfuhr. Berliner Zeitung, 21.4.2004 6

Auseinandersetzung mit dem Plakat Vorbereitung Welcher Ort ist auf dem Plakat zu sehen? Welchen Eindruck bekommt man von den Figuren? Was drücken ihre Haltungen aus? Stehen die Personen in Beziehung zueinander? Kennen Sie sich? Welche Geschichte könnte man über diese drei Personen erzählen? Auseinandersetzung mit dem Titel Was erzählt der Titel? Jeder äußert seine Assoziationen, auf einem Plakat oder an der Tafel wird alles gesammelt. Weiß jemand, worauf sich die ersten beiden Wörter beziehen? Schwarze Milch ist ein Oxymoron. Ein Oxymoron (griechisch οξύμωρος oxys scharf(sinnig) und moros dumm ) ist eine rhetorische Figur, bei der eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander (scheinbar) widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen gebildet wird. [...] Der innere Widerspruch eines Oxymorons ist gewollt und dient der pointierten Darstellung eines doppelbödigen, mehrdeutigen oder vielschichtigen Inhalts, indem das Sowohl-als-auch des Sachverhaltes begrifflich widergespiegelt wird. aus: http://de.wikipedia.org/wiki/oxymoron Spiel: Oxymoron-Scharade Jede/r Schüler/in bekommt eine Karte ausgeteilt, auf die er/sie ein selbst ausgedachtes Oxymoron schreibt. Der Spielleiter/die Spielleiterin nimmt die Karten an sich. Jeweils zwei Schüler/innen gehen kurz aus dem Raum, bekommen eine Karte, beraten sich kurz und spielen dann pantomimisch die Begriffe vor. Die Gruppe versucht, den Begriff zu erraten. Beispiele aus der Premierenklasse am Humboldt-Gymnasium: laute Stille kaltes Feuer weicher Stein schwarze Sonne trockenes Wasser süßer Pfeffer schwere Feder 7

Materialien Auschwitz Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz (aus: http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/auschwitz website des Deutschen Historischen Museums in Berlin) Im Mai 1940 wurde in einem Vorort der Stadt Auschwitz (Oświęcim) in Ostoberschlesien ein Konzentrationslager (KZ) für polnische politische Gefangene errichtet. Örtliche deutsche Polizeistellen hatten den Bau des Lagers angeregt, da die Kapazitäten der vorhandenen Gefängnisse zur Inhaftierung nicht mehr ausreichten. Für die Errichtung des Lagers auf einem leerstehenden Barackengelände der polnischen Armee aus der Vorkriegszeit wurden über 1.200 Einwohner ausgesiedelt. Zum Kommandanten von Auschwitz ernannte Heinrich Himmler, Reichsführer der Schutzstaffel (SS) und Chef der deutschen Polizei, den SS-Hauptsturmführer Rudolf Höß. Das Durchgangs- und Quarantänelager sollte zunächst 10.000 polnische Gefangene aufnehmen, um sie von dort in die Konzentrationslager des Altreichs zu überstellen. Außerdem war Auschwitz als Exekutionsort für polnische Geiseln, Widerstandskämpfer und sogenannte Intelligenzler geplant. Bis März 1941 inhaftierte die SS etwa 10.900 hauptsächlich polnische politische Gefangene, von denen eine große Zahl durch Hunger und Folter starb, viele wurden ermordet. Nach einem Besuch von Heinrich Himmler in Auschwitz im März 1941 wurde auf dessen Anordnung die Aufnahmekapazität des Lagers um weitere 20.000 Gefangene erhöht. Für die Errichtung von Buna-Werken im nahe gelegenen Monowitz (Monowice) lieferte die SS der IG Farben mehrere tausend KZInsassen als Zwangsarbeiter. Wenige Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden Anfang September 1941 entgegen der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Kriegsgefangenen-Konvention mehrere Hundert sowjetische Kriegsgefangene in das Stammlager Auschwitz deportiert und dort zusammen mit rund 250 KZ-Insassen in Kellerräumen einer Baracke mit dem Giftgas Zyklon B ermordet. Im Oktober 1941 überstellte die 8

Materialien Auschwitz Wehrmacht weitere 10.000 Rotarmisten in das Stammlager, die im drei Kilometer entfernten Birkenau (Brzezinka) ein Lager für 100.000 Kriegsgefangene errichten sollten. Bis zum Februar 1942 starb der Großteil der Gefangenen an Unterernährung, Typhus und anderen Krankheiten. Den Rest von wenigen hundert sowjetischen Soldaten und einen Teil der Häftlinge überstellte die SS schließlich im März 1942 in das neue Lager nach Birkenau. Nachdem die NS-Führung im Verlauf des Jahres 1941 die Ermordung der europäischen Juden beschlossen hatte, bestimmte Himmler Auschwitz zum zentralen Ort für den Massenmord. Anfang 1942 ließ Rudolf Höß zwei Bauernhäuser ( Bunker ) in einem Wald bei Birkenau zu Gaskammern umbauen. Die ersten Opfer waren vor allem Juden aus Ostoberschlesien, dem Generalgouvernement sowie dem Protektorat Böhmen und Mähren. Ab März 1942 trafen die ersten großen Transporte mit Juden aus der Slowakei und Frankreich in Birkenau ein. In den nächsten Monaten folgten Transporte aus nahezu allen von Deutschland besetzten Ländern. Nicht nur die Massentötung der Juden mit Giftgas, sondern auch ihre Deportation, die Selektion an der Rampe und schließlich die Beseitigung der Ermordeten sowie die Verwertung ihrer Habe in einer Sortierstelle gehörten zum durchorganisierten Mordverfahren. Auf diese Weise ermordete die SS über eine Million Menschen in Auschwitz, von denen 90 Prozent Juden waren. Auschwitz war das größte und mit dem höchsten technischen Aufwand betriebene nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager. Dort sind den Gaskammern, Giftinjektionen und Erschießungen sowie schwerster Arbeit, Krankheit und Verhungern insgesamt mehr Menschen zum Opfer gefallen als in jedem anderen Vernichtungslager. Neben Auschwitz-Birkenau, das ab Sommer 1942 zum zentralen Deportationsziel nahezu aller europäischen Juden im deutschen Herrschaftsbereich wurde, existierten mit Majdanek, 9

Materialien Auschwitz Chełmno, Bełżec, Sobibór, und Treblinka weitere Vernichtungslager im Generalgouvernement und im Warthegau, in denen 2.000.000 Menschen hauptsächlich polnische Juden ermordet wurden. Als sich die Rote Armee dem KZ Auschwitz im August 1944 näherte, begann die SS mit der stufenweisen Evakuierung des Lagers. Bis Mitte Januar 1945 wurden etwa 65.000 arbeitsfähige Häftlinge in das Altreich zur Arbeit in die Rüstungsbetriebe überstellt. Gleichzeitig begann die SS mit der Spurenbeseitigung der Verbrechen im Lager. Als die Ermordung aller bei den Vernichtungsanlagen arbeitenden Mitglieder des jüdischen Sonder kommandos absehbar war, organisierten sie am 7. Oktober 1944 einen Aufstand und sprengten das Krematorium IV mit seiner Gaskammer. Nach der Niederschlagung der Revolte erschoß die SS alle Beteiligten. Gegen Ende des Jahrs 1944 wurden alle technischen Installationen der Gaskammern demontiert sowie ein Großteil der Geheimakten verbrannt. Zahlreiche Gegenstände der ermordeten Juden, die die SS in der Sortierstelle gelagert hatte, ließ sie ins Innere des Reichs bringen. Am 17. Januar 1945 begann die Endphase der Evakuierung des KZ Auschwitz und seiner Nebenlager. Die SS schickte etwa 56.000 Häftlinge auf Todesmärsche in Richtung Westen, um ihre Befreiung durch die Rote Armee zu verhindern. Dieser Marsch kostete zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge das Leben. Am 26. Januar ließ die Lagerleitung das letzte Krematorium sprengen. Als die sowjetische Armee am 27. Januar 1945 Auschwitz befreite, befanden sich noch etwa 7.500 kranke und erschöpfte Häftlinge im Stammlager und seinen Nebenlagern. Nach der Errichtung des Lagers 1940 bis zu seiner Befreiung 1945 sind von mindestens 1.300.000 nach Auschwitz Deportierten etwa 900.000 direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet oder erschossen worden. Etwa 200.000 weitere Häftlinge starben an Hunger und Krankheiten oder wurden nach kurzer Zeit in die Gaskammern geschickt. 10

Materialien Auschwitz 1947 wurde auf dem Gelände der zwei erhaltenen Lagerbereiche Auschwitz I (Stammlager) und Auschwitz II (Birkenau) das Staatliche Museum AuschwitzBirkenau geschaffen. Am 20. Dezember 1963 begann in Frankfurt am Main der erste sogenannte Auschwitz-Prozess gegen 22 Aufseher und Angehörige der Lagerleitung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, der am 20. August 1965 beendet wurde. Im Jahr 1979 wurde das ehemalige Lagergelände in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) aufgenommen. Kommentierte Links zum Thema http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/auschwitz/ - Ausführliche Informationen und weiterführende interne Links zur Errichtung und zum Ausbau des Konzentrationslagers und zu den dort Inhaftierten vom Deutschen Historischen Museum. http://en.auschwitz.org.pl - Gedenkstätte und Museum Auschwitz-Birkenau. Die Homepage der Gedenkstätte informiert über die Geschichte des Konzentrationslagers, über die verschiedenen Lager und die Befreiung 1947. http://de.wikipedia.org/wiki/kz_auschwitz-birkenau - Umfangreiche Informationen zu Auschwitz-Birkenau, zu Opfern und Tätern mit weiterführenden Linktipps. http://www.kalenderblatt.de/index.php? what=thmanu&manu_id=150&tag=27&monat=1&weekd=&weekdnum=&year =2005&lang=de&dayisset=1 - Deutsche Welle-World Kalenderblatt: 27.1.1945 Auschwitz befreit. Der kurze Kalenderblatt-Beitrag berichtet von der Befreiung und fängt mit Zitaten von Zeitzeugen das Grauen von Auschwitz ein. 11

Materialien Todesfuge Todesfuge von Paul Celan Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und trinken wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends wir trinken und trinken Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends wir trinken und trinken ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith 12

Materialien Todesfuge Interpretationshilfen und Einordnungen zur Todesfuge Seine Todesfuge ist ein, ja vielleicht das Jahrhundertgedicht. Wolfgang Emmerich, Celan-Biograf... das Guernica der europäischen Nachkriegsliteratur. John Felstiner, Celan-Biograf Praktisch jede Zeile birgt Wortmaterial aus der zerbrochenen Welt, von der das Gedicht Zeugnis ablegt. Die Musik, die Literatur, die Religion und die Lager selbst hinterlassen verstörend ihre Spur: das 1. Buch Mose, Bach, Wagner, Heinrich Heine, der Tango, besonders aber Fausts Gretchen (Margarete) und die Jungfrau Sulamith aus dem Hohen Lied (Felstiner, S. 53). Er hätte noch die Klagelieder Jeremias, die mittelalterlichen Totentänze, die Meistersang-Praxis der frühen Neuzeit, barocke Elemente, Puccini, Baudelaire, Rimbaud, Rilke und Trakl, aber ebenso den trivialen Schlager (Heimat, deine Sterne) anführen können. Wolfgang Emmerich In jedem Fall steht die schwarze Milch für die ungebrochene Präsenz des Todes; denn wir, die Todgeweihten, trinken sie zu jeder Tageszeit: abends, morgens, mittags, nachts. [...] Als der Mann vor das Haus tritt und seine Juden hervorpfeift, schiebt sich der Querverweis und es blitzen die Sterne dazwischen, den Bildungsbürger sofort mit Puccinis E lucevan le stelle (aus der Oper Tosca) verbinden. Es ist die letzte große Arie des gefolterten Cavaradossi, dessen inszenierte Scheinhinrichtung zur grausamen Endlösung des Dramas führen wird. [...] Das Grab in der Luft lieber Walter Jens, das ist, in diesem Gedicht, weiß Gott weder Entlehnung noch Metapher. (Paul Celan an Walter Jens, 19.5.1961) 13

Materialien Todesfuge Die ursprüngliche Aussage wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng wird bereits in der ersten Strophe als Befehl des Kommandanten entlarvt: läßt schaufeln ein Grab in der Erde. Celan greift verschiedene Bilder variativ in der zweiten wieder auf: Dem jugendlich leuchtenden Haar der Margarete stellt er nun das aschene der Sulamith gegenüber, ein unaufgelöster Kontrapunkt, mit dem er das gesamte Gedicht beschließen wird. Der Imperativ spielt auf nun zum Tanz wird erweitert zum singet und spielt, spielt weiter zum Tanz auf. Der Mann bleibt gesichtslos, wird jedoch arisch klassifiziert: seine Augen sind blau. Die dritte Strophe beginnt wie die zweite; doch erst nach dem Ruf des Mannes spielt süßer den Tod schlägt dieser Ruf wie ein Echo zurück; die (Er-)trinkenden geben ihm einen Titel und eine Herkunftsbezeichnung: der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Dieser Meister verifiziert das anfangs noch mehrdeutige Grab in den Lüften als Rauch, der aus den Krematorien aufsteigt und die verbrannten Leiber zu schwebenden Wolken transformiert. Die letzte Strophe steigert die Aufzählung wir trinken dich ; die Aussage der Tod ist ein Meister aus Deutschland wird dreimal wiederholt. Der Fokus ereignet sich bei sein Auge ist blau er trifft dich mit bleierner Kugel : Der Mord wird besiegelt durch die Ineinssetzung von Auge, Zielrohr, Blick und Kugel. Der Tod hat seine Arbeit getan; er schenkt uns ein Grab in der Luft. [...] Was die Interpretation des Gedichtes anlangt, so ist die Grundaussage auch ohne Dechiffrierung verständlich. Jedem Leser wird klar, dass es sich um Vorgänge in einem KZ handelt, dass dieser namenlose Mann Er der Lagerkommandant ist, der menschen-entwürdigend und -vernichtend auftritt. Die gewählten Bilder und Chiffren sind eher verstörend, zeigen die Unfähigkeit, das in Worte fassen zu wollen, das sich letztendlich der Versprachlichung entzieht. Ute Jung-Kaiser 14

Materialien Todesfuge Empfehlenswerte Links zur Todesfuge und zu Paul Celan - Paul Celan liest Todesfuge : http://lyrikline.org/index.php? id=162&l=0&author=pc00&show=poems&poemid=66&chash=3e8993ce62 - Informationen und weitere Materialien zur Todesfuge: http://www.celan-projekt.de/ - Zeitgenössische Interpretationen der Todesfuge: http://faustkultur.de/kategorie/literatur/celans-todesfuge.html http://www.uni-due.de/literaturwissenschaftaktiv/nullpunkt/pdf/celan_todesfuge.pdf 15

Materialien Muttersprache/Vaterland Sprachverweigerer Nachbereitung Holger Schober diente eine Zeitungsnotiz als Anlass, das Stück Schwarze Milch oder: Klassenfahrt nach Auschwitz zu schreiben (siehe Seite 6, Eine wahre Begebenheit ). Eine vergleichbare Situation beschreibt auch der folgende Artikel über den türkischstämmigen Schriftsteller Doğan Akhanlı. Vorschlag für die Bearbeitung im Unterricht: Die Schülerinnen und Schüler werden in Kleingruppen eingeteilt, um das Interview (siehe nächste Seite) zu lesen. Jede Gruppe bekommt ein Plakat bzw. ein oder zwei Flipchart-Papiere und einen Stift. Aufgabe: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zwischen den beiden Sprachverweigerern finden? Welche Ursachen und Gefühle sind für das Denken und Handeln der jeweiligen Person entscheidend? Beispiel aus der Premierenklasse am Humboldt-Gymnasium: - Verweigerung der eigenen Sprache / der Muttersprache, beide können nicht mehr ihre Sprache sprechen - Gefühl der Kränkung durch das eigene Land - beide sind emotional stark betroffen / verletzt / enttäuscht - das Vaterland hat anderen etwas angetan kein persönlicher Bezug (Thomas) - das Vaterland hat ihm etwas angetan konkretes Problem (Akhanlı) - Thomas schämt sich für die Taten seines Volkes - Akhanlı fühlt sich von seinem Land verraten - Akhanlı ist stolz, deutscher Bürger zu sein - Thomas erkennt Deutsch noch als seine Muttersprache an - Akhanlı erkennt Türkisch nicht mehr als seine Muttersprache an 16

Materialien Muttersprache/Vaterland Im Gespräch: Dogan Akhanlı Sie haben meinen Vater getötet aus: Süddeutsche Zeitung, 13.12.2010 Der 1957 geborene Schriftsteller Doğan Akhanlı war am 10. August beim Versuch der Einreise in die Türkei festgenommen worden, fast zwanzig Jahre nach seiner Flucht aus dem Land, in dem er als linker Aktivist Folter und Haft erlebt hatte. Akhanlı ist längst deutscher Staatsbürger, er trat die Reise an, um seinen am Schwarzen Meer lebenden kranken Vater noch einmal zu sehen. Der Staatsanwalt warf ihm unter anderem einen Raubmord von 1989 vor - obwohl alle Zeugen Akhanlı längst entlastet hatten. Am Donnerstag wurde Akhanlı nach vier Monaten Haft auf freien Fuß gesetzt. Seinen Vater wird Akhanlı nicht mehr sehen: Er ist vor zwei Wochen gestorben. Das Interview findet statt am Tag nach seiner Entlassung: Ein leiser, freundlicher, konzentrierter Mann, der sich soeben entschlossen hat, schnell ins Dorf des verstorbenen Vaters weiterzureisen. [...] SZ: Wie haben Sie von seinem Tod erfahren? Akhanlı: Meine Anwälte wollten nicht, dass ich das in der Zeitung lese, also haben sie die Anstaltsleitung gebeten, mir an dem Tag keine Zeitungen zu geben. Aber ein Mitgefangener hat mir seine Zeitung über die Mauer geworfen. Da habe ich sein Foto gesehen auf Seite 3. Zuerst dachte ich: Das bin ich selbst. Dann sehe ich: Das ist mein Vater. Und ich denke: Warum? Machen meine Freunde nun Öffentlichkeitsarbeit mit meinem Vater? Dann erst habe ich gelesen, dass er tot ist. Da war diese Ohnmacht, diese Wut. Meine erste Reaktion war: Ich schreibe nie mehr ein Wort auf Türkisch. Aber ich bin doch türkischer Schriftsteller. Mein seelisches Exil habe ich durch die Heimat in der türkischen Sprache gemildert. (Dogan Akhanlı beginnt zu weinen.) Das ist interessant: Ich weine, während ich Deutsch spreche. Ich konnte auf Türkisch nicht weinen. SZ: Kann man so etwas verzeihen? Akhanlı: Die Verletzung ist tief. Meine Entlassung bedeutet für mich keine wirkliche Freilassung es ist der Beginn eines erneuten seelischen Exils. Das ist doch Exil: Wenn man seine Muttersprache nicht mehr sprechen und nicht mehr hören will. Mich hat zwischendurch dieses Gefühl überwältigt: Ich will diese Sprache nicht mehr. Die Sprache, die dieser Staatsanwalt spricht, die gehört mir nicht. Das ist mir fremd, das hat mit mir nichts zu tun. [...] Interview: Kai Strittmatter 17

Szenen zum Thema Muttersprache improvisieren Erzählkreis: Als ich einmal die Einzige war, die deutsch sprach... Die Klasse wird in zwei gleichgroße Gruppen aufgeteilt. Die eine Hälfte der Klasse stellt sich in einen Kreis mit Blick nach außen. Sie bildet den Innenkreis. Die andere Hälfte stellt sich außen herum mit Blick nach innen. Jede/r Schüler/in hat nun ein Gegenüber. 1. Aufgabe: Alle Spieler/innen im Innenkreis erzählen ihrem jeweiligen Gegenüber eine Geschichte. Die Schüler/innen im Außenkreis hören zu. Die Geschichte kann selbst erlebt sein, frei erfunden oder eine von einem anderen erlebte Geschichte, die man selbst erzählt bekommen hat. Thema der Geschichte: Als ich einmal die Einzige/der Einzige war, die/der deutsch sprach... Dauer: ca. 2 min. 2. Der Außenkreis wandert im Uhrzeigersinn ein/e Partner/in weiter. Rollenwechsel: Alle Spieler/innen im Außenkreis erzählen ihrem Gegenüber eine Geschichte, gleiches Thema. Die Schüler/innen im Innenkreis hören zu. Dauer: ca. 2 min. 3. Der Außenkreis wandert im Uhrzeigersinn ein/e Partner/in weiter. Erneuter Rollenwechsel: Alle Spieler/innen im Innenkreis erzählen ihrem jeweiligen Gegenüber eine Geschichte. Die Schüler/innen im Außenkreis spielen nun die Geschichte ihres jetzigen Gegenübers pantomimisch nach, während sie erzählt wird. Dauer: ca. 2 min. 4. Ohne Partnerwechsel werden nun nur die Rollen getauscht: Alle Spieler/innen im Außenkreis erzählen ihrem jeweiligen Gegenüber eine 18

Szenen zum Thema Muttersprache improvisieren Geschichte. Die Schüler/innen im Innenkreis spielen nun die Geschichte des Partners/der Partnerin pantomimisch nach. Dauer: ca. 4 min. 5. Die Paare bleiben weiterhin zusammen, suchen sich nun aber einen eigenen Platz im Raum. Dort entscheiden sie sich für eine der beiden Geschichten, die sie nun so vorbereiten, dass sie gemeinsam erzählt bzw. vorgespielt werden kann. Vorbereitungs-/Probenzeit: ca. 8 min. Vorspielen pro Paar: 1 2 min. Beispiele aus der Premierenklasse des Ursulinengymnasiums: Ort: Türkei Figuren: drei Freundinnen beim Einkaufen Inhalt: Im Laden fällt einer der drei Freundinnen etwas kaputt. Der Ladenbesitzer schimpft auf türkisch, die drei Freundinnen laufen weg. Ort: Flughafen, China Figuren: Polizist, Austauschlehrerin, Austauschschülerin, Gepäckkontrolleur Inhalt: Auf dem Flughafen wird der Koffer der Schülerin kontrolliert. Die Lehrerin versucht vergeblich zu vermitteln. Die Schülerin wird von der Polizei mitgenommen alle verpassen den Flug. Ort: Lebensmittelladen Figuren: Mutter, Kind, Kassiererin Inhalt: Die Mutter schickt ihr Kind im Urlaub los, Kartoffeln zu kaufen. Die Kassiererin erklärt dem Kind, dass es nicht genug Geld dabei hat. Das Kind rennt weg. Ort: Kindergarten Figuren: Erzieherin, Kinder, ein neues Kind Inhalt: Die Erzieherin führt ein neues Kind in der Kindergartengruppe ein, dass noch kein Wort Deutsch spricht. Sie fordert die Kinder dazu auf, mit dem Kind zu spielen. Diese versuchen es, aber es gelingt nicht. Das neue Kind sitzt traurig in der Ecke allein. 19

Bühnenbild Bühnenbildkonzeption Vor Beginn der ersten Proben im Theater wird das Bühnenbild geplant. Für Schwarze Milch oder: Klassenfahrt nach Auschwitz haben Brigit Kofmel (Bühnenbildnerin) und Ulrike Stöck (Regisseurin) diese Konzeption erarbeitet und skizziert: - eine dreigeteilte Kiste - sie kann von einem kleinen Kubus zu einer breiten Kiste zusammengebaut werden - die einzelnen Teile sind leicht genug, um sie alleine zu bewegen - jedes Teil steht für sich allein - als Einrichtung vorgesehen sind: eine Hängelampe, eine Tischlampe, ein Bürotisch mit Bürostuhl, Computer, Aktenvernichter... - zum Schluss steht die Kiste vielleicht ganz auf dem Kopf - interessant ist vielleicht auch die Akustik: in der Kiste gedämpft und trocken, nach dem Kippen der Kiste raumgreifend - hinten steht der Schreibtisch bereit und wenn die Box im Verlauf nach hinten gekippt wird, entsteht so die Polizeistation Die zugrunde liegende Idee könnte man beschreiben als eine gebastelte Behausung, die das Dasein zu fassen versucht und das Umfeld auf Distanz hält. Fragen nach dem Besuch des Theaterstücks: - Welche Orte werden gezeigt? Wie werden sie dargestellt und bespielt? - Wird mit Licht gearbeitet? Beschreibe. - Was hat sich im Vergleich zur oben skizzierten Planung verändert? Welche Gründe könnte es geben? - Erfüllt das Bühnenbild die Ansprüche, die in der Konzeption daran gestellt wurden? Begründe deine Meinung. 20

Kreatives Schreiben Thomas Entscheidung Die Premierenklasse des Ursulinengymnasiums hat sich intensiv mit Thomas beschäftigt. Die Figur wurde detailliert hinterfragt und charakterisiert. Die Klasse hat mit zwei Textformen gespielt: dem Inneren Monolog bzw. Bewusstseinsstrom und dem Gedicht. Aufgabe 1: Innerer Monolog / Bewusstseinsstrom Was denkt Thomas, als er nach dem Besuch des Museums gemeinsam mit seiner Klasse das ehemalige Lager verlässt? Schreibe 3 4 Sätze des Inneren Monologs, der zu Thomas Entscheidung führt, nicht mehr Deutsch sprechen zu wollen. Beispiele der Premierenklasse des Ursulinengymnasiums: Gott, was damals passiert ist?! Ich hatte ja keine Ahnung. Dieser Ort. Ich hätte mir die Klassenfahrt auch irgendwie anders vorgestellt. Oh mann mann mann das ist jetzt bestimmt peinlich, wenn ich nicht mehr auf Deutsch rede. Sollte ich auswandern? So heiße Ausländerinnen... Hmm was ist mit meinen Alten? Ach, denen ist eh alles egal... hmm ok, mach ich noch Schule zu Ende, dann kann ich abhauen und einen Beruf erlernen... oder gibt s im Ausland auch Hartz VI? Oh, was hat den Maria da an? Oh, wo war ich noch mal? Ach ja genau... Dieter kann mich mal... Naja, erst mal was pennen. Warum? Werd ich nicht mehr tun, sowas. Was fällt denen ein? Will mit sowas nix mehr zu tun haben. Und was ist mit Dieter? Sollten wir lassen das alles... Oh Gott!! Oh mein Gott! Wie kann man so etwas nur tun? Krass. Die müssen doch einen Schaden gehabt haben!? Mit so etwas will doch niemand was zu tun haben? Warum erfahre ich das erst jetzt? Ich habe ein total falsches Bild von Deutschen!! Und von Dieter!! NIE WIEDER DEUTSCH! ICH GEHÖRE NICHT DAZU! 21

Kreatives Schreiben Im folgenden sind einige Gedichte abgedruckt, die abschließend als Hausaufgabe geschrieben wurden. Die Aufgabe lautete: Schreibe ein kurzes Gedicht, das mit Thomas Satz Ich habe mich so unendlich geschämt... beginnt. Versuche, ein kurzes Gedicht zu gestalten, das Thomas Gefühlslage versucht zum Ausdruck zu bringen. Ich habe mich so unendlich geschämt, fühlte mich fast wie gelähmt, zerstört der Glaube an Gerechtigkeit nur wegen der deutschen Herzlosigkeit. Eiskalt und schrecklich waren sie, wandten Gewalt an mit Erfolgsgarantie. Machten alles kaputt, hinterließen bloß Schutt Ich weiß, jeder hat seine Schwächen, aber eins ist sicher, ich werde nie wieder deutsch sprechen. Miriam P. Ich habe mich so unendlich geschämt vor die Tür zu gehen. So geschämt, dass die Leute es sehen, dass sie es erkennen. Ich gehöre zu den Fremden, zu den Schlechten, zu denen, die sie am liebsten übersehen möchten. Fiona E. Ich habe mich so unendlich geschämt... In eure Augen zu sehen Geschämt, auf diesem Grund zu stehen Aber stehe ich noch? Nein! Ich verstehe Nicola D. Ich habe mich so unendlich geschämt. Mein Gewissen wurde kaum gezähmt. Deutsch will ich nicht mehr sprechen, sonst würd mein Herz mir brechen! Ich hab gedacht ich wär im Recht, doch fühl ich mich jetzt nur noch schlecht. Wieso nur du grausame Welt? Denn Hitler war kein Held. Nun bin ich schlauer Und denke genauer This is my story and I have to worry. Jenni K. 22

Quellen Quellen Texte: http://www.sueddeutsche.de/kultur/im-gespraech-dogan-akhanli-ich-konnteauf-tuerkisch-nicht-weinen-1.1035443 John Felstiner: Paul Celan. Eine Biographie. Beck, München 2000 http://www.berlinonline.de/berlinerzeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2004/0421/berlin/0105/index.html http://faustkultur.de/kategorie/literatur/celans-todesfuge.html Wolfgang Emmerich: Paul Celan. Reinbek: Rowohlt 1999 (rowohlts monographien) http://www.celan-projekt.de/ http://de.wikipedia.org/wiki/oxymoron http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/holocaust/auschwitz/ http://de.wikipedia.org/wiki/paul_celan http://www.derschober.de.tl/ Bilder: http://bi.gazeta.pl/im/2/5002/z5002692x,policja.jpg http://www.paris.de.com/prominente/paul-celan/celan-01.jpg http://youngeurope.files.wordpress.com/2010/02/holger_schober.jpg 23