Festansprache in Halle anlässlich des 25jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft am 05.10.



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Transkript:

Festansprache in Halle anlässlich des 25jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft am 05.10. 22 Jahre Deutsche Einheit im Licht der "Silberhochzeit" zwischen Karlsruhe und Halle/Saale Zwei Zitate aus ganz unterschiedlichen Jahrhunderten und von Persönlichkeiten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: Das Bewusstsein seiner Einheit war dem deutschen Volke, wenn auch verhüllt, doch stets lebendig. Kaiser Wilhelm I. tat diesen Ausspruch zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der griechische Philosoph Epikur von Samos meinte: "Von allen Geschenken, die uns das Schicksal gewährt, gibt es kein größeres Gut als die Freundschaft - keinen größeren Reichtum, keine größere Freude." Kaiser Wilhelm I. wusste nicht um die Teilung Deutschlands und um die gefeierte Wiedervereinigung. Und doch sprach auch er bereits vom "Bewusstsein der Einheit des deutschen Volkes". Dieses Bewusstsein, wie groß ist es eigentlich? Es zeigt sich immer wieder, dass es noch einiges zu tun gibt. Und genau da kommt die Freundschaft ins Spiel. Die Freundschaft der Deutschen untereinander. Die Freundschaft zwischen Menschen aus verschiedenen Gegenden, aus den verschiedenen Bundesländern. Diese Freundschaften zur fördern ist eines der ersten Ziele unserer Städtepartnerschaft. Gerade deshalb ist sie so wichtig. Wenn Freundschaft - wie Epikur schon wusste - das höchste Gut ist, welche das Schicksal den Menschen schenken kann, dann zeigt sich in der Partnerschaft zwischen Halle und Karlsruhe, was Glück ist. Denn unsere Städtepartnerschaft ist eine Partnerschaft zwischen Menschen. Unterstützt und getragen auf der einen Seite natürlich von den Stadtoberhäuptern und Stadtverwaltungen - aber auf der anderen Seite vor allem getragen von den Freundschaften zwischen Bürgerinnen und Bürgern beider Städte. Liebe Frau Szabados, sicher ist es wichtig, dass wir beide diese Städtepartnerschaft gutheißen und unterstützen. Dass unsere Stadträtinnen und Stadträte ebenso wie die Verwaltungen die Städtepartnerschaft pflegen. Aber was könnten wir alleine bewirken, wäre die Städtepartnerschaft nicht auch im Bewusstsein und in den Herzen der Bevölkerung unserer Städte verankert? Nicht bei jedem Einzelnen und jeder Einzelnen - das will ich gar nicht behaupten. Aber es gibt viele Vereine und Organisationen, die schon seit Jahren und Jahrzehnten Partnerschaften pflegen. Und es gibt seit einigen Jahren "unsere" Freundeskreise, die sich die Städtepartnerschaft selbst auf die Fahnen geschrieben haben. Diese Menschen sind es, die durch zahlreiche Kontakte,

- 2 - Freundschaften - und immer wieder auch ganz innige und ganz persönliche Beziehungen - das Herz einer Städtepartnerschaft bilden. Als Karlsruhe und Halle die ersten Schritte aufeinander zu machten, waren wir weit weg von einem "Deutschland einig Vaterland". Städtepartnerschaften entstehen üblicher Weise zwischen Städten in verschiedenen Ländern. Nun hatten wir bei Unterzeichnung des Städtepartnerschaftsvertrags 1987 natürlich zwei deutsche Staaten. Und es war wahrlich nicht einfach, eine Partnerschaft zwischen zwei Städten dieser Staaten zu begründen. Es war schon schwierig, mit einer Stadt im "anderen Deutschland" überhaupt Kontakt aufnehmen zu dürfen. Wenn mein Amtsvorgänger Professor Dr. Gerhard Seiler nicht so beharrlich gewesen wäre - nun, ich glaube, ich würde heute nicht hier stehen. Umso mehr freut es mich, dass Sie, Herr Professor Dr. Seiler, gemeinsam mit Ihrer Frau die Karlsruher Delegation begleiten. Ihrer Hartnäckigkeit ist es ein gutes Stück weit zu verdanken, dass 1987 über Grenzen und Mauern hinweg die Städtepartnerschaft zwischen Halle und Karlsruhe entstand. Das Entscheidende war, dass es gelang, den Vertrag über die ideologischen Grenzen hinweg zu erarbeiten. Und es war ein schweres Stück Arbeit, ein zähes Ringen um einzelne Formulierungen. Doch vielleicht war auch hier im Hintergrund etwas vom "einen deutschen Bewusstsein" zu spüren. Nach langwierigen Verhandlungen wurde endlich ein Text gefunden, der von beiden Seiten unterschrieben werden konnte. Die DDR-Seite hatte sich sogar auf einen Passus über Jugendbegegnungen eingelassen. Und es ist auch die Rede davon, dass - so wörtlich - gesellschaftliche Organisationen und Gruppen im örtlichen Gemeinschaftsleben, Bürgerinnen und Bürger aller Herkunft und Tätigkeit Gelegenheit zum Austausch haben sollen. Damit wurde unser Vertrag zur Grundlage für einen Austausch, der über das hinausging, was sich die DDR-Führung vorgestellt hatte. Dazu aber war es notwendig, dass die Bürgerinnen und Bürger den Inhalt des Vertrags auch kannten. Aus Sicht der Verantwortlichen in Halle war dies schon wieder eine der "komische Ideen" der Karlsruher Seite. Da hatte man sich doch gerade mühsam auf so genannte Jahresprogramme geeinigt. Von Seiten des DDR-Regimes, das dem Ganzen zustimmen musste, sollten die Kontakte natürlich auf ausgewählte Personen beschränkt bleiben. Doch auch in Halle gab es Gruppierungen, die den Text des Vertrags der Bevölkerung bekannt machen wollten. Ein Mitglied dieser Bewegung - Wolfgang Schuster - habe ich gerade vor zwei Wochen beim Baden-Marathon in Karlsruhe getroffen. Wenn man sich heute so zwanglos begegnet, dann kann man sich kaum noch vorstellen, dass damals der Vertragstext abgeschrieben werden musste, um ihn auf einer Art Plakaten der Bevölkerung zugänglich zu machen - was

- 3 - übrigens mitnichten ungefährlich war Erst dann wird einem wieder so richtig bewusst, was der Tag der Deutschen Einheit eigentlich bedeutet. Keiner der Städtepartnerschaftspioniere ahnte damals, dass zwei Jahre später die Mauer fallen würde und drei Jahre nach der Vertragsunterzeichnung Deutschland tatsächlich wieder vereint würde. Aber ich bin überzeugt, dass diese frühen Städtepartnerschaften über die Mauer hinweg - nicht nur die unsrige - Mosaiksteinchen - wenn nicht gar kleine Grundsteine - für die deutsche Wiedervereinigung waren. Das Bewusstsein seiner Einheit wie es Kaiser Wilhelm beschworen hat, wurde im deutschen Volk durch diese Städtepartnerschaften wieder ein Stückchen mehr geweckt. Ich bin noch heute überwältigt, dass die Menschen in der damaligen DDR das geschafft haben, was alle für unmöglich gehalten hatten: Eine gewaltfreie Umwälzung. Auch ich saß in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober staunend und ungläubig vor dem Fernseher. Auch mir war bewusst, dass wir alle Zeugen von wahrhaft historischen Ereignissen wurden. Aber, es war mir nicht bewusst, was noch auf uns zukommen sollte. Dass das Zusammenwachsen des 40 Jahre lang geteilten Deutschlands nicht einfach würde - das war vermutlich allen klar. Vor welchen Herausforderungen man tatsächlich stand - das zeigte sich erst in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren. Das lange verhüllte Bewusstsein seiner Einheit wurde nun beim deutschen Volk lebendig. In jener Nacht wohl bei jedem. Doch wie stark war es wirklich? Würde es gelingen, Schwierigkeiten und Probleme beim Zusammenwachsen zu überwinden? Würde es tatsächlich ein Deutschland einig Vaterland geben? Das ist etwas, woran wir auch heute - 22 Jahre nach der Wiedervereinigung - noch arbeiten müssen. Das ist etwas, woran ein Volk wohl stetig arbeiten muss. Erinnern wir uns an das Zitat des Philosophen Epikur: "Von allen Geschenken, die uns das Schicksal gewährt, gibt es kein größeres Gut als die Freundschaft Als vor 25 Jahren die Städtepartnerschaft Karlsruhe-Halle begründet wurde, war es nicht einfach, wirkliche Freundschaften zu schließen. Wenn wir ehrlich sind: Die Karlsruherinnen und Karlsruher wussten nicht, wie weit die Hallenserinnen und Hallenser ihnen offen und ehrlich begegneten - und begegnen durften. Die Sorge, dass es sich um Stasi-Leute handeln könnte, schwang immer mit. Und die Hallenserinnen und Hallenser befürchteten natürlich erst recht Repressalien, wenn herauskam, dass sie etwas Falsches gesagt oder getan hätten.

- 4 - Und doch gelang es, erste Freundschaften zu schließen. Beispielsweise wurden in der vergleichsweise freien Luft des Händelhauses unerwartet offene Gespräche geführt. Und auch in anderen Bereichen entstanden immer wieder persönliche Kontakte und wahre Freundschaften. Was diese wert waren, zeigte sich nach dem Fall der Mauer. Auf einmal waren Jahresprogramme und Reisebeschränkungen vergessen. Von heute auf morgen änderte sich die gesamte Lebensgrundlage überhaupt. Gestern noch auf DDR und Sozialismus eingeschworen, sollten die Menschen heute auf einen Schlag nach westdeutschen Werten leben. Freie Wirtschaft und die westliche Form der Verwaltung umsetzen. Das war natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Und eben jetzt zeigte sich für Halle, dass das höchste Gut tatsächlich die Freundschaft ist. Denn die Freundschaften und partnerschaftlichen Strukturen, die zwischen Halle und Karlsruhe entstanden waren, halfen in vielen Bereichen weiter. Manch schwarzes Schaf aus dem Westen nutzte die Unwissenheit der Menschen in den so genannten neuen Bundesländern schamlos aus. Doch es kam auch viel echte Hilfe - zumindest kann ich das für Karlsruhe und Halle so sagen. Gerade, wenn ich an meinen Bereich - die Stadtverwaltung - denke, so kann ich guten Gewissens behaupten: Dank der Unterstützung aus Karlsruhe fiel Halle die Umstellung wesentlich leichter als vielen anderen Städten. Es war noch schwierig genug, wie Sie, liebe Frau Szabados aus eigener Erfahrung wissen. Doch die Karlsruherinnen und Karlsruher waren für ihre Freunde da. So mancher städtische Mitarbeiter verbrachte Wochen und Monate in Halle, um hier den Aufbau einer Stadtverwaltung nach westdeutschem Vorbild zu unterstützen. Und zahlreiche Hallenser kamen nach Karlsruhe, um den Kollegen über die Schulter zu schauen. Unvergleichlich ist sicher das Engagement von Hans Strebel. Er hat wie kein zweiter die Umorganisation der Verwaltung hier in Halle geprägt. Als der Hilferuf aus Halle kam, dachte mein Vorgänger Professor Dr. Seiler an unseren Herrn Strebel. Und der war bereit, für einige Monate nach Halle zu gehen. Was daraus wurde, ahnte er damals auch noch nicht Insgesamt vier Jahre arbeitete er bei der und für die Stadt Halle. Hans Strebel wurde hier zum Inbegriff der neuen Verwaltung, zur Feuerwehr an allen Ecken und Enden. Mit seiner reichen Erfahrung, aber auch mit seinem Ideenreichtum und mit großem persönlichem Einsatz fand er immer wieder Mittel und Wege, die Verwaltung hier in Halle neu aufzustellen. Als Hallenser Bürgermeister aus Karlsruhe wird er in die Geschichte unserer Städtepartnerschaft eingehen. Es ist mir eine Ehre, dass Sie, Herr Strebel, mit uns an Ihre langjährige Wirkungsstätte gereist sind.

- 5 - Natürlich waren noch viele, viele weitere Kolleginnen und Kollegen aus beiden Partnerstädten beteiligt. Und so manche der damals geknüpften Kontakte bestehen bis heute. So laufen auf dem so genannten kleinen Dienstweg zwischen Halle und Karlsruhe manche direkte Verbindungen. Freundschaft ist eben bis heute das höchste Gut, das das Schicksal uns schenkt auch oder vielleicht gerade weil die Zeit der westdeutschen Hilfe für die ostdeutsche Partnerstadt längst vergangen ist. Die Freundschaft bleibt. Und sie ist nach wie vor eine unerlässliche Voraussetzung für das Bewusstsein der Einheit des deutschen Volkes. In den ersten Jahren nach der Wende waren die Kontakte naturgemäß am intensivsten. Unzählige Begegnungen in allen nur denkbaren Bereichen fanden damals statt. Doch bis heute sind unsere Städte durch ein reiches Netzwerk an Verbindungen verknüpft. Vom Auszubildenden-Austausch bis zu Seniorenbegegnungen reicht die Bandbreite der Kontakte. Ob Schützenverein, Kirchenchor oder die eigens für die Partnerstadt gegründeten Freundeskreise - sie alle halten Kontakt. Und ich danke ausdrücklich allen Aktiven, die mit Herzblut und Engagement die Freundschaften und damit unsere Städtepartnerschaft pflegen. 22 Jahre Deutsche Einheit und 25 Jahre Städtepartnerschaft Karlsruhe-Halle. Das führt auch zu der Frage: Brauchen wir heute noch innerdeutsche Städtepartnerschaften? Meine Antwort könnte eindeutiger nicht sein: JA! Sie sind heute mindestens so wichtig wie bei ihrer Entstehung. Wenn Kaiser Wilhelm davon spricht, das Bewusstsein seiner Einheit war dem deutschen Volke, wenn auch verhüllt, doch stets lebendig - so müssen wir uns heutzutage eingestehen dass dieses Bewusstsein auch 22 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht in allen Köpfen angekommen ist. Wie oft hört man noch reden von Ossis und Wessis. Die einen machen die - zugegeben hohen - Ausgaben für die Wiedervereinigung für alle möglichen wirtschaftlichen Probleme verantwortlich. Andere sehnen sich nach der einfachen, auf ihre Art abgesicherten Lebensweise der DDR zurück - und schieben dabei die damals allgegenwärtigen Probleme gänzlich beiseite. Ja, wir brauchen auch heute noch Verbindungen zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland. Vielleicht sogar dringender denn je. Die Jahre der Teilung haben bis heute tiefe Spuren hinterlassen - auch wenn viele davon auf den ersten Blick nicht mehr zu sehen sind. Doch gerade in der heutigen Welt ist ein Deutschland einig Vaterland so wichtig. Solange es Mauern in den Köpfen gibt, fehlt einem Teil des deutschen Volkes das Bewusstsein seiner Einheit. Wir leben in einer Zeit der Globalisierung. In der die Welt scheinbar immer kleiner wird. In der man innerhalb weniger Stunden ans andere Ende der Welt reisen kann. In der man per E-Mail, Chat, Skype oder Videokonferenz über tausende von Kilometern in Echtzeit korrespondieren kann. Wir leben in einer multikulturellen Welt. Wir rühmen uns, offen für andere Kulturen zu sein. Wir sind es auch. Aber Grundlage dafür ist, dass wir uns innerhalb Deutschlands als ein Volk verstehen.

- 6 - Das Bewusstsein der Einheit des deutschen Volkes ist so wichtig, damit wir uns anderen gegenüber öffnen können. Erst wenn wir uns selbst verstehen, können wir auch andere verstehen. Und durch die Städtepartnerschaft lernen sich immer mehr Menschen aus Halle und Karlsruhe kennen und schätzen. Sie knüpfen Freundschaften. Fiktive Grenzen in den Köpfen fallen. So trägt die Städtepartnerschaft ihren Teil dazu bei, dass die Deutschen sich als ein Volk sehen und so das Bewusstsein der deutschen Einheit nicht länger verhüllt ist. Erst wenn sich die Deutschen in Ost und West wahrlich als ein Volk begreifen, können wir uns wirklich für andere Kulturen öffnen. Und dies wiederum ist unabdingbare Voraussetzung für ein vereintes, friedliches und stabiles Europa. Krisen wie die derzeitigen lassen sich nur gemeinsam lösen. Um mit anderen Ländern an einem Strang zu ziehen, ist die innere Einheit Deutschlands eine Grundvoraussetzung. Deshalb ist es so wichtig, den Tag der Deutschen Einheit zu feiern - und gleichzeitig stetig weiter an dieser Einheit zu arbeiten. Ein wichtiges Mosaiksteinchen für das Bewusstsein der deutschen Einheit ist auch unsere Städtepartnerschaft! Noch einmal ganz klar "JA", die Städtepartnerschaft hat auch und gerade heute einen hohen Stellenwert. Und sie wird ihn auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten haben. Machen wir also weiter so. Lassen wir nicht nach in den Bemühungen um die Städtepartnerschaft. Dies gilt auch für alle, die die Städtepartnerschaft ehrenamtlich unterstützen. Helfen Sie uns auch künftig. Die Städte Karlsruhe und Halle brauchen Ihre Unterstützung auch weiterhin. Unsere Städte waren Vorreiter bei innerdeutschen Kontakten. In der heutigen - auf europa- und weltweite Kontakte ausgerichteten - Zeit ist unser gemeinsames Ziel, die Schaffung eines Netzwerkes über unsere Städte und unser Land hinaus. Auch hier sind die städtepartnerschaftlichen Kontakte eine unverzichtbare Stütze. Ich denke da beispielsweise an die Städtepartnerschaftstage in Karlsruhe vor fünf Jahren - eine Tagung aller Karlsruher Partnerstädte. Halle hat unsere Idee in Form von Städtepartnerschaftskonferenzen in verschiedenen Fachgebieten aufgegriffen. So haben Fachleute der Karlsruher Stadtwerke im vergangenen Jahr als Referenten und Gäste an der Stadtwerkekonferenz in der Saalestadt teilgenommen. Das große Ziel ist die Vernetzung unserer Partnerstädte auch untereinander. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Wir sind gemeinsam aufgebrochen. Aber jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt, wir haben ihn vor 25 Jahren getan, gemeinsam getan. Wir sind auf einem gemeinsamen Weg in die Zukunft - auf der Grundlage des Bewusstseins der Einheit des deutschen Volkes. Und auf der Grundlage der Freundschaft, die das größte Gut ist, das das Schicksal uns gewährt.! ES GILT DAS GESPROCHENE WORT!