Tagungsbericht 16. Symposium Thermische Solarenergie, Staffelstein (DE), 17.-19.5.2006, pp. 308-313 Potentialabschätzungen für die Integration solarer Prozesswärme am Beispiel von vier Industriebetrieben im Raum Kassel Ulrike Jordan, Klaus Vajen, Bastian Schmitt, Peter Bruchhäuser Universität Kassel, Institut für Thermische Energietechnik, D-34119 Kassel Tel.: 0561-804 3890; Fax: - 804 3993 solar@uni-kassel.de; www.solar.uni-kassel.de 1. Einleitung In Deutschland wird rund 65% des Endenergieverbrauchs im industriellen Sektor für die Bereitstellung von Prozesswärme aufgewendet (BMWA). Insbesondere ein hoher Anteil des Niedertemperaturwärmebedarfs lässt sich als Grundlast solarthermisch in die Prozesse einbinden. In vielen Fällen sind vorhandene prozessinterne Speicher nutzbar, wodurch die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen erhöht werden kann. Industrielle Prozesswärme erweist sich deshalb als ein hoch interessantes und zukunftsträchtiges Gebiet für solarthermische Anwendungen. Das dargestellte Forschungsvorhaben beschäftigt sich mit den Fragestellungen, - ob es im Raum Kassel Industriebetriebe mit verhältnismäßig hohem Wärmebedarf auf niedrigem Temperaturniveau gibt, bei denen sich eine Einbindung solarthermischer Anlagen in den industriellen Prozess anbietet und - an welcher Stelle der jeweiligen Prozesskette eine solche Einbindung am günstigsten wäre. Zu diesem Zweck wurden die Prozessketten von vier Betrieben im Raum Kassel energetisch analysiert. Bei den Betrieben handelt es sich um eine Brauerei, eine Wäscherei, eine Saline und einen metallverarbeitenden Betrieb.
Es wurden - zeitliche Verläufe des jeweiligen Wärmebedarfs und des Temperaturniveaus zum Teil (grob) abgeschätzt und zum Teil durch Messungen bestimmt, - zeitliche Verläufe der Wärmeversorgungssysteme betrachtet: Vorhandene Speicher und Hydraulik, verwendete Medien (z.b. kreisläufe), sowie deren zeitliche Verläufe von Wärme- und Temperaturbereitstellung und Wärmeverluste einiger Geräte und Gebäude abgeschätzt. Aus der Erfassung von Energie- und Leistungsdaten sowie Temperaturniveaus und deren zeitliche Verläufe ergeben sich in der Regel zunächst Erkenntnisse über eine rationellere Prozessführung und übrige Einsparpotentiale. So hat sich bei der Analyse der betrachteten Prozesse in noch größerem Maße als im Wohnungsbereich gezeigt, dass die Konzeption einer solarthermischen Anlage erst nach der Ausschöpfung konventioneller Energieeinsparmaßnahmen sinnvoll ist. Eine rationellere Prozessführung kann z.b. durch Wärmerückgewinnungsmaßnahmen, Verhinderung eines unnötigen Dauerbetriebs des Wärmeversorgungssystems oder eine gleichmäßigere Prozessführung erreicht werden. Einsparpotentiale könnten darüber hinaus insbesondere durch Gebäudedämmmaßnahmen, Speicher- und Rohrisolation und durch eine veränderte hydraulische Verschaltung aktiviert werden. Zu Beginn der Analysen waren in einigen der Betriebe Defizite beim Kenntnisstand der eigenen Energieverbrauchssituation zu erkennen, insbesondere bezüglich der Verteilung des Energiebedarfs auf verschiedene Verbraucher. 2. Integration von solarthermischen Anlagen in die untersuchten Prozesse Bei drei der betrachteten Betriebe handelt es sich um mittelständische Traditionsunternehmen, beim vierten Betrieb, einer Behindertenwerkstatt, um ein Unternehmen mit besonders hohen sozialen und ökologischen Ansprüchen. Der Imagegewinn der Unternehmen, den die Installation einer solarthermischen Anlage mit sich bringen könnte, war daher eines der Haupanliegen bei der Teilnahme am Forschungsvorhaben.
Beispiel 1: Brauerei Der Brauprozess sowie das für einzelne Prozessketten benötigte Temperaturniveau ist in Bild 2 schematisch dargestellt. Bild 1: Brauerei: Sudkessel und Flaschenwaschanlage. Sudhaus Wasser, Malz, Hopfen Gär- und Lagerkeller (+ Hefe) Abfüllhalle (Reinigung) Speicher 58 C 76 C 90 C Gären/ Maischen Läutern Kochen Kühlen Filtrieren Lagern 12 C Kältemaschine 10 C 14 C 0 C Reinigen/ Abfüllen 30 C 80 C Bild 2: Schema des Brauprozesses Der Gesamtwärmebedarf der Brauerei beträgt ca. 5.3 GWh/a (im Jahr 2004), der von einem kessel (P = 2.6 MW th ) zur Verfügung gestellt wird. Die ermittelten Einsparpotentiale unterscheiden sich sehr stark bzgl. des Investitionsund des Umsetzungsaufwands. Sinnvolle Maßnahmen reichen von einer einfachen Modifikation der Kesselregelung bis hin zu einer Umstellung der Würzekochung. Eine Einbindung solarer Prozesswärme könnte sich insbesondere an zwei Punkten der Prozesskette als sinnvoll erweisen: 1.) Für das Herstellen der Bierwürze werden beim so genannten Einmaischen große Mengen an Wasser mit einer Temperatur von 58 C benötigt, welche zumindest teilweise solar bereitgestellt werden könnten. Die hierbei ermittelte sinnvoll mögliche Kollektorfläche beläuft sich auf ca. 350 m 2. Ein bereits bestehender 50 m³-speichertank könnte genutzt werden. Ein Schema für eine mögliche Einbindung einer solchen Solaranlage ist in Bild 3 dargestellt.
2.) Der Wärmebedarf der Flaschenwaschmaschine könnte erheblich gesenkt werden, indem ein solar beheizter und wärmegedämmter Sedimentationstank errichtet wird. Eine Installation von 100 bis 200 m 2 Vakuumröhrenkollektoren wäre zur Beheizung eines solchen Tanks sinnvoll möglich (siehe Bild 4). Zur Abschätzung der Energiebereitstellung in der Flaschenwaschanlage wurde der volumenstrom an der Anlage sowie die Laugentemperatur vermessen. Denkbare Einbindung einer Solaranlage Denkbare Einbindung einer Solaranlage A Koll 350 m² ca. 100 m² Kessel 50 m 3 T=60 C Trinkwasser 10 C Nachmittag Vormittag Laugenspeicher Flaschenwaschmaschine 80 C 58 C Speicher Maischen Läutern Kochen Kühlen Bild 3: Schema einer solar-unterstützten Prozesswärmeerzeugung in einer Brauerei, Wärmezufuhr zum Maischen. Bild 4: Schema einer Solaranlage zur Erwärmung der Reinungslauge einer Flaschenwaschmaschine der untersuchten Brauerei. Beispiel 2: Wäscherei Ein Schema der Geräte und des Produktionsablaufs der untersuchten Wäscherei ist in Bild 6 dargestellt. Es handelt sich um einen mittelgroßen Wäschereibetrieb mit einer Kapazität von ca. 1.2 t Trockenwäsche/Tag. Bild 5: Wäscherei Die Wäscherei verfügt über folgende Geräte: eine 5-Kammer-Waschstraße mit einem Fassungsvermögen von 25 kg/kammer zwei Wasch-Schleuder-Maschinen mit Fassungsvermögen von 35 und 80 kg vier Trockner Muldenmangel, Kittelpresse, Ärmelkabinett, Kittelfaltungsautomat, u.a. Finisher (zum Trocknen, Glätten und Zusammenlegen der Wäsche)
112700 m³ Gas Kaltwasser 1075 m³ Schnelldampf erzeuger 7165 m³ Kondensatrückführung Trommel Waschmaschinen, Waschstraße Abwasser Wäsche Trockner, Finish- Maschinen Abluft Bild 6: Schema des Wäschereibetriebs (vereinfacht), Jahresgrößen von 2004. Die thermische Energie wird von einem Erdgasbrenner (P max = 1 MW) in Form von bereitgestellt, der durch ein Rohrnetz den Verbrauchern zugeführt wird. Nur ca. 13% des thermischen Energiebedarfs entfallen auf den eigentlichen Waschprozess, der übrige Wärmebedarf muss für die Nachbehandlungsschritte Trocknen und Finishen aufgebracht werden. Die Wärme wird je nach Gerät und Waschgang in der Regel auf einem Temperaturniveau von 40 C bis 70 C benötigt (in Einzelfällen bis 90 C). Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden Programmabläufe, Waschprogramme und Füllmengen der Waschmaschinen detailliert erfasst. Dabei wurde ein wöchentlicher Warmwasserverbrauch von 34 m³ ermittelt mit einer durchschnittlichen Temperatur von ca. 53 C (Q ca. 1620 kwh). 5-Kammer- Waschstraße KW Trommel- Waschmaschine 1 KW Solarkollektoren Abwasser Trommel- KW Waschmaschine 2 Abwasser- WÜT zum Vgl.- Kaltwasser- Behälter zufuhr Speicher (drucklos) Bild 7: Anlagenschema zur solar-unterstützten Wärmeversorgung der Wäscherei.
In Bild 7 ist ein Schema einer möglichen Solarsystemeinbindung dargestellt. Folgende Maßnahmen wurden bei dem Konzept berücksichtigt: - Wärmerückgewinnung: Vorwärmung des Frischwassers mit einem Abwasser- Wärmeübertrager von ca. 12 C auf ca. 24 C (bei einer mittleren Abwassertemperatur von ca. 37 C). - Solare Vorwärmung des Frischwassers für die Waschmaschinen für mehrere Spülgänge. Durch Verwendung warmen Wassers beim letzten Waschgang sollte auch der Wärmebedarf zum Trocknen der Wäsche verringert werden. Das Konzept sieht weiterhin vor, dass das stoßweise anfallende Abwasser zwischengespeichert wird und dann in Intervallen durch den Wärmeübertrager geleitet wird. Das im Wärmeübertrager vorerwärmte Frischwasser, das dann ebenfalls ein variables Profil aufweist, müsste einem weiteren offenen Speicher zugeführt werden. Dieser Speicher könnte durch einen internen Wärmeübertrager mit einem Solarkollektorfeld verbunden sein. Mithilfe einer Input-Output Analyse (Zeitschritt: 5 min) wurde eine sinnvolle Kollektorfläche von ca. 100 m² und eine Speichergröße von ca. 2.5 m³ ermittelt. 3. Fazit Alle untersuchten Prozesse eignen sich grundsätzlich zur Integration solarer Prozesswärme, wobei die Realisierung der Anlagen durch die hohen Investitionskosten erschwert wird. Aufgrund der hohen Bedarfs-Grundlast sind in allen Fällen Solaranlagen mit vergleichsweise kleinen Speichern möglich, so dass solare Wärmepreise von rund 6 ct/kwh erreicht werden können. Dennoch sind die im Allgemeinen von der Industrie geforderten Amortisationszeiten von 3 bis 5 Jahren nur sehr schwer zu erreichen. Aus diesem Grund bietet es sich an, die Errichtung einer Solaranlage mit Maßnahmen der Energieeffizienz zu verbinden. Die Forschungsarbeiten werden im Rahmen des IEA-SHC Task 33 Solar Heat for Industrial Processes durchgeführt. English Title: Estimation of the Potential to Integrate Solar Process Heat An Example of Four Industrial Companies in the Kassel Area