Nationaler Ethikrat. Wortprotokoll. Sitzung

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Transkript:

Nationaler Ethikrat Wortprotokoll Niederschrift über den öffentlichen Teil der Sitzung am 22. Mai 2003 in Berlin

(Beginn: 10.40 Uhr) Meine Damen und Herren! Ich eröffne unsere Sitzung und begrüße Sie herzlich. Ich möchte gleich hinzufügen, dass heute ein etwas komplizierter Tag ist; er ist deshalb kompliziert, weil wir ursprünglich zweierlei vorgesehen hatten: zum einen die Diskussion über die Gentests und zum anderen eine Unterhaltung über die neuesten Entwicklungen im Bereich der Stammzellenforschung mit besonderer Rücksicht auf die augenblickliche Diskussion in Frankreich. Dieser zweite Bereich sollte von Herrn Ganten eingeleitet werden. Herr Ganten musste bedauerlicherweise absagen, weil er - ich sehe das ein - dringend zu einer Anhörung der Europäischen Kommission nach Brüssel musste, und in der Zeit der supranationalen Beziehungen, in der wir leben, gilt in diesem Fall nicht der Grundsatz der Subsidiarität, sondern der Respekt vor der Europäischen Kommission. Damit entfällt dieser Tagesordnungspunkt. Den von mir zuerst genannten Tagesordnungspunkt Biobanken/Gentests wollten wir so beginnen - wir haben ihn vor dem Hintergrund der Überlegungen im Rahmen der DFG -, dass Frau Schöne-Seifert mit ersten Bemerkungen beginnt. Frau Schöne-Seifert ist aber noch nicht hier. Insofern kommt jetzt alles auf den armen Herrn Taupitz zu. Ich schlage also vor, dass wir mit Herrn Taupitz anfangen und dass sich dann Frau Schöne-Seifert mit ihren Ausführungen anschließt. Weil Herr Propping auch an der Diskussion bei der DFG beteiligt war, hören wir dann auch noch, was von Herrn Propping an ergänzenden Bemerkungen gebracht werden kann. Ich gehe davon aus, dass die Sitzung bis etwa 12.30 Uhr andauern wird. Wir können Ihnen aber auch - wir müssen dies aber heute nicht tun - eine Reihe von Angeboten im Internet zeigen, die sich immer mehr häufen, und zwar insbesondere zu den berühmten Papachecks. Diese Angebote haben den großen Vorteil, dass man sehen kann, wie sich die Gentests mehr und mehr kommerzialisieren und wie die Bedingungen sind, unter denen diese Art von Geschäften ablaufen. Wir beginnen jetzt also mit dem Tagesordnungspunkt Biobanken/Gentests - zu den Überlegungen der DFG Ich danke Ihnen, Herr Taupitz, dass Sie alles das auf sich nehmen werden, was ich gerade gesagt habe. Bitte, Herr Taupitz, Sie haben das Wort. Vielen Dank, Herr Simitis. - Im Nationalen Ethikrat muss man ja in jeder Hinsicht flexibel sein und deswegen beginne ich gern mit dem Bericht. Wenn ich Sie unterbrechen darf. Ich habe neulich von einem Staatssekretär der Bundesregierung gehört, flexibel sei nicht das richtige Wort, sondern man müsse von nun an gelenkig sagen. (Heiterkeit) Dann sind wir aber doch sehr bei den Orthopäden angelangt. Ich würde das doch hier auf die wissenschaftliche Diskussion beziehen wollen, und dafür sind die Orthopäden ja nicht zuständig mit ihren Gelenken. Die DFG hat bereits 1999 eine Stellungnahme unter dem Titel Humangenomforschung und prädiktive genetische Diagnostik: Möglichkeiten - Grenzen - Konsequenzen veröffentlicht. Diese Stellungnahme wurde innerhalb der DFG von der so genannten Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung vorbereitet. Diese Kommission besteht aus - das sage ich jetzt aus dem Handgelenk - etwa 15 Mitgliedern, selbstverständlich interdisziplinär zusammengesetzt. Aufgrund der rasanten naturwissenschaftlichen Entwicklungen, aber auch aufgrund der gesellschaftlichen Diskussionen hat man sich in der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung bereits im Jahre 2001 entschlossen, diese Stellungnahme zu überarbeiten, sie der Entwicklung anzupassen, auch den gesellschaftspolitischen Diskussionen entsprechend anzupassen, sie zu verfeinern. Das Ergebnis dieser Beratungen innerhalb der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung und dann auch des Präsidiums - solche Stellungnahmen müssen durch das Präsidium der DFG gebilligt werden - ist nun die Stellungnahme Prädiktive genetische Diagnostik - Wissenschaftliche Grundlagen, praktische Umsetzung und soziale Implementierung. Sie merken schon an den Schwerpunkten, die genannt werden - damals hieß es Humangenomforschung und prädiktive genetische Diagnostik: Möglichkeiten - Grenzen - Konsequenzen, jetzt heißt es enger begrenzt Prädiktive genetische Diagnostik - Wissenschaftliche Grundlagen, praktische Umsetzung und soziale Implementierung -, dass insbesondere die soziale Implementierung bei der Überarbeitung insgesamt eine größere Rolle als in der ersten Fassung gespielt hat. Die Stellungnahme ist von einer Arbeitsgruppe innerhalb der Senatskommission Grundsatzfragen der Genforschung vorbereitet worden. Als Gast in dieser Arbeitsgruppe hat auch Herr Propping teilgenommen. Deshalb kann er im Anschluss - er hat sich dazu bereit erklärt - etwas zu den naturwissenschaftlichen, zu den medizinischen Aspekten dieser Stellungnahme sagen. Die Stellungnahme ist zweigeteilt aufgebaut. Vorn finden Sie einen Empfehlungsteil, in dem relativ konkrete Schlussfolgerungen aus dem umfangreicheren Textteil gezogen werden. Der zweite Teil befasst sich mit dem naturwissenschaftlichen Hintergrund, beleuchtet die 2 Nationaler Ethikrat Sitzung 22.05.2003

Grundlagen, die Variabilität im menschlichen Genom und wendet sich dann genetisch bedingten Krankheiten zu. Ein weiterer Teil der Stellungnahme ist der genetischen Diagnostik in der medizinischen Praxis gewidmet, eigentlich etwas, was für die DFG nicht im Zentrum ihrer Interessen stehen müsste, weil sie ja forschungsorientiert ist. Aber natürlich sollte die Forschung irgendwann auch einmal in die Praxis übergehen, sodass da sicherlich keine trennscharfe Unterscheidung getroffen werden kann. Außerdem ist ja die Forschung auch sehr häufig in den medizinischen Kontext, in den Behandlungskontext, eingebunden. Der wohl gewichtigste Teil oder jedenfalls ein ganz gewichtiger Teil dieser Stellungnahme ist den ethischen und rechtlichen Aspekten der prädiktiven genetischen Diagnostik gewidmet und endet in diesem Bereich dann in den aktuell so sehr umstrittenen Fragen der Anwendung dieser Tests im Arbeitsbereich und im Versicherungsbereich. Ich möchte Ihnen zunächst ganz kurz vorstellen, welche die konkreten Schlussfolgerungen der Stellungnahme sind. Sie haben mir vorhin gesagt, dass ich auch ruhig etwas länger sprechen dürfe, damit auch die notwendigen Informationen in diesem Kreis verbreitet werden können. In der Stellungnahme haben wir unter prädiktiver genetischer Diagnostik die Möglichkeit verstanden, eine Krankheitsdisposition noch vor Ausbruch klinischer Symptome zu erkennen oder Aussagen zur Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Krankheiten zu machen. Die wissenschaftlichen Grundlagen dieser prädiktiven Diagnostik - man kann auch sagen, dieser präsymptomatischen Diagnostik - werden sodann in der Stellungnahme in ihrer sozialen Implementierung in ethisch-rechtlicher Hinsicht untersucht. Ein kurzer Abschnitt der Empfehlungen beschäftigt sich naheliegenderweise - das ist das Anliegen der DFG - auftragsgemäß mit der Forschung. Es wird dafür plädiert, Forschung auf diesem Gebiet weiter zu unterstützen, diese Forschung auch finanziell weiter zu fördern. Darauf möchte ich jetzt aber nicht weiter im Einzelnen eingehen, weil das - wie ich glaube - selbstverständlich ist. Die ethischen, die rechtlichen Dinge beginnen dann auch schon aus dem Blickwinkel der Praxis bei der wieder einmal geforderten Trias Beratung - Test - Beratung. Prädiktive genetische Diagnostik - so wird gesagt - sollte mit qualifizierter genetischer Beratung sowohl vor dem Test als auch nach dem Vorliegen des Testergebnisses verbunden sein. Vor einer prädiktiven genetischen Diagnostik ist die betreffende Person umfassend über das Ziel, die Bedeutung und die zu erwartenden Konsequenzen des Testergebnisses aufzuklären und ist - nach dieser Aufklärung - die rechtswirksame Einwilligung einzuholen. Man soll also - das ist jedenfalls den Insidern bekannt - die Leute nicht unwissend in den Test hineinlaufen lassen - dazu kommen wir gleich noch einmal aus dem Blickwinkel der Internetangebote solcher Tests - und sie letztlich vor vollendete Tatsachen stellen, wenn dann das Testergebnis vorliegt und sie jetzt mit Ergebnissen konfrontiert werden, die sie vielleicht für ihre weitere Lebensplanung gar nicht hätten haben wollen. Beratung und Zustimmung sind selbstverständlich zu dokumentieren und - das ist wiederum ganz wichtig - erzielte Testergebnisse und ihre Tragweite sind den untersuchten Personen ebenfalls im Rahmen einer ausführlichen Beratung zu erläutern und auch in Form eines schriftlichen Berichts zu übergeben. Es ist klar, dass eine solche differenzierte Beratung, die dann stattfindet, bei manchen hier hinein und dort hinaus geht; deswegen auch ein schriftlicher Bericht, in dem die wesentlichen Ergebnisse noch einmal nachgelesen werden können. Wer sollte denn nun solche Tests anbieten dürfen, wer sollte sie durchführen dürfen, wer sollte sie veranlassen dürfen? - Wenn ein so großer Wert auf die genetische Beratung vor Durchführung des Tests und nach Durchführung des Tests gelegt wird, dann muss man sich natürlich fragen, wie das in der Praxis funktionieren kann, dass die Leute tatsächlich entsprechend informiert werden und dass auch entsprechend qualifizierte Personen diese Beratung durchführen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die DFG einen so genannten Arztvorbehalt, der besagt, dass diese Tätigkeit letztlich Ärzten vorbehalten sein soll, hier also ein Monopol - wenn man es drastisch formulieren will - eingeführt werden sollte. So etwas gibt es in der deutschen Rechtsordnung auf diesem Gebiet bisher nicht. Wir haben eine ganze Reihe von Spezialregelungen, in denen jeweils punktuell Ärzten oder sogar Fachärzten bestimmte medizinische Tätigkeiten vorbehalten sind, aber das ist auf diesem Gebiet nicht der Fall. Selbst wenn man hier nun die letzte Barriere der Qualifikationsanforderungen heranzieht, nämlich das so genannte Heilpraktikergesetz - für Ärzte immer ein Grausen, dass dieses Gesetz auf diesem Gebiet die einzige Regulierungsmöglichkeit darstellt -, muss man doch wohl feststellen, dass das völlig unzureichend ist. Das Gesetz eröffnet Ärzten oder anderen Erlaubnisinhabern die Möglichkeit, auf dem Gebiet der Heilkunde tätig zu sein. Heilkunde umfasst auch das Erkennen von Krankheiten und damit auch das Erkennen von zukünftigen Krankheiten. Aber das Heilpraktikergesetz ist ein reines Gesetz der Gefahrenabwehr. Minimalkenntnisse werden von den Erlaubnisinhabern verlangt, sodass das sicherlich nicht einen Qualitätsstandard sicherstellen kann, wie es gerade auf dem sensiblen Gebiet der prädiktiven genetischen Diagnostik erforderlich ist. Ich betone noch einmal: Wir sprechen hier nur über die prädiktive oder präsymptomatische genetische Diagnostik, nicht über den bloßen Blick auf den Nachbarn, ist er - genetisch bedingt - Mann oder Frau. Das ist im eigentlichen Sinne natürlich auch ein genetischer Test - wenn man so will -, aber das wird von dieser Stellungnahme nicht umfasst. Es wird also ein Arztvorbehalt vorgeschlagen. Es wird vorgeschlagen, durch Gesetz - anders als durch ein Gesetz geht es nicht - diese Tätigkeit bei den Ärzten zu monopolisieren. Man hat dadurch in einer Gesellschaft auch relativ feste und sichtbare Verantwortungsstrukturen. Man weiß, welche Berufsgruppe, welche abgegrenzte Berufs- Nationaler Ethikrat Sitzung 22.05.2003 3

gruppe für diese Tätigkeit verantwortlich ist. Man hat - wie soll ich es sagen? - die im Grundsatz bewährten Regelungsmechanismen innerhalb des ärztlichen Berufs, Qualitätsanforderungen, die von der Ärzteschaft formuliert werden, transparent gemacht werden, man hat die bewährten Strukturen, innerhalb deren die Ärzte mit den Problemen des informed consent, der Aufklärung und Einwilligung, der Dokumentation umgehen. Das sind Dinge, die den Ärzten geläufig sind oder jedenfalls geläufig sein sollten, sodass wir es für sinnvoll gehalten haben, auch diese sensiblen Fragen der prädiktiven genetischen Diagnostik in diese Strukturen hineinzuführen. Ein weiteres Problem besteht zurzeit in der deutschen Rechtsordnung darin, dass die einschlägigen Vorschriften zur Qualitätssicherung genetischer Testverfahren bisher nicht hinreichend spezifiziert sind, nicht hinreichend konkret auf die genetische Diagnostik mit ihren besonderen Qualitätsanforderungen ausgestaltet sind. Es gibt die europäische Richtlinie zu In-vitro-Diagnostika, die also Testkits und ähnliche Diagnoseverfahren, Diagnosemittel erfasst, aber das Manko dieser Richtlinie besteht aus dem Blickwinkel unserer Stellungnahme darin, dass eben zytogenetische und andere spezifisch genetische Diagnostika nicht konkret genug erfasst sind, und auch die Umsetzung in das deutsche Recht erfasst die spezifischen labortechnischen Qualitätsprobleme dieser Testverfahren bisher nicht. Was zum Beispiel auch sehr viel konkreter, als in der Vergangenheit geschehen, angesprochen, thematisiert, geregelt werden müsste, wären Ringversuche, an denen sich die Labors zwingend beteiligen müssen, damit sie auf diesem Gebiet überhaupt eine Lizenz erhalten, um die Testverfahren als solche durchzuführen. Um noch einmal die beiden Gesichtspunkte, die ich nacheinander dargestellt habe, ins Verhältnis zu setzen: Qualitätsanforderungen an die Testverfahren beziehen sich gewissermaßen auf die Materialien, auf die Produkte, auf die labortechnische Richtigkeit, während der Arztvorbehalt stärker noch auf die soziale Implementierung, auf die Interaktion mit dem Patienten gerichtet ist - Stichwort sprechende Medizin. Hier geht es um das Vermitteln gegenüber dem Patienten, nicht so sehr um das Labortechnische. Dann haben wir uns in der Stellungnahme auch mit der Thematik beschäftigt, die zurzeit den Nationalen Ethikrat intensiv bindet und beschäftigt, nämlich mit genetischen Proben- und Datenbanken. Es wird in der Stellungnahme gesagt, dass solche Proben- und Datenbanken, auch große Banken, erforderlich sind, um die Zusammenhänge von genetischen und nichtgenetischen Faktoren bei der Entstehung und Behandlung von Krankheiten zu untersuchen. Die Gewinnung, Speicherung und Bearbeitung solcher Proben und Daten muss mit einem zuverlässigen Schutz der jeweiligen Spender vor missbräuchlicher Verwendung einhergehen. Außerdem wird gesagt - so wird zu Recht gesagt; das ist uns ja auch hier geläufig -, dass der Spender selbstbestimmt in die Verwendung seiner Proben und Daten einwilligen muss und dass er hier auch über die Vorkehrungen des Daten- und Spenderschutzes, über die Möglichkeiten eines späteren Widerrufs seiner Einwilligung und über deren Reichweite zu informieren ist. Dann haben wir ganz deutlich einen Punkt thematisiert, über den wir auch hier noch diskutieren müssen, nämlich die Reichweite der möglichen Einwilligung. Die DFG hat sich jedenfalls dafür ausgesprochen, dass dann, wenn eine entsprechende Information vorangegangen ist, auch eine sehr weit gehende, eine globale Einwilligung in die Verwendung der Proben und Daten möglich sein muss. Wir haben es als Ausdruck von Autonomie empfunden, dass jemand in bewusst eingegangener Unsicherheit eine sehr weit reichende Einwilligung erteilt. Diese Einwilligung ist ja nicht pauschal und global in jeder Hinsicht, sondern sie ist stets durch die objektive Rechtsordnung begrenzt. Über die Grenzen der objektiven Rechtsordnung kann sich auch eine individuelle Einwilligung nicht hinwegsetzen, sodass klare gesetzliche Verbote - Embryonenschutzgesetz, Stammzellgesetz oder ähnliche spezialgesetzliche Bestimmungen - hier selbstverständlich objektive Grenzen errichten. Also das Klonierungsverbot, so man es aus dem Embryonenschutzgesetz herausliest, verbietet es selbstverständlich auch, selbst wenn der Betroffene zustimmen würde, solche Proben für Klonierungsversuche zu verwenden. Das sind also die objektiven Grenzen der Rechtsordnung in speziellen gesetzlichen Bestimmungen. Dann gibt es die objektiven Grenzen der Rechtsordnung in Gestalt der Gute-Sitten-Klauseln, also, ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Ähnliche Generalklauseln haben wir auch in anderen Rechtsbereichen. An diesen objektiven Grenzen - erster Punkt! -, die dann zum Teil auch ethisch unterfüttert sind, bricht sich selbstverständlich die individuelle Einwilligung des jeweils Betroffenen. Zweiter Punkt: Im Zweifel wird eine auch globale oder pauschale Einwilligung solche Maßnahmen nicht erfassen, die zum Zeitpunkt der Einwilligungserklärung sittenwidrig sind, von der Rechtsordnung verboten sind, oder wohl auch nicht solche Forschungsmaßnahmen, die ethisch sehr umstritten sind. Man blickt also nicht nur auf den Zeitpunkt der konkreten Verwendung der Proben - was ist zu diesem Zeitpunkt gesetzeswidrig -, sondern man blickt auch auf den Zeitpunkt der Einwilligungserklärung, der ja vorher liegt. Alles das, was aus diesem Blickwinkel von dem Betroffenen schlichtweg nicht erwartet werden kann, weil es die Rechtsordnung verbietet - um es jetzt nur auf den Punkt zu bringen -, das darf selbstverständlich mit den Proben und Daten nicht durchgeführt werden. Wenn man diese Grenzen ins Blickfeld nimmt, dann meinten wir jedenfalls, dass gegen eine globale, eine pauschale Einwilligungserklärung keine grundlegenden Bedenken zu erheben sind. Hintergrund sind natürlich letztlich die Anforderungen der Forschung und Hintergrund ist letztlich auch, dass man die Betreffenden nicht in die so genannte Das-sage-ich-so;-das-steht-so-nicht-in-der- Stellungnahme-Autonomiefalle laufen lassen sollte. Wenn man nämlich den Betroffenen konkret fragt, ob er bereit ist, für dieses ganz spezifische Forschungsprojekt seine Proben und Daten zur Verfügung zu stellen, und er dazu 4 Nationaler Ethikrat Sitzung 22.05.2003

Ja sagt, dann kann man hinterher nicht hingehen und sagen: Wir haben aber jetzt noch weitere Fragestellungen, es haben sich Anschlussfragen ergeben, wir wollen jetzt weitere Forschungsfragen untersuchen. Das dürfte man dann nur, wenn man den Betroffenen tatsächlich nachbefragen könnte. Aber schon dieses Nachbefragen ist natürlich nicht ganz unproblematisch. Wenn jemand dort anlässlich seines Krankenhausbesuches Materialien zurückgelassen hat, sie der Forschung für ein konkretes Projekt überlassen hat, weiß man natürlich nicht, ob diese Person später noch einmal kontaktiert werden will, nachbefragt werden will, ob sie weiteren Forschungsvorhaben zustimmt. Das ist also schon nicht ganz unproblematisch, abgesehen von der ganz praktischen Frage, ob man an die Adresse und so weiter herankommt. Man müsste also, um eine weitere Fragestellung zu untersuchen, die Leute befragen, was aber in vielen Fällen technisch nicht möglich ist: Problem der Adresse, die Tatsache, dass Leute verstorben sind, oder sie wollen es gegebenenfalls gar nicht. Deshalb müsste man im Zweifel wenigstens in die Einwilligung zu diesem konkreten Forschungsvorhaben eine Klausel hinein nehmen oder abfragen, ob der Betreffende bereit ist, sich noch einmal kontaktieren zu lassen. Aber ist das alles wirklich notwendig, wenn den Betroffenen doch deutlich ist, dass sie ihre Proben für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung stellen, und wenn sie sicher sein können, dass die Proben tatsächlich nur für Forschungsmaßnahmen in Anspruch genommen werden, aber nicht für Versicherungszwecke, nicht für die Arbeitgeber und so weiter? Wenn der Bereich der Forschung also nach außen hin durch ausreichende Schutzmechanismen abgegrenzt ist, warum soll man den Leuten dann nicht die Möglichkeit eröffnen, pauschal für wissenschaftliche Zwecke ihre Proben und Daten zur Verfügung zu stellen? Man sollte ihnen selbstverständlich auch die Möglichkeit eröffnen, hier eine differenzierte Einwilligung zu erteilen, ihnen eröffnen, dass sie also selbstverständlich entscheiden können sollen, ob nur für das konkrete Forschungsprojekt, ob auch für andere Forschungsprojekte, ob nur anonymisiert oder auch personenbezogen die Materialien verwendet werden dürfen, ob die Materialien mit Krankheitsdaten anonymisiert oder nicht anonymisiert verknüpft werden dürfen. Quintessenz: Man sollte nicht paternalistisch vonseiten der Rechtsordnung hingehen und sagen: Ihr dürft als Probanden nur zu einem ganz konkreten Forschungsprojekt eure Zustimmung geben. Vielmehr sollte man es den Betroffenen selbst überlassen, wie breit und unter welchen eingrenzenden Kriterien ihre Einwilligung sein kann. Das ist also ein Punkt - wie wir alle wissen -, der sich in der Diskussion befindet. Hier hat die DFG ganz klar Farbe bekannt. Ein Problem, das mit dem Personenbezug verbunden ist, besteht ja auch darin, inwieweit man von Rechts wegen verpflichtet ist, den Betroffenen individuelle Ergebnisse über die Forschungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Muss man die Betroffenen also darüber informieren, was bei der Forschung herausgekommen ist? In allgemeiner Form sollte das sicherlich geschehen. Wir plädieren dafür, dass beispielsweise über das Internet entsprechende allgemeine Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit und insbesondere auch den Spendern der Proben zur Verfügung gestellt werden sollten. Das Problem besteht aber darin, ob man auch individuelle Ergebnisse, individuelle Daten zurückfließen lassen sollte, also den Betreffenden sagen sollte: Sie haben ihre Körpersubstanz für dieses Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt, und jetzt haben wir, bezogen auf Ihre Person, herausgefunden, dass Sie an dieser oder jener Krankheit leiden, dass Sie in Zukunft an dieser oder jener Krankheit leiden, dass dieses oder jenes mit Ihren Genen nicht in Ordnung ist. Sollte man das wirklich tun? Wenn man das ernst nimmt, was ich vorhin gesagt habe - Trias Beratung - Test - Beratung -, dann heißt das, dass man vor dem Test die Leute über das informieren muss, was möglicherweise hinterher herauskommt, und man muss dem Betroffenen die Möglichkeit geben zu sagen, das, was dabei vielleicht herauskommt und meine Person oder meine Familie betrifft, möchte ich dann aber nicht wissen. Man muss also einen Riesenaufwand vor der wissenschaftlichen Untersuchung betreiben, um die Leute vorher angemessen aufzuklären, damit sie dann eine informierte Entscheidung treffen können, in welcher Form und in welcher Intensität sie über die entsprechenden Ergebnisse informiert werden wollen. Das mag ja noch gehen, wenn man tatsächlich sagt, wir forschen jetzt an diesem bestimmten Gen, ob Brustkrebs mit diesem Gen verknüpft ist, ob dieses Gen beispielsweise eine Disposition für Brustkrebs verursacht. Dann kann man konkret auf diese Krankheit bezogen - gegebenenfalls auch auf dieses Gen bezogen - die Betreffenden informieren. Wenn man aber - das habe ich gerade erläutert - eine globale oder jedenfalls eine relativ breite Einwilligung ermöglicht, dann ist es - so glaube ich - tatsächlich nicht möglich, die Betroffenen über das alles, was vielleicht bei dieser Forschung herauskommt, zu informieren. Je breiter man also die Einwilligungsmöglichkeit fasst - als Möglichkeit -, umso breiter müsste auch die Information sein und umso eher liefe man Gefahr, dass die Information entweder leer läuft, weil die Leute sagen, ach, das wird ja sowieso nicht dabei herauskommen, also macht mal, macht mal, und hinterher sagt ihr mir das alles, oder dass die Leute so verschreckt werden, dass sie sagen: Dann lieber alles gar nicht. Wenn ich erfahre, dass Chorea Huntington und MS und Brustkrebs und so weiter durch diese Forschung, bezogen auf meine Person - darum geht es ja immer -, mich individuell betreffend, dabei herauskommen kann, dann will ich das alles lieber gar nicht. Das ist also ein Spagat einerseits zwischen den Anforderungen der Wissenschaft, die natürlich an breiten Fragestellungen interessiert ist und insbesondere daran interessiert ist, wenn aufgrund eines konkreten Forschungsprojektes bestimmte Ergebnisse herauskommen, nachhaken zu können, tiefer forschen zu können, dass man ge- Nationaler Ethikrat Sitzung 22.05.2003 5

gebenenfalls diese Fragestellungen erweitern kann, und andererseits den mindestens ebenso berechtigten Interessen der konkret Betroffenen. Was erlauben sie alles und - das ist ja im Moment mein Thema - was mutet man ihnen gegebenenfalls an individuellen Informationen zu, die aufgrund der Forschung, bezogen auf diese konkrete Person, ermittelt wurden? Deshalb ist es übrigens auch in manchen Ethikkommissionen so, dass dafür plädiert wird, dass die Forscher gerade keine individuellen Ergebnisse an die betroffenen Personen zurückfließen lassen, allenfalls allgemeine Informationen, was bei dieser Forschung herausgekommen ist. Dann kann der Betreffende ja auch aufgrund dieser allgemeinen Informationen über seinen Hausarzt beziehungsweise über den Humangenetiker konkret zu seiner Person entsprechende Nachuntersuchungen vornehmen lassen und versuchen herauszufinden, ob diese allgemeinen Ergebnisse auch seine Person betreffen. Also kein allgemeiner Informationsrückfluss, sondern allgemeine Information zum Beispiel über das Internet. Nächster Punkt: Zeitliche Reichweite der möglichen Einwilligung. Es wird ja in der öffentlichen Diskussion gelegentlich gefordert, dass Proben, die für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt werden, nach einer bestimmten Zeit zwingend zu vernichten sind: entweder nach Abschluss des konkreten Forschungsprojektes - was nicht funktioniert, wenn man mehrere Forschungsprojekte von der Einwilligung erfasst sieht - oder nach einer bestimmten Zeit, nach zehn Jahren oder nach 20 Jahren. Die DFG plädiert dafür, dass man eine solche strikte Begrenzung wiederum nicht von Rechts wegen vorsehen sollte. Selbstverständlich muss jeder Betroffene die Möglichkeit haben zu sagen, seine Proben sollten aber nach zehn Jahren oder maximal nach 30 Jahren vernichtet werden, seine Proben sollen nur für das konkrete Forschungsvorhaben verwendet werden dürfen. Selbstverständlich muss jeder Betroffene dieses Recht haben. Aber ob man es von der Rechtsordnung aus zwingend vorgeben sollte, ist ja eine ganz andere Frage. Es ist nichts anderes als Paternalismus, der dann auch hier wieder zutage träte. Wenn man alles das ernst nimmt, was auch auf internationaler Ebene als Schlagwort gebracht wird, das Humangenom sei das Erbe der Menschheit, dann fragt man sich doch wirklich, ob es von daher geboten sein kann, Teile des Erbes der Menschheit wirklich zwingend nach einer bestimmten Zeit zu vernichten. Man vernichtet einen wesentlichen Teil des eigenen Erkenntnispotenzials für die Zukunft, ohne - das ist ja das Wichtige - dass es der Betroffene konkret gewollt hat, sondern es würde von der Rechtsordnung vorgegeben. Da fragt man sich natürlich gleich: Warum soll das eigentlich nur für die Forschung gelten, warum nur dann, wenn Proben, wenn Materialien für Forschungszwecke abgegeben werden? Müssen dann auch die Friseure zwingend nach zehn Jahren, nach zwanzig Jahren, die Perücken vernichten und - ganz sarkastisch von mir formuliert; nur von mir; das steht auch nicht in der Stellungnahme - was machen wir dann eigentlich mit Friedhöfen? Muss man dann dafür sorgen - mit Säuren oder wie auch immer -, dass das Material auch bei solchen öffentlichen Einrichtungen nach einer bestimmten Zeit vernichtet wird? Das zeigt also die Absurdität - nur deshalb nenne ich ja dieses Beispiel - eines solchen Zwanges, Materialien, die für Forschungszwecke gespendet wurden, ohne konkreten Anhalt im Willen des Betreffenden nach einer bestimmten Zeit vernichten zu müssen. Nächstes Problem! Selbstverständlich muss jeder Betroffene die Möglichkeit haben, seine Zustimmung zur Verwendung seiner Proben und Daten in dem jeweiligen Forschungskontext zu widerrufen, zwar nicht für die Vergangenheit zu widerrufen, aber jedenfalls zu sagen: In der Zukunft soll mit meinen Materialien nichts gemacht werden. Das beißt sich dann mit einer Anforderung, die häufig geltend gemacht wird, dass nämlich die Proben oder Daten möglichst anonymisiert aufbewahrt, verwendet werden sollen. Wenn sie anonymisiert aufbewahrt und verwendet werden, dann hat der Betreffende keine Möglichkeit mehr zu sagen: Meine Materialien vernichtet mir bitte; ich möchte nicht, dass damit weiter geforscht wird. Man kann sie ja gerade nicht mehr identifizieren. Hier beißen sich also wieder zwei Prinzipien, die als solche sicherlich sehr hoch stehend sind, und da muss man zu einem Kompromiss kommen. Wenn die Materialien nicht anonymisiert vorhanden sind, wenn man sie jedenfalls reidentifizieren kann, weil sie nur pseudonymisiert wurden, dann ist es natürlich möglich, dass der Betreffende sagt: Mit meinen Materialien soll jetzt nichts weiter gemacht werden. Dieses Recht darf ihm niemand nehmen. Die Frage ist aber natürlich, welche Konsequenzen das dann für die bereits gewonnenen Daten hat. Müssen dann auch die bereits gewonnenen Daten zwingend vernichtet werden? - Ich meine, dass man hier keine Verbindung in der Weise herstellen muss, dass der Wunsch nach Vernichtung der Körpersubstanz auch zwingend zur Vernichtung der Daten führt. Das muss jeder Betreffende selbst entscheiden können, wie weit seine Rücknahme der Zustimmung gehen soll. Selbst wenn man das so hinnimmt, kommen wieder die gegenläufigen Interessen der Forschung ins Spiel. Es wird immer gefordert, dass als Ausprägung der guten wissenschaftlichen Praxis die zugrunde liegenden Materialien und jedenfalls die zugrunde liegenden Unterlagen, sprich Daten, für eine bestimmte Zeit zu Kontrollzwecken aufbewahrt werden. Im Arzneimittelgesetz, auch im Medizinproduktegesetz ist es ja sogar so, dass ausdrücklich geregelt ist, dass die Betreffenden ihren Widerspruch nicht in der Weise realisieren können, dass zum Beispiel die Kontrollbehörden nicht mehr auf die Daten zugreifen könnten. Man beschneidet also von Gesetzes wegen das Recht der Betroffenen, einen Widerruf zu erklären mit der Konsequenz, dass dieser Widerruf zur Vernichtung der Daten beziehungsweise Materialien führt. Auch in diesem Bereich hier gibt es gewichtige Interessen der Forschung, jedenfalls mit den Daten weiterarbeiten zu können, jedenfalls anonymisiert mit diesen Daten weiterarbeiten zu können, denn der wissenschaftliche Aussagegehalt einer gesamten Studie kann ja dadurch aus den Fingern gleiten, 6 Nationaler Ethikrat Sitzung 22.05.2003