Elterninformation zu Essstörungen



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der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie St. Annastiftskrankenhaus Karolina-Burger-Straße 51 67065 Ludwigshafen am Rhein www.st-annastiftskrankenhaus.de Elterninformation zu Essstörungen Mit Essstörung bezeichnet man eine Verhaltensstörung mit meist ernsthaften und langfristigen Gesundheitsschäden. Zentral ist die ständige gedankliche und emotionale Beschäftigung mit dem Thema Essen. Sie betreffen die Nahrungsaufnahme oder deren Verweigerung und hängen mit psychosozialen Störungen und mit der Einstellung zum eigenen Körper zusammen (Psychosomatik). Wenn die Störung zwanghaft ist, spricht man von Sucht oder Abhängigkeit. Entstehung Psychologische Wirkmechanismen Bei allen Essstörungen handelt es sich um Sucht-Mechanismen oder Abhängigkeit (Medizin). Obwohl der Begriff Sucht nicht von suchen kommt, steht psychologisch hinter der Sucht immer eine stellvertretende Suche nach Beziehung, Liebe, Glück, Kontakt, Lust, Zufriedenheit usw., die natürlich auf diesem Weg erfolglos bleibt. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Ersatzhandlung, bei der die geistige und emotionale Energie auf die Auseinandersetzung mit dem Suchtmittel gerichtet ist. Die Notwendigkeit menschlicher Kontakte und oft auch die Anforderungen des Alltags werden missachtet. Bei den Essstörungen ist das Suchtmittel weniger die Nahrung an und für sich, sondern die Beschäftigung mit Ernährung und dem eigenen Körperbild. Wie bei allen Süchten sind die Suchtmittel veränderlich und die vielfältigen Formen der Essstörung können ineinander übergehen und sich vermischen. Medizinischer Wirkmechanismus Medizinisch handelt es sich immer um eine Störung der Energiebilanz zu hohe Energiezufuhr bei zu geringem Energieverbrauch, z.b. durch mangelnde Bewegung, führt zu Übergewicht durch dauerhafte Plusbilanz zu geringe Energiezufuhr bei relativ zu hohem Energieverbrauch führt zu Mangelernährung durch dauerhafte Minusbilanz falsche Ernährung Seite 1 / 5

Physiologische Regelmechanismen können den Energieumsatz des Körpers über einen gewissen Zeitraum und in begrenzten Ausmaßen an das Energieangebot anpassen. Im Falle des Energiemangels werden Stoffwechselregulationen eingesetzt, um z.b. vorhandene Energievorräte effizienter auszunutzen und Energie einzusparen. Einteilung Die bekanntesten, häufigsten und anerkannten Essstörungen sind die unspezifische Ess-Sucht, die Magersucht (Anorexia Nervosa), die Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) und die Fressattacken (englisch Binge Eating ). Die einzelnen Störungen sind nicht klar gegeneinander abgrenzbar. Oft wechseln die Betroffenen von einer Form zur andern und die Merkmale gehen ineinander über und vermischen sich. Zentral ist immer, dass die Betroffenen sich zwanghaft mit dem Thema Essen beschäftigen. Bei allen chronisch gewordenen Essstörungen sind lebensgefährliche körperliche Schäden möglich (Unterernährung, Mangelernährung, Fettleibigkeit). Frauen sind verstärkt betroffen. Bei ihnen treten auch Störungen im Menstruationszyklus auf, bis zum totalen Aussetzen der Menstruation (Amenorrhoe). Die Übergänge zwischen normal und krankhaft sind von vielen Faktoren abhängig. Ein Mensch, der aus religiösen oder ideologischen Gründen besondere Ernährungsformen pflegt oder gar sich selbst kasteit, ist nicht unbedingt essgestört. Ebensowenig wie jemand, der sich unbekümmert ein Zuviel an Kilos auf die Rippen isst. Eine Essstörung kann sich jedoch in einem ideologisch verbrämten Umfeld etablieren oder dadurch aufrechterhalten werden. Manche Ess-Süchtige sind körperlich und in ihrem Verhalten völlig unauffällig - die Sucht spielt sich bei ihnen ausschließlich im Kopf ab. Im ICD-10 sind die Essstörungen leider nur teilweise beschrieben: Im Kapitel sind nur die Bulimie und die Anorexie eindeutig erfasst. Die meisten Patienten zeigen Verhaltensweisen aus verschiedenen Formen der Esstörungen und fallen dadurch unter Sonstige Essstörungen, werden aber der Einfachheit halber unter Bulimie oder Anorexie verschlüsselt. Ess-Sucht: F50, F50.3, F50.4, F50.8 eingeordnet, oft in Verbindung mit E66 Magersucht (Anorexia nervosa): F50.0, F50.1 (atypische Form) auch in Verbindung mit F50.5 Ess-Brech-Sucht: F50.2, oft in Vebindung mit F50.3 und F50 Binge Eating: in ICD-10 nicht erwähnt, in der amerikanischen DSM-IV Kandidatenstatus Alle anderen Störungen werden unter Sonstige Essstörungen F50.8 oder F50.4 und werden in der Praxis oft durch Kombination mit Schlüsseln anderer Erkrankungen umschrieben. Ess-Sucht Ess-Süchtige essen zwanghaft und denken dauernd an Essen und an die Folgen für ihren Körper. Sie essen entweder zu viel, oder sie kontrollieren ihr Gewicht mit komplizierten Systemen von Essen, Diäten, Fasten und Bewegung. Ess-Sucht führt häufig zu Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas), mit den zugehörigen gesundheitlichen und sozialen Problemen. Dicke fühlen sich oft als Versager und Außenseiter. Fehlernährung kann zu zusätzlichen Problemen führen. Seite 2 / 5

Magersucht Magersucht (Anorexia nervosa) ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten Gewichtsverlust gekennzeichnet. Durch Hungern und Kalorienzählen wird versucht, dem Körper möglichst wenig Nahrung zuzuführen, durch exzessive körperliche Aktivitäten (z.b. Joggen, Sit-ups) soll der Energieverbrauch gesteigert werden. Die betroffene Person sieht dabei den eigenen körperlichen Zustand häufig nicht, sie empfindet sich als zu dick, auch noch mit extremem Untergewicht (Körperschemastörung). Ungünstige Vorbilder (Zeitschriften, TV) begünstigen die Entwicklung eines Schlankheitswahns. Fast überwiegend sind Mädchen betroffen, meist ab 12 Jahren; in letzter Zeit werden auch zunehmend betroffene Jungen beobachtet. So liegt der BMI der Barbiepuppe deutlich unterhalb einer kristischen Grenze mit einer absteigenden Tendenz. Die Folgen der Magersucht sind Unterernährung, Muskelschwund, hormonelle Störungen, so ein Ausbleiben der Menstruation, ein (meist noch umkehrbarer) Gehirnschwund (Gehirnatrophie) und eine kritische Mangelernährung. Die Langzeitfolgen sind beispielsweise Osteoporose (Knochenschwund) und Unfruchtbarkeit. 5 bis 15 % der Betroffenen sterben, jedoch meist nicht durch eigentliches Verhungern, sondern durch Infektionen des geschwächten Körpers oder durch Suizid. Ab einem BMI unterhalb der 10. alterskorrigierten Gewichtsperzentile wird eine stationäre Behandlung dringend empfohlen, bei einem BMI ab der 3.Perzentile (in der Regel ab 15,5) muss eine sofortige stationäre Behandlung erfolgen, um lebensbedrohliche Komplikationen (z.b. Elektrolyt- bzw. Stoffwechselentgleisungen, Herzrhythmusstörungen, Herzbeutelerguss usw.) zu vermeiden. Ess-Brech-Sucht Bei der Ess-Brech-Sucht (Bulimie, Bulimia nervosa) sind die Betroffenen meist normalgewichtig, haben aber große Angst vor der Gewichtszunahme, dem "Dickwerden"; man kann das als "Gewichtsphobie" umschreiben. Sie ergreifen deshalb ungesunde Gegenmaßnahmen wie Erbrechen, exzessiven Sport, Abführmittelgebrauch, Fasten oder Einläufe. Dadurch kommt der Körper in einen Mangelzustand und es kommt so genannten Ess-Attacken, wobei große Mengen Nahrung auf einmal verzehrt werden. Neben diesen Heißhunger-bedingten Fressattacken kommt es noch zu stressbedingten. Das Überessen und Erbrechen wird häufig als "entspannend" erlebt. Die Ess-Brech-Sucht kann zu Störungen des Elektrolyt-Stoffwechsels, zu Entzündungen der Speiseröhre, zu Zahnschäden sowie zu Mangelerscheinungen führen. Da durch einen gestörten Elektrolythaushalt das Herz angegriffen werden kann, kann es zu Herzversagen und somit zum Tod kommen, insbesondere wenn die Ess-Brech-Sucht noch mit Untergewicht einhergeht. Fressattacken Fressattacken sind eine Folge suchtartiger Heisshungergefühle. In den USA Binge Eating (Gelage) genannt. Von Binge Eating wird gesprochen, wenn während mindestens sechs Monaten an zumindest zwei Tagen pro Woche ein Anfall von Heißhunger auftritt, bei dem in kürzester Zeit unge- Seite 3 / 5

wöhnlich große Mengen an Nahrungsmitteln aufgenommen werden. Der Betroffene kann die gegessene Menge nicht mehr kontrollieren. Außerdem müssen mindestens drei der folgenden sechs Kriterien zutreffen: essen, ohne hungrig zu sein besonders schnelles Essen essen, bis ein unangenehmes Gefühl einsetzt allein essen, um Gefühle von Schuld und Scham zu vermeiden die Ess-Anfälle werden als belastend empfunden nach dem Ess-Anfall treten Gefühle von Ekel, Scham oder Depressionen auf Obwohl die Essattacken jeweils nur kurz dauern, kann BED (Binge Eating Disorder) zu Adipositas führen. Von der Bulimie unterscheidet sich BED durch die ausbleibenden Maßnahmen, eine Gewichtszunahme durch Erbrechen, Intensivsport oder Fasten zu verhindern. Pica-Syndrom Das Pica-Syndrom (auch: Picazismus) ist eine psychiatrisches Symptom und kommt auch bei Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenz vor. Die Störung ist eher selten und ist keine Essstörung im eigentlichen Sinne. Menschen essen dabei ungewöhnliche Dinge, zum Beispiel farbige Papierschnipsel, Gartenerde, Ton, Tafelkreide. Kot essen siehe Koprophagie. Es kann dabei unter anderem zu Vergiftungen, Unterernährung oder Verstopfung führen. Auch bei sonst harmlosen Materialien kann es zu Infektionen oder Vergiftungen kommen. Bei kleinen Kindern ist es normal, dass sie buchstäblich alles in den Mund nehmen (manchmal auch aus Trotz). Nur bei unterschiedslosem und regelmäßigem Aufessverhalten besteht möglicherweise Anlass, auf Pica-Syndrom zu untersuchen. Orthorexia nervosa Orthorexia nervosa bedeutet krankhaftes Gesund -essen. Betroffene verbringen mehrere Stunden täglich damit, zwanghaft Vitamingehalt und Nährwerte zu berechnen und Lebensmittel auszuwählen, wobei sich die Auswahl der erlaubten Lebensmittel immer mehr verringert. Folgen sind Unter- und Mangelernährung und Soziale Isolation. Die Betroffenen zeigen oft vor Lebensmitteln, die sie für ungesund halten, Angst, die manchmal auch wahnhafte Formen annehmen kann. Anorexia athletica Durch übermäßigen Sport und den damit verbundenen Kalorienverbrauch versuchen die Erkrankten, an Gewicht zu verlieren. Diese Störung ist als sog. Sport-Sucht bekannt und wird als Begleitstörung einer Ess-Sucht beobachtet. Als eigenständiges Krankheitsbild ist sie noch nicht anerkannt. Bei jungen Männern mit bestimmten Sportarten (Rudern, Skisprung, Radfahren usw.) kann dadurch die Entwicklung einer Magersucht bei Jungen begünstigt werden. Diagnostik Die Diagnostik der Störungen erfolgt durch Interview mit dem Patienten, über Fragebögen, Erhebung einer Fremdanamnese durch Angehörige, eine körperliche Untersuchung und ergänzende apparative Untersuchungen: Labor, EKG, Ultraschall, MRT. Unter- und Übergewicht und Adipositas werden mit dem BMI und anderen Kennzahlen gemessen. Seite 4 / 5

Häufigkeit und Folgen Da die Formen der einzelnen Essstörungen oft ineinander übergehen und sich vermischen sind sie schwer zu trennen. Deshalb sind einzelne Zahlen mit Vorsicht zu betrachten. Hier einige Zahlen für Deutschland: Magersucht: etwa 100.000 Menschen sind betroffen. 90 % der Betroffenen sind Frauen zwischen 15 und 35 Jahren. 10 % sind Männer. Essstörungen bei Männern sind bisher noch wenig erforscht. Ess-Brech-Sucht: etwa 600.000 Menschen sind betroffen. Binge Eating: etwa 2 % der Bevölkerung ist betroffen, wäre damit die häufigste Essstörung. Eine Studie des Robert Koch-Instituts mit über 17.000 Teilnehmern zwischen elf und 17 Jahren zeigte bei fast 30 % der Mädchen Esstörungen wie Magersucht, Ess-Brech-Sucht oder Fettsucht. Bei Jungen waren noch 15 % betroffen. Außerdem waren der Studie zufolge Kinder aus sozial benachteiligten Familien fast doppelt so häufig betroffen wie Kinder aus der oberen sozialen Schichten. In einer neueren österreichischen Studie (2006) über Essstörungen bei Models fand sich eine Prävalenzrate essgestörten Verhaltens von 11,4% der befragten Personen, über 40% waren zum Untersuchungszeitpunkt auf Diät. Die Adipositas ist in einem Teil der Fälle Folge einer Essstörung und stellt in ihrer Gesamtzahl ein weltweit zunehmendes Problem dar. So sprechen die Weltgesundheitsorganisation und die CDC inzwischen von einer globalen Epidemie bzw. Pandemie, die ebenso ernst genommen werden sollte wie jede zum Tode führende Infektionskrankheit. Weltweit leben rund eine Milliarde Menschen mit starkem Übergewicht (WHO). Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wird die Zahl der übergewichtigen Menschen innerhalb der nächsten 10 Jahre auf 1,5 Milliarden ansteigen. Die gesundheitlichen und durchaus auch finanziellen und sozialwirtschaftlichen Folgen von Übergewicht sind enorm. Behandlung Essstörung Zur erfolgreichen Therapie ist meist eine mehrwöchige Arbeit in einer Klinik und eine ambulante Nachbehandlung notwendig. In selteneren Fällen gelingt es kritische Entwicklungen durch eine rechtzeitige ambulante Therapie noch in günstige Bahnen zu lenken. Übergewicht und Untergewicht Über- oder Untergewicht sind eigenständige Krankheitsbilder und in über 95 % aller Fälle die Folge einer falschen Energiebilanz als Verhältnis von Essen und Bewegung. Zur Therapie siehe: Adipositas, Ernährungsumstellung und Ernährungslehre. Seite 5 / 5