Behindertengerechte Websites Worum geht es? Das Ziel dieser Unterrichtseinheit besteht darin, die Teilnehmer für die behindertengerechte Umsetzung von Websites zu sensibilisieren. Die Kursteilnehmer lernen Mechanismen kennen, die bei der behindertengerechten Umsetzung ihrer künftigen Web-Projekte beachtet werden sollen. Eingangs geht es darum, sich einen Überblick über verschiedene Arten von Behinderungen zu verschaffen. Im weiteren wird die Schweizerische Gesetzgebung im Umfeld der Gleichstellung von Behinderten betrachtet. Auf jedem Rechner ist ein Screen Reader (IBM Home Page Reader) installiert. Dieser liest den Inhalt einer aufgerufenen Website vor. Den Kursteilnehmern wird durch den Einsatz dieses Hilfsmittels gezeigt, was es bedeutet, als Sehbehinderter oder blinder Benutzer im Internet zu surfen. Die vom W3C Konsortium bzw. deren Web Accessibility Initiative (WAI) erlassenen Richtlinien zeigen den Teilnehmern die Standards für die Umsetzung behindertengerechter Websites auf. Die praktische Umsetzung dieser Richtlinien wird von den Teilnehmern geübt. Dies geschieht durch die Programmierung einer HTML-Seite, die einen möglichst hohen Grad an Behindertengerechtheit erreichen soll. Erforderliches Vorwissen der Teilnehmer Die Teilnehmer bringen Erfahrungen in der Implementierung von Webauftritten mit. Jeder Teilnehmer hat mehrere Websites umgesetzt. Dies können Corporate Websites, Shop-Portale, E-Commerce Anwendungen oder Intra- bzw. Extranets sein. Die Kursteilnehmer verfügen über sehr gute HTML-Kenntnisse. Ablauf der Unterrichtseinheit Die Dauer der gesamten Unterrichtseinheit beträgt einen ganzen Tag o 4 Stunden: selbständiges Entdecken. In dieser Phase werden die Quellen studiert und die HTML-Seite erstellt. Für deren Umsetzung soll mindestens eine Stunde einberechnet werden. o ½ Stunde: Besprechung in Zweiergruppen. Im Anschluss an die selbständige Entdeckungsphase ist eine halbstündige Besprechung in Zweiergruppen vorgesehen. Dabei geht es darum, die gewonnenen Erkenntnisse mit einer Kollegin bzw. einem Kollegen auszutauschen und allfällige Fragen zu diskutieren o 1½ Stunden: Diskussion (evtl. gemeinsame Prüfung) der erstellten HTML-Seiten. Den Abschluss der Entdeckungsphase bildet die Diskussion im Plenum mit sämtlichen Teilnehmern. Hierbei geht es darum, die Gedanken bzw. Überlegungen, welche während der Entdeckungsphase angestellt wurden, miteinander auszutauschen und so voneinander zu profitieren. Es ist denkbar, die erstellten HTML-Seiten gemeinsam auf deren WAI-Konformität überprüfen zu lassen (vgl. dazu den Abschnitt Überprüfung der HTML-Seiten mit Bobby ). o ½ Stunde: Optimierung der eigenen HTML-Seite Seite 1
Simulation möglicher Ergebnisse Beurteilung der Quellen bzgl. der Schweizerischen Gesetzgebung Die Beurteilung der beiden Quellen durch die Teilnehmer kann Äusserungen provozieren wie: o Ist dies alles, was der Bund zur Wahrung der Gleichberechtigung vorsieht? o Die Schweizerische Gesetzgebung ist im Bezug auf die Gleichstellung der Behinderten zu unverbindlich. Dies erstaunt angesichts der sehr allgemein abgefassten Verordnung bzw. Gesetzgebung nicht. Auf die Diskussion dieser Quellen im Plenum darf man gespannt sein. Sie sollte kurz gehalten werden, so dass genügend Zeit für die Besprechung der Fragen in Zusammenhang mit der Implementierung der behindertengerechten HTML-Seiten eingesetzt werden kann. Zur Aufgabe: Fasse die wichtigsten Punkte der beiden Quellen in wenigen Sätzen zusammen. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) hat zum Ziel, Benachteiligungen zu verhindern oder wenigstens zu verringern, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn eine Dienstleistung für Behinderte nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zur Verfügung steht. Informationen, die übers Internet angeboten werden, müssen Sehbehinderten ohne erschwerende Bedingungen zugänglich sein. Die Behindertengleichstellungsverordnung (BehiV) regelt die Umsetzung der im BehiG erlassenen Gesetze. Im Bezug auf Dienstleistungen im Internet wird im wesentlichen folgendes festgehalten: Die Informationen des Internets müssen für Sprach-, Hör- und Sehbehinderte sowie motorisch Behinderte zugänglich sein. Hierfür müssen die Angebote entsprechend den Richtlinien des World Wide Web Konsortiums (W3C) und gemäss den nationalen Informatikstandards umgesetzt sein. Diese Richtlinien werden in Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen erarbeitet und regelmässig dem neusten technischen Stand angepasst. Zur Aufgabe: Überlege, ob der Gesetzgeber die Rechte der Behinderten genügend wahrt. Das Behindertengleichstellungsgesetz bzw. deren Verordnung regelt den Sachverhalt recht klar. Was fehlt, ist die mangelnde Überprüfung dieser Gesetze und Verordnungen. Nur so es zu erklären, dass auch heute immer noch neue Websites aufgeschaltet werden, welche nicht gesetzeskonform umgesetzt wurden. Darunter befinden sich auch einige Webauftritte der öffentlichen Hand. Seite 2
Home Page Reader von IBM Das Sammeln erster Erfahrungen im Umgang mit einem Screen Reader wird für die meisten Teilnehmer sehr beeindruckend sein. Das Verständnis für die Anliegen von Sehbehinderten und Blinden im Umgang mit dem Internet wird dadurch sicherlich gefördert. Der Versuch, mit geschlossenen Augen durch eine Website zu navigieren, wird wohl vielen Mühe bereiten. Diese Erfahrung ist durchaus beabsichtigt. Hinweis: Achten Sie darauf, dass die Kursteilnehmer unterschiedliche Arten von Websites aufrufen: Einfach strukturierte, eher textlastige und komplexere Websites. Dadurch können die Unterschiede in der Anwendung des Screen Readers erlebt werden. Zur Frage: Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Anwendung des Home Page Readers? Websites, die viele Grafiken oder Flash-Animationen beinhalten, können mit dem Home Page Reader nicht zugänglich gemacht werden. Der Home Page Reader bekundet aber auch mit Elementen wie JavaScript-Navigationen, Pop-Up-Fenstern u.ä. Mühe. Der Sehbehinderte ist also auf eine klare, einfache Seitenstruktur angewiesen. Ansonsten verliert er immer wieder den Kontext und kann das Informationsangebot nur sehr schwer nutzen. WAI-Richtlinien Möglicherweise thematisieren einige Kursteilnehmer die Frage nach der Verträglichkeit der WAI-Richtlinien mit kommerziellen Anforderungen zeitgemässer Websites. Moderne Websites bedienen sich immer öfter multimedialer Inhalte, die für Behinderte kaum zugänglich sind. So werden beispielsweise im Luxus- und Lifestyle-Bereich sehr viele Websites komplett mittels Flash-Technologie umgesetzt. Solche Websites sind für Sehbehinderte oder blinde Benutzer wertlos, da deren Inhalte von einem Screen Reader nicht wiedergegeben werden können. Der Screen Reader orientiert sich am HTML-Quelltext, der bei Flash-Seiten nur aus dem Aufruf einer Flash-Datei besteht. Der eigentliche Inhalt der Seite, der in der Flash-Datei untergebracht ist, bleibt für den blinden Benutzer verborgen. Die Betreiber solcher Websites rechtfertigen ihre Technologiewahl damit, dass mit ihrer Website nur eine ganz bestimmte Zielgruppe angesprochen werden soll. Die behinderten Webuser werden ausser Acht gelassen. Einige Betreiber solcher Sites sind sich dieser Problematik nicht bewusst. Andere scheuen die Aufwände, die mit der Implementierung einer alternativen Version verbunden sind. Die Frage lautet: Wie stark werden die kommerziellen Interessen gegenüber den Bedürfnissen der Behinderten gewichtet? Anders formuliert: Wie viel ist es uns wert, Behinderten einen ungehinderten Zugang zum Webinhalten zu ermöglichen? Versuchen Sie, Artikel 11 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) in diese Diskussion einzubeziehen. Auf die Diskussionen solcher Fragen in der Plenarrunde kann man sehr gespannt sein. Seite 3
Zur Aufgabe: Überlege, welche Checkpoints mit Priorität 1 bei der Umsetzung den grössten Aufwand generieren. Nenne drei Checkpoints, die in diese Kategorie fallen und begründe deine Auswahl mit ein paar wenigen Sätzen. o Die Richtlinie 6.1 Bauen Sie Dokumente so auf, dass sie ohne Stylesheets gelesen werden können. Z.B. wenn ein HTML-Dokument ohne ihm zugeordnete Stylesheets dargestellt wird, muss es immer noch möglich sein, das Dokument zu lesen. generiert einen grossen Aufwand. Der Mehraufwand liegt in der Programmierung von alternativem HTML-Code, so dass die Seiten mit und ohne Stylesheet korrekt aussehen. o Die Richtlinie 6.3 Sorgen Sie dafür, dass Seiten verwendbar sind, wenn Scripts, Applets oder andere programmierte Objekte abgeschaltet sind oder nicht unterstützt werden. Ist dies nicht möglich, stellen Sie äquivalente Informationen auf einer alternativen zugänglichen Seite bereit. generiert einen Mehraufwand für die Programmierung von Alternativseiten. Bei sehr applikationslastigen Websites bedeutet dies einen sehr grossen Aufwand. Für die Pflege der beiden Versionen muss ebenfalls mit einem Zusatzaufwand gerechnet werden. o Die Richtlinie 1.3 Stellen Sie eine Audio-Beschreibung der wichtigen Information der Videospur einer Multimedia-Präsentation bereit, bis Benutzeragenten das Text- Äquivalent einer Videospur vorlesen können. bedeutet für multimedia-lastigen Websites einen grossen Mehraufwand. Dieser wird durch die Nachbearbeitung der Animationen bzw. Filmsequenzen (z.b. QuickTime) generiert. Die eigene behindertengerechte Website Zur Aufgabe: Beurteile die von Dir erstellte HTML-Seite anhand der WAI-Checkliste. Prüfe (mindestens) die Kriterien mit Priorität 1. Die Teilnehmer werden sehen, dass die Erstellung einer HTML-Seite gemäss WAI- Richtlinien ganz neue Anforderungen an die Programmierung stellt. Bereits die Einhaltung der Richtlinien der Priorität 1 wird sich als anspruchsvoll herausstellen. Auf die Einbindung der Flash-Filme kann man wohl gespannt sein. Beurteilung der Arbeiten Die Beurteilung der Arbeiten basiert auf: o den Gedanken und Überlegungen, die auf Nachvollziehbarkeit und Plausibilität geprüft werden o der Beurteilung der praktischen Arbeit, die anhand der WAI-Richtlinien auf deren Behindertengerechtheit überprüft wird. Jeder Teilnehmer sollte eine Woche nach Durchführung der Unterrichtseinheit einen kurzen Bericht mit einer Beurteilung seiner Arbeit erhalten. Seite 4
Überprüfung der HTML-Seiten mit Bobby Die von den Teilnehmern erstellten HTML-Seite können mit dem Bobby Online Service - Tool der Firma Watchfire überprüft werden. Bobby überprüft eine HTML-Seite auf deren WAI-Konformität und kann unter http://bobby.watchfire.com/bobby aufgerufen werden. WAI-Richtlinien-Prüfung mit Bobby Kopieren Sie die erstellten Webseiten auf einen öffentlich zugänglichen Webserver. Anschliessend kann in Bobby die Webadresse der zu prüfenden HTML-Seite eingegeben werden. Bobby erstellt einen ausführlichen Report, der Aufschluss über alle Verletzungen der WAI-Richtlinien gibt (siehe nachfolgenden Screenshot). Sie können die Bobby -Reports an die Teilnehmer verteilen. Diese haben anschliessend die Gelegenheit, ihre HTML-Seiten zu verbessern. Von Bobby erstellter Report Seite 5