Georges-André Kohn aus Paris 1932 1945. Kinder und Jugendliche als Opfer der NS-Verbrechen



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Transkript:

Kinder und Jugendliche als Opfer der NS-Verbrechen Vor siebzig Jahren gelangten die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht. Während ihrer Herrschaft, die bis 1945 andauerte, verfolgten und terrorisierten sie Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Behinderung. Die Nationalsozialisten griffen zahlreiche europäische Länder an, besetzten sie und ermordeten viele Millionen Menschen, darunter sechs Millionen Juden aus ganz Europa. Auf dieser Website wollen wir beispielhaft an fünf Jugendliche erinnern, die zu Opfern der Nationalsozialisten wurden. Georges-André Kohn aus Paris 1932 1945

Georges-André Kohn Georges-André Kohn wurde am 23. April 1932 in Paris in eine Arztfamilie hinein geboren. Er hatte drei Geschwister. Sein Vater, Armand Kohn, war Direktor des Hospitals»Baron de Rothschild«, des größten jüdischen Krankenhauses in Paris. Die Familie Kohn war katholischen Glaubens. 1940 mit dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich galten sie jedoch im Denken der Nazis plötzlich als Juden, weil sie jüdische Vorfahren hatten. Sie waren somit schutzlos der Verfolgung durch die deutschen Besatzer ausgesetzt. Georges im Alter von zwei Jahren auf den Armen seiner Mutter, 1934. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Georges André Kohn Seite 1a

Georges-André Kohn Georges war zwölf Jahre alt, als er am 28. Juli 1944 zusammen mit seinen Eltern, Geschwistern und der Großmutter verhaftet und in das Sammellager Drancy 1 gebracht wurde. Am 17. August 1944, wenige Tage vor der Befreiung von Paris durch die Alliierten, wurde die gesamte Familie mit dem letzen Transport aus Drancy nach Osten verschleppt. Georges Bruder Philippe und seiner Schwester Rose-Marie gelang kurz hinter Paris die Flucht aus dem Zug. Ein Bahnbeamter versteckte sie bis zur Befreiung Frankreichs am 2. September 1944. Beide überlebten den Krieg. Für den Rest der Familie stand das Schlimmste noch bevor. Georges-André Kohn mit seinen Geschwistern, von links nach rechts: Georges-André, Rose-Marie, Philippe und Antoinette; genauer Ort unbekannt, um 1939. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Georges André Kohn Seite 1b

Georges-André Kohn Am 25. August 1944 machte der Transport im Konzentrationslager (KZ) Buchenwald 2 Halt. Dort wurde die Familie auseinander gerissen. Die Nazis 3 sperrten Georges Vater in Buchenwald ein. Er überlebte das KZ, erfuhr aber lange nichts über das weitere Schicksal seines Sohnes Georges. Die Mutter und die Schwester Antoinette wurden von Buchenwald ins KZ Bergen-Belsen 4 gebracht. Dort starben beide kurze Zeit später. Für Georges und die Großmutter endete der Transport erst in Auschwitz-Birkenau 5. Die Großmutter wurde gleich nach der Ankunft durch Giftgas ermordet. Georges bei seiner Erstkommunion 1942, zwei Jahre vor seiner Verschleppung nach Auschwitz-Birkenau. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Georges André Kohn Seite 2a

Georges-André Kohn Georges kam in die Baracke 11, in der bereits 19 andere jüdische Kinder aus ganz Europa zwischen fünf und zwölf Jahren eingesperrt waren. An diesen Kindern wollten die Nazis medizinische Experimente 6 durchführen. Unter den Kindern war das Mädchen Jacqueline Morgenstern, das so alt wie Georges war und auch aus Paris kam. Beide freundeten sich schnell an, denn sie waren die einzigen Franzosen in der Gruppe. Von Jacqueline Morgenstern ist das nebenstehende Bild erhalten geblieben. Jacqueline Morgenstern im Alter von sieben Jahren, 1940, genauer Ort der Aufnahme unbekannt. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Georges André Kohn Seite 2b

Georges-André Kohn Zunächst schienen es diese Kinder besser zu haben als die anderen Häftlinge in Auschwitz- Birkenau 5. Denn ihre Baracke wurde geheizt und sie bekamen ausreichend zu essen. Tatsächlich aber mussten sie hart arbeiten und wurden außerdem für medizinische Experimente missbraucht. Gegen Ende des Krieges und mit dem Näherrücken der Roten Armee wurde Georges zusammen mit den anderen 19 Kindern Ende November 1944 ins KZ Neuengamme 7 bei Hamburg gebracht. Dort führte der SS 9 -Arzt Kurt Heißmeier grausame medizinische Versuche an ihnen durch. Er steckte die Kinder mit Tuberkulose 8 an, einer lebensgefährlichen Lungenkrankheit. Kurz vor Weihnachten 1944 waren bereits alle Kinder schwer krank. Georges war besonders geschwächt und konnte nicht mehr alleine aufstehen, wie die französischen Häftlingsärzte und holländischen Pfleger später berichteten. Diese Pfleger und Ärzte waren selbst Gefangene. Sie betreuten die Kinder und wurden ihnen zu Ersatzeltern. Der SS-Arzt Kurt Heißmeier entfernte den Kindern die Lymphdrüsen, weil er dachte, in ihnen befänden sich körpereigene Stoffe zur Abwehr der Tuberkulose. Es war allerdings schon damals bekannt, dass dem nicht so war. Seine Versuche waren reine Quälerei und wissenschaftlich völlig sinnlos. Nachdem allen Kindern die Lymphdrüsen entfernt worden waren, ließ Heißmeier sie fotografieren. Die Kinder mussten die Arme hochhalten, um die Operationsnarbe zu zeigen. Auf dem Foto ist Georges Narbe auf der linken Oberkörperseite nur sehr schwach zu erkennen. Georges-André Kohn, nach der Operation 1945 im Konzentrationslager Neuengamme fotografiert. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Georges André Kohn Seite 3

Georges-André Kohn Im April 1945 stand das Ende des Krieges kurz bevor. Damit waren auch die Tage des NS-Regimes gezählt. Die SS-Ärzte und die Lagerführung von Neuengamme fürchteten eine Bestrafung durch die Siegermächte, falls ihre Gräueltaten ans Tageslicht kämen. Um ihre Verbrechen an den Kindern zu vertuschen, ließ die SS-Führung die Kinder zusammen mit ihren Betreuern wenige Tage vor Kriegsende in die Schule am Bullenhuser Damm bringen, die in einem ausgebombten, menschenverlassenen Stadtteil von Hamburg lag. Dort henkte die SS 9 am 20. April 1945 alle Kinder im Keller der Schule. Der für das Mordkommando verantwortliche SS-Offizier Arnold Strippel ging nach jahrelanger Hinauszögerung des Verfahrens in der Bundesrepublik straffrei aus. Der SS-Arzt Kurt Heißmeier praktizierte bis 1964 unentdeckt in Magdeburg als Facharzt für Lungenkrankheiten. 1966 verurteilte ihn ein DDR-Gericht zu lebenslanger Haft. Schule am Bullenhuser Damm, wo die zwanzig Kinder gehenkt wurden. Aufnahme um 1960. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Georges André Kohn Seite 4a

Georges-André Kohn Die Namen der Kinder vom Bullenhuser Damm: Mania Altmann, 5 Jahre, aus Polen Lelka Birnbaum, 12 Jahre, aus Polen Surcis Goldinger, 11 Jahre, aus Polen Riwka Herszberg, 7 Jahre, aus Polen Alexander Hornemann, 8 Jahre, aus den Niederlanden Eduard Hornemann, 12 Jahre, aus den Niederlanden Marek James, 6 Jahre, aus Polen W. Junglieb, 12 Jahre, aus Jugoslawien Lea Klygermann, 8 Jahre, aus Polen Georges-André Kohn, 12 Jahre, aus Frankreich Blumel Mekler, 11 Jahre, aus Polen Jacqueline Morgenstern, 12 Jahre, aus Frankreich Sergio de Simone, 7 Jahre, aus Italien Marek Steinbaum, 10 Jahre, aus Polen H. Wassermann, 8 Jahre, aus Polen Eleonora Witonska, 5 Jahre, aus Polen Roman Zeller, 12 Jahre, aus Polen Ruchla Zylberberg, 9 Jahre, aus Polen 35 Jahre später wurde in der Schule am Bullenhuser Damm eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die ermordeten Kinder errichtet. Der Verein»Kinder vom Bullenhuser Damm«hat hinter dem Schulgebäude einen Rosengarten angelegt. 1991 wurden außerdem zwanzig Straßen im Norden von Hamburg nach den Kindern benannt, darunter auch eine nach Georges-André Kohn. Das Straßenschild, das an Georges-André Kohns Schicksal erinnern soll. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Georges André Kohn Seite 4b

Medizinische Experimente In vielen Konzentrationslagern 10 missbrauchten deutsche Ärzte Gefangene für medizinische Experimente 6. Dabei übertraten sie alle ärztlichen Standards. Der Tod der Testperson wurde vorab einkalkuliert. Das erste Gebot der Mediziner, alles Menschenmögliche zu tun, um den Zustand des Patienten zu verbessern, wurde vollkommen außer Acht gelassen. Die Weltanschauung der Nazis, wonach Juden und viele andere als»minderwertige«menschen galten, diente diesen Ärzten als Rechtfertigung, um an ihnen grausame Experimente ohne Betäubung, Wunddesinfizierung usw. vorzunehmen. In den meisten Fällen arbeiteten diese Ärzte mit absolut unsinnigen Fragestellungen. Ihre Ergebnisse waren für die Wissenschaft zumeist völlig unbrauchbar und nichtssagend. Durchgeführt wurden sie jedoch unter dem Vorwand, sie dienten der»volksgesundheit«. Vor allem Juden, Sinti und Roma und sowjetische Kriegsgefangene wurden für medizinische Experimente missbraucht. In die Versuche waren über 350 Mediziner verwickelt. Nach dem Krieg wurden nur wenige von ihnen vor dem Nürnberger Militärgericht 11 bzw. vor bundesdeutschen Gerichten verurteilt. Georges André Kohn Hintergrundtext

Glossar 1 1 Drancy (Sammel- und Durchgangslager) 1941 in einem Betonbaukomplex von nicht fertiggestellten Sozialwohnungen nordöstlich von Paris eingerichtet; unterstand dem Judenreferat der Gestapo (Geheimen Staatspolizei) im besetzten Frankreich. Vom 22. Juni 1942 bis zum 17. August 1944 wurden ca. 67.000 jüdische Franzosen und nach Frankreich geflüchtete Juden überwiegend von hier aus nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Nur ca. 2.000 überlebten. 2 Buchenwald (KZ) 1937 auf dem Ettersberg bei Weimar (Thüringen) errichtet. Gefangene waren politische Oppositionelle, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma sowie Strafgefangene (»Asoziale«). 1938 nach dem Novemberpogrom Einweisung Tausender Juden. Von den ca. 250.000 Häftlingen in B. und in den 130 Nebenlagern starben mehr als 50.000. Im April 1945 Befreiung durch US-Truppen. 3 Nationalsozialismus Politische Bewegung; 1920 Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP); ab 1921 unter der Führung von Adolf Hitler, 1933 Machtübernahme im Deutschen Reich; 1945 mit dem Ende des Krieges Auflösung der Partei. Der N. verbreitete einen offenen Hass gegen Juden, bekämpfte den demokratischen Staat und verfolgte politisch Andersdenkende, wie z. B. Kommunisten. Die Weltanschauung der Nationalsozialisten war geprägt von der Idee einer übergeordneten stärkeren (der so genannten arischen)»rasse«und ihr unterlegenen schwächeren»rassen«. Mit der Übernahme der Regierungsverantwortung wurde diese Überzeugung Maßstab für staatliches Handeln. Der Begriff»Rasse«ist pseudo-wissenschaftlich, tatsächlich gibt es keine Rassen unter Menschen, sondern nur unterschiedliche Nationalitäten, verschiedene Religions- und Sprachzugehörigkeiten. 4 Bergen-Belsen (KZ) 1940 bei Celle in Niedersachsen errichtet. Zunächst für belgische und französische Kriegsgefangene, ab Juli 1941 überwiegend für sowjetische Kriegsgefangene, von denen bis Februar 1942 etwa 90 Prozent, mindestens aber 18.000, an Hunger oder Seuchen starben. Ab 1944/45 Auffanglager für Häftlinge aus den geräumten KZ im Osten, dadurch totale Überfüllung des Lagers. Tausende starben an Seuchen und Erschöpfung. Befreiung am 15. April 1945 durch britische Truppen. 5 Auschwitz (KZ) 1940 von der SS westlich von Krakau (poln. Kraków) im besetzten Polen errichtet, bestehend aus drei Hauptlagern: dem Konzentrationslager Auschwitz, dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, dem Arbeitslager der IG-Farben (BUNA-Werk) sowie zahlreichen Außen- und Nebenlagern. Geschätzte Zahl der Opfer 1,5 Millionen, davon über eine Million Juden. SS Ärzte führten medizinische Experimente an jüdischen und Sinti- und Roma-Kindern durch. Georges André Kohn

Glossar 2 6 Medizinische Experimente Pseudo-wissenschaftliche Versuche an KZ-Gefangenen; Opfer waren vor allem Juden, Sinti und Roma und Kriegsgefangene. Ohne Schmerz- und Betäubungsmittel durchgeführt, Infizierung mit Erregern, Tests von Medikamenten, Verfahren zur Unfruchtbarmachung, Organentnahme, Unterkühlungs- und Unterdrucktests. Ca. 350 Ärzte von SS, Universitätsinstituten und der Wehrmacht waren daran beteiligt. 7 Neuengamme (KZ) 1938 bei Hamburg errichtet, ursprünglich als Nebenlager des Konzentrationslager Sachsenhausen; ab 1940 eigenständiges Lager mit zahlreichen Nebenlagern. Internierung zehntausender Häftlinge aus den besetzten Ländern Europas, darunter viele Widerstandskämpfer. Häftlinge mussten Zwangsarbeit verrichten; fast jeder zweite Gefangene kam in N. ums Leben. Fünf Tage vor Kriegsende verlud die SS ca. 7.000 verbliebene Häftlinge auf ein Schiff, dass von den Alliierten versehentlich beschossen und versenkt wurde (Cap-Arcona-Tragödie). 8 Tuberkulose (auch Tb) Verursacht durch die Bakterienart Mycobacterium Tuberkulosis. Übertragen wird die Krankheit durch infizierte Tropfen, die in die Luft geniest oder gehustet werden. 95 Prozent der Menschen tragen den Virus in sich, bei nur ca. fünf Prozent davon bricht die Krankheit aus; vor allem jedoch bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Zumeist breitet sich die Krankheit in der Lunge und den Lymphdrüsen aus. Häufige Symptome sind: Fieber, Mattigkeit, Nachtschweiß, Appetitmangel, Gewichtsabnahme und Husten. Die Krankheit kann tödlich sein, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird. 9 SS Abkürzung für»schutzstaffel«, 1925 gegründet als»leibgarde«hitlers, 1929 Entwicklung zur Eliteeinheit der Partei, 1934 selbständige Organisation der NSDAP und schrittweise Verschmelzung mit der staatlichen Polizei, zuständig für die innenpolitische Machtsicherung, die Leitung sowie die Bewachung der Konzentationslager. Nach 1939 entscheidende Rolle bei der Planung und Durchführung der Besatzungs- und Massenmordpolitik. 10 Konzentrationslager (KZ) 1933 kurz nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler eingerichtet zunächst zur Internierung von politischen Gegnern, wie Sozialdemokraten und Kommunisten. Später auch für so genannte Asoziale und Arbeitsscheue, sowie Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer, Juden aus ganz Europa und viele andere. Häftlinge wurden zu harter körperlicher Arbeit überwiegend für die deutsche Kriegsindustrie gezwungen. Viele starben an Erschöpfung, Hunger, Kälte, Seuchen, medizinischen Experimenten und an Misshandlungen durch das Wachpersonal. 11 Nürnberger Militärgericht Internationales Militärgericht der Siegermächte USA, England, Sowjetunion und Frankreich gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher von 1945 bis 1946 in Nürnberg. Zahlreiche weitere Verfahren und Prozesse zur Aburteilung von NS-Verbrechen. Georges André Kohn

Literatur / Filme / CD-Roms / Links Literatur m Geve, Thomas: Es gibt hier keine Kinder. Auschwitz, Gross-Rosen, Buchenwald. Zeichnungen eines kindlichen Historikers, Göttingen 1997. m Bamberger, Edgar, und Annegret Ehmann (Hrsg.): Kinder und Jugendliche als Opfer des Holocaust, Heidelberg 1995. m Bracker, Jörgen (Hrsg.): Die Kinder vom Bullenhuser Damm, Hamburg 1994. m Bringmann, Fritz: Kindermord am Bullenhuser Damm, Frankfurt am Main 1979. m Deutschkron, Inge:... denn ihrer war die Hölle. Kinder in Gettos und Lagern, Köln 1985. m Deutschkorn, Inge, und Lukas Ruegenberg: Papa Weidt, Kevelaer 2001. m Dwork, Debórah: Kinder mit dem gelben Stern. Europa 1933 1945, München 1994. m Frister, Roman: Die Mütze oder der Preis des Lebens, Berlin 1998. m Kertész, Imre: Roman eines Schicksallosen, Berlin 1996. m Klarsfeld, Serge: French Children of the Holocaust. A Memorial, New York, London 1996. m Klee, Ernst: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer, Frankfurt am Main 2001. m Meyer, Alwin: Die Kinder von Auschwitz, Göttingen 1995. m Schwarberg, Günther: Der SS-Arzt und die Kinder. Bericht über den Mord vom Bullenhuser Damm, Hamburg 1982. m Sierakowiak, Dawid: Das Ghettotagebuch. Aufzeichnungen eines Siebzehnjährigen 1941/42, Leipzig 1993. m Spiegelman, Art: Maus. Die Geschichte eines Überlebenden, Bd. 1 und 2, Reinbek 1999. Georges André Kohn

Literatur / Filme / CD-Roms / Links Filme G»Der Rosengarten«(105 Min) Spielfilm, Deutschland ZDF 1989 (Regie: Fons Radenakers); Spielfilm über die Suche von Aaron Reichenbach nach seiner Schwester Rachel, die am Bullenhuser Damm ermordet wurde. G»Auf Wiedersehen Kinder«(100 Min) Spielfilm, Frankreich 1987 (Regie: Louis Malle); Der Film erzählt vom Schicksal eines jüdischen Jungen, der in einem katholischen Internat versteckt lebt und 1944 von einem Küchengehilfen verraten wird. G»Liebe Kitty«(25 Min) Spielfilm, Niederlande 1989 (Regie: Wouter van der Sluis); Der Film erzählt Anne Franks Leben im Versteck. CD-ROM S»Das Anne Frank Haus. Ein Haus mit einer Geschichte«, 2002. ASIN: 3896273361 Links E http://www.erinnern-online.de E http://www.hamburg.de/neuengamme/bullenhuserdamm.html E http://www.step21.de E http://www.izieu.alma.fr E http://www.resistance-en-isere.com Georges André Kohn

Impressum Recherche u. Text Annegret Ehmann, Stefanie Fischer Redaktion Stefanie Fischer Gestaltung sujet.design Claudia Winter, Oliver Temmler Verantwortlich Prof. Dr. Sibylle Quack Unser besonderer Dank gilt Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Richard Cossmann, Gymnasium Herborn Laura Dostmann, Seifertshofen Gedenkstätte Hadamar Gedenkstätte Lidice, Tschechische Republik Sonja Haderer-Stippel, Österreich Heime Scheuern, Nassau / Lahn Gottfried Kößler, Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main KZ-Gedenkstätte Neuengamme Bertil Langenohl, Max-Ernst-Gymnasium der Stadt Brühl Anna Matthias, Kaltenkirchen Halina Piotrowska, Polen Prof. Dr. Christoph Schminck-Gustavus, Bremen Staatsarchiv Bremen Stadt Hadamar, der Magistrat Herr Lanio Prof. Karl und Anna Stojka, Österreich Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, 2003 Georges André Kohn