Thomas von Aquin. Die göttliche Vorsehung und das Bittgebet. 1. Die Vereinbarung von Freiheit und Notwendigkeit

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Transkript:

Lieferung 18 Thomas von Aquin Die göttliche Vorsehung und das Bittgebet Summe gegen die Heiden [Summa contra gentiles], Buch III, Kap. 9 96 Wegen der um die gleiche Zeit stattfindenden Antrittsvorlesung von Herrn Prof. Dr. Dr. T. Sternberg fällt die Vorlesung am 21. Januar aus. 1. Die Vereinbarung von Freiheit und Notwendigkeit Das Dilemma: Wie läßt sich die Notwendigkeit der göttlichen Vorsehung mit dem Bittgebet vereinbaren? Die Unveränderlichkeit des göttlichen Willens Die freie Selbstbestimmung des Menschen die Lösung: Lydia Maidl: Das Beten des Menschen [...] will nicht die göttliche Disposition ändern, sondern ist vorgesehen, sie auszuführen: Durch sein Bitten kann der Mensch das erwirken, worüber Gott verfügt hat, daß es durch die Bitten der Heiligen sich erfüllen solle. 1 1 L. Maidl, Desiderii interpres. Genese und Grundstruktur der Gebetstheologie des Thomas von Aquin (Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh, 1994) (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, N. F. Bd 38), 14.

2 Thomas von Aquin Thomas von Aquin: Nicht dazu wird das Bittgebet an Gott gerichtet, daß der ewige Plan der Vorsehung abgeändert werde, dies ist ja unmöglich: sondern damit einer das, was er wünscht, von Gott erlangt. (ScG, III, Kap. 9) 2. Die zwei Zusammenhänge (Ordnungen) die Schöpfung insgesamt und Bereiche innerhalb der Schöpfung Wenn man aber sorgfältig über das bisher Gesagte nachdenkt, wird man finden, daß jeder Irrtum, der darin auftritt, daher stammt, daß nicht der Unterschied zwischen allgemeiner und besonderer Ordnung bedacht wird. (ScG, III, Kap. 96) Die (göttliche) Erstursache schließt Zweitursächlichkeit nicht aus. Innerhalb eines besonderen Kontextes kann etwas verändert werden, ohne das der Gesamtkontext (Welt) unvorhergesehen verändert wird. 1 Da nämlich alle Wirkungen eine Ordnung zueinander haben, insofern sie eine einzige Ursache gemeinsam haben, ist eine Ordnung notwendig um so gemeinschaftlicher, je allgemeiner ihre Ursache ist. Daher umfaßt die Ordnung, die von der allgemeinen Ursache, also von Gott, stammt, notwendig alles. Nichts also hindert, daß irgendeine besondere Ordnung durch ein Bittgebet oder auf irgendeine andere Weise verändert werde: es gibt ja außerhalb dieser Ordnung noch etwas, das sie verändern könnte. [... ] Außerhalb der alles umfassenden Ordnung aber kann nichts angenommen werden, das die von der allgemeinen Ursache abhängige Ordnung umwenden könnte. [... ] Wenn die Unbeweglichkeit der göttlichen Ordnung anderen Ursachen die Wirkungen nicht entzieht, so hebt sie auch nicht die Wirksamkeit der Bittgebete auf. Bittgebete haben also einen Wert: nicht als ob sie die Ordnung des ewigen Plans veränderten,

Vorsehung und Bittgebet 3 sondern insofern sie auch unter dieser Ordnung eigenständig sind. (ScG, III, Kap. 96) 1 2 30 3 40 4 Thomas: Bezüglich des Gebets haben die Alten auf dreifache Weise geirrt. Einige (z. B. Cicero: De Divi Nat., lib. II, c. ) vertraten nämlich die Ansicht, in die menschlichen Angelegenheiten mische sich die göttliche Vorsehung nicht ein. Deshalb sei es zwecklos zu beten wie überhaupt, Gott zu verehren. Malachias (3, 14) gibt die Ansicht dieser Leute mit den Worten wieder: Ihr sagt: Es hat keinen Sinn, Gott zu dienen. Einen weiteren Irrtum vertraten jene, die meinten, alles, auch der menschliche Bereich, unterliege unabänderlicher Notwendigkeit, sei es wegen der Unwandelbarkeit der göttlichen Vorsehung, sei es wegen des zwingenden Einflusses der Sterne, sei es aufgrund der Ursachenverquickung. Demgemäß sei das Gebet nutzlos. Nach der dritten Meinung unterstehen die menschlichen Angelegenheiten zwar der göttlichen Vorsehung und nicht einem naturhaftem Zwang, doch behaupteten sie, die Anordnung der göttlichen Vorsehung sei veränderlich und werde durch Gebete und anderes, was zum religiösen Kult gehört, geändert. Dies alles wurde im I. Teil [dieser Summa theologiae] zurückgewiesen. Und deshalb muß man vom Nutzen des Gebetes so reden, daß wir das der göttlichen Vorsehung unterliegende Menschliche weder für erzwungen halten, noch auch göttliche Anordnungen als veränderlich ausgeben. Zum Verständnis dieser Aussage ist zu bedenken, daß die göttliche Vorsehung nicht nur bestimmt, welche Wirkungen erfolgen, sondern auch aus welchen Ursachen und in welcher Ordnung diese hervorgehen. Unter anderen Ursachen sind jedoch gewisser Dinge Ursachen auch menschliche Akte. Daher müssen Menschen dies oder jenes tun, nicht um durch ihre Tätigkeit die göttliche Anordnung zu verändern, sondern um dadurch bestimmte, nach göttlicher Anordnung vorgesehene Wirkungen in Erfüllung zu bringen. Das gleiche gilt für naturhafte Ursachen. Und ebenso verhält es sich in der Frage des Betens. Wir beten nämlich nicht, um in die Anordnungen Gottes einzugreifen, sondern um das zu erlangen, was Gott durch die Gebete der Heiligen zu erreichen angeordnet hat, damit die Menschen, wie Papst Gregor in einem seiner Dialoge (lib. I, c. 8; PL 77, 188) schreibt, betend das zu erhalten verdienen, was ihnen der allmächtige Gott vor allen Zeiten zu schenken

4 Thomas von Aquin beschlossen hatte. 2 Thomas stellt sich folgendes Argument gegen seine Stellungnahme: Die Notwendigkeit des Gebets ergibt sich scheinbar daraus, daß wir jenem, den wir um etwas bitten wollen, das nahelegen, wessen wir bedürfen. Bei Mt. 6, 32 steht jedoch: Euer Vater weiß, daß ihr all dieses nötig habt. Also ist es nicht angemessen, Gott darum zu bitten. 3 Dagegen antwortet Thomas: Es ist nicht nötig, Gott mit unseren Bitten nahe zu kommen, um Ihm unsere Bedürfnisse oder Wünsche mitzuteilen, sondern um uns klar zu werden, daß wir in diesen Dingen die göttliche Hilfe anrufen müssen. 4 Ferner konfrontiert er sich mit folgendem Argument gegen seine Position: Durch das Gebet wird der Geist des Angeflehten dazu bewogen, zu tun, um was man ihn bittet. Der Geist Gottes ist jedoch unveränderlich und unbeweglich entsprechend jenem Wort 1 Kön., (= 1 Sam.) 1, 29: Der Sieger in Israel wird nicht schonen, auch Reue kann ihn nicht umstimmen. Also ist es nicht angemessen zu Gott zu beten. Dazu antwortet Thomas: Wie oben betont, richtet sich unser Gebet nicht darauf, die Anordnungen Gottes abzuändern, sondern mit unserem Beten das zu erlangen, was Gott angeordnet hat. Nicht Gott soll durch das Gebet beeinflußt werden, sondern der Betende. Das Bittgebet bedeutet somit eine Übereignung an Gott. L. Maidl: Durch sein Bitten übergibt der Mensch nicht irgendetwas an Gott, sondern er vertraut ihm seinen höchsten Teil, seinen Geist (mens) und damit sich selber in seinem ganzen Sein an. 6 2 Thomas von Aquin, Summa theologiae, II II, q. 83, a. 2c. 3 Ebd., obj. 1. 4 Ebd., zu 1. Ebd., obj. 2. 6 L. Maidl, a. a. O., 47.

Vorsehung und Bittgebet Thomas: Unser Gebet ist nicht auf die Veränderung der göttlichen Verfügung bezogen, sondern darauf, daß durch unsere Gebete das erlangt wird, was Gott angeordnet hat. 7 Das Gebet ist ein Vollzug der praktischen Vernunft, welche in einer zielgerichteten, d. h. teleologischen, Struktur denkt. Fürbitte der Heiligen: L. Maidl: Unser Gebet an die Heiligen dient nicht dazu, daß Gott Kenntnis von unseren Bitten erhalte, sondern umgekehrt: Daß Gott Kenntnis von unseren Gebeten hat, ist die Voraussetzung dafür, daß wir zu den Heiligen beten können. 8 1 Eine Darstellung aus unserer Zeit: Karl Rahner In seinem Wesen ist das Gebet die ausdrückliche und positive Realisierung unserer natürlich-übernatürlichen Bezogenheit auf den persönlichen Gott des Heiles; es verwirklicht also das Wesen des religiösen Aktes schlechthin: das Sicheinlassen des Menschen auf die Transzendenz seines eigenen Wesens, damit das demütig-empfänglich-verehrende Aufkommenlassen und reaktiv-responsorisch-hingebende Bejahen der totalen Angesprochenheit und Verfügtheit, die auch subjektiv unausweichliche Betroffenheit der menschlichen Existenz durch das Geheimnis Gottes als Person. Alle positiven religiösen Akte, die sich erkennend und wollend direkt und ausdrücklich auf Gott beziehen, können als Gebet bezeichnet werden. [... ] Als annehmende Realisation des auf Gott unausweichlich dialogisch bezogenen Wesens des Menschen, das Gott in Schöpfung und Gnadenerhebung gewollt hat, ist das wirkliche, sein wahres Wesen habende Gebet Gott wohlgefällig und von ihm angenommen und kein Anthropomorphismus. Als von Gottes Tat selbst getragene Bitte des Menschen letztlich um Gott (und um alles andere 7 Oratio nostra non ordinatur ad immutationem divinae dispositionis, sed ut obtineatur nostris precibus quod Deus disposuit. Summa theologiae, II-II, q. 83, a. 2, ad 2. 8 L. Maidl, a. a. O., 26.

6 Thomas von Aquin 1 nur, insofern es sich nach Gottes bedingungslos angenommener Verfügung in dieses Streben nach Gott einfügt) ist das Gebet der Erhörung absolut gewiß (und zwar, ob man für sich oder einen anderen bittet: so F. Suárez [z. B. De religione tract. 4] gegen Thomas [S. th. 2 II qq. 81 8]), wenn auch die Weise der Erhörung gerade im richtigen Gebet der Verfügung Gottes anheimgegeben wird. [... ] Weil das Gebet einfach die konkrete Realisierung des religiösen Aktes überhaupt ist, versteht sich seine (für den Mündigen) mittelhafte und gebothafte Heilsnotwendigkeit von selbst, aber auch, daß das notwendige Gebet inhaltlich und aktmäßig ebenso jene größere oder geringere Deutlichkeit haben kann, wie sie unter Umständen dem heilsnotwendigen Glauben eignet (vgl. CatTom IV 1 n. 2). Die Notwendigkeit des Gebets konkretisiert die Notwendigkeit der ausdrücklichen und gewollten positiven Bezogenheit des ganzen Lebens auf Gott, hat also von daher ihr Maß: sie aktualisiert sich immer dort, wo ohne diese ausdrückliche Beziehung auch die habituelle und virtuelle des Lebens im Gehorsam zu Gott aufgehoben oder wesentlich bedroht wird. 9 9 Karl Rahner, Gebet, Lexikon für Theologie und Kirche (Freiburg, 1960), Bd. 4, 43 4.