Leena Hässig Ramming Aktuell sind in den Anstalten Thorberg 165 Männer im Freiheitsentzug. Davon 41 mit einer stationären Massnahme, nach Art 59 und 63, d.h. ¼. Einer davon ist Ben. Er ist heute 20 jährig, mit 19 Jahren kam er auf den Thorberg. Er ist angeklagt wegen schwerer Körperverletzung, Raub und Gefährdung des Lebens. Seine Diagnose dissoziale Persönlichkeitsstörung ist berechtigt. Ist aber auch die stationäre Massnahme die richtige Sanktion für ihn? Teil-teils. Ja Straftäter können aus einer psychischen Störung heraus delinquieren, aber nicht nur- sie sind oft auch ausgeschlossen sie haben kein tragendes soziales Netzwerk mehr, keine tragende Familie mehr, sie sind ebenso oft aus dem beruflichen Netzwerk herausgefallen oder konnte nie darin Fuss fassen sie sind arbeitslos. Das war auch bei Ben so, die Eltern liessen sich früh scheiden, er wuchs mal beim Vater und dann wieder bei der Mutter auf, bis ihn die Mutter, wohl aus Ueberforderung, wegen Cannabiskonsum anzeigte, da brach er den Kontakt. Die institutionellen Bemühungen zwischen seinem 14 und 18 Lebensjahr halfen nicht, sie bestätigten vielmehr- dass alle gegen ihn waren, ausser seine Alkohol- und Drogenkumpels. Er landete als 18 jähriger auf dem Thorberg, als Psychopath, als einer, dem nicht zu trauen ist, einer der ein sehr schweres Gewaltdelikte verübt hat und auch viele leichte Gewaltdelikte. Ist Ben psychisch krank oder ein Krimineller, braucht er eine Massnahme oder eine Strafe? Er ist beides und braucht beides! Eine Seite in ihm muss dringend behandelt werden, seine Sucht und sein Verletztsein durch die Vernachlässigungen in seiner Biographie. Ben braucht aber dringend auch einen Beruf, eine berufliche Perspektive und ein soziales Netz, das nicht nur säuft, stiehlt und schlägt. Auf dem Thorberg bekommt er eine ausreichende und umfassende Behandlung, nicht jedoch eine berufliche Perspektive, er kann da zwar schulische Defizite angehen, jedoch keine Lehre absolvieren. Zudem ist er im geschlossenen Vollzug, wo die Lockerungen nicht direkt vorgesehen sind. Die stationäre Massnahme im geschlossenen Vollzug hat für ihn Grenzen. Die Massnahmeanstalten, innerhalb welcher die beruflichen und sozialen Aspekte
miteinbezogen werden können sind übervoll und für ihn daher nicht einfach erreichbar. Das Thema der Tagung ist; wie viel Strafe braucht der Mensch?...in meinem Fall : wie viel Strafe braucht ein junger Insasse? Er braucht eine Behandlung und eine Strafe! Eine Strafe impliziert einen Freiheitsentzug und die Möglichkeit einer beruflichen Perspektive und durch das halboffene Setting ein sich Bewähren können in zwei Welten. Aus der Sicht der Psychologin, einer Behandlerin von Insassen im geschlossen Freiheitsentzug wünsche ich mir für die Insassen eine Strafe, eine Strafe, die sagt, wie lange, eine Strafe, die zum angemessen Zeitpunkt, Vollzugslockerungen vorsieht. Jeder, der durch ein schwerwiegendes Delikt auffällt, mit einem Art 59 wegzuschliessen birgt in sich die Gefahr, dass nur die Störung angegangen wird und nicht auch die sozialen Defizite. Zudem bleibt mit einer Massnahme die Dauer offen, eine Strafe jedoch legt den Rahmen, die Dauer fest. Sie werden aber sagen, ja aber das sind Psychopathen, die unbedingt weggeräumt werden müssen, die Gesellschaft hat ein Recht auf Schutz. Wissen wir, Aerzte und Psychologen, aber immer, wann ein Psychopath wirklich ein Psychopath ist? Nein, wir haben Merkmallisten an welchen wir uns orientieren und mit welchen wir versuchen einzuordnen. Klar festlegen lässt sich mit unserer Wissenschaft nichts. Die Psychologie, sowie die Medizin sind Erfahrungswissenschaften, die ihre Erkenntnisse aus den beobachteten Erfahrungen generieren. Das heisst in unserem Fall, dass sich Ben sowohl zu einem veritablen Psychpathen entwickeln kann, als auch zum Gegenteil, zu einem von uns. Der Verlauf der Behandlung legt offen, ob die vorgängig gemachte Analyse, die vorangegangene Beurteilung - meist ein psychiatrisches oder psychologisches Gutachten- richtig war oder nicht. Ich wünsche mir aus diesem Grund für die Zukunft mehr Strafe und weniger stationäre Massnahmen, oder besser gesagt ich wünsche mir, dass die psychische Störung auf ihren Platz reduziert wird und dass das Delinquieren eines Täters nicht zwingend eine dissoziale Persönlichkeitsstörung darstellt. Wenn jedes delinquieren
mit psychatrischen Diagnosen erklärt oder gar entschuldigt wird, braucht es dann noch ein Strafrecht? Ich spreche nun von dem Ausschnitt des Delinquierens, das schwerwiegende Verstösse gegen das Gesetzt beschreibt, meist gegen Leib und Leben. Ein Delinquieren im Vermögensbereich wird wohl immer strafrechtlich verfolgt werden. Meine Sorge gilt der Entwicklung im Bereich der Gewaltdelikte. Gewaltdelikt sind schwer nachzuvollziehen. Die Unfassbarkeit diese zu verstehen soll aber nicht das Strafrecht zu einem Massnahmenkatolog für psychisch Kranke machen. Die Gesellschaft hat auch ihre Pflichten der Fürsorge, die Pflicht die Jugendlichen in die Berufswelt zu integrieren, notfalls über eine Zeit im Strafvollzug. Das deviante Verhalten soll geahndet werden, soll vom Strafvollzug aufgefangen werde, aber nicht alleine der Psychiatrie, der Psychologie abgeschoben werden. Vor 26 Jahren, als ich als Behandlerin im Strafvollzug begann, gab es in der Regel eine Tat und eine Strafe, heute gibt es eine Tat, ein psychiatrisches Gutachten, eine Massnahme, eine Risikobeurteilung durch die KOFAKO und auch noch eine Strafe, eine Dauer des minimalen Freiheitsentzuges. Der Anteil, der von der Psychiatrie oder der Psychologie mitbeurteilt wird ist heute gewichtiger, denn je und ist dadurch oft auch weichenstellend. Es ist wichtig hier festzuhalten, dass die Medizin und die Psychologie Erfahrungswissenschaften sind, das heisst erst ein Verlauf einer Krankheit, einer Behandlung, die greift oder nicht greift, lässt Aussagen zu - zu denken eine Beurteilung der Psyche sei ähnlich einer iuristische Beurteilung ist unzulässig. Eine psychiatrische Beurteilung ist nicht vergleichbar mit einer iuristischen. Eine psychiatrische / psychologische Beurteilung ist immer nur eine Momentaufnahme und macht Aussagen für den gegebenen Moment. Die Merkmallisten zur Beurteilung eines Täters/ Täterin, insbesondere seine Störung oder seine Gefährlichkeit, sind nicht den Artikeln des Gesetzes gleichzustellen. Psychiatrische /psychologische Aussagen über einen weiteren Verlauf eine Prognose- ist immer hypothetisch. Was heisst das nun für Ben? Ben hat ein vernichtendes psychiatrisches Urteil und Fakt ist, er hat ein sehr schwerwiegendes Gewaltdelikt begangen und mehrere
leichtere Gewaltdelikte. Wird er nun mit dem Art 59 versorgt, erhält der Aspekt der Behandlung der Psyche das Hauptgewicht, wird er zu einer Zeitstrafe und einer ambulanten nicht stationären- Behandlung verurteilt, dann hat er die Möglichkeit seine sozialen Defizite anzugehen und gleichzeitig wird er sich einer Behandlung unterziehen müssen. Sollte die Behandlung ambulant nicht ausreichen, könnte diese jederzeit in eine stationäre Massnahme umgewandelt werden. Mit dieser Art der Handhabung gibt der Verlauf der psychischen Entwicklung, den Weg vor, der der Insasse zu gehen hat. Ich bin überzeugt, dass das Fachpersonal, welches für die Behandlung zuständig und verantwortlich ist, fähig ist, zu sehen, wann eine ambulante Therapie nicht mehr ausreicht und eine stationäre Behandlung notwendig ist. Ich wünsche mir, dass die Gerichte die Argumente der Behandler hört, und auf Grund derer dann entscheidet. Nicht jedes sozial deviantes Verhalten ist krank, sozial deviantes Verhalten braucht eine Strafe, sie darf auch lang sein, wenn zum Beispiel das deviante Verhalten schwerwiegend andere verletzte, - kurzum nicht jedes sozial deviantes Verhalten ist immer auch noch mit einer sogenannt psychischen Kausalkette verbunden. Ein Zusammenspiel der Freiheitsstrafe eben der Strafe- zusammen mit dem Art. 63 eben der ambulanten Behandlung- soll als Ausgangsbasis dienen, der Vollzug zeigt dann, ob es in Richtung Zeitstrafe geht oder in Richtung einer längeren und engmaschig durgeführten Behandlung. In diesem Sinne wünsche ich mir mehr Strafe und weniger Psychiatrie / Psychologie. Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit. Art. 59 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn: a. der Täter ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht; und b. zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen. 2 Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung oder einer Massnahmevollzugseinrichtung. 3 Solange die Gefahr besteht, dass der Täter flieht oder weitere Straftaten begeht, wird er in einer geschlossenen Einrichtung behandelt. Er kann auch in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 behandelt werden, sofern die nötige therapeutische Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet ist.24 4 Der mit der stationären Behandlung verbundene Freiheitsentzug beträgt in der Regel höchstens fünf Jahre. Sind die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung nach fünf Jahren noch nicht gegeben und
ist zu erwarten, durch die Fortführung der Massnahme lasse sich der Gefahr weiterer mit der psychischen Störung des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verlängerung der Massnahme um jeweils höchstens fünf Jahre anordnen.