Traumatisierung - auch bei Männern ein Weg in die Sucht? Hinweise zu Diagnostik und Therapie Dipl.-Psych. Brigitte Ranner
Inhalt: Was ist ein Trauma? Was traumatisiert Männer? Traumafolgestörungen Trauma und Sucht Wege der Heilung
Was ist ein Trauma? Definition Unter Traumata versteht man kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde. (ICD-10: Weltgesundheitsorganisation, 1994).
Was ist ein Trauma? Wann ist eine Erfahrung traumatisch? Ein Mensch gerät in eine Situation (Opfer oder Zeuge) die als extrem bedrohlich oft lebensbedrohlich erlebt wird und die es tatsächlich auch ist. Das zentrale Gefühl des Erlebens ist massive Angst. Die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten reichen nicht aus, um die Situation zu verarbeiten. Weder Kampf noch Flucht sind möglich. Es folgen Kontrollverlust, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Folge: dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis
Was ist ein Trauma? Was ist ein Trauma? Naturkatastrophen (z.b. Erdbeben, Tornado, Überschwemmung, Feuer, Tsunami) Krieg, Vertreibung, Folter politische Inhaftierung Kriminelle Handlungen, Gewaltverbrechen (Raubüberfälle, Kidnapping, Mord) Unfälle (Verkehrsunfälle; Zug-, Flugzeug-, Schiffsunglücke; Absturz beim Bergsteigen ) Invasive medizinische Eingriffe (Intensivstation) Schwere Krankheiten Gewalt Sexualisierte Gewalt Schwere Vernachlässigung in der Kindheit körperlich, psychisch, emotional Plötzliche Verluste vertrauter Menschen und sozialer Sicherheit Konfrontation mit Traumafolgen als Helfer (z.b. Polizisten, Feuerwehrler, Ärzte) Zusammenleben als Kind mit traumatisierten Eltern (Holocaust-Opfer oder Kriegsopfer, Opfer sexualisierter Gewalt) (nach L. Reddemann)
Was ist ein Trauma? Traumaeinteilung nach Terr 1991: Typ I kurzdauernd Schicksalhafte Ursache Unfall Naturkatastrophe Technische Katastrophe u.ä. Menschengemachte Ursache Vergewaltigung/sexualisierte Gewalt Überfall Physische Gewalt u.ä.
Was ist ein Trauma? Traumaeinteilung nach Terr 1991: Typ II langdauernd Schicksalhafte Ursache Lang anhaltende Natur- Katastrophe u.ä. Menschengemachte Ursache Sexualisierte / physische Gewalt in der Kindheit Emotionale Vernachlässigung in der Kindheit Überstimulation (abuse) und Deprivation (neglect) in der Kindheit Folter, Geiselnahme, Kriegsgefangenschaft, u.ä.
Was ist ein Trauma? Faktoren bei der Traumaentstehung: Einmaliges Erlebnis im Erwachsenenalter kann i.d.r. besser verarbeitet werden als wiederholte, andauernde Traumatisierung in der Kindheit Naturkatastrophen können besser verarbeitet werden als von Menschenhand verübtes Trauma Je enger die Beziehung zum Täter, desto schwerer die Folgen (Vertrauensbruch) Je mehr unterstützende Faktoren vorhanden sind, desto besser ist der Umgang mit schweren Belastungen, z.b. unterstützende Bezugspersonen, persönliche Fähigkeiten (Hilfe holen können), gute emotionale Grundlage (Bindung in der Kindheit), persönliche Verletzlichkeit
Was traumatisiert Männer? Heldenberufe Feuerwehrmänner Polizisten Soldaten Notärzte Rettungssanitäter Wachmänner Ersthelfer
Was traumatisiert Männer? Sebastian, 42: Seit seinem 16. Lebensjahr ist er aktives und begeistertes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Er hat schon viele schreckliche Szenen erlebt, war bei vielen Bränden und Unfällen im Einsatz. Dass er hilflos zusehen musste, wie die junge Frau, die im Auto eingeklemmt war, verblutete, kann er sich nicht verzeihen. Mit seiner Frau will er darüber nicht reden, er will sie nicht belasten. Sie macht sich Sorgen, weil er so gereizt ist und täglich zur Flasche greift. Von seinen Selbstvorwürfen ahnt sie nichts.
Was traumatisiert Männer? Was traumatisiert Männer? Feuerwehrstatistik 2011 (Bayern): Alle 2,5 Minuten ein Feuerwehreinsatz 220.000 Einsätze im Jahr Über 330.000 Feuerwehrler (7.700 FFW) 121.000x technische Hilfe / Verkehrsunfälle 52.000 Rettungseinsätze der Berufsfeuerwehren 21.421 Brände
Was traumatisiert Männer? Markus, 31: Vor zwei Jahren ist er bei einem Wohnungsbrand fast gestorben. Monatelang war er in Kliniken, hat zahlreiche Hauttransplantationen hinter sich. Jede Nacht wacht er schreiend auf. Er leidet unter massiven Albträumen, in denen er wieder und wieder brennt, riecht sogar verbrannte Haut. Alkohol hilft ihm, etwas besser schlafen zu können.
Was traumatisiert Männer? Straftaten: Polizeiliche Kriminalstatistik 2012: Straftaten insgesamt 5.997.040 Gewaltkriminalität insgesamt 195.143 davon: Mord und Totschlag 2.126 Raubdelikte 48.711 Vergewaltigung und sexuelle Nötigung 8.031 Gefährliche / schwere Körperverletzung 136.077 Opferzahlen 2012: Männer 584.523 Frauen 391.566
Was traumatisiert Männer? Rolf, 47: Er hat seinen Vater gefunden, nachdem dieser sich ohne Vorwarnung im Schuppen erhängt hatte. Er hätte sich gerne verabschiedet. Und er versteht nicht, wieso. Alkohol unterstützt ihn bei der Trauerbewältigung.
Was traumatisiert Männer? Suizide: Über 10.000 Deutsche nehmen sich jährlich das Leben. Auf jeden Suizid kommen etwa 15 bis 20 Suizidversuche. Suizid ist zweithäufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen bis 25 Jahre. Es nehmen sich etwa dreimal so viele Männer wie Frauen das Leben. In acht von zehn Fällen kündigt der Betroffene seine Absichten vorher an. Jeder Suizid betrifft mindestens sechs weitere Menschen Familienmitglieder, Freunde und Bekannte (www.schroederschombs.com/newsroom/fakten-zum-welt-suizidpraeventionstag-2012-infografik/)
Was traumatisiert Männer? Hans, 56: Eigentlich hat er sich immer für einen guten Autofahrer gehalten. Doch dieses eine Überholmanöver ging schief. Der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs war Vater von zwei Kindern. Er starb bei dem Unfall. Hans leidet seither an schweren Depressionen und Angstattacken. Alkohol und Medikamente lindern die Symptome und die Erinnerungen ein klein wenig.
Was traumatisiert Männer? Verkehrsunfälle (Unfallstatistik 2012): (www.auto-motor-und-sport-de) Statistisches Bundesamt: 3.606 Verkehrstote in 2012 384.100 Verletzte Durchschnittlich sterben 10 Menschen täglich im Straßenverkehr und mehr als 1.000 werden verletzt.
Was traumatisiert Männer? Manfred, 54: Lokführer war schon immer sein Traumberuf gewesen. Den ersten Personenschaden hat er gut weggesteckt. Der zweite Selbstmörder machte ihm sehr zu schaffen. Seit dem vierten Suizid vor seiner Lok ist er nicht mehr in der Lage, einen Zug zu besteigen. Die Bilder verfolgen ihn ständig. Alkohol vertreibt zumindest vorübergehend die Bilder aus seinem Kopf.
Was traumatisiert Männer? Personenunfälle www.destatis.de (statistisches Bundesamt): 2010 gab es 274 Personenunfälle im Schienenverkehr
Was traumatisiert Männer? Todesfälle: 2011 starben im Bundesgebiet 882.328 Menschen davon 2.408 Säuglinge im ersten Lebensjahr und 1.691 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 21 Jahren Eltern, Verwandte, Freunde trauern.
Was traumatisiert Männer? Krieg Folter Vertreibung: UNO Flüchtlingshilfe 2013: Derzeit befinden sich weltweit fast 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht. 15,2 Millionen von ihnen gelten nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtlinge. Vier von fünf Flüchtlingen (80 Prozent) leben in Entwicklungsländern, da die meisten Flüchtlinge lediglich in ein angrenzendes Nachbarland fliehen.
Was traumatisiert Männer? Länder in denen 2012 Kriege stattfanden: Afrika: 13 Kriege: Algerien Äthiopien Burundi Mali - Demokratische Republik Kongo Libyen - Nigeria Senegal Somalia Sudan Südsudan Uganda - Zentralafrikanische Republik Vorderer und Mittlerer Orient: 9 Kriege: Afghanistan Irak - Iran (Kurdistan) - Israel (Palästina) Syrien - Russland (Nordkaukasus) Tadschikistan - Türkei (Kurdistan) Amerika: 1 Krieg: Kolumbien Asien: 9 Kriege: Indien (in Indien herrschen derzeit sogar 4 Kriege) Myanmar Pakistan - Philippinen (2) Thailand (Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung Hamburg 2012)
Was traumatisiert Männer? Migration und Flucht: (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) Seit 1995 sind in der BRD jährlich zwischen 20.000 und ca. 130.000 Asylanträge gestellt worden. Bis April waren es in 2013 26.792 Asyl- Erstanträge. Die Menschen stammen v.a. aus folgenden Ländern: Russische Föderation Syrien Afghanistan Iran Serbien Mazedonien Irak Pakistan Somalia - Georgien
Was traumatisiert Männer? Karl, 29: Eigentlich ist er ein harter Kerl, Berufssoldat. So leicht haut ihn nichts um. Monatelang war er in Afghanistan eingesetzt. Irgendwann konnte er die ständige Lebensgefahr, die Schüsse, die Angriffe, die Toten nicht mehr ertragen. Heute kommt er ohne Suchtmittel nicht mehr klar. Immer wieder denkt er darüber nach, sich das Leben zu nehmen.
Was traumatisiert Männer? Bundeswehrsoldaten: (www.bundesregierung.de) Die afghanischen Sicherheitskräfte übernehmen nach und nach selbst die Verantwortung im gesamten Land. Im laufenden Jahr werden daher nur noch bis zu 4.400 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan eingesetzt. Diese Zahl soll bis Ende Februar 2014 auf 3.300 sinken.
Was traumatisiert Männer? Seniorinnen und Senioren, die im 2. Weltkrieg traumatisiert wurden: 16,9 Millionen Deutsche gehören zur Generation 65+ Viele von ihnen entstammen der Generation der Kriegskinder (Jahrgänge 1930 1945) Schätzungen zufolge ist ein Drittel der Kriegskinder traumatisiert, etwa 5 Prozent davon schwer. Wiederbelebte Kriegserlebnisse können Traumafolgestörungen hervorrufen. In deutschen Altenheimen tobt der Zweite Weltkrieg (Katja Thimm, zit. in Deutsches Ärzteblatt, Heft 4, 2013)
Was traumatisiert Männer? Tim, 34 In seiner Kindheit hat er jahrelang sexualisierte Gewalt im familiären Umfeld erlitten. Erstkontakt mit Alkohol und Cannabis hatte er im Alter von 11 Jahren. Bis heute hilft es ihm, das Kopfkino auszuschalten. Ohne Suchtmittel kann er den Horror im Kopf nicht ertragen.
Was traumatisiert Männer? Sexualisierte Gewalt an Jungen: Polizeiliche Kriminalstatistik 2012: im aktuellen Berichtsjahr 12.623 Fälle (+1,4 Prozent) (Jungen und Mädchen) In diesem Deliktbereich muss nach wie vor von einem hohen Dunkelfeld ausgegangen werden. Dirk Bange, 1992, erste deutsche Dunkelfelduntersuchung über das Ausmaß und die Folgen sexualisierte Gewalt gegen Mädchen und Jungen: Ergebnis: 8 % von 343 männlichen Studenten gaben ab, gegen ihren Willen vor dem 16. Lebensjahr sexualisierte Gewalt erlitten zu haben. Wetzels, 1994: repräsentative Befragung an 1.604 Männern: 4 9 % gaben an, sexuellen Missbrauch vor dem 16. Lebensjahr erlitten zu haben. ca. jeder 12. Junge erleidet sexualisierte Gewalt vor dem 16. Lebensjahr
Traumafolgestörungen Traumafolgestörungen Als mögliche Traumafolgestörungen gelten u.a. (Schellong 2007,11): Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0) Anpassungsstörungen (ICD-10 F43.2) Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) Andauernde Persönlichkeitsänderung n. Extrembelastung (ICD-10 F62) Dissoziative Störungen (ICD-10 F44) Verschiedene traumaassoziierte Störungen wie Substanzabhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen, Ess-Störungen, affektive und Angststörungen
Traumafolgestörungen Akute Belastungsreaktion F43.0 Die Akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0) ist eine vorübergehende Störung von beträchtlichem Schweregrad, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung entwickelt, und im allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt (WHO 1993,168).
Traumafolgestörungen Anpassungsstörung F43.2 Bei Anpassungsstörungen (ICD-10 F43.2) handelt es sich um Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung, nach einem belastenden Lebensereignis oder auch nach schwerer körperlicher Krankheit auftreten (WHO 1993,170). Unterschieden werden folgende Störungsbilder (WHO 1993,172): Kurze depressive Reaktion (ICD-10 F43.20) Längere depressive Reaktion (ICD-10 F43.21) Angst und depressive Reaktion gemischt (ICD-10 F43.22) Mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen (ICD-10 F43.23) Mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens (ICD-10 F43.24) Mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten (ICD-10 F43.25) Mit sonstigen spezifischen deutlichen Symptomen (ICD-10 F43.28)
Traumafolgestörungen Posttraumatische Belastungsstörung F43.1 Um die Diagnose einer PTBS stellen zu können, muss (zusätzlich) zu dem Trauma eine wiederholte unausweichliche Erinnerung oder Wiederinszenierung des Ereignisses in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen auftreten (WHO 1993,170). Beginn innerhalb von 6 Monaten nach einem traumatisierenden Ereignis von außergewöhnlicher Schwere. Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (ICD-10 F43.1) entsteht als verzögerte oder protrahierte Reaktion (WHO 1993,169) auf ein traumatisches Ereignis. Als Symptome einer Posttraumatische Belastungsstörung gelten (WHO 1993,169; Schellong 2007,5/6):
Traumafolgestörungen Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (1) Wiederholtes Erleben des Traumas: Intrusionen in Form von Flashbacks sowie sich aufdrängenden Erinnerungen in der Gegenwart und/oder in Träumen
Traumafolgestörungen Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (2) Vermeidungsverhalten: Vermeidung von Triggern (Aktivitäten, Situationen und sonstigen Hinweisreizen, die Erinnerungen an das ursprüngliche Trauma auslösen könnten)
Traumafolgestörungen Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (3) Emotionale Anästhesie/Konstriktion: andauerndes Gefühl von Betäubtsein; Freezing-Zustände; emotionale Stumpfheit; Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen; Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber; Anhedonie
Traumafolgestörungen Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (4) Übererregtheit (Hyperarousal) und Angst: vegetative Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung; Ein- und Durchschlafstörungen; Reizbarkeit und Wutausbrüche; Panikattacken; Konzentrationsschwierigkeiten; erhöhte Schreckhaftigkeit; teilweise oder vollständige Unfähigkeit der Erinnerung an bestimmte Aspekte des Traumas; Suizidgedanken; selbstverletzendes Verhalten
Traumafolgestörungen Symptome Posttraumatische Belastungsstörung (5) Weiterhin sind dissoziative Zustände möglich, also der Verlust der psychischen Integrität des Erlebens und des Handelns in Form einer kurzzeitigen Unterbrechung der eigenen Bewusstheit, des Gedächtnisses, des Identitätserlebens und der Wahrnehmung der Umwelt (Schellong 2007,14).
Traumafolgestörungen Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung F62.0 Späte, chronifizierte Folgen von extremer Belastung, d.h. solche, die noch Jahrzehnte nach der belastenden Erfahrung bestehen (WHO 1993,170). (...) Es müssen folgende Merkmale vorliegen (WHO 1993,235): Feindliche oder misstrauische Haltung der Welt gegenüber Sozialer Rückzug Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit Chronisches Gefühl von Nervosität wie bei ständigem Bedrohtsein Entfremdung
Traumafolgestörungen Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) (ICD-10 F44) Als Hauptmerkmal dissoziativer Störungen gilt die Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktion des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt (Bittner 2005). Das ICD-10 nennt folgende dissoziativen Störungen: Dissoziative Amnesie (ICD-10 F44.0) Dissoziative Fugue (ICD.10 F44.1) Dissoziativer Stupor (ICD-10 F44.2) Trance und Besessenheitszustände (ICD-10 F44.3) Dissoziative Störungen der Bewegung und der Sinnesempfindung (ICD-10 F44.4-F44.7) Sonstige dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) (ICD-10 F44.8) Multiple Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F44.81) Nicht näher bezeichnete dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) (ICD-10 F44.9)
Traumafolgestörungen Persönlichkeitsstörungen (ICD-10 F60.x / F61) Persönlichkeitsstörungen beginnen in der Kindheit oder Adoleszenz und manifestieren sich endgültig im Erwachsenenalter. Sie umfassen tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Man findet deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu anderen. Häufig gehen sie mit persönlichem Leiden und gestörter sozialer Funktions- und Leistungsfähigkeit einher. (WHO, 1993, 225ff.)
Traumafolgestörungen Das ICD-10 nennt folgende Persönlichkeitsstörungen: paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.0) schizoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.1) dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) emotional instabile Persönlichkeitsstörung impulsiver Typus (ICD-10 F60.30) Borderline Typus (ICD-10 F60.31) histrionische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.4) anankastische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.5) ängstlich (vermeidende) Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.6) abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.7) sonstige spezifische Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.8) nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.9) kombinierte und sonstige Persönlichkeitsstörungen (ICD-10 F61)
Traumafolgestörungen Sonstige mögliche Traumafolgen: Abhängigkeitserkrankungen Essstörungen Depressionen Angststörungen Zwangsstörungen (häufig Komorbidität, insbesondere mit Abhängigkeitserkrankungen)
Trauma und Sucht Trauma und Sucht Studien von Simpson und Miller, 2002: Bis zu 67 % der weiblichen und bis zu 29 % der männlichen Patienten in Suchtbehandlung haben in der Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt Etwa ein Drittel der Patienten hat Gewalterfahrungen in der Kindheit gemacht Suchtpatienten haben deutlich häufiger als Erwachsene eine Traumatisierung erlebt Kendler et al., 2000: Zwillingsstudie (an Frauen): Gab es sexuellen Missbrauch in der Kindheit, ist die Wahrscheinlichkeit bis zum 6,5fachen erhöht, später alkohol- oder drogenabhängig zu werden.
Trauma und Sucht Trauma und Sucht Ranner, 2003: Bei der Betrachtung von 130 Patientinnen, die in der Fachklinik Furth zur stationären Langzeitentwöhnung in der Abteilung Sucht aufgenommen waren, zeigte sich, dass 40% von ihnen angegeben hatten, in ihrem Leben einmalig oder wiederholt sexualisierte Gewalt erlebt zu haben. Die traumatischen Erfahrungen beinhalteten sexualisierte Gewalt in der Kindheit, sog. Missbrauch, versuchte oder stattgefundene Vergewaltigungen als Jugendliche oder Erwachsene oder Vergewaltigungen in der Ehe
Trauma und Sucht Sonstige mögliche Traumafolgen: Schäfer (2006) und auch Kuhn (2004) konnten feststellen, dass Abhängigkeitserkrankungen in starkem Zusammenhang mit Traumatisierungen gesehen werden müssen. MacMillan et al. (2001): 33% (Kontrollgruppe 19%) der untersuchten Männer mit Erfahrung sexuellen Missbrauchs waren alkoholmissbrauchend/-abhängig, 24% (Kontrollgruppe 18%) der untersuchten Männer mit Erfahrung körperlicher Misshandlung waren alkoholmissbrauchend/-abhängig. Kessler et al. (1997): Lebenszeit-Prävalenz für eine PTBS von 5% bei Männern und 10,4% bei Frauen. 88% Männer und 79% Frauen mit einer PTBS zeigten zudem eine enorm hohe Rate weiterer psychiatrischer Störungen. Die Chance für einen Alkoholmissbrauch lag für Männer bei 2,06. In der Mehrheit der Fälle ging die PTBS-Symptomatik dem schädlichen Konsum voraus.
Trauma und Sucht Sonstige mögliche Traumafolgen: Eine Auswertung der Diagnosen 2006 vs. 2012 bei männlichen Patienten der Fachklinik Furth im Wald ergab folgende Zahlen (Bachmeier, 2013): Hauptdiagnosen 2006 2012 N=702 N=637 F10.X 88,9% 87,8% F1X.X 1,9% 5,5 % F63.0 0,0% 2,2%
Trauma und Sucht Sonstige mögliche Traumafolgen: 2006 2012 Männliche Patienten N=702 N=637 Nebendiagnosen F32, F33, F34.1 22,9% 41,9% F40, F41 6,0% 6,9% F43.1 1,9% 3,9% F44 0,1% 0,2% F45 0,4% 3,1% F60 5,4% 5,2% F62.0 0,0% 0,0%
Trauma und Sucht Erklärungsmodelle Sucht als Selbstheilungsversuch (Selbstmedikationshypothese) (Kontrolle über Erinnerungen und negative Gefühle; Möglichkeit, positive Gefühle zu erleben; am Leben teilnehmen können durch Reduktion von Selbstunsicherheit und Scham) Hochrisikoverhalten bei Drogenabhängigen (Unfälle, milieubedingte Gewalt ) Erhöhte Sensibilität: Drogenkonsum macht anfälliger für PTBS, Thematik kann wegen des Konsums schwerer verarbeitet werden
Trauma und Sucht Patientenbefragung Mai 2013 (Ranner) 154 männliche Patienten erhielten einen Fragebogen anonyme Befragung nach schlimmen Erlebnissen in der Vorgeschichte Rücklauf: 66,9 % (davon auswertbar: 58,4 %) keine schlimmen Erlebnisse: 16,9 % schlimme Erlebnisse: 41,6 % die Gruppe, die schlimme Erlebnisse in der Vorgeschichte hatte, wurde gebeten, den IES (Impact of Event Scale nach Horowitz) auszufüllen 24 % der 154 männlichen Patienten zeigen Hinweise auf das Vorliegen einer mittelgradigen bis schweren PTBS
Wege der Heilung Möglichkeiten und Grenzen in der stationären Suchttherapie Behandlungsbausteine: Therapie ist ein komplexes Geschehen, das im Verständnis der Fachklinik Furth im Wald skizziert werden kann durch folgende vier Elemente des Therapieprozesses: Verstehen Entscheiden Ändern - Stärken Schritte der Traumatherapie: Stabilisieren Konfrontieren - Integrieren Suchtmittel als Krücke Zweck herausarbeiten und ein Stattdessen finden Stabilisierungstechniken als Alternative zum Suchtmittelkonsum Verzahnung von Suchtbehandlung und Traumabehandlung
Wege der Heilung Traumaspezifische Angebote in der Fachklinik Furth Ressourcenorientierte Psychotherapie in der Einzel- und Gruppentherapie Indikativgruppen Traumabewältigung (Skillstraining), getrennt für Frauen und Männer: Ziel: Stabilisierung Inhalte: Psychoedukation, Achtsamkeitstraining, Bewegungsübungen, Imaginationsübungen (Tresor, Sicherer Ort), Erstellen eines Notfallkoffers, Bewusstmachung eigener Ressourcen Motto: von der Ohnmacht zur Kontrolle Wichtig: keine Schilderung des Erlebten, um Retraumatisierung und Intrusionen zu vermeiden In Einzelfällen: Traumakonfrontation und Integration
Wege der Heilung Ziel der Traumatherapie: Symptomreduktion Verbesserung der Lebensqualität
Wege der Heilung Dirk Bange: Auch Indianer kennen Schmerz.