Rhetorik für Lehrerinnen und Lehrer



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Transkript:

Barbara E. Meyer PÄDAGOGIK praxis Rhetorik für Lehrerinnen und Lehrer Mit Download-Materialien

Inhalt Vorwort... 7 Über Rhetorik und dieses Buch... 8 Wasist denn eigentlich Rhetorik?... 8 Was dieses Buch nicht behandelt... 9 Wiekann Ihnen dieses Buch am besten helfen?... 9 1. Vorbereiten... 11 1.1 Maß nehmen... 12 Ethos... 14 Innere Angemessenheit... 15 Äußere Angemessenheit... 17 Schwierigkeiten einbeziehen... 23 1.2 Auswählen... 24 Ziele setzen... 24 Überblick schaffen... 30 Inhalte reduzieren... 35 1.3 Strukturieren... 40 Wissen, wie Lernen funktioniert... 40 Ablauf planen... 43 Lehr-Lernmethoden auswählen... 47»Spickzettel«für den Ablauf... 51 2. Unterrichten... 54 2.1 Erklären... 56 Körpersprache... 57 Stimme... 69 Wortwahl... 79 Stimmigkeit... 92 WeitereMedien... 93

2.2 Erarbeiten... 100 Fragen...101 Impulse...104 Aufrufen...106 Verstärken...107 2.3 Anleiten... 108 Übungen anleiten...109 Vorstellung von Inhalten durch Schüler/innen...113 Diskussionen leiten...116 3. Nachbereiten: Wie kann ich mich jetzt verbessern?... 120 Feedback von Schüler/innen...121 Feedback von Kolleg/innen...124 Sich selbst beobachten...125 Mit Feedback und Anregungen umgehen...126 Lösungen... 130 Literatur... 134

Vorbereiten 1 Im Anschluss an die Schulstunden, nach Mittagessen oder Nickerchen, nachdem die Kinder im Bett sind oder nach Freizeitaktivitäten nachts um zehn: Die Vorbereitung des Unterrichts ist neben organisatorischen Aufgaben vermutlich das, was Sie außerhalb des Unterrichts am längsten beschäftigt. Jetzt könnten Sie sagen: Stimmt, aber was hat das eigentlich mit Rhetorik zu tun? Wie bereits in der Einleitung erwähnt, war die Didaktik früher ein Teil der Rhetorik. Daher spricht vieles dagegen, sich unter einem Rhetoriktraining nur vorzustellen, dass dort verbessert wird, wie jemand vorträgt. Wer den weiteren Kontext sozusagen»auskoppelt«, hat einen ganz wesentlichen Teil der»redekunst«ausgeblendet und bringt seine Rhetorik schwer zuihrer vollen Wirkung. Eberhard Ockel geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er schreibt:»didaktik verdankt ihre Existenz der Rhetorik.Sie wäre ohne Rhetorik als Grundlage und Basis nicht denkbar. [ ]Der Rückgriff auf die Rhetorik vermag der Didaktik Innovationen zu vermitteln.«(ockel 1998, S.1) Inwiefern das möglich ist, wird in diesem Heftzum Beispiel gezeigt, wenn im Folgenden (in den ersten drei Kapiteln) die rhetorisch sinnvolle Vorbereitung von Unterricht besprochen wird. Was wurde also in der antiken Rhetorik über die Vorbereitung einer Rede gelehrt? Insgesamt wurden fünf»produktionsstadien«(rhetorices partes) von der Idee bis zum Vortrag eines Inhalts unterschieden: 1.»inventio«: Inhalte sammeln. 2.»dispositio«: Inhalte gliedern. 3.»elocutio«: Die Inhalte»in Worte kleiden«. 4.»memoria«: Sich die Rede einprägen, um frei sprechen zu können. 5.»pronuntiatio«/»actio«: Die Rede vortragen und dabei gestalterische Mittel einsetzen. Davonsind die ersten vier Punkte im Rahmen der Vorbereitung zu erledigen. Da aber Lehrer/innen in aller Regel das, was sie sagen, selten vorher perfekt ausformulieren (3.»elocutio«) und auswendig lernen(4.»memoria«), werden die Vorschläge für diese Teile in diesem Heftananderer Stelle eingeordnet: Die Inhalte des drittenpunkts, alsodes»in-worte-kleidens«, sind dem Kapitel»Unterrichten«eingefügt schließlich geschieht das Ausformulieren im Unterricht normalerweise spontan.der vierte Punkt»Auswendig lernen«wird ersetzt durch den Vorschlag, wie ein»spickzettel«gestaltet werden könnte, der einen gut strukturiert durch die Unterrichtsstunde führt, ohne dass etwas auswendig gelernt werden muss (in 1.3»Strukturieren«, S. 40). Insgesamt werden die Erkenntnisse der modernen Unterrichtsforschung mit dem antiken Wissensschatzzusammengeführtund dort,wo Inhalte bereitsinder Lehrerbildung»breitgetreten«wurden, nicht von vorne»aufgerollt«, sondernlediglich ergänzt, damit der Inhalt für alle spannend bleibt. Die Vorbereitung des Unterrichts und damit die Struktur des folgenden Kapitels ist in Anlehnung an diese Zusammenführung von»altem«und»neuem«wie folgt: Dererste Abschnitt des Kapitelsbehandeltdie allemzugrundeliegendefrage, wiedas zu Sagende auf Sprecher/in,Inhalt und Gegenüberangepasstwerdenkann. Vorbereiten 11

Im zweiten Teil wird die sinnvolle Auswahl von Inhalten in den Blick genommen. Dabei hilft das Wissen, wo Inhalte gefunden werden können, wie man sie auf sinnvolle Ziele hin zuschneiden und vor allem auch reduzieren kann. Im Teil»Strukturieren«werdenneue Erkenntnisseder Lehr-und Lernforschungthematisiert, bevor das Planen eines Ablaufs, die sinnvolle Wahl von Lehr-Lernmethoden und das Festhalten dieses Plans für den Unterricht beschrieben wird. Die Struktur ist in Tabelle 2 zusammengefasst: Tab. 2: Überblick über Kapitel»Vorbereiten«1.1 Maß nehmen rhetorisches Prinzip der Angemessenheit:»aptum«1.2 Auswählen rhetorisches Produktionsstadium:»inventio«1.3 Strukturieren rhetorische Produktionsstadien:»dispositio«und»memoria«1.1 Maß nehmen Als wichtiges Prinzip gilt in der Rhetorik seit der Antike die Angemessenheit des eigenen Sprechens, die als»aptum«bezeichnet wird. Ich sollte mir zu Beginn meiner Vorbereitungen überlegen, wo und zu wem ich spreche. Damit kann ich vermeiden, dass das, was ich sage, nicht»passt«wie die Sprechblase im Cartoon, die nicht passt, weil der Schülerin Einiges fremd und Anderes unpassend vorkommt.wo kein Maß genommen wird,sind Inhalte höchstenszufällig überzeugend oder verständlich. Es folgt ein Gedankenspiel, in dem deutlich werden kann, was mit»angemessenheit«gemeint ist. Es ist um den fiktiven Herrn Schmidt herum aufgebaut,lehrer an einer Mittelschule,dessen Tagesablauf nun beschrieben wird: 12 Vorbereiten

In der ersten Stunde gibt Herr Schmidt Mathe in einer fünften Klasse.Anschließend haben die Schüler/innen bei einer anderen Lehrkraft Religionsunterricht, was Herr Schmidt nutzt, um ein Gespräch mit der Mutter einer verhaltensauffälligen Schülerin zu sprechen, die er davon überzeugen möchte, Fördermaßnahmen für ihretochter zu unterstützen. Im Anschluss telefoniert Herr Schmidt kurz mit der psychologischen Beratungsstelle und hat dann ein Gespräch mit einer Lehramtsanwärterin. Nun das Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Sie wären ein/e Fünftklässlerin undherr Schmidtspräche mitihnen genausokomplex und reichandidaktischenfachwörtern wiemit der Lehramtsanwärterin. Oder Sie wären an der psychologischen Beratungsstelle beschäftigt und Herr Schmidt spräche mit Ihnen im gleichen umgangssprachlichen und eindringlichen Stil,mit dem er versucht,die Mutter im Beratungsgespräch zu überzeugen. Möglicherweise hätte Herr Schmidt mit seiner jeweils nicht angemessenen Sprache bei Ihnen Unverständnis, Verwirrung oder sogar Zweifel an seinem Verstand geerntet, seine Ziele aber sicherlich nicht erreicht. Sie sprechen als Lehrkraft in verschiedenen Kontexten, die es nötig machen, die Sprache anzupassen. Welche Situationen können Sie dabei unterscheiden? Wahrscheinlich haben Sie Ihre Sprache in diesen Situationen bisher schon intuitiv angepasst. Aber woher habensie gewusst, dass eine Anpassungsinnvoll oder wichtig ist? Wahrscheinlich haben Sie dafür eine gewisse Intuition oder Begabung.Die antike Rhetorik nennt neben dieser zwei weitere Möglichkeiten, um zu einer guten, wir würden heute sagen,»professionellen«praxis zu kommen: Wissen im Rahmen der Kunstlehre (Techniken kennen, reflektieren können etc.) erwerbenund üben. Aufbauend auf Ihre Intuition bzw. Begabung werden Ihnen als»kunstlehre«in diesem Kapitel drei Bezugspunkte des»aptum«vorgestellt: Abb.1: Drei Bezugspunkte der Angemessenheit Was angemessen ist, darüber entscheiden in der konkreten Situation das eigene Urteilsvermögen(iudicium), das sich durch Erfahrung schärft,und zudem strategische Vorüberlegungen (consilium). Das Nachdenken darüber,wie an einem Elternabend gleichzeitig völlig verschiedene Eltern am besten angesprochen werden können, ist beispielsweise ebenso eine strategische Überlegung wie die Auswahl einer angemessenen Sprache gegenüber jüngeren Schüler/innen. Vorbereiten 13

Ethos Angenommen Herr Schmidt spricht überhaupt keinen Dialekt, so wäre es nicht angemessen, im Gespräch mit der Mutter einen Dialekt nachzuahmen,da es nicht»echt«wäre. Der erste Bezugspunkt der Angemessenheit ist daher der Redner selbst, also»ich«: Was ich sage, sollte mir entsprechen, und ich sollte dabei»authentisch«sein. Das Ziel dieser Stimmigkeit ist kein Selbstzweck, sondern die Frage, wie ich von meinem Gegenüber wahrgenommen werde: Die antiken Rhetoren vermuteten, dass die Überzeugungskraft einer Rede ganz wesentlichvon der Glaubwürdigkeit des Rednersabhängt. Daher zähltnicht nurdie Stimmigkeit im situativen Kontext, sondern auch die Frage, ob ein Sprecher als ethisch-moralische Instanzwahrgenommenwird. Ein Beispiel aus Ihrem Alltag Stellen Sie sich eine Person vor, die Sie am Anfang sehr überzeugend fanden, der sie geglaubt haben und die dann jedoch für sie unglaubwürdig wurde. Möglicherweise denken Sie dabei an einen nach einem Skandal in Ungnade gefallenen Politiker oder auch an eine Person aus Ihrer näheren Umgebung.Wenn Sie diese Person voraugen haben, machen Sie ein Häkchen, wenn eine der folgenden Aussagen zutrifft,und einen Strich,wenn sie nicht zutrifft: Tab. 3: Ethos-Reflexion Vorher Nachher Die Person hat klaremaßstäbe. DieseMaßstäbe finde ich gut. Die Person hält sich selbst an ihreeigenen Maßstäbe. Die Person wirkt aufrichtig. Sie verstellt sich nicht. Ich habe das Gefühl, ich könnte ihr vertrauen. Vermutlichstellen Siefest:Wenn jemand auf michzwarecht wirkt,ich aber seinen Maßstäben nicht zustimmen kann bzw. er nicht den Maßstäben»angemessen«handelt, finde ich ihn deshalb noch lange nicht glaubwürdig. Ebenso ist es umgekehrt. Auf sich selbst übertragen bedeutet das: Was ich tue, muss also sowohl zu mir als auch zu meinen Maßstäben passen. Damit kann auch einem wesentlichen Kritikpunkt, der immer wieder der Rhetorik zugeschrieben wird, begegnetwerden: Die Rhetorik öffne Tür und Tor für Manipulationund trete die Moral mit Füßen. Ohne dasgefühl,dass mein GegenübergutemoralischeMaßstäbebesitzt,ohne das Gefühl, mein Gegenüber sei eine aufrichtige Person, die sich selbst an ihre eigenen Maßstäbe hält, wird sie die/den andere/n nicht restlos überzeugen können: Sie/er wird zu Recht Vorbehaltehaben. Um manipulieren zu können, müsste jemand also zusätzlich zu seinem rhetorischen Geschick die bewusste Absicht haben, zu täuschen. Wenn Sie daher Angst haben, dass Sie andere manipulieren, wenn Sie rhetorische Techniken lernen, können Sie beruhigt sein im Wissen: Wenn Sie nicht absichtlich täuschen und zum Beispiel Informationen zurückhalten (und 14 Vorbereiten

dann sollte sich ohnehin Ihre moralische Instanz mit einem schlechten Gewissen einschalten und Sie stoppen),werden Sie nur mithilfe der rhetorischen Techniken nicht»versehentlich«manipulierenkönnen. Daher setzte beispielsweise Quintilian in seiner Beschreibung, wie ein Redner ausgebildet werden sollte, eine Ethos-Schulung zur Gewissensbildung immer vor die Vermittlung von rhetorischen Techniken. Niemand konnte in seinen Augen ein guter Redner sein, wenn er nichtaucheingutermenschwar (Quintilianus/Rahn2006). Die Frage, ob Sprecher/in und Gegenüber ähnliche Maßstäbe teilen,was in diesem Absatz schon angeklungen ist, ist Gegenstand des dritten Bezugspunktes der Angemessenheit. Zunächst folgt die»innere Angemessenheit«. Innere Angemessenheit Der nächste Bezugspunkt der Angemessenheit wird in der modernen Rhetorik das»innere aptum«(dubs 2009) genannt. Die Frage, die dabei im Vordergrund steht, ist, ob Ausführungen und ihre Teile in sich stimmig sind und zum Inhalt bzw.zum Ziel passen, das man damit verfolgt. Beispielsweise scheint es unangemessen, etwas Ernstes oder Wichtiges mit fröhlicher Mimik ganz kurz zwischen anderen Punkten einzustreuen. Eine Reihe von Überlegungen zu verschiedenen Elementen des»inneren aptum«fasst die folgende Tabelle zusammen. Elemente des»inneren aptum«intensität des»ausdrucksverhaltens«mögliche Überlegungen Wie viel und welche Gestik/Mimik/Bewegung etc. setzeich ein? (siehe in 2.1»Körpersprache«, S. 57) Tab. 4: Überlegungen zu Elementen des»innerenaptum«sprachliche Formulierung Wie viele Stilmittel (siehe in 2.1»Wortwahl«, S. 79) setzeich ein? Welche Perspektive wähle ich für Aussagen»ich«,»wir«,»man«oder»du«? Spreche ich eher kompliziert oder eher einfach? Methode Wähle ich für die Darstellung einen Vortrag, einen Dialog,eine Gruppenarbeit etc.? Logik des Aufbaus Baue ich das zu Vermittelnde nachvollziehbarer induktiv auf (Begründung vorweg) oder besser orientierend und kürzer deduktiv (Begründung hinterher)? Wie deutlich ziehe ich einen roten Faden oder Spannungsbogen? Vorbereiten 15