1 Fabrizio Brönnimann, Jacqueline Frossard, Stefanie Schaad, Mirjam Schmidlin undtobischmidlin: Emotionen und Gerechtigkeitsfragen in der Mediation Montada und Kals definieren fünf Mythen der Mediation, die sie aus psychologischer Sicht hinterfragen um gleichzeitig neue Wege zu beschreiten. Die fünf Mythen in der Mediation: 1. Das Postulat der Neutralität Mediatoren und Mediatorinnen sollen stets neutral bleiben, keine eigenen Standpunkte vertreten, d.h. zu nichts Stellung beziehen. Das Postulat wird ersetzt durch das Prinzip der Allparteilichkeit, Mediatorinnen und Mediatoren sind nicht KEINER Partei sondern ALLEN Parteien verpflichtet. 2. Das Gebot zur methodischen und inhaltlichen Zurückhaltung in der Mediation Mediatorinnen und Mediatoren sollen sich in der Gestaltung der Auseinandersetzung und mit Vorschlägen zurückhalten. Das Gebot wird ersetzt durch die Aufforderung zur produktiven und kreativen Umsetzung der Wissens- und Methodenvielfalt und der eigenen Erfahrung. 3. Das Sachlichkeitsgebot und die Tabuisierung von Emotionen Emotionen sollen aus dem Prozess heraus gehalten werden, weil sie (angeblich) unsachlich sind und den Prozess stören bzw. behindern. Emotionen sollen beleuchtet, als wichtige Informationsquellen genutzt und zur Lösung von Konflikten beigezogen werden. 4. Das Postulat der Eigeninteressen als dominante Konfliktmotivation Mediation geschieht in der Annahme, dass alles was der Mensch tut, aus einem absoluten Eigeninteresse geschieht. Neben dem Eigeninteresse werden auch Wertorientierungen und Verantwortungs- und Gerechtigkeitsüberzeugungen als Verhaltensmotive gesehen 5. Das Postulat der Ausklammerung der Vergangenheit und dem Blick (nur) nach vorne Die Vergangenheit soll in der Mediation ausgeklammert werden, nach dem Motto: Wir schauen vorwärts!
2 Die Vergangenheit lässt sich nicht weggeschwiegen, sie soll zur nachhaltigen Bereinigung eines Konfliktes beigezogen werden. Im Folgenden sollen das Sachlichkeitsgebot und das Postulat der Eigeninteressen als dominante Konfliktmotivation (anhand der Gerechtigkeitspsychologie) beleuchtet werden. Teil 1: Gerechtigkeit in der Mediation Soziale Konflikte resultieren gemäss Kals und Montada aus der subjektiven Wahrnehmung eines Menschen ungerecht behandelt worden zu sein. Konflikte werden also erst dann heiss, wenn sich eine Partei in ihrem Gerechtigkeitsempfinden verletzt fühlt. Dabei muss eine Partei nicht selber betroffen sein. Es reicht,dass jemand anderes ungerecht behandelt wird, mit dem sie sich identifiziert. Die emotionale Reaktion auf wahrgenommenes Unrecht sind sodann Empörung und Schuldvorwürfe. Beispiel: Ein verlorenes Spiel begründet noch keine Empörung oder Ansprüche auf Vergeltung, solange man die Spielregeln befolgt. Erst wenn die Spielregeln gebrochen werden, werden solche Ansprüche begründet. DieMediation ist, im Gegensatz zum Gericht, nicht nur auf die Beilegung justiziabler Konflikte, wo es um Ansprüche mit einer rechtlichen Basis geht, beschränkt. Es geht um subjektive Rechtsgefühle, die grösstenteils nicht justiziabel sind. Die juristische Objektivierung eines Konfliktes, kann die relevanten Konfliktthemen verfehlen. In der Mediation ist immer zu eruieren ob die geltend gemachten Konfliktthemen den wahren Konflikt ausmachen. Ohne die subjektiv wahrgenommenen Ungerechtigkeiten in Erfahrung gebracht zu haben, wird man die Konflikte nicht verstehen. Ohne die Konflikte verstanden zu haben wird man sie nicht nachhaltig beilegen können. Prinzipien der Gerechtigkeit Die in den Konflikten relevanten normativen Erwartungen und Überzeugungen können aus vielen verschiedenen Normquellen stammen: Verfassung, Menschenrechte, kulturelle Traditionen, Religionen, Familie und aus allgemeinen Gerechtigkeitsprinzipien. Gleichheit Verteilungsgerechtigkeit Austauschgerechtigkeit Vergeltung und Wiedergutmachung Beilegung von Konflikten durch Annäherung an normative Überzeugungen Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sich an die normativen Überzeugungen der Parteien anzunähern um dadurch zu versuchen den Konflikt zu schlichten.
3 Schuldeingeständnis und Bitte um Verzeihung Neubewertung der Verantwortlichkeit und überzeugende Rechtfertigungen Normative Diskurse Annäherung in Beziehungskonflikten Gerichtsurteile Entstehungstypen von Gerechtigkeitskonflikten Konflikte wegen divergierender Präferenzen für das anzulegende Gerechtigkeitsprinzip (Normenkonflikte) Konflikte bei Anwendung desselben Gerechtigkeitsprinzips Bearbeitung von Gerechtigkeitskonflikten Nachdem dargelegt ist, welche Arten von Konflikten es gibt, und woraus diese resultieren, kann man diese von einem neuen Standpunkt aus analysieren und bearbeiten. Montada/Kals haben dafür einen fünfstufigen Aufbau der Konfliktbearbeitung entwickelt: 1. Schritt: Zunächst müssen die Beteiligten ihre Gerechtigkeitsvorstellungen artikulieren. Der Mediator bietet ihnen dabei seine Hilfe und seine Erfahrung an. Emotionen sind in den Prozess zu integrieren, wobei die Kernkonflikte im Mittelpunkt stehen sollen. 2. Schritt: Nachdem die Gerechtigkeitsvorstellungen geäussert sind, muss sichergestellt werden, dass die Gegenseite diese auch richtig verstanden, d.h. inhaltlich begriffen hat. 3. Schritt: Im dritten Schritt hat der Mediator den Medianten die Dilemmastruktur von Gerechtigkeitskonflikten darzulegen. Dieser Prozess bildet die Grundlage für die Relativierung der Gerechtigkeitsvorstellungen im nächsten Schritt. 4. Schritt: Die den Medianten zugrunde liegenden Gerechtigkeitsüberzeugungen werden relativiert, d.h. die Absolutheit ihrer Geltung wird negiert, ohne jedoch Prinzipien als solche abzulehnen. Dadurch soll ein Diskurs entstehen, welcher die Parteien dazu bringen soll, sich anderen Sichtweisen gegenüber zu öffnen und so den Konflikt zu entschärfen. 5. Schritt: Aufgrund dieser Basis kann im letzten Schritt eine Klärung subjektiver Ansprüche erfolgen. Dabei ist wichtig, dass diese Klärung aufgrund einer Bilanzierung sämtlicher Bilanzposten der Austauschbeziehung erfolgt, und zwar so, wie die Bilanzposten subjektiv bewertet werden. Einzig dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, ein als gerecht empfundenes Ergebnis zu generieren. Verfahrensgerechtigkeit? Es ist fraglich, ob in einem für die Beteiligten sehr autonomen Verfahren wie der Mediation die Verfahrensgerechtigkeit eine Rolle spielt. Nachdem Untersuchun-
4 gen aber gezeigt haben, dass die erlebte Verfahrensgerechtigkeit bedeutenden Einfluss auf die Akzeptanz des Ergebnisses hat, ist darauf hinzuweisen, dass der Mediator einen Respektvollen Umgang sämtlicher Involvierten Personen sicher zu stellen hat. Weiter ist dafür zu sorgen, dass sich diese zuhören und versuchen, Positionen der anderen Beteiligten zu verstehen. Für den Mediationsprozess an sich ist weiter wichtig, dass Emotionen nicht unterdrückt, sondern produktiv integriert werden. Teil 2: Produktiver Umgang mit Emotionen 1. Emotionen in der Mediation? Montada und Kals stellen die allgemeingängige Definition von Emotionen, wonach jene irrational und nicht steuerbar sind, in Frage. Sie definieren die Emotion anhand fünf Komponenten: - Erlebnisqualität - Kognition: hierbei handelt es sich um die subjektive Einschätzung einer Situation, an die bei der Emotionsanalyse angeknüpft werden muss. - Emotionsausdruck - Biosomatische Veränderungen - Handlungsdisposition Entgegen dem Sachlichkeitsprinzip, wonach Emotionen in der Mediation auszublenden sind, befürworten Montada und Kals deren Einbeziehung. Viele Emotionen können den Verlauf einer Mediation gefährden, wenn sie nicht bearbeitet werden. Bsp. Empörung Empörung ist eine Reaktion auf eine erfahrenen Anspruchs- und Normverletzung. Es gibt verschiedene Anlasssituationen (Ursache für die Empörung), so z.b. die Ungleichbehandlung von Kindern in der Familie oder das Einmischen in innere Angelegenheiten in der internationalen Politik. Die Gefahren der Nichtbearbeitung dieser Emotion besteht darin, dass die zu klärenden Fragen nicht mehr sachlich erörtert werden können. Bsp. Ängste Angst bedeutet, dass eine Person die Bedrohung eines wichtigen Anliegens wahrnimmt und nicht sicher ist, ob sie diese Bedrohung vermeiden kann. Als Anlasssituation kommt hier z.b. die Bedrohung des guten Rufs, des Vermögens oder von Beziehungen zu anderen Menschen in Frage. Die Nichtbearbeitung von Ängsten motiviert zu übermässiger Vorsicht, Vermeidung von Risiken, was eine produktive Mitarbeit hindert. Um diese Gefahren zu vermeiden, müssen Emotionen analysiert und bearbeitet, nicht aber ausgeblendet werden.
5 2. Emotionsanalyse- und Steuerung am Bsp. der Empörung Ziele der Emotionsanalyse sind das Verständnis der Emotion sowie die Minderung der Emotionsintensität. Diese Ziele werden mit Emotionsmodellen umgesetzt, die für jede Emotion erstellt werden können. 1. Schritt: Feststellung der Emotion Empörung Eine Person ist empört, wenn - sie eine Anspruchs- oder Normverletzung durch eine andere Person wahrgenommen hat, - sie sich dadurch betroffen fühlt, - sie die handelnde Person dafür verantwortlich sieht, - und wenn der Akteur für sein Handeln keine überzeugenden Rechtfertigungsgründe hat. 2. Schritt: Steuerung und Bearbeitung der Emotion Empörung Nach der Feststellung der Empörung wird nun jeder dieser vier subjektiven Erkenntnisse reflektiert und relativiert, so dass die Emotion gedämpft werden kann. - Reflektion der als verletzt wahrgenommenen Normen und Ansprüchen Diese müssen formuliert werden und es müssen Gründe für und gegen die Geltung einer Norm oder deren Alleingeltung ausgetauscht werden. Es führt im Ergebnis oft zu einer Relativierung der absoluten Geltung der Norm, da sich im Konfliktfall in der Regel mehrere Interessen entgegenstehen, die alle begründet werden können und Geltung erlangen. - Betroffenheit durch die wahrgenommene Normverletzung reflektieren Hier ist zu fragen, welche Probleme entstanden sind. Indem die angenommenen Probleme reflektiert und relativiert werden, erscheint der Schaden im Ergebnis oft geringer als erwartet. - Unterstellte Verantwortlichkeit reflektieren In der Mediation besteht die Möglichkeit der beschuldigten Partei, diese Verantwortlichkeit zu relativeren oder zu bestreiten. Auch sind die Parteien darauf hinzuweisen, dass ihre subjektiven Gewissheiten immer fehlerhaft sein können, und dass es deshalb angemessener ist, Hypothesen aufzustellen und Fragen zu stellen. - Fehlen akzeptabler Rechtfertigungsgründe Es geht um die Begründung des Handelns, welche die Schuld des Akteurs an den Handlungsfolgen mindert oder entfallen lässt. Damit die Empörung tatsächlich gedämpft wird, müssen die Rechtfertigungsgründe von der empörten Person geglaubt oder akzeptiert werden.
6 Wenn sich der Mediator an dieses Modell hält, muss er nicht aus Hilflosigkeit oder aus Angst vor einer Eskalation des Konflikts die Parteien zur Sachlichkeit ermahnen. Durch das Einbeziehen und Bearbeiten der Emotionen im Mediationsverfahren ist es möglich, Emotionen zu kommunizieren und somit die verschiedenen Sichten und Anliegen der Medianten zu verstehen. Zudem kann die Intensität der Emotionen gemindert werden, was dem Ziel der Emotionsanalyse entspricht. Kritische Würdigung Montada und Kals steht der grosse Verdienst zu, die Emotionen in der Mediation salonfähig gemacht zu haben. Doch sind die Emotionen wirklich der Königsweg der Mediation, der goldene Schlüssel, so wie es bisweilen bei der Lektüre des Buches den Eindruck macht? Emotionen sind sicher ein wesentlicher Bestandteil eines Konfliktes und sie geben uns diesbezüglich auch wichtige Informationen. Wie wir gesehen haben, resultieren Emotionen aus tiefen Überzeugungen, ja man könnte sagen, Emotionen sind lebendig gewordene Überzeugungen. Und Menschen haben nun mal die Tendenz, ihre Überzeugungen nicht einfach so aufzugeben, vor allem dann nicht, wenn sie von der Richtigkeit ihrer Überzeugung derart überzeugt sind, dass sie die ganze Kraft ihrer Emotion darin stecken. Der Dialog zwischen Bundesrat Merz und Finanzminister Steinbrück zeigte einen idealtypischen Verlauf, leider verläuft das in der Realität nie so. Auch lassen sich Emotionen nicht im Schema-Stil bearbeiten, auch wenn die im Buch aufgezeigten Schemata äusserst hilfreich sind, um Emotionen zu verstehen. Aber zur Bearbeitung von Emotionen taugen die Schemata nichts, die betroffenen Menschen werden sich schlichtweg nicht daran halten. Um Emotionen und deren Mitteilungsgehalt zu erarbeiten ist häufig psychotherapeutisches Wissen und Können notwendig. An Mediatorinnen und Mediatoren kann aber nicht die Anforderung gestellt werden, dass sie gleichzeitig psychotherapeutisch arbeiten. Und eben, wir haben es mit Menschen zu tun, und Menschen sagen nicht so schnell ach ja sie haben recht, nun sehe ich das ganz anders, sondern halten meistens recht hartnäckig an ihren Vorstellungen und damit an ihren Emotionen fest. Und so scheitern auch immer wieder Psychotherapeutinnen und -therapeuten am Faktor Mensch. Dennoch erschienen mir die Ausführungen der beiden Autoren für den Mediationsprozess ausserordentlich wichtig. Es ist wichtig für die Mediation, das eigene Menschenbild zu erweitern und die beschriebenen Dynamiken zu erkennen. Es ist aber nicht allen gegeben, sich derart intensiv mit Emotionen zu befassen, und dennoch können auch diese Menschen gute Mediatorinnen oder Mediatoren sein. Grundsätzlich ist es besser, Emotionen gar nicht statt schlecht zu bearbeiten. Zudem können Emotionen in sehr heftiger Art und Weise ausgedrückt werden. Dem will oder kann sich nicht jede oder jeder aussetzen. Jede Mediatorin, jeder Mediator hat ihre /
7 seine Stärken und Schwächen, die erkannt und respektiert werden müssen. Auch in der Mediation muss man sich selber bleiben! Wer mit emotionalen Auseinandersetzungen nichts anfangen kann, soll sich auch nicht dazu zwingen. Dies könnte sich für alle Beteiligten schädlich auswirken: für die Klientinnen und Klienten, weil sie sich mit ihren Emotionen nicht gut aufgehoben fühlen und für die Mediatorin bzw. den Mediator, weil er oder sie sich in der sich selbst auferlegten Rolle nicht wohl fühlt. Damit wird die Arbeit nicht überzeugend, was dem eigenen beruflichen Ansehen, vielleicht sogar der Mediation als Ganzes schaden kann. Aufgabenteilung, interdisziplinäres Zusammenarbeiten oder aber auch die Konzentration auf weniger emotionsgeladene Konflikte bringen hier mehr. Die Ablehnung von besonders emotionsbeladenen Mandaten ohne dabei die Mediation als Ganzes aufzugeben, kann also sinnvoll sein. Literatur MontadaLeo und KalsElisabeth: Mediation - Ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage, 2. Aufl.,Weinheim 2007 Montada Leo: Anmerkungen zu einigen Grundfragen der Mediation aus psychologischer Sicht, Zeitschrift für Konfliktmanagement 1 / 2009