Heil- und Sonderpädagogik



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Transkript:

Dr. Fred Bernitzke Heil- und Sonderpädagogik Arbeitsheft 1. Auflage Bestellnummer 15421

Haben Sie Anregungen oder Kritikpunkte zu diesem Produkt? Dann senden Sie eine E-Mail an 15421_001@bv-1.de Autor und Verlag freuen sich auf Ihre Rückmeldung. Bildquellenverzeichnis picture-alliance/dpa-bildarchiv: S. 56 ullstein bild, Berlin/impact: S. 116 www.bildungsverlag1.de Bildungsverlag EINS GmbH Hansestraße 115, 51149 Köln ISBN 978-3-427-15421-1 Copyright 2011: Bildungsverlag EINS GmbH, Köln Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

3 Vorwort Dieses Arbeitsheft wendet sich an Schülerinnen und Schüler, die eine Ausbildung zur Erzieherin. Heilerziehungspflegerin oder Heilpädagogin absolvieren. Das Lehrbuch Heil- und Sonderpädagogik vermittelt einen systematischen Überblick über die sonderpädagogischen Grundlagen, setzt sich mit der Lebenswelt beeinträchtigter Menschen auseinander und stellt die unterschiedlichen Beeinträchtigungsformen dar. Im Rahmen eines Lehrbuchs kann ein umfassender Überblick über die unterschiedlichen Aufgabenfelder, Beeinträchtigungsformen und Entwicklungen gegeben werden. Das vorliegende Arbeitsbuch greift einige Aspekte auf und ermöglicht, sich anhand der ausgewählten Texte tiefer, kritischer oder vielseitiger mit heil- und sonderpädagogischen Fragestellungen auseinander zu setzen. Martin Zöller, ein autistischer Junge, schreibt über Menschen mit Beeinträchtigungen: Wir möchten, dass man nicht nur Bücher über uns schreibt, sondern uns anhört. Im vorliegenden Arbeitsbuch kommen zahlreiche Betroffene zu Wort, die ihre Situation offen darstellen und den Nicht-Behinderten helfen, Emotionen, Gedanken und Verhalten beeinträchtigter Menschen besser zu verstehen. Das Arbeitsbuch orientiert sich an der Struktur des Lehrbuchs, sodass eine schnelle Zuordnung der Texte zum Lehrbuch gegeben ist. Folgende Intentionen verfolgt das Arbeitsbuch: u Vertiefung ausgewählter Bereiche, die im Lehrbuch Heil- und Sonderpädagogik im Überblick dargestellt werden u u Auseinandersetzung mit Originalquellen Perspektivenwechsel (z. B. Sicht von beeinträchtigten Menschen, Eltern) u Auseinandersetzung mit kritischen Positionen zu Vorgehensweisen in der Heil- und Sonderpädagogik. Zu jedem Text werden Aufgaben formuliert, die zur gezielten Auseinandersetzung mit der angesprochenen Thematik dienen. Weitere Aufgabenstellungen können ergänzend formuliert werden.

4 Inhaltsverzeichnis Vorwort.................................................................. 3 1 Grundlagen......................................................... 7 1.1 Grundbegriffe........................................................ 7 1.1.1 Von der Integration zur Inklusion (Fred Bernitzke)............................. 7 1.1.2 Inklusion beim Wohnen (Karin Baumgärtner)................................ 9 1.1.3 Selbstbestimmung Grundsatz der Autonomie (Dietrich Niethammer)............ 14 1.1.4 Faustregeln im Umgang mit beeinträchtigten Menschen (Erik Bosch).............. 16 1.1.5 Kritische Selbstreflexion der Helfenden (Erik Bosch)............................ 18 1.1.6 Wege einer förderungsorientierten Diagnostik (Dietrich Eggert).................. 24 1.2 Ethische und rechtliche Gesichtspunkte.................................... 27 1.2.1 UN-Behindertenrechtskonvention......................................... 27 1.2.2 Ethische Grundaussagen zum Lebensrecht behinderter Menschen (Fachverbände der Behindertenhilfe)...................................... 44 1.2.3 Diskriminierung behinderter Frauen (Birgit Schopmans)........................ 46 1.2.4 Sterilisation (NS-Gesetz und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland)............. 52 2 Lebenswelten beeinträchtigter Menschen................................. 56 2.1 Lebenswelt Familie.................................................... 56 2.1.1 Mama, warum bist du blind (Birgit Schopmans)............................ 56 2.1.2 Elternschaft und Behinderung: Tabu, Barrieren, Unterstützungsmodelle (Gisela Hermes)...................................................... 59 2.1.3 Eltern und Selbstbestimmung (Ulrich Hähner)................................ 67 2.1.4 Problematik von Elternvereinigungen (Ernst Klee)............................. 78 2.2 Lebenswelt Institution.................................................. 81 2.2.1 Strukturelle Gewalt gegenüber behinderten Menschen (Ernst Klee)................ 81 2.2.2 Mobile Assistenz für ein selbstbestimmtes Leben! Nur eine Hilfe, die kommt, ermöglicht Individualität (Rudi Sack)....................................... 83 2.2.3 Am Freitag ist Putztag! Heimordnungen als Spiegel des Menschenbilds (Ulrich Niehoff)....................................................... 91 2.3 Lebenswelt Medien.................................................... 105 2.3.1 Menschen mit Behinderung im Fernsehen (Ingo Bosse)........................ 105 2.3.2 Behinderte Menschen in der Kinder- und Jugendliteratur (Fred Bernitzke).......... 110 3 Sonderpädagogische Aufgabenfelder.................................... 113 3.1 Körperliche und Wahrnehmungsbeeinträchtigungen.......................... 113 3.1.1 Alison Lapper: So schön wie die Venus von Milo (Gisela Hermes)................ 113 3.1.2 Ich spreche mit den Augen (Kathrin Lemler)................................. 117 3.1.3 Ich bin glücklich tschuldigung! (Dorothee Kienle)........................... 121 3.1.4 Gedanken von Gehörlosen zur Gebärdensprache (Winfried Palmowski & Matthias Heuwinkel)................................. 124 3.2 Kognitive Beeinträchtigungen............................................ 128 3.2.1 Werde ich dich lieben können? Leben mit einem Down-Kind (Rosi Mittermeier).... 128 3.2.2 Das ist Ablehnung, Abstoßung, Ausnutzung? Berufliche Integration lernbeeinträchtigter Menschen (Dagmar Orthmann).......................... 135 3.3 Emotionale, soziale und kommunikative Beeinträchtigungen.................... 139 3.3.1 Alptraum eines Stotterers (Gerhard Klein)................................... 139 3.3.2 Lebensbeschreibung eines autistischen Jungen (Dietmar Zöller).................. 140

Inhaltsverzeichnis 5 3.3.3 Eine Tourette -Autobiographie (Ira Werner)................................. 144 3.3.4 Selbstverletzungen (Günter Niklewski & Rose Riecke-Niklewski).................. 147 3.3.5 Borderline-Störung Protokoll einer Selbstfindung (Berit Anders)................ 150 3.3.6 Celina Bericht nach einer Bulimie-Therapie (Monika Gerlinghoff)................ 157 3.3.7 Anne magersüchtig (Renate Feistner).................................... 158 3.3.8 Selbstmordprävention (Lawrence L. Kerns).................................. 159 Literaturverzeichnis........................................................... 163 Stichwortverzeichnis.......................................................... 170

7 1 Grundlagen 1.1 Grundbegriffe 1.1.1 Von der Integration zur Inklusion (Fred Bernitzke) In der Politik und der öffentlichen Diskussion wird der Integrationsbegriff in der Regel mit der gesellschaftlichen Eingliederung von Menschen mit Migrationshintergrund verwendet. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung ist für Migranten und Flüchtlinge zuständig, deren Belange berücksichtigt werden sollen. Um sich von diesem breiten Integrationsbegriff abzugrenzen, führt Hinz den Begriff Inklusion ein, mit dem Maßnahmen, die Menschen mit Beeinträchtigungen betreffen, bezeichnet werden. Die Inklusion kennzeichnet das Einbezogensein des beeinträchtigten Menschen als vollwertiges Mitglied in die Gemeinschaft von Anfang an. Es werden keine Anforderungen (z. B. Mindestfähigkeiten) gestellt, um die Zugehörigkeit zu erlangen. Jedes Kind ist gleichberechtigtes Kind in einer heterogenen Gruppe und hat das Recht auf Inklusion. Eine Etikettierung z. B. durch die administrative Zuordnung zu einer Förderschule und die damit einher gehende Diskriminierung entfällt. Inzwischen ist eine uneinheitliche Begriffsverwendung zu beobachten. Die Begriffe Integration und Inklusion werden recht unterschiedlich verwendet: Zum einen werden Integration und Inklusion synonym gesehen und zum anderen werden sie als Gegensatzpaare verstanden. Zur näheren Bestimmung des Inklusionsbegriffs soll eine historische Einordnung und begriffliche Abgrenzung dienen. Die geschichtliche Entwicklung des Umgangs mit beeinträchtigten Menschen lässt sich in vier Phasen unterteilen: vor 1960 1960 1980 1970 1990 seit 1990 Exklusion Segregation Integration Inklusion Ausgrenzung der Menschen mit Beeinträchtigungen Entwicklung von behinderungsspezifischen Angeboten mit homogenen Gruppen; Entwicklungsverlauf: Sonderkindergarten Sonderschule Werkstatt für Menschen mit Behinderung Wohnheim Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Lern- und Lebensorten; Berücksichtigung der Selbstbestimmung der Betroffenen und Teilhabe am Leben (Empowerment-Konzept) Umfassende Einbindung des beeinträchtigten Menschen in allen Bereichen (z. B. Gemeinwesen, Vereine, Schulen, Sport, Kultur); Jeder wird als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft gesehen Entwicklung von der Exklusion zur Inklusion Integration beinhaltet die Eingliederung von Menschen, die zunächst ausgegrenzt sind. Ihnen wird die Teilhabe am normalen Leben zugestanden und ermöglicht. Häufig umfasst die Integration ein räumliches Bei- und Nebeneinander und weniger ein Miteinander und Eingebundensein, wie Hinz herausstellt. Abhängig vom Umfang der Beeinträchtigung wird die Möglichkeit zur Integration eingerichtet. Bei einer geringen Beeinträchtigung wird in der Schule beispielsweise die Teilnahme am allgemeinen Unterricht mit einer ergänzenden Förderung zugelassen; ist die Beeinträchtigung stärker, wird die Beschulung in einer Sonderklasse an einer allgemeinen Schule ermöglicht; bei einer schweren Beeinträchtigung erfolgt eine Zuweisung in eine Förderschule, die zu einer Restschule nicht integrierbarer Schüler verkümmert. Die Inklusion dagegen geht davon aus, dass jeder, auch der beeinträchtigte Mensch, von vornherein dazugehört und ein Recht auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe hat und nicht erst eingegliedert werden muss. Eine selektive Integration, die abhängig vom Grad der Beeinträchtigung ist, widerspricht dem Inklusionsansatz. Die Vielfalt und Heterogenität an Kompetenzen, Fähigkeiten

8 1 Grundlagen wird positiv bewertet und nicht nach Stärken und Schwächen, Potenzialen und Defiziten be- und abgewertet. Ausgehend von einer Einstellungsänderung ergeben sich Konsequenzen für das Zusammenleben und die Angebots- und für Organisationsformen in der Gesellschaft. So werden beispielsweise Schüler mit und ohne Beeinträchtigung nicht zwei Gruppen zugeordnet, sondern es wird von einer untrennbaren heterogenen Lerngruppe (Hinz 2002) ausgegangen. Die Heterogenität von Lerngruppen bezieht sich nicht nur auf die Behinderung, sondern hat viele Dimensionen (z. B. Geschlechterrolle, religiöses Verständnis, soziale Milieus, ethnische Hintergründe). Unterschiede zwischen den Gruppenmitgliedern bezeichnen graduelle Unterschiede und begründen einen unterschiedlichen Förderbedarf. Die nachfolgende Gegenüberstellung vergleicht überspitzt die unterschiedlichen Sichtweisen bezogen auf den schulischen Bereich: Integration Eingliederung ausgewählter Kinder in die allgemeine Schule differenziertes behinderungsspezifisches Beschulungssystem Differenzierung in behindert nicht behindert Inklusion Leben und Lernen aller Kinder gemeinsam in der allgemeinen Schule gemeinsame Beschulung in einer Schulform Bildung einer heterogenen Gruppe mit zahlreichen Minder- und Mehrheiten individuumzentrierter Ansatz systemischer Ansatz 1 Fixierung auf die institutionelle Ebene Ressourcen für Kinder mit Etikettierung spezielle Förderung behinderter Kinder individuelle Curricula 2 und Förderpläne für behinderte Kinder sonderpädagogische Unterstützung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf Ausweitung der Sonderpädagogik in die allgemeine Schulpädagogik Beachtung der emotionalen, sozialen und unterrichtlichen Ebenen Ressourcen für Systeme (z. B. Schule) gemeinsames und individuelles Lernangebot für alle Kinder ein individualisiertes Curriculum für alle Kinder mit gemeinsamer Planung und Reflexion aller Beteiligten Sonderpädagogen als Unterstützung für Klassenlehrer, Klassen und Schulen Synthese von (veränderter) Schul- und Sonderpädagogik Praxis der Integration und Inklusion im schulischen Bereich (vgl. Hinz, Von der Integration zur Inklusion terminologisches Spiel oder konzeptuelle Weiterentwicklung?, 2002, S. 359) Die Verwirklichung der Inklusion führt auch zu Veränderungen in den Betreuungs-, Hilfe- und Unterstützungssystemen für Menschen mit Behinderung. Einen Überblick über die verschiedenen Phasen, die in den USA zu beobachten sind, gibt die folgende Übersicht: Schwerpunkt Institution De-Institutionalisierung Leben mit Unterstützung Person Patient/in Klient/in Mitbürger/in Erbringung von Dienstleistungen in der Institution in Wohngruppen, Werkstätten für Behinderte, Förderschulen in üblichen Wohnungen, Betrieben, Schulen und Klassen alltagstheoretische Basis der Arbeit pflegerisches/medizinisches Modell entwicklungspsychologisches/verhaltenstherapeutisches Modell Modell individueller Unterstützung Form der Dienstleistung Pflege/Betreuung Förderung Assistenz 1 systemischer Ansatz = Berücksichtigung der sozialen Bezüge, die sich gegenseitig beeinflussen 2 Curriculum = Lehrplan mit einer Auflistung der Unterrichtsinhalte

1.1 Grundbegriffe 9 Schwerpunkt Institution De-Institutionalisierung Leben mit Unterstützung Person Patient/in Klient/in Mitbürger/in Planungsmodelle Betreuungs- und Versorgungspläne individuelle Erziehungs-/ Förder-/Qualifizierungspläne gemeinsame persönliche Zukunftsplanung Kontrolle durch (medizinisch/pflegerische) Fachkraft interdisziplinäres Team Betroffene selbst Entscheidungs-grundlage Stand von fachlicher Theorie und Praxis Teamübereinkunft persönlicher Unterstützerkreis Schwerpunktsetzung Grundbedürfnisse Tüchtigkeit Selbstbestimmung Problemdefinition Behinderung, Schädigung, Defizit Abhängigkeit, Unselbstständigkeit Umwelthindernisse für Verwirklichung der Teilhabe Problemlösung Behandlung, Therapie Förderung in der am wenigsten einschränkenden Umwelt Neugestaltung der Umwelt als inklusive Gesellschaft (Hinz, Inklusion und Arbeit wie kann das gehen?, 2006, S. 3 12) Die persönliche Zukunftsplanung für beeinträchtigte Menschen geht von den individuellen Wünschen und Interessen der Betroffenen aus. Sie gestalten aktiv als partizipierende Hauptperson den Planungsprozess mit. Das soziale Umfeld wird mit Hilfe des Unterstützerkreises (systemischer Aspekt und Gemeinwesenorientierung) in die Planung einbezogen. Literaturhinweise Hinz, Andreas: Von der Integration zur Inklusion terminologisches Spiel oder konzeptuelle Weiterentwicklung?, in: Zeitschrift für Heilpädagogik 53 (2002), S. 354 361 Hinz, Andreas: Inklusion und Arbeit wie kann das gehen?, in: Impulse 2006 Nr. 39, S. 3 12 Aufgaben 1. Erläutern Sie die Auswirkungen der Inklusion auf das Arbeitsfeld Kindertagesstätte. Welche Änderungen ergeben sich für die Einrichtung im Hinblick auf die Struktur (z. B. Zusammensetzung des Teams), die Arbeitsweise und die Konzeption? 2. Sie führen in einer sozialpädagogischen Einrichtung einen Elternabend zum Thema Inklusion durch. 2.1 Strukturieren Sie den Ablauf der Veranstaltung unter Beachtung inhaltlicher, methodischer und zeitlicher Gesichtspunkte. 2.2 Formulieren Sie ein Einladungsschreiben an die Eltern und entwerfen Sie ein Plakat für den Elternabend. 1.1.2 Inklusion beim Wohnen (Karin Baumgärtner) Begriffsbestimmung und Themeneingrenzung Inklusion beim Wohnen behinderter Menschen meint aus meiner Sicht: Das Wohnen in einer eigenen Wohnung oder kleineren Wohngemeinschaft inklusive der selbst bestimmten Teilhabe am Leben in einer barrierefreien Gesellschaft, die Menschen mit Behinderungen als gleichberechtigte und vollwertige Menschen in ihrer Individualität anerkennt.

14 1 Grundlagen chen in sozialen Einrichtungen in ihrer Kindheit und Jugend integrative Erfahrungen gemacht haben. Viele hatten in Kindergarten und Schule Kontakte zu behinderten Menschen, etliche über die leider massiv rückläufige Jugendarbeit. Einige beschreiben, dass sie behinderte Menschen in der Nachbarschaft oder behinderte Geschwister haben. Zunehmend wird berichtet, dass diese Menschen sich bei der Pflege ihrer Großeltern engagiert haben und darüber eine sinnerfüllte Zufriedenheit erlebt haben. Vielleicht verändert sich dadurch, dass Menschen zunehmend mit pflegebedürftigen und dementen Menschen zu tun haben, auch das Verständnis gegenüber Menschen mit Lernschwierigkeiten und mehrfach behinderten Menschen. Dann werden gemeindenah wohnende Menschen mit stärkeren Behinderungen von ihren Mitmenschen hoffentlich immer größere Offenheit, Interesse, Toleranz und Wohlwollen und tatsächlich Inklusion erleben. (Baumgärtner, Inklusion beim Wohnen, 2010, S. 135 140) Aufgaben 1. Inklusion soll Menschen mit Behinderung eine vollständige Teilhabe am Leben in einer barrierelosen Gesellschaft sicherstellen. 1.1 Erläutern Sie die Barrieren, auf die beeinträchtigte Menschen im Wohnbereich stoßen. 1.2 Verdeutlichen Sie Möglichkeiten, wie eine Barrierefreiheit zu verwirklichen ist. Zeigen Sie Stolpersteine auf, die bei der Umsetzung ihrer Vorschläge zu beachten sind. 2. Zeigen Sie Bedenken und Widerstände auf, die Betroffene und Angehörige gegenüber einer selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Lebensführung des Menschen mit Behinderung außerhalb einer geregelten Heimbetreuung haben. 3. Verdeutlichen Sie die Aufgaben und die Bedeutung von Assistenten zur Verwirklichung der Inklusion im Wohnbereich. 1.1.3 Selbstbestimmung Grundsatz der Autonomie (Dietrich Niethammer) In dem Buch Das sprachlose Kind beschreibt Prof. Dr. Dietrich Niethammer, der an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Tübingen lehrte, die Problematik des ehrlichen Umgangs mit schwer kranken und sterbenden Kindern und Jugendlichen. Dabei geht er auf die Frage ein, inwieweit Kinder und Jugendliche über die medizinische Behandlung autonom entscheiden sollen: Aber wir sollten wissen, was ein Kind denkt und will, auch wenn das gelegentlich im Widerspruch zu den Wünschen der Eltern stehen kann. Und wir auch nicht die Eltern haben kein Recht dazu, ihnen ihre Autonomie zu nehmen. Die Versuchung ist groß wir wissen doch viel mehr und meinen es nur gut mit unseren Patienten. Und als Ärzte haben wir im Gegensatz zu unseren Patienten mehr Erfahrung. An der Geschichte eines Patienten soll dargestellt werden, welche Auswirkungen es haben kann, wenn man diesen Grundsatz der Autonomie vernachlässigt. Erfahrungsbericht Bernd war ein 13-jähriger Junge mit einer akuten lymphoblastischen Leukämie 1. Nach der anfänglich erfolgreichen Behandlung erlitt er einen Rückfall. Die Knochenmarktransplantation war für ihn die einzige Überlebenschance. Er hatte einen älteren Bruder, der sich als Spender eignete und 1 lymphoblastischen Leukämie = Erkrankung des blutbildenden Systems ( Blutkrebs )

1.1 Grundbegriffe 15 auch bereit dazu war. Seine Eltern stimmten einem solchen Vorgehen sofort zu, nachdem ich sie ausführlich informiert hatte. Daraufhin beschlossen wir, dass ich ein Gespräch mit dem Jungen führen sollte, um ihm die Situation zu erklären. Wir hatten keinen Zweifel daran, dass er froh sein würde, dass es diese Möglichkeit für ihn gab. Der Rückfall war ein großer Schock für ihn gewesen, weil er sich fast geheilt geglaubt hatte. Ich ging also zu ihm und klärte ihn ausführlich über die Situation auf. Bernd hörte aufmerksam zu. Er stellte kaum Fragen, aber es war offensichtlich, dass er alles sehr gut verstand. Ich wollte schon fast das Gespräch mit den Worten beenden, dass wir das nun also so machen würden, wie ich es geschildert hatte, als er plötzlich sagte: Ich will nicht. Das können Sie auch meinen Eltern sagen. Ich muss gestehen, dass ich geschockt war von dieser unerwarteten Aussage. Ich konnte nicht begreifen, wie er zu diesem Entschluss gekommen war. Ich hatte alles gut erklärt und die Sachlage war nach dem Stand des Wissens eindeutig: Ohne Transplantation würde er sterben. Ich hatte genügend Erfahrung mit diesem Therapieverfahren und wusste daher, was ich ihm vorschlug. Ich hatte doch schon eine größere Zahl von Kindern und Jugendlichen erfolgreich transplantiert. Und jetzt sagte dieser Junge einfach, dass er nicht gerettet werden wollte. Ich weiß heute, dass ich damals fast beleidigt war. Ich meinte es doch nur gut und alle Statistiken dieser Welt gaben mir Recht. Auf meine gezielten Fragen hin schüttelte er immer nur den Kopf und beantwortete sie nicht. Schließlich wiederholte er noch einmal seine ablehnende Haltung, ohne aber eine Begründung dafür anzugeben, und machte mir deutlich, dass für ihn das Gespräch beendet war. Ich ging und war böse auf ihn, weil er mir nicht glauben wollte. Und ich war böse auf mich, weil ich ihn nicht von der Richtigkeit meiner Absichten überzeugen konnte, und auf die Situation, in der ich mich befand. Schließlich musste ich jetzt zu den Eltern gehen, um ihnen von meinem Misserfolg zu berichten. Die Eltern waren entsetzt, wollten sie doch, dass man alles Menschenmögliche zur Rettung ihres Kindes tat. Wir beschlossen gemeinsam, uns nicht mit seinem negativen Bescheid abzufinden. Und in der Folge bemühten wir uns, gemeinsam und getrennt, den Jungen von seiner falschen Entscheidung abzubringen, was uns schließlich auch gelang. Er stimmte der Transplantation zu. Sie verlief zunächst erfreulich, was mich innerlich schon fast triumphieren ließ. Doch dann trat eine chronische Abstoßungsreaktion auf, die gefürchtete immunologische Komplikation 1 einer Knochenmarktransplantation, die sich trotz aller Therapieversuche stetig verschlimmerte. Schließlich starb der Junge, nachdem er noch sehr gelitten hatte. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Hatte er das geahnt und war er deswegen gegen die Transplantation? Möglich ist so etwas wahrscheinlich schon. Woher die Gründe für eine solche Ahnung kommen, vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß aber heute, dass er um seine Autonomie gekämpft und gegen uns verloren hatte. Er hatte wohl auch letztendlich nur seinen Eltern zuliebe zugestimmt, weil er begriff, wie sehr sie litten. Vielleicht wollte er mir auch einen Gefallen tun, da ich ihn ja bis dahin gut behandelt hatte. Ich hatte medizinisch und rechtlich gesehen alles richtig gemacht. Aber ich hatte eindeutig als Mensch versagt. Für die Zukunft nahm ich mir vor, dass ich weiter versuchen würde, meine Patienten von der Notwenigkeit einer Therapie zu überzeugen. Ich hoffte jedoch, dass es mir niemals wieder passieren sollte, einen Patienten zu einer Therapie zu überreden. Ich habe nicht von dieser Geschichte berichtet, um mein ärztliches Fehlverhalten darzustellen (wobei es auch wichtig ist, diese Tatsache zu erkennen), sondern um damit deutlich zu machen, dass die autonome Entscheidung eines Patienten auch eines Kindes immer nur dann möglich ist, wenn eine ausführliche und ehrliche Aufklärung stattfindet. Das wird bei erwachsenen Patienten inzwischen auch weitgehend akzeptiert, gilt aber nach der Meinung vieler Ärzte nicht für Kinder und Jugendliche. Eltern haben das Recht, von uns zu verlangen, dass wir alles in unserer Macht stehende versuchen, um ihr Kind zu heilen. Die Angst vor dem Verlust ist grenzenlos, und sie hoffen oft wider besse- 1 immunologische Komplikation = Unverträglichkeitsreaktion (eigenes Immunsystem wehrt sich gegen Fremdstoffe im Spenderblut)

16 1 Grundlagen res Wissen, dass dieser nicht eintritt. So ist es nachvollziehbar, dass es ihnen häufig sehr schwer fällt, der Einstellung der Therapieversuche zuzustimmen, auch wenn sich längst herausgestellt hat, dass es keine sinnvollen Therapieoptionen mehr gibt. Das ist das Dilemma, in das viele Eltern geraten: Sinnloses Leiden wollen sie ihrem Kind genauso wenig zumuten wie den frühen Tod. Ohne Hilfe sehen sie in einer derartigen Situation oft keinen Ausweg. (Niethammer, Das sprachlose Kind, 2008, S. 50 52) Aufgaben 1. Stellen Sie die Absichten des behandelnden Arztes dar. 2. Bewerten Sie sein Vorgehen kritisch 3. Entwickeln und bewerten Sie alternative Vorgehensweisen. 4. Zeigen Sie das Dilemma der Eltern (sinnloses Leiden und früher Tod) auf. 1.1.4 Faustregeln im Umgang mit beeinträchtigten Menschen (Erik Bosch) Faustregeln im Umgang mit behinderten Menschen formuliert Erik Bosch, der sich in seinem Buch Wir wollen nur euer Bestes mit der Situation geistig beeinträchtigter Menschen auseinandersetzt. Einleitung An meinem ersten Arbeitstag in der Stiftung, bei der ich jetzt tätig bin, sagte ich ziemlich begeistert: Das ist eine interessante Theorie. Ja, aber die Praxis ist widersprüchlich, erwiderte ein Kollege etwas trübsinnig relativierend. Er hatte Recht, die Praxis ist in der Tat oft widersprüchlich. Eine gute Theorie ist eine, mit der man in der Praxis zurechtkommt. Eine Theorie also, die das Handeln unterstützt. In den vorherigen Kapiteln habe ich versucht, die zentralen Begriffe und Modelle mit Hilfe von Beispielen so weit wie möglich zu verdeutlichen. Ich habe in diesen Kapiteln auch ein Bezugssystem, einen Abriss von Ansichten dargelegt. Es ist durchaus sinnvoll, die individuelle Anwendung in diesem Rahmen zu betrachten. In diesem Kapitel will ich das eine oder andere weiter vereinfachen und konkretisieren. Ich will die entscheidenden Gedanken auf Faustregeln reduzieren. Diese Faustregeln dienen als Unterstützung, als Richtlinien und als Konzept, an dem sich das eigene Handeln regelmäßig prüfen lässt bzw. geprüft werden soll. Diese Faustregeln ergeben sich aus den vorherigen Kapiteln. Daher werde ich jetzt nicht noch einmal auf die Praxisbeispiele eingehen. Ich werde nur kurz die Regeln nennen, die bei jedem Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung anzuwenden sind, ungeachtet ihres jeweiligen geistigen Niveaus. Es versteht sich von selbst, dass man versuchen sollte, sich dem Niveau des Betroffenen anzupassen. Ich versuche, mich in ihn hineinzuversetzen. Die Faustregeln 1. Was jemand selbst (bewältigen) kann, soll er selbst machen Dahinter steht wieder das Prinzip: So normal wie möglich, nur außergewöhnlich wenn nötig. Was jemand nicht kann, könnte ihm (womöglich) beigebracht werden. Faustregel 1 betont die Autonomie, die Selbstentfaltung, das selbstständige Entscheiden, die Mündigkeit, die Freiheit