Wie Gentechnik funktioniert Quelle: GenSuisse, Gentechnik 2008 In der Pause zieht Sonja ihren Pen aus der Tasche. Das ist eine handliche Spritze. Die Mitschülerinnen und Mitschüler sind daran gewöhnt, keiner guckt komisch. Sonja ist zuckerkrank. Um gesund leben zu können, spritzt sie sich mehrmals täglich Insulin. Früher wurde das Insulin aus Tieren gewonnen. Sonja aber verwendet menschliches Insulin, sogenanntes Human-Insulin. Doch woher kommt das? Muss ihre Familie regelmässig Insulin spenden? Nein, das geht zum Glück viel einfacher: Insulin wird im Labor gewonnen. Menschliches Insulin aus Bakterien Mit Hilfe der Gentechnik kann ein Bakterium dazu gebracht werden, ein Medikament herzustellen, zum Beispiel Insulin. Insulin ist ein Hormon, das in der Bauchspeicheldrüse jedes gesunden Menschen gebildet wird. Es ist dafür verantwortlich, dass das Blut nicht zu viel Zucker enthält. Manche Menschen produzieren zu wenig Insulin und haben daher Schwierigkeiten, ihren Blutzuckerhaushalt zu regulieren. Man spricht von Zuckerkrankheit oder Diabetes. So funktioniert die Insulin-Produktion Die Herstellung von menschlichem Insulin erfolgt im Labor. In grossen Behältern werden Bakterien gezüchtet, in deren Erbgut das menschliche Insulin-Gen eingebaut wurde. Die Einzeller lesen das Gen ab und produzieren das entsprechende Protein. Die Bakterien stellen also anhand des menschlichen Gens menschliches Insulin her. Dieses wird anschliessend aus der Bakterienkultur herausgetrennt, gereinigt und als Medikament mit Hilfe eines Pens gespritzt. Da sich Bakterien rasch vermehren, kann gentechnisches Insulin problemlos in ausreichenden Mengen hergestellt werden. 1. Ein Gen wird isoliert 2. Der DNA-Ring-Trick /CT/Aug 2015 Seite 1
3. Verändertes Erbgut 4. Human-Insulin aus Bakterien Stammzellenforschung Stammzellen haben besondere Fähigkeiten. Sie können sich durch Teilung selbst erneuern und zu verschiedenen Zelltypen ausreifen, zum Beispiel zu Herz-, Muskel- oder Leberzellen. Heute wird daran gearbeitet, nach einem Herzinfarkt das geschädigte Herzgewebe durch Stammzellen zu regenerieren. Was hier erprobt wird, ist für das Blutsystem seit langem Realität. Um Blutkrebs (Leukämie) zu behandeln, werden adulte Blutstammzellen ins Knochenmark der Patientin oder des Patienten übertragen. Neben den adulten gibt es auch embryonale Stammzellen. Sie lassen sich leicht im Labor züchten und bilden unter Zugabe von Wachstumsfaktoren alle verschiedenen Gewebetypen. Damit verfügen sie über ein riesiges Potenzial für die Entwicklung neuer Therapien. Viele schwere Krankheiten wie multiple Sklerose, Diabetes oder Alzheimer beruhen auf einem Abbau von Gewebe. Mit Stammzellen hofft man, geeignete Ersatzzellen zu züchten. Experimentelle Anwendungen zeigen, dass dies machbar ist, etwa zur Heilung von Sehnenverletzungen oder zur Überbrückung durchtrennter Nerven. Bevor Patienten und Patientinnen routinemässig mit Therapien auf der Basis embryonaler Stammzellen behandelt werden können, braucht es noch viel Forschungsarbeit. Kerntransfer Bei diesem Forschungsansatz wird versucht, ausgehend vom Kern einer Patientenzelle embryonale Stammzellen zu gewinnen, die keine Abstossungsreaktion hervorrufen, weil sie mit dem Patienten oder der Patientin identisch sind. Die Stammzellgewinnung via Kerntransfer (auch therapeutisches Klonen genannt) ist erst bei Tieren gelungen. /CT/Aug 2015 Seite 2
und Ethik Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist umstritten. Einerseits haben embryonale Stammzellen ein grosses Potenzial für die Behandlung schwerer Krankheiten, andererseits werden für ihre Gewinnung wenige Tage alte Embryonen zerstört. In der Schweiz arbeiten Forschende mit sogenannt überzähligen Embryonen. Ein Embryo gilt als überzählig, wenn er im Labor gezeugt wurde, der Frau aber nicht eingepflanzt werden kann. Unter welchen Voraussetzungen den überzähligen, zur Vernichtung bestimmten Embryonen Stammzellen entnommen werden dürfen, ist im Stammzellforschungsgesetz geregelt. Einen Schritt weiter geht das therapeutische Klonen. Dabei werden Embryonen zum Zweck der Gewinnung medizinisch idealer Stammzellen geschaffen. Neue Behandlungsansätze rücken damit in den Bereich des Möglichen. Das therapeutische Klonen ist heute nur in einigen Ländern, z.b. Grossbritannien, erlaubt. Vom therapeutischen Klonen zu unterscheiden ist das reproduktive Klonen. Das Klonen zur künstlichen Erzeugung eines Menschen wird weltweit beinahe einstimmig als ethisch verwerflich abgelehnt dies aufgrund der Problematik der Fremdbestimmung und der gesundheitlichen Gefahren für Mutter und Kind. Auftrag: Schreiben Sie Ihre Meinung zu diesem Thema auf einer ½ Seite auf. Welche Chancen und welche Gefahren hätte das Klonen von Menschen? /CT/Aug 2015 Seite 3
Forschung mit gentechnisch veränderten Tieren Tierversuche müssen in der Schweiz durch eine Kommission bewilligt werden. In den Tierversuchskommissionen sind neben Forschenden auch Tierschützer vertreten. Um zu einem Entscheid zu gelangen, beurteilt die Kommission, ob es sich um einen unabdingbaren Versuch handelt und ob gemäss der 3R-Regel alles getan wird, um die Würde der Tiere zu gewährleisten und die Belastungen möglichst klein zu halten. Je nach Beurteilung bewilligt die Kommission die Durchführung des geplanten Tierversuchs oder sie verlangt, dass Änderungen gemacht werden, um die Belastung der Tiere zu senken. Ist dies nicht möglich, oder hält die Kommission den Versuch nicht für sinnvoll, kann sie die Durchführung verbieten. Im Folgenden finden Sie drei Beispiele, wie sie der Tierversuchskommission vorgelegt werden könnten. 1) Fadenwurm: kleines Tierchen von grosser Wichtigkeit Der Fadenwurm C. elegans ist ein unscheinbares Tier. Er ist nur einen Millimeter lang und lebt im Boden. In jeder Handvoll Blumenerde finden sich Tausende davon. Obwohl er so unspektakulär scheint, war er 1998 der erste vollständig sequenzierte Vielzeller überhaupt, da er als Labortier für die Entwicklungsbiologie wertvolle Hinweise liefert. Der Fadenwurm kann im Labor leicht gehalten und in mit Agar gefüllten Plastikschalen aufgezogen werden. Agar ist ein durchsichtiges Gel, das aus Algen gewonnen wird. Die Würmer kriechen darauf herum und ernähren sich von Bakterien, die man als Futter dazugibt. In umfangreichen Untersuchungen von normalen und mutierten Tieren kamen die Forschenden dank dem Fadenwurm der Funktion zahlreicher Gene auf die Schliche. Ein besonderes Beispiel ist das let-7-gen. Dieses Gen hat es in sich: Wird es verändert, verursacht dies massive Störungen in der Entwicklung des Fadenwurms. Wichtige Entwicklungsschritte werden ausgelassen oder mehrfach wiederholt. Der erwachsene Wurm trägt schwere Deformationen oder ist gar nicht lebensfähig. Durch verschiedene Untersuchungen entdeckten die Forscher die genauen Mechanismen der Wirkung des Genprodukts von let-7. Das im Fadenwurm entdeckte Gen gibt es auch bei Wirbeltieren. Inzwischen weiss man, dass das let-7-gen beim Menschen ein Tumorsuppressor-Gen ist. Es ist aktiv daran beteiligt, dass Menschen nicht an Lungenkrebs erkranken. Einiges deutet darauf hin, dass das Genprodukt von let-7 sogar zur Krebsbekämpfung eingesetzt werden kann. Von einem solchen Nutzen hatten die Fadenwurmforscher natürlich nichts geahnt, als sie das Gen in den mutierten Würmern untersuchten. 2) Mäuse ohne Jetlag Wir wälzen uns schlaflos im Bett und sind tagsüber furchtbar müde: Nach langen Flugreisen leiden wir unter einem Jetlag. Dieses Phänomen zeigt, dass Menschen «innere Uhren» haben, die nicht ganz einfach umzustellen sind. Um zu untersuchen, wie die «inneren Uhren» funktionieren, werden beispielsweise Knock-out-Mäuse eingesetzt. Diese gentechnisch veränderten Mäuse sehen gleich aus wie ihre Artgenossen, verhalten sich aber anders, wenn im Tierstall der Tag-Nacht- Rhythmus mit Kunstlicht verändert wird. Experimente mit diesen Knock-out-Mäusen helfen den Forschern, zu verstehen, wie die innere Uhr (auch die des Menschen) funktioniert und liefern damit wichtige Informationen um Schlafstörungen zu verstehen. Im Labor lebt jede Maus allein in einem Käfig von etwa der Grösse einer A4- Seite, der zusammen mit vielen anderen Käfigen in einem Gestell steht. Der Boden der Käfige ist bedeckt mit Sägemehl zum Wühlen, und jeder Maus steht ein Laufrad zur Verfügung. Die Tiere können jederzeit Futterpellets fressen und Wasser trinken. Wenn der Versuch fertig ist, werden die Mäuse getötet, damit ihr Gehirn untersucht werden kann. /CT/Aug 2015 Seite 4
3) Krebsmäuse Es gibt ganz verschiedene Modelle von Mäusen, die aufgrund eines eingeführten Onkogens Krebs entwickeln. So gibt es zum Beispiel gentechnisch veränderte Mäuse, die in der Bauchspeicheldrüse Krebs entwickeln. Diese Mäuse leben in kleinen Gruppen, turnen an den Gitterstäben des Käfigs herum und bauen aus Papierschnitzeln Nester. Man sieht den Tieren nicht an, dass sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt sind. Wenn eine Maus schwerkrank ist, erkennt der Tierpfleger das am struppigen Fell oder weil das Tier regungslos im Käfig sitzt. Solche schwerkranken Mäuse werden vorzeitig aus dem Versuch genommen und getötet. Solange die Mäuse leben, wird ihnen ab und zu Blut genommen. Zu einem in der Versuchsanordnung bestimmten Zeitpunkt werden die Tiere getötet, damit ihre Bauchspeicheldrüse entnommen und untersucht werden kann. Die Mäuse werden mit Genickbruch umgebracht, eine Methode, die bei richtiger Anwendung sehr schnell geht und die Mäuse weniger Stress erleiden lässt. Nun können die Forscher das von Krebs befallene Organ und damit die Entwicklung des Tumors in verschiedenen Stadien der Erkrankung ganz genau untersuchen. Solche Mausmodelle werden aber auch genutzt, um die Wirkung neuer Medikamente zu testen. Wurden den Mäusen zu Lebzeiten Medikamente gegeben, kann analysiert werden, wie diese das Wachstum der Tumore beeinflussen. Auftrag Diskutieren Sie, ob Sie den Einsatz gentechnisch veränderter Tiere in den einzelnen Fällen gerechtfertigt finden oder nicht. Überlegen Sie, was bei der Güterabwägung auf der Seite «Nutzen für den Mensch» und was auf der Seite «Belastung für das Tier» steht. Formulieren Sie, warum Sie bei den drei Beispielen der einen oder der anderen Seite mehr Gewicht geben. Wodurch unterscheiden sich die drei Fälle und wieso sind Sie zu unterschiedlichen Urteilen gekommen? Gentechnik und Medizin Medikamente /CT/Aug 2015 Seite 5
Forschung am Menschen Gentherapie Impfstoffe und Antikörper Nachweisverfahren /CT/Aug 2015 Seite 6
Präimplantationsdiagnostik (PDI) Seit 30 Jahren ist die In-vitro-Fertilisation für kinderlose Paare eine Möglichkeit, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Bis heute sind drei Millionen im Labor gezeugte Kinder auf die Welt gekommen. In der Schweiz ist es eins von hundert Kindern. Die In-vitro-Fertilisation ist keine Anwendung der Gentechnik, sondern ermöglicht die Zeugung durch direktes Zusammenbringen von Eizelle und Spermium. Um die Zeugung im Labor durchzuführen, werden die Eizellen der Frau via Operation entnommen. Ein bis drei Embryonen werden einige Tage nach der Befruchtung in die Gebärmutter übertragen. Wie auch bei der natürlichen Fortpflanzung nistet sich nicht jeder Embryo in der Gebärmutter ein. Die Forschung arbeitet daran, die Behandlung zu verbessern. Untersuchung des Allerkleinsten Im Gegensatz zu Embryonen im Mutterleib können Embryonen in vitro im frühesten Entwicklungsstadium vom Arzt oder der Ärztin untersucht werden. Neben der äusserlichen Untersuchung unter dem Mikroskop die Embryonen sind zu klein, um sie von blossem Auge zu sehen gibt es genetische Tests. Das Verfahren heisst Präimplantationsdiagnostik (PID). Dem wenige Tage alten Embryo wird eine Zelle entnommen, deren Erbmaterial auf genetische Auffälligkeiten untersucht wird. Der Embryo entwickelt sich trotz des Zellverlustes weiter. Anwendungen der Präimplantationsdiagnostik Gibt es in der Familie Erbkrankheiten, kann untersucht werden, ob der Embryo das mutierte Gen trägt. Mit Hilfe der PID können betroffene Paare Embryonen auswählen, welche die Krankheit nicht tragen. Die anderen Embryonen sterben im frühesten Entwicklungsstadium ab. Die PID- Untersuchung zeigt auch, ob zu viele oder zu wenige Exemplare eines Chromosoms vorliegen. Die meisten dieser Auffälligkeiten, Monosomien und Trisomien genannt, führen zum Absterben des Embryos während der Schwangerschaft. Die PID ermöglicht, Embryonen ohne Überlebenschance zu erkennen und nicht in die Gebärmutter einzupflanzen. Damit wird die Zahl der Fehlgeburten nach einer In-vitro-Fertilisation gesenkt. Die Präimplantationsdiagnostik erlaubt auch die Zeugung sogenannter Retter-Babys, auch Designer-Kinder genannt. Diese Kinder sind nicht gentechnisch verändert, wie der Name andeutet. Vielmehr wird mit Hilfe der PID ein Embryo ausgewählt, dessen Gewebe zu einem bereits geborenen schwerkranken Geschwister passt. Nach der Geburt des Retter-Babys werden Zellen aus seinem Nabelschnurblut oder aus dem Knochenmark für die Heilung des kranken Geschwisters eingesetzt. Situation in der Schweiz Die Präimplantationsdiagnostik (PDI) ist eine noch junge Technik. Bisher war diese in der Schweiz verboten. Am 14. Juni 2015 hat das Schweizer Stimmvolk der Änderung des Verfassungsartikels zur Fortpflanzungsmedizin und im Humanbereich zugestimmt. Falls dagegen nicht das Referendum ergriffen wird, könnte die PID schon bald in der Schweiz auch möglich sein. Welche Voraussetzungen müssen für eine Verfassungsänderung gegeben sein? Welche Voraussetzungen müssen für ein Referendum gegeben sein? /CT/Aug 2015 Seite 7
Auftrag Die Abstimmungsvorlage war sehr umstritten. Sammeln Sie im Internet Pro- und Contraargumente, bilden Sie sich eine eigene Meinung und gestalten Sie zu zweit ein Plakat. In welchen Fällen finden Sie es ethisch gerechtfertigt, eine PID durchzuführen? Wo finden Sie es übertrieben? Machen Sie konkrete Bespiele und begründen Sie Ihre Meinungen. Pro-Argumente Contra-Argumente Konkrete Beispiele /CT/Aug 2015 Seite 8