Manuskript Beitrag: Geschäfte mit der Armut Vermieter zocken Migranten ab Sendung vom 29. Mai 2012 von Manka Heise und Kyo Mali Jung Anmoderation: Elende Lebensverhältnisse im Paradies: Das ist deutsche Realität für viele Bulgaren und Rumänen. Seit ihre Länder zur EU gehören, kommen sie hierher. Immer mehr. Weil sie das EU- Versprechen auf mehr Wohlstand einlösen wollen. Hier bleiben dürfen sie als Europäer. Doch die armen unbeliebten Zuwanderer müssen sich ganz hinten anstellen. Ganz unten. Die Behörden sind überfordert. Und so landen die meisten Rumänen in heruntergekommenen Wohnungen, in die sonst keiner ziehen will - nicht nur im Berliner Bezirk Neukölln. Sie sind Mieter, die besser nicht aufmucken. Sie auszupressen - leichtes Spiel: Ein Glücksfall für die Profiteure - berichten Manka Heise und Kyo Mali Jung Text: Berlin-Neukölln. Rund 20.000 Rumänen und Bulgaren leben in der Stadt. Die meisten von ihnen sind Roma. Doch willkommen sind sie hier nicht - auch nicht bei den Immobilienbesitzern. Nur wenige wollen an Roma-Familien Wohnungen vermieten. Und die sind meistens in einem miserablen Zustand und viel zu teuer. Wir treffen Christina. Seit einem Jahr wohnt sie hier. Lange hat sie für sich und ihre beiden Kinder nach einer Unterkunft gesucht. Offen vor der Kamera zu sprechen, traut sie sich nicht. Zu groß die Angst, ihre Bleibe wieder zu verlieren. O-Ton Christina: Ich brauchte keinen Arbeits- oder Einkommensnachweis um die Wohnung zu bekommen. Ich soll zahlen, was der Vermieter sagt und dann ist es okay. Er hat viel versprochen, aber er hat nichts gemacht. Nach drei Monaten ist alles kaputt gegangen. Keine Heizung, kein warmes Wasser. Meine Tochter und ich haben lange Haare. Wir müssen uns auf dem Gasherd das Wasser warm machen und uns dann waschen. Weil die Gastherme kaputt ist, fehlt es nicht nur an warmem
Wasser. Auch die Heizung funktioniert nicht, im Winter hat die Familie gefroren. Jeden Monat kommt der Hauswart vorbei und treibt die Miete ein. Manchmal bar, manchmal auch mehr als im Mietvertrag drin steht. O-Ton Christina: Dann kam er zu mir und wollte für die Miete auf einmal hundert Euro mehr. Statt 400 Euro, die in dem Mietvertrag stehen, sollte ich auf einmal 500 Euro zahlen. Aber ich habe das Geld nicht. Die Behörden kennen diese Probleme. Doch mit der großen Zuzugswelle aus den neuen EU-Ländern Rumänien und Bulgarien sind sie schlicht überfordert. Allein im vergangenen Jahr sind von dort über 11.000 Menschen nach Berlin gekommen. Sie sind auf den freien Markt angewiesen, Wohnungen vom Bezirk gibt es keine. O-Ton Franziska Giffey, SPD, Bezirksstadträtin Berlin- Neukölln: Das ist häufig so, dass diese Menschen in Häuser ziehen, die runtergekommen sind, die auf dem deutschen Markt hier so unattraktiv sind, also kaum Mieter finden würden, aber damit ist verbunden, dass eben da Abzocke betrieben wird. Und dass eben mit der Angst der Leute gespielt wird, dort wieder rauszufliegen, wenn sie eben nicht entsprechend sich ruhig verhalten. Und so suchen sich einige Vermieter bewusst Roma-Familien, um deren Zwangslage auszunutzen. Ghica Caldararu arbeitet bei Amaro Drom, einem Verein, der sich für die Rechte der Roma einsetzt. Fast täglich kommen Menschen zu ihm, weil sie sich ihren Vermietern ausgeliefert fühlen. O-Ton Ghica Caldararu, Verein Amaro Drom: Die Hausverwaltung kann alles machen, weil er weiß, dass andere Möglichkeiten es nicht gibt, das ist das Problem. Wenn mehrere Angebote wären, dann wäre auch so ein Verhältnis nicht möglich. Allein in Berlin gibt es etwa 20 solcher Häuser, in denen überwiegend Roma leben. Die Situation ist fast überall gleich. O-Ton Thomas Blesing, SPD, Bezirksstadtrat für Bauwesen, Berlin-Neukölln: Natürlich wurmt mich das als Mensch, dass dort Bürgerinnen und Bürger aus Europa ausgenommen werden, wie die bekannte Weihnachtsgans und in sehr viel stärkeren Maße für Wohnraum zur Kasse gebeten werden, als man das bei deutschen Familien machen würde. Wenn wir von der
Mieterseite keine Hinweise bekommen, dann können wir auch nicht handeln. Wenn der Staat nicht gerufen wird, dann kommt er auch nicht. Und das wissen die Immobilienbesitzer. Einer von ihnen sitzt hier, in Berlin-Charlottenburg. Wir treffen Michael Peter. Er verwaltet fünf Häuser, die Wohnungen vermietet er überwiegend an Roma. Mit denen versprach er sich ein lukratives Geschäft und wenig Aufwand. Ein Deutscher geht schon zum Amt oder zum Anwalt, wenn eine Fensterscheibe kaputt ist, das macht natürlich ein Roma nicht. Das heißt, die Leidensgrenze der Roma-Familien ist viel größer? Mit Sicherheit, ja. Und das ist für Sie vorteilhaft und bequemer. Naja, da wird vieles eigenständig gemacht. Die reparieren Kleinigkeiten, wo andere denn schon kommen und sagen, Hausverwaltung kommen Sie mal her, bei mir ist eine Scheibe kaputt gegangen. Und das ist natürlich ein kleiner Vorteil. Sie machen Kasse auf Kosten von armen Familien? Nee. Das ist Thilo Peter, der vier Minuten jüngere Zwillingsbruder. Ihm gehören die Immobilien. Außerdem sitzt er für die CDU Berlin- Charlottenburg in der Bezirksverordnetenversammlung - im Ausschuss für Ordnung, Verkehr und Wirtschaft. Thilo Peter hat die Häuser aus steuerlichen Gründen erworben. Er kennt sich aus, ist schließlich Steuerberater. Auf seiner Internetseite wirbt er mit Steuertipps, wie man das Finanzamt möglichst fern halten kann.
Während Thilo Peter die Mieten auch in bar eintreiben lässt, steht er mit etwa 80.000 Euro bei den Berliner Wasserbetrieben in der Kreide, kommt seinen Zahlungsverpflichtungen als Hauseigentümer nicht nach. Thilo Peter hat keine Zeit für ein Interview aber sein Zwillingsbruder Michael erklärt uns, warum sie sich von den maroden Immobilien nicht trennen. Aus steuerlichen Gründen müssten wir da Steuern bezahlen und äh, Sie sagen ja selber, wenn die Häuser in einem Zustand sind, der nicht akzeptabel ist, wird man dafür leider auch nicht das bekommen, was man bekommen müsste, um da gut rauszukommen. Auch so kommen die Vermieter gut raus. Denn die Vorbehalte gegen die Roma sind groß. Fast alle, die hier leben, sind auf der Suche nach einem besseren Leben, versuchen sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. Staatliche Zuschüsse bekommen die wenigsten, nur etwa 15 Prozent. Damit liegen sie im Durchschnitt der Berliner Bevölkerung. Auch er vermietet an Roma. Aber deren Not will er nicht ausnutzen, der Immobilienhändler Benjamin Marx. Er hat dieses Haus saniert. Zuvor lebten die Menschen hier in heruntergekommenen Wohnungen. Seine Überzeugung: Jeder hat ein Recht auf ordentlichen Wohnraum. O-Ton Benjamin Marx, Immobilienmanager Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft: Wenn wir woanders Häuser sanieren, dann sagen die Leute, ach schön, dass hier mal was passiert, ist ja toll, die Häuser werden richtig gut gemacht und werden nach vorne gebracht. Wir sanieren hier Häuser, machen genau das Gleiche, was wir in Köln, Düsseldorf oder auch in Berlin gemacht haben. Nur hier sagen die Leute, warum machen Sie das? Sie stellen diese Frage, warum machen Sie das, aber im Kopf haben die Leute die Frage: Warum machen Sie das für die Sinti und Roma? Wir machen das für unsere Mieter. Wenn jemand Roma wie Menschen behandelt und das auch öffentlich macht, dann muss er offenbar mit schlimmen Folgen rechnen. Benjamin Marx bekommt Morddrohungen. Seit vergangenem Freitag steht er unter Polizeischutz. Es gibt wohl zu viele, die vom Abzocker-System profitieren. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.