Katja Brunner Von den Beinen zu kurz - Vorausfassung - (c) henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2010 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH Marienburger Str. 28 10405 Berlin verlag@henschel-schauspiel.de Tel.: 030-4431 8888
von den beinen zu kurz von Katja Brunner 2
Ein Stück für vier oder fünf SchauspielerInnen oder 13 Männer in Bademänteln. Alle Stimmen sind einem weiblichen Ich zugehörig. Ausserdem ist die Wirklichkeit eine interpretativ gestaltbare Gegebenheit, selbst über die eigene Wahrnehmung des Ichs hinaus. 3
OP 1 Meine Beine gehören mir nicht das was ich da sehe ist nicht mein Körper das ist ein Anhängsel an einem Denkzentrum dran das hat man im Bauch meiner Mutter so zusammengeflickt ich höre eine Stimme; Sie sollte langsam wieder zu Bewusstsein kommen; es ist hell ein monotones hohes Piepen eine kleine Kraftlosigkeit ein Atmen unwillkürlich schnell das ich zu kontrollieren versuche jetzt anhalten Luftgang stoppen es gelingt mir nicht mir ist als atmete ich von aussen Langsam sollte sie zu Bewusstsein kommen in meinem Hinterkopf ein dumpfes Pochen ich weiss nicht warum ich will mich räuspern ein Hunger ein Durst ein Verlangen nach einer Erklärung oder mindestens einem Glas Sirup das dumpfe Pochen ist auch in den Ohren im gesamten Körper unwillkürlich ein Pochen das man nicht sieht glaube ich ich sehe nur diese sich schnell bewegende Brust wie ein Falter, der an Flugstaub auf seinen Flügeln verloren hat erfolglos sein Flügelschlag noch ein Flügelzucken nervös unkontrolliert spastisch Kabel Bänder Schläuche Spreizer Haken Licht auf Silberplättchen von oben herab mein Gesicht zerschnitten in zigfacher Reflektion ein stetes Geräusch irgendwo genauso wie meine Brust geht, geht das Geräusch, einszweidreivierfünfsechsweiter ich möchte diese Lippen schürzen dieser Stimme handhabbar werden kein Fiebertraum keine Alarmsirene bloss der Stimme handhabbar werden mein Atmen ist mir nicht eigen meine Kehle nicht ich habe keine Stimmbänder glaube ich Bestürzung wo sind die Stimmbänder ich denke laut wo sind meine Stimmbänder ich wiederhole Wo sind meine Stimmbänder wo sind meine Stimmbänder wo sind meine Stimmbänder ein Mantra ein ungehörtes nur mein Denken, dort zirkuliert die Frage bis das BÄNDER mit dem WO zerläuft bis sich die Worte im Denken übereinanderlegen einander nachjagen das WO das BÄNDER frisst bis sie nicht mehr zu unterscheiden sind Bis es macht in mir: Man hat mich ruhig gestellt man hat mich ruhig gestellt Ein Tuch ein Leichentuch über meinen Körper drapiert zwei gerade Linien ziehen sich von den Zehen bis zum Oberkörper ich will Unruhe in die Linien bringen ich denke an meine Füsse Füsse wie harter Lehm eine Stimme kommt näher 4
So Fütterung der Raubtiere jetzt Ein Lachen. Heute gibt s das mediterrane Menu, wo ist da die Vorfreude Ich denke lächeln ich bewege ab jetzt alles über meine Denkzentrale beschliesse ich und hoffe der Gedanke bringt die Bewegung etwas wird mir vorgesetzt mein Kopf nicht drehbar das Sichtfeld eingeschränkt ist da ein Tablett orange darüber Tassen Teller Körperteile eine Hand legt eine Serviette auf meine Brust Gegen das Kleckern, Sie wissen schon Ich höre Schritte, eine Hand schiebt sich vor mich, Gabel Messer Bunsenbrenner wieder weg Aufgiessen von Wasser, ich höre kochendes Wasser, ich sehe eine Pfanne man kippt sie ein Pfleger austauschbar er will vom Wasser in meine Tasse träufeln ich versuche mit aller Kraft meine Stimme zu nutzen WO SIND MEINE STIMMBÄNDER Bis er aus Versehen ausschüttet Tut mir leid das war ein langer Strahl fast ein Pissstrahl es geschieht nichts er ruft Es tut mir leid das wollte ich nicht es wird schon heilen verzeihen Sie Ich warte auf den Schmerz, der eintreten soll jetzt Nichts Gar nichts Er lächelt über mir entschuldigend Der Pfleger souverän mächtig am Bettrand jetzt nur noch Kind im zu grossen Körper Kopf von Schultern überragt Murmelt Sorry 5
Holt die Pfanne Kippt grosszügig Es ist eine grosse Pfanne, übrigens Die sich jetzt erfolgreich über mich ergiesst Ich stelle mir die Wärme vor Ich nehme eine andere Form an auf meiner Brust ist das Pochen jetzt davon herunterverschwunden da ist jetzt eine Blasenfarm da wirft die Haut Blasen en masse das ist die Oberfläche des Zeugs im Hexenkessel meine Haut was gibt s daran zu hassen ein Naturspektakel Das Pflegerkind und ich Wir schauen gebannt zu das ist besser als alles Was diese Haut alles tun kann wie das um sich greift das Blasenwerfen wie das jetzt raufkriecht Richtung Gesicht über den Hals erst die Schlüsselbeinknochen ein Blasentanz schön weiter hoch bis zum Kinn über das Kinn bis hin zu dieser Steigung unterhalb der Unterlippe die Blasen rücken an ich frage im Denkzentrum nicht mal mehr nach den Stimmbändern Da die Türe das Geräusch Gummirand wird zusammengepresst wieder geöffnet ich denke Ach Gott noch ein Zuschauer stell dich neben das Pflegerkind Ist ein Arzt Kittelchen sauber der Arzt von vorher Tellerhände Herr Doktor Doktorus Palmus Tarantel er begutachtet die Blasen übergross seine Augen in meinem Gesicht mustert ihre Fortbildung nickt mir anerkennend zu Sie sind ein wunderbares Kaninchen VERBRÜHUNG DAS DIENT DER ABHÄRTUNG IST LEBENSNOTWENDIG FÜR SIE DIE BLASEN WERDEN SICH ZURÜCKZIEHEN DAS SIND SOGENANNTE TEMPOBLASEN SO NENNEN WIR DIE UNTER UNS SIE HELFEN SICH DAMIT, DER FORSCHUNG, UNS Gesicht gross über meinem nochmals Blasen auch sichtbar, wenn ich geradeaus schaue die sind immer da um meine Augen herum das sind permanent Blasen wie ich sie nenne ich mache mir fast in die Hosen glaube ich ich frage laut WO SIND MEINE STIMMBÄNDER Doktor Doktorus lächelt, greift in den Kittel, er zaubert etwas hervor, er meint 6
Zum Nachtisch Es ist etwas aus Haut gemacht, wurstig prall rötlich gute Durchblutung ich mustere, konzentriert es ist meine gesamte Konzentration bei diesem Nachtisch, ich denke an Blutwurst Mettwurst Bratwurst WienerWürstchen Papawurst ich bleibe stehen bei Papawurst das ist eine Papawurst da unwillkürlich ist ein Lächeln ich glaube es transportiert sich nach draussen ich frage mich, ist sie gezuckert Die Freude der Herren ist ein Freudenfeuer für mich das Pflegerkind lehnt sich über mich Ellenbogen fast im Gesicht er will sich mit den Brandblasen nicht anstecken weicht zurück Gabel und Messer in die Hand eins ums andere behandschuht der Doktor Doktorus heisst es gut ich hätte dieses Gefühl gerne einmal wieder ein klein wenig Hitze in meinem Gesicht aber was ich habe ist das Innerliche diese Freude unweigerlich über die Papawurst die Arme Hände Sehnen Muskeln Elle Speiche was sonst noch dazugehört, die jetzt die Papawurst in kleine Stückchen zerteilen kleine Röllchen fast hauchdünn die müssen ein Nachtisch der besonderen Sorte sein ein Nachspiel darüber würde ich jetzt gerne lachen er öffnet meinen Mund Schlund schmunzelt Doktor Doktorus über den Brillenrand linst er seine Konzentration gilt mir ungeteilte Aufmerksamkeit fast ein Genuss, das Pflegerkind spiesst ein Wurströllchen auf die Gabel mir näher unterhalb meines Sehfelds in meinen Mund hinein gut vielleicht Geschmacksnerven - nein keine bedauernswert das Pflegerkind kommt mir zu Hilfe meiner Kiefermuskulatur erlahmt macht die Kaubewegung auf zu auf zu zermalmen ein Paar Zähne reiben aneinander gefährlich ich höre das durch das Schmatzen mein Schlucken funktioniert ich zähle ab noch 13 Wurströllchen voraus ich freue mich meine Speichelproduktion muss wohl angeregt sein - behutsam ist anders will ich zum Pflegerkind sagen, aber einen anderen Körper kriege ich bald ohnehin davon gehe ich aus 7