EVANGELISCH-LUTHERISCHER KIRCHENKREIS WEIMAR

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Transkript:

EVANGELISCH-LUTHERISCHER KIRCHENKREIS WEIMAR Ewigkeitssonntag, 22. November 2015 in der Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche) Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche) über Psalm 23 Henrich Herbst Superintendent und Pfarrer an der Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche) Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen Liebe Gemeinde, Es war vor vier Jahren, als wir zum ersten Mal an das frische Grab unseres Freundes getreten sind. Wir haben geschwiegen. Wir waren zu dritt. Ich war froh, dass ich nicht allein war. Jeder suchte sich eine Aufgabe. Einer zupfte etwas Unkraut. Eine sorgte dafür, dass unser Blumenstrauß an der richtigen Stelle lag. Ich sagte: Das hätte ihm gefallen. Dass wir zusammen hier sind. Und dann begannen wir zu erzählen, über unsere gemeinsame Zeit, wie es war. Heute erinnern wir uns an Menschen, die uns auf unserem Weg vorausgegangen sind. Das ist oft schwer. Deswegen tun wir es gemeinsam. Die Bibel sagt: Keiner ist allein unterwegs. Gott ist mit auf dem Weg. Wie ein Hirte. Der Herr ist mein Hirte. Ich sehe: Der Weg öffnet sich. Es geht leicht. Mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Vieles ist gelungen. Meine Erinnerung verbindet sich mit meinem Dank für gute gemeinsame Zeit. Manchmal ging die Kraft aus. Da waren Durststrecken. Aber dann war es ein gutes Gefühl: Es war neue Kraft da, für Leib und Seele, für Körper und Geist. Stärkung. Da waren Zweifel. Bin ich auf rechter Straße, auf dem richtigen Weg? Brauche ich eine Kurskorrektur oder gar einen Richtungswechsel? Der Weg wurde auch eng, zu eng und finster, zu finster. Das hat viele Gesichter. Wenn der Sohn sagt: Meine Mutter ist schon lange für mich gestorben. Und der Ehemann: Ich bin krank, unheilbar krank. Ich werde sterben. Lasst mich nicht allein. Angst kann sein wie ein Dickicht in dem man stecken bleibt. Eine sagt: Im vergangenen Jahr ist mein Mann verstorben. Und sie fragt sich: Wie komme ich da durch? Eng und ganz finster fühlt es sich an, wenn wir an den schrecklichen Terror denken, dem so viele Unschuldige zum Opfer gefallen sind: In Paris, in Beirut, Bamako. Oft gelangen wir an die Grenzen des Helfens, aber wir brauchen Hilfe an der Grenze. Und wir können einander beistehen. Wir sind eins, hieß es zum Glück nach den Anschlägen von Paris. Damit wir unseren Blick weit machen Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal. Fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Wir haben es eben gehört: Trost ist möglich: im Krankenhaus, im Hospiz, wenn wir einander sehen in unserer Not. Hilfe ist möglich wie auf unserem Bild. Es wurde für ein totes Kind des Weimarer Herzogpaares gemacht. Ein Engel und ein Kind unterwegs. Scheinbar wie an einer Grenze

nimmt der Engel ein kleines Kind bei der Hand. Er legt ihm seinen Mantel um. Mantel heißt in der lateinischen Sprache pallium. Nun sind beide geschützt. Keiner ist allein. Ob es den Eltern geholfen hat? Ob Luise und Carl August die Eltern beides gespürt haben: die große Traurigkeit und eine tiefe Geborgenheit? Unser Bild zeigt: Einer hält die Hand, die ich loslassen muss. Einer hat einen schützenden Mantel, wenn ich nicht mehr kann. Einer legt den schützenden Mantel, das pallium, um. Wenn es wenig Chance auf Heilung gibt, muss es doch eine große Bereitschaft zur Hilfe geben. Es ist wichtig, dass der Bundestag gerade mehr Geld für Palliativmedizin zur Verfügung stellte. Palliativmedizin kann an der Grenze helfen. Palliativ da steckt wieder das Wort pallium -Mantel drinnen. Genau übersetzt könnte man sagen: Schutzmantelmedizin, Medizin an der Grenze. Menschen an der Grenze brauchen Schutz und Unterstützung. Hier sieht es aus, als führt der Engel das Kind geborgen über die Grenze auf eine andere Seite. Über die Zeiten hinweg hören wir die Worte aus dem Johannesevangelium: Christus spricht: Ich gehe hin, unter die Himmel, und sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt dort, ein Zuhause. Heute am Totensonntag reden wir über menschliches Sterben, über Abschied und Tod. Aber heute werden wir nicht nur zurückschauen auf den Weg. Wir weiten den Blick nach vorn Ewigkeitssonntag. Also lesen wir weiter in unserem Psalm und schreiten über die Grenze in ein neues Land ein Heimatland. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst meine trockene Haut mit Öl und wenn ich durstig bin schenkst du mir voll ein. Komm Wir setzen uns an den Tisch der Sehnsucht, der nie leer wird. So erklärt ein Dichter dieses Heimatland, wo die Angst schwindet. Rilke schreibt: Wenn etwas uns fortgenommen wird, womit wir tief und wunderbar zusammenhängen, so ist viel von uns selber mit fortgenommen. Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz. Gott will, dass wir uns wieder finden. Wo? Wo ist diese andere Heimat, dieses Zuhause? Ich komme auch heute, nach fast zwei Jahren gern ins Hospiz. Höre ich: Es gehört nun zu unserem Leben, wie zum Beispiel der Kindergarten oder die Schule der Kinder. Die Zeit mit dem Hospiz hat mir persönlich die Angst vor dem Sterben genommen. Wir haben ja gehört: Es muss kein Haus sein. Es gibt ein Hospiz im Herzen, nicht in Mauern! Gesucht und gebraucht wird eine Haltung, die die sterbenden Menschen und ihre Angehörigen gleichermaßen anspricht. Ihnen Raum, Selbstverständlichkeit und Schutz anbietet. Und dann berichtet die Pastorin: Ich konnte sie wenige Stunden vor ihrem Tod ein letztes Mal im Krankenhaus besuchen. Es war der Ostermorgen. So las ich ihr das Osterevangelium vor. Zum Schluss heißt es da: Fürchtet euch nicht. Gott aber will, dass wir uns wieder finden? Wiederfinden? Unser Psalm spricht davon, dass Gutes und Barmherzigkeit doch kein Ende haben und wir bleiben können im Hause des Herrn. 2 von 5

Jesus sagt: Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt dort, ein Zuhause. Ich denke gern an meinen Freund. Ich vermisse ihn auch. Ich denke an gemeinsame Zeit. Sie war zu kurz. Stimmt das? Gott aber will, dass wir uns wieder finden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz. Ja, ich will Jesu Wort vertrauen: Ich sorge dafür, dass ihr eine Heimat habt, dort, ein Zuhause. Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn Psalm 23 Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar. Babet Lehmann, Klinikseelsorgerin: Auch im Krankenhaus gibt es viel Einsamkeit. Und manches Leben geht einsam zu Ende. Vielleicht, weil es da niemanden mehr gibt. Vielleicht, weil alle Kontakte abgebrochen sind. Und auch, weil es nicht gelungen ist, dass Beziehungen geklärt, Streit beendet werden konnten. Ich erinnere mich an eine sterbenskranke Frau, zu der ich als Seelsorgerin gebeten wurde. Ganz verloren saß sie im Bett und schaute auf die leere Wand gegenüber. Leer war auch der 3 von 5

Nachttisch, ein Hinweis darauf, dass es außer mir keine Besucher gab. Sie hatte nicht nur ihre Gesundheit verloren, sondern auch ihren Sohn. Seit rund 20 Jahren kamen Briefe zurück, wurde sie bei Anrufversuchen weg gedrückt. Eigentlich konnte die Frau nicht leben und nicht sterben in dieser Situation. Ich bot ich ihr an, den verlorenen Sohn ausfindig zu machen. Meine Mutter ist schon lange für mich gestorben! sagte er mir am Telefon. Und eigentlich wollte er gleich wieder auflegen. Und doch hat er sie angerufen, am nächsten Morgen kurz bevor sie in den OP musste. Ihr hat Gott noch ein Jahr geschenkt, womit keiner der Mediziner gerechnet hatte. In diesem Jahr haben Mutter und Sohn sich oft getroffen und geredet. Sie haben gestritten und geweint. Sie haben sich erzählt, was war in all der Zeit der Trennung und sie haben darüber nachgedacht, wie ein würdevolles Leben für sie Zuhause möglich sein kann und was nach ihrem Tod sein soll. Ich konnte sie wenige Stunden vor ihrem Tod ein letztes Mal im Krankenhaus besuchen. Es war der Ostermorgen. Ich las ihr das Osterevangelium vor in der Hoffnung, dass sie es noch hören würde. Fürchtet euch nicht. heißt es da zum Schluss. Ilka Jope: Niemand soll Allein sein! Dabei hat das Gefühl des Alleinseins viele Gesichter. Gerade angesichts des eigenen Sterbens oder beim Verlust eines geliebten Menschen. Ich erinnere mich an die Fragen Sterbender bei uns im Hospiz: Darf ich hier bleiben bis zuletzt? Siehst Du mich in meinen Bedürfnissen? Bleibst Du bei mir? Und dann sind da auch Fragen nach dem Sinn, nach der Bedeutung des eigenen Lebens. Hier sind wir direkt angefragt und haben die Gelegenheit zu einer besonderen Nähe und Teilhabe - indem wir bleiben. Indem wir nicht ausweichen, nicht weggehen, indem wir da bleiben. Wir können den sterbenden Menschen auf direkte Weise fragen: Was brauchst Du? Was hilft Dir? Das kann beiden gut tun, dem Sterbenden und dem Helfenden. Dies alles kann überall geschehen, zu Hause, im Krankenhaus, in Pflegeeinrichtungen. Überall wo Menschen sterben kann mit Haltung und Verbindlichkeit dieses Sterben begleitet werden. Es muss kein Haus sein. Hospiz im Herzen, nicht in Mauern! Gesucht und gebraucht wird eine Haltung die die sterbenden Menschen und ihre Angehörigen gleichermaßen anspricht. Ihnen Raum, Selbstverständlichkeit und Schutz anbietet. Steffi Hammer: Im vergangenen Jahr ist mein Mann im Hospiz in Bad Berka verstorben. Für mich war es wichtig, dass er die letzten Wochen seines Lebens dort liebevoll betreut in Würde, bis zuletzt 4 von 5

auch voller Hoffnung verbringen durfte. Und dass wir alle dabei sein konnten. Kinder, Enkel, Geschwister, seine fast 90 Jahre alte Mutter, Freunde. Wir alle fühlten uns die ganze Zeit, aber vor allem am Tag seines Todes behütet und angenommen im Hospiz. Obwohl es ja eigentlich "nur" ein Haus zum Sterben sein soll. Die Mitarbeiterinnen haben uns geholfen, diese schwerste Zeit unseres Lebens zu meistern. Wohltuend, wie behutsam und einfühlsam sie das taten. Und auch in der Zeit der Trauer waren wir nicht allein. So erinnern sie zweimal im Jahr mit Gottesdiensten an die Verstorbenen des letzten halben Jahres. Dabei werden alle Namen genannt. Dazu sind die die Angehörigen eingeladen, auch um hinterher bei sehr leckerem selbstgebackenem Kuchen gemütlich beisammen zu sein. Zum 10jährigen Jubiläum des Hospizes haben sie über 1000 Papiervögel gefaltet, für jeden Verstorbenen einen. Ich komme auch heute, nach fast zwei Jahren gern ins Hospiz. Es gehört nun zu unserem Leben wie zum Beispiel der Kindergarten oder Schule der Kinder. Die Zeit mit dem Hospiz hat mir persönlich die Angst vor dem Sterben genommen. Ich kann mir sicher sein, dass dort die Lebensleistung gewürdigt wird, und zwar völlig unvoreingenommen, mit ganz großen Herzen. Das ist etwas ganz Besonderes. Danke dafür. 5 von 5