Übung: Frustrationstoleranz



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Transkript:

Reflexionsübungen 277 Übung: Frustrationstoleranz Magdalena Dommasch, Nadejda Grigorova und Juliane Zöller Methodische Einordnung: Selbstreflexives Verfahren (Reflexionsübung) Thema: Emotionale Rolle für das Handeln im interkulturellen Kontext Kurz und knapp: Die Teilnehmer reflektieren anhand von Beispielgeschichten ihre Fähigkeit, Emotionen zu kompensieren, die sie in enttäuschenden Situationen empfinden. Art der Übung: erfahrungsorientiert reflexiv kreativ/spielerisch kognitiv kulturspezifisch dynamisch Ziele der Übung: Bewusstwerdung über die Rolle der Emotionen für das Handeln im interkulturellen Kontext Reflexion der eigenen Emotionen seitens der Teilnehmer Welche Kompetenzen können trainiert werden? Frustrationstoleranz, open-mindedness, Empathiefähigkeit, Bewusstheit über Komplexität von Interaktion und mögliche Einflüsse Technische Hinweise: Zeitrahmen: Teilnehmerzahl: Sozialform: Räumliche Bedingungen: ca. 30 40 Minuten beliebig Plenum beliebig

278 Selbstreflexive Verfahren Material: Vorbereitung: Flip-Chart und Stift(e); Kärtchen und Stifte für die Teilnehmer mind. 3 Geschichten vorbereiten; Austeilen der Kärtchen und Stifte an die Teilnehmer Beschreibung der Übung: Als Einstieg in die Übung dienen anekdotenhaft vorgetragene (persönliche) Geschichten (Beispiele dazu s. u. im Anhang zur Übung). Allen Geschichten sind konfliktreiche, zwischenmenschliche Konfrontationen in (interkulturellen Kontaktsituationen) gemein. Jede Erzählung bricht ab, sobald der Frustrationshöhepunkt erreicht ist. Daraufhin werden die Teilnehmer gebeten, spontan mindestens eine Emotion pro Geschichte zu notieren, welche sie der / den Person / en aus den Geschichten zuschreiben können. Die Ergebnisse werden einander vorgestellt und in der Gruppe diskutiert. Daran anknüpfend folgt eine theoretische Ausführung zu Emotionen im Allgemeinen und deren Auswirkung auf den Menschen (s. u.). In Anlehnung an die vorgetragenen Anekdoten werden die von den Teilnehmern notierten Emotionen kontextualisiert. Hierzu verdeutlicht die Kulturschock-Theorie, dass die Kompetenz der Frustrationstoleranz besonders im interkulturellen Kontakt wichtig ist. Am Ende der Reflexionsübung nimmt der Trainer Bezug auf die anfangs vorgetragenen Geschichten. Zudem haben die Teilnehmer erneut die Möglichkeit zur Diskussion. Sie sind eingeladen, eigene Geschichten, Überlegungen und Lösungsansätze für den erfolgreichen Ausgang konfliktreicher Situationen zu äußern und reflektieren. Auswertung / Diskussionshilfen: Welche Emotionen wurden von euch am häufigsten genannt? Welche persönlichen Situationen fallen euch ein? Welche Auswege aus den jeweiligen Situationen schlagt ihr vor? Varianten: Auch Situationen innerhalb einer Kultur können zur Debatte gestellt werden. Anhand solcher Bespiele erkennen die Teilnehmer, dass die Fähigkeit der Frustrationstoleranz nicht nur auf interkulturelle Kontaktsituationen beschränkt ist. Zudem kann diskutiert werden, inwieweit der Name Frustrationstoleranz für die zu erlernende Eigenschaft sinnvoll gewählt oder vielmehr verwirrend ist.

Reflexionsübungen 279 Kommentar der Verfasserinnen: Für die kognitive Einheit der Übung ist es notwendig, dass der Trainer über theoretisches Basiswissen zu Emotionen verfügt. Bezugnahme zwischen theoretischem Wissen und Frustrationstoleranz : Die Erkenntnis, dass man auf seine Emotionen keinen Einfluss hat, ist fundamental. Emotionen überkommen einen, sie beeinflussen das Urteilsvermögen und das menschliche Gedächtnis, lösen also eine physiologische Reaktion im Menschen aus. Sie spielen dadurch eine herausragende Rolle in der Kommunikation mit anderen und darin, wie die Haltung jedes Einzelnen gegenüber anderen in bestimmten Situationen ist. Ein erster Schritt ist es also, sich darüber klar zu werden, dass und inwieweit Emotionen und Verhalten zusammenhängen, beziehungsweise einander wechselseitig bedingen. Genau an diesem Punkt ist anzusetzen: am Verhalten. Denn auf die Emotion selbst hat man keinen Einfluss. Der Umgang mit Emotionen kann jedoch erlernt und trainiert werden. Die eigenen Emotionen zu erkennen, benennen und voneinander unterscheiden zu können, ist daher essentiell. Dabei ist es hilfreich, vermehrt auf die eigenen körperlichen Reaktionen zu achten. Es ist möglich, das eigene emotionale Bewusstsein zu steigern, indem man sich über Emotionen informiert (Bücher, Filme, etc.). Das Führen eines Tagebuchs, indem Emotionen in Worte gefasst und somit nachvollzogen werden, kann ebenso zur Steigerung des Bewusstseins beitragen. Im nächsten Schritt geht es darum, die Emotionen der anderen erkennen und angemessen auf sie zu reagieren. Durch aktives Zuhören und das Beobachten der Reaktionen im Gespräch, das Entwickeln von Empathie und die Auseinandersetzung mit den kulturellen Eigenheiten des Gegenübers sind entscheidende Grundsteine für eine erfolgreiche Kommunikation gelegt. Bei aufkommenden Missverständnissen, vor allem in interkulturellen Kontaktsituationen, kann es hilfreich sein, das Gesagte neu zu formulieren oder zu wiederholen:,du meinst also, wir sollen es soundso machen, und ich denke, soundso wäre es gut. In Bezug auf die vorgetragenen Anekdoten fällt auf, dass die empfundenen Gefühle negativ konnotiert sind und Unbehagen bei den Personen auslösen. Sie werden als Frustration empfunden. Um einen für beide Seiten optimalen Ausweg aus der Situation zu finden, ist zuallererst eine Toleranz diesem eigenen Frustrationsgefühl gegenüber zu entwickeln. Die Fähigkeit, mit Enttäuschungen oder unerfüllten Wünschen umzugehen, kann auf verschiedenste Art und Weise trainiert werden: durch

280 Selbstreflexive Verfahren positives Denken, das Beibehalten von Heiterkeit bei unliebsamen Tätigkeiten, Ruhe bewahren und immer wieder das Einschätzen der eigenen Gefühlswelt, wie auch die des Gegenübers. Theoretische Grundlagen: Definition Frustrationstoleranz: Frustrationstoleranz ist die Fähigkeit, Enttäuschungen zu kompensieren oder Bedürfnisse aufzuschieben, ohne dabei in Aggression oder Depression zu verfallen. [ ] Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, mit Ablehnung umzugehen, sind Bausteine zur Erhöhung der Frustrationstoleranz und können zu einem großen Teil erlernt bzw. trainiert werden. [URL: http://www.soft-skills.com/glossar/frustrationstoleranz.php (letzter Zugriff: 18. Juni 2008)] Definition Emotion: Eine Emotion ist eine plötzliche Reaktion unseres gesamten Organismus, die physiologische (unseren Körper betreffend), kognitive (unseren Geist betreffend) und Verhaltenskomponenten (unser Handeln betreffend) enthält. (Lelord et al. 2005) Als Grundgefühle werden Interesse, Wut, Trauer, Angst und Freude bezeichnet. Alle anderen Gefühlstönungen stuft der Autor als Mischgefühle oder gradmäßige Varianten der Grundgefühle ein (Ciompi 2005: 78 84). Bei der Definition der Grundemotionen besteht folgender Konsens: 1. Grundemotionen kennzeichnen sich dadurch, dass sie abrupt einsetzen: eine Emotion ist immer eine Reaktion auf ein Ereignis oder einen Gedanken. 2. Sie sind von kurzer Dauer: lang anhaltender Zustand von Traurigkeit ist demnach keine Emotion mehr, sondern eher eine Stimmung. 3. Sie müssen schon bei Babys vorkommen: hier unterscheiden sie sich schon deutlich von anderen Emotionen. Zu dieser Übung kann auch das Wahrnehmungsrad (nach König / Schattenhofer 2007) vorgestellt werden (s. in der Übung Was siehst du? von Vogler-Lipp in diesem Band). Weiterführende Literatur Gullahorn, J. T. / Gullahorn, J. E. (1963): An extension of the U-Curve hypothesis. In: Journal of Social Issues. 19(3). 33 47. Ciompi, L. (2005): Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Reflexionsübungen 281 König, O. / Schattenhofer, K. (2007): Einführung in die Gruppendynamik. Heidelberg: Carl- Auer Verlag. Lelord, F. / André, Ch. / Pannowitsch, R. (2005): Die Macht der Emotionen und wie sie unseren Alltag bestimmen. München: Piper. Soft Skills: Frustrationstoleranz. URL: http://www.soft-skills.com/glossar/frustrationstoleranz.php [letzter Zugriff: 18. Juni 2008]. Anhang Anekdoten der Autorinnen: 1) Magdalena Dommasch In meiner Volleyball-Mannschaft spielen auch Nadine und Melanie. Nadine ist immer sehr engagiert, hilft mit beim Netzaufbau und Wegräumen. Und sie ist immer beim Training anwesend. Sie fehlt fast nie. Und wenn doch, dann hat das einen triftigen Grund. Melanie allerdings ist das ganze Gegenteil von ihr. Sie ist immer die Letzte, die zum Training kommt und die Erste, die wieder geht. Das heißt: wenn sie überhaupt mal zum Training kommt. Jedenfalls hat der Trainer neulich für unser Trainingsspiel Nadine überhaupt nicht spielen lassen. Nachdem sie das ganze Spiel auf der Bank saß, kam Nadine nach dem Spiel zu mir und meinte, dass Melanie nur spielen durfte, weil sie sich beim Trainer beliebt gemacht hätte. Deswegen durfte sie auf der Position von Nadine spielen. Und Nadine kam gar nicht zum Einsatz. 2) Nadejda Grigorova Als ich als Erasmus-Studentin nach Deutschland kam, wohnte ich mit einer Deutschen zusammen. Wir verstanden uns so gut, dass sie mir sogar anbot, die Weihnachtsfeiertage bei ihr und ihrer Familie zu verbringen. Ausgehend von der Erfahrung in meiner Heimat Bulgarien, wo sich gute Freunde gegenseitig manchmal auch sehr private Fragen stellen, habe ich sie während dieser Zeit etwas gefragt, was sie und ihren Freund betraf. Damit wollte ich ihr zeigen, dass ich sie als eine gute Freundin betrachtete. Plötzlich war sie aber ganz sauer geworden und mit einer schon veränderten Stimme hatte sie gesagt: Das geht dich doch überhaupt nichts an! Sie hat meine Frage als unpassend eingeschätzt und als ein Einmischen in ihr Privatleben empfunden. Es war eine peinliche Situation für mich, in der ich von mir selbst enttäuscht war. Ich habe mich zurückgezogen und habe den Fehler bei mir gesucht. Ich hatte die Situation falsch eingeschätzt und unseren Kulturunter-

282 Selbstreflexive Verfahren schied vollends ignoriert. Später haben wir darüber geredet und die Situation aufgeklärt. 3) Juliane Zöller Als ich nach meinem Abitur in die USA gereist bin, um da ein Jahr lang als Au-Pair auf die Kinder meiner Gastfamilie aufzupassen, dachte ich, dass mein Englisch ganz gut wäre. Ich stellte schnell fest, dass ich alles verstand wenn auch nicht jedes Wort, dann aber auf jeden Fall den Zusammenhang. Und ich konnte, dachte ich, alle meine Gedanken und Bedürfnisse mitteilen. Nach dem ersten neugierigen Antasten, Kennenlernen, Staunen merkte ich schnell, dass mich meine Gastfamilie doch nicht richtig verstand. Wussten die überhaupt, wer ich war? Immer und immer wieder, so zumindest hatte ich das Gefühl, befand ich mich immer häufiger in Situationen, in denen mir auf Deutsch spontan etwas in den Sinn kam, ein Wortwitz, Ironie, irgendeine kurze Anekdote, die ich zum Gespräch beitragen wollte. Es gelang mir jedoch nicht, das ins Englische zu übersetzen. Meine Äußerungen blieben platt und ich nahm immer weniger an Gesprächen teil; saß manchmal nur daneben und dachte darüber nach, was ich alles sagen könnte, wenn ich es könnte. Ich hatte das Gefühl, dass ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit verborgen blieb und, schlimmer noch, sogar verloren ging, weil mir die Worte fehlten, oder ein Zwischen-den-Zeilen-Reden fehlte. Ich wurde unsicher und ruhiger, ich zog mich unverstanden zurück.