Sicherheitsförderung ein Baustein der Gesundheitsförderung in der Schule Beate Hesse Heinz Hundeloh



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Transkript:

Sicherheitsförderung ein Baustein der Gesundheitsförderung in der Schule Beate Hesse Heinz Hundeloh 1. Vorbemerkungen Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit und Beeinträchtigung (WHO, 1948) Dieses Wohlbefinden wird in seinen unterschiedlichen Ausrichtungen in einem sehr bedeutenden Umfang durch unfallbedingte Verletzungen und Traumatisierungen beeinträchtigt. Besonders stark betroffen sind Kinder und Jugendliche. In Deutschland ereignen sich allein in den Bildungseinrichtungen jährlich ca. 1,7 Mio. Unfälle, Tendenz steigend. Das bedeutet: Jedes zehnte Kind bzw. jeder zehnte Schüler verletzt sich bei Veranstaltungen in der Schule, Hochschule und Kindertageseinrichtung. Darüber hinaus werden in Deutschland ca. 1 Mio. Kinderunfälle im Heim- und Freizeitbereich pro Jahr gemeldet. Pädagogen, Mediziner und Psychologen stellen in Übereinstimmung mit den statistischen Daten fest, dass Unfälle nach wie vor in Deutschland wie in den meisten hoch industrialisierten Ländern die häufigste Todesursache von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind und insbesondere für Kinder exponierte Stresssituationen darstellen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat das Regionalkomitee der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Europa 1998 als Hauptziele seiner Gesundheitspolitik u.a. die Verringerung der Inzidenz der wichtigsten Krankheiten und Verletzungen und der damit verbundenen Leiden festgelegt. (WHO: Gesundheit 21 21 Ziele für das 21.Jahrhunder t) Eine nachhaltige Verbesserung der Sicherheit von Kindern und Jugendlichen in und durch Schule erfordert einen Präventionsansatz, der über die bisherigen Ansätze der technisch orientierten Unfallverhütung und der Sicherheitserziehung hinaus geht und in dem Sicherheit umfassend und als Bestandteil von Gesundheit im Sinne der WHO- Definition verstanden wird, der subjekt- und weniger objektorientiert ist, der System umfassend angelegt ist und Organisation, Individuen und Umwelt im Zusammenhang betrachtet, der nicht nur auf Verhütung von Risiken und Gefahren, sondern auch auf Förderung von Ressourcen abzielt und der als Entwicklungsprozess angelegt ist. Ein solcher Ansatz, der die traditionellen Ansätze der Unfallverhütung und Sicherheitserziehung mit einschließt, kann mit dem Begriff Sicherheitsförderung bezeichnet werden. Im Prozess der Verhütung von Unfällen und des Aufbaus von Sicherheitsbewusstsein erhält die Schule ähnlich wie bei der Gesundheitsförderung und Prävention einen sehr hohen Stellenwert. Kindheit und Jugend werden als grundlegend für die weitere Entwicklung im Leben betrachtet: In der Schule werden Kinder und Jugendliche in einer Entwicklungsphase erreicht, in der Verhaltensweisen noch

ausgeprägt und gebildet werden. Demzufolge sind bei diesen Zielgruppen die Erfolgschancen für ein entsprechendes Empowerment größer als bei Erwachsenen. Auch für die Sicherheitsförderung gilt der Sinnspruch Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr oder, so müsste korrekterweise ergänzt werden, nur sehr schwer. Die in der Kindheit und Jugend entwickelten Verhaltensweisen und Lebensstile sind für den Umgang mit Risiken und Konflikten, z.b. mit Alkohol und Drogen in der Regel ein Leben lang bestimmend. Die Schule kann sehr stark diese Entwicklung beeinflussen. So zeigen schweizerische und britische Untersuchungen, dass im Verlauf der Schullaufbahn ein Ausgleich der Gesundheitschancen stattfindet und das Gesundheitsbewusstsein wesentlich und richtungsweisend beeinflusst werden kann (vgl. Jean-Claude Vuille/Maya Schenkel: Evaluation des Projektes Gesundheitsteams an Schulen ). Will Sicherheitsförderung im Kontext von Schule erfolgreich sein, muss sie die schulischen Rahmenbedingungen berücksichtigen, die durch die Zielgruppen, die baulichen und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie die systemischen Besonderheiten von Schule gegeben sind. Demzufolge muss sie sich vor allem am Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schule orientieren. Unabhängig von Schulstufe und Schulform haben die Schulen den Auftrag, die für das Leben und Arbeiten erforderlichen Kompetenzen, Einstellungen und Werthaltungen zu vermitteln und Hilfen zur persönlichen Entfaltung in sozialer Verantwortung zu geben. Für eine nachhaltige Sicherheitsförderung bedeutet dies, dass ihre Ziele, Inhalte und Methoden kompatibel sein müssen mit den Zielen, Inhalten und Methoden des schulischen Unterrichts und der schulischen Erziehung. Gelingt das, dann stellt Sicherheitsförderung keine zusätzliche Belastung für Lehrkräfte dar, sondern unterstützt sie in ihrem ureigensten Anliegen, eine gute Schule zu schaffen und guten Unterricht zu machen. 2. Das Konzept der Sicherheitsförderung Das Konzept der Sicherheitsförderung verzichtet nicht auf bewährte Bausteine und Elemente der Präventionskonzepte Sicherheitserziehung und technische Unfallverhütung. Es berücksichtigt jedoch konsequenter die ganzheitliche Betrachtungsweise der Sicherheitsthematik und den Lebensweltbezug und ist insgesamt offener und mehrdimensional angelegt. Im Folgenden sollen die Essentials des Konzeptes der Sicherheitsförderung beschrieben werden. 2.1 Subjektive Dimension des Sicherheitsbegriffs Sicherheit ist im Kontext von Entwicklung, Erziehung und Sozialisation und damit auch von Schule weder eine objektive Größe noch ein statischer

Zustand. Zum einen ist es nur schwer möglich, für die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen ein einheitliches Maß und Niveau anzugeben. Sicherheit ist im Wesentlichen abhängig von den individuellen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Kognitionen, aber auch von den situativen Umständen. So kann z.b. für einen motorisch schwächeren Schüler das Laufen über Hindernisse und die Rolle rückwärts eine Überforderung und damit ein erhöhtes Unfallrisiko darstellen, während für andere, die bewegungsgeschickter und erfahrener sind, diese Aufgaben keine Probleme darstellen. Zum anderen sind diese Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen gerade während der Kindheit und Jugend ständig im Fluss. Sie können sich durch Lernen, Üben, Trainieren oder durch die natürliche Entwicklung verändern. Stress, zu wenig Schlaf und Angst können die psychischen Dispositionen beeinflussen. Auch die Umweltbedingungen verändern sich. Alle Veränderungen zusammen, aber auch jede für sich, können das so genannte Sicherheitsbewusstsein und das Sicherheitsgefühl und damit auch das subjektiv empfundene Risiko negativ und positiv beeinflussen. Sicherheit muss somit als das Ergebnis eines ständigen Verarbeitungsprozesses von äußeren Anforderungen und Einflüssen einerseits und individuellen Kompetenzen und selbst bestimmten Anliegen und Bedürfnissen andererseits verstanden werden. Ziel dieses Prozesses ist es, sich nicht in sozialer, emotionaler, körperlicher und geistiger Hinsicht bedroht zu fühlen und zu sein. Dieses Begriffsverständnis beruht auch auf der Annahme, dass mehr Sicherheit letztendlich nicht ohne die Beteiligung der Betroffenen und ohne Anregung zur Eigeninitiative und Selbststärkung erreichbar ist. Die Subjektivität des Sicherheitsbegriffes im Konzept der Sicherheitsförderung enthebt die Lehrkraft nicht aus ihrer Fürsorge- und Aufsichtspflicht sowie aus der Verantwortung für die Gesundheit der ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler. Sie zwingt sie jedoch zu einer stärkeren Differenzierung und pädagogischen Passung bei ihren präventiven Maßnahmen. 2.2 Risiken und Ressourcen Sicherheitsförderung orientiert sich nicht ausschließlich am Risikofaktorenmodell, bei dem es darum geht, die Faktoren zu identifizieren, die die Wahrscheinlichkeit für Unfälle oder gesundheitliches Risikoverhalten erhöhen. Im Mittelpunkt der Überlegungen schulischer Sicherheitsförderung stehen die Ressourcen, d.h. Eigenschaften und Fähigkeiten, die dazu beitragen, Sicherheit und weiter gefasst Gesundheit zu erhalten, zu verbessern oder wiederzugewinnen. Ob Menschen in ihrer Sicherheit gefährdet sind oder nicht, wird demzufolge davon beeinflusst, welchen und wie vielen Risikofaktoren sie ausgesetzt sind, aber auch und vor allem über welche Ressourcen sie verfügen, diesen Risiken zu begegnen.

Grundlegend für den Erhalt oder die Wiederherstellung von Sicherheit sind zum einen sicherheitsrelevante Kenntnisse sowie motorische und sensomotorische Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch der Kohärenzsinn und Alltagskompetenzen. Unter Kohärenzsinn versteht man ein überdauerndes, dynamisches Gefühl des Selbstvertrauens des Menschen, dass die Anforderungen der Umwelt verstehbar sind (Verstehbarkeit/comprehensibility). In der Schule sollte sich daraus eine realistische Einschätzung der Gefahren ergeben; dass man über Ressourcen verfügt oder sie entwickeln kann, um die Anforderungen zu bewältigen (Bewältigbarkeit/managebility). Kinder und Jugendliche mit Kohärenzsinn sind in der Lage, sich gegen auftretende Gefahren zu schützen, entweder indem man sich riskanten Situationen verweigert oder z.b. durch Erlernen zusätzlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten wie geschicktes Fallen oder Balancieren; Anforderungen als Herausforderungen zu empfinden, für die es sich lohnt, Energie und Zeit einzusetzen (Sinnhaftigkeit/meaningfulness). Für den kohärenten Jugendlichen macht es Sinn, Zeit und Energie in das Erlernen einer neuen Sportart zu investieren. (Vgl. Regina Krause: Risiko-Kommunikation risikolos und effektiv gestalten, in: Neue Wege zur Unfallverhütung im Sport, S.60. ) Je größer das Ausmaß an Kohärenz, desto geringer die Gefahr, unvernünftige Risiken einzugehen. Alltagskompetenzen und -fähigkeiten sind im Verständnis der WHO Kompetenzen und Fähigkeiten zur Anpassung und zu positivem Handeln, welche es Individuen ermöglichen, mit den Anforderungen und Herausforderungen des Lebens wirksam umzugehen (WHO 1998: Glossar: Gesundheitsförderung. Genf S. 6). Dabei geht es um Fähigkeiten wie Entscheidungen treffen, Probleme lösen, die Entwicklung von Kommunikationsfähigkeiten, von sozialen und persönlichen Kompetenzen usw., um diejenigen Aspekte also, die es den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, das eigene Leben zu meistern und zu gestalten (Cornelia Oertle-Bürki: Gesundheit 21, Bern 1999, S. 43). Die Förderung dieser Ressourcen weist über Schule und Sicherheit hinaus und hat fast generalpräventive Wirkung. Demzufolge wirken umfassende Sicherheitsförderungsprogramme im Gegensatz zu traditionellen Unfallverhütungsmaßnahmen, die spezifisch auf bestimmte Unfälle Einfluss nehmen sollen, eher unspezifisch, da oft zugleich mehrere Aspekte der Sicherheit und des Wohlbefindens verbessert werden. So können Maßnahmen der Sicherheitsförderung, die z.b. die Lebenswelt der Schule bewegungsfreundlicher gestalten sollen, nicht nur dazu führen, dass sich Schülerinnen und Schüler mehr bewegen, sondern auch dazu, dass es zu weniger Gewalttaten kommt und das Selbstwertgefühl von Schülerinnen und Schülern gesteigert und damit das Wohlbefinden der Gruppe verbessert wird. Diese unspezifische Wirkung der Sicherheitsförderung macht es allerdings auch

schwieriger, die Programme und Angebote zu evaluieren, da klare Indikatoren zur Beurteilung der Effekte fehlen. 2.3 Verhalten und Verhältnisse ändern Ein Schwerpunkt schulischer Sicherheitsförderung ist die Verhaltensmodifikation der in der Schule lebenden, lernenden und arbeitenden Personen. Grundsätzlich geht es dabei darum, Wissen und Fähigkeiten zu vermitteln, die die Sicherheit fördern, positive Einstellung zum sicheren Verhalten zu festigen, zu motivieren, Wissen und Fähigkeiten zu nutzen und in entsprechende sicherheitsförderliche Handlungen umzusetzen. Im Konzept der Sicherheitsförderung wird dieser pädagogische Ansatz (Sicherheitserziehung) um die systemische Dimension und den Lebensweltenbezug ergänzt. Die Sicherheitsförderung geht davon aus, dass Verhaltensmodifikationen und Entscheidungen über Verhaltensweisen nicht im luftleeren Raum erfolgen, sondern in einem Alltagsrahmen, also dort, wo Menschen leben, arbeiten, lernen und spielen und einen großen Teil ihrer Zeit verbringen. Schule ist ein solcher Lern-, Lebens- und Erfahrungsraum für Kinder und Jugendliche, aber auch für die erwachsenen Lehrkräfte und für das nicht unterrichtende Personal. Die Gestaltung dieses Lebensraums in baulicher, organisatorischer und sozialer Hinsicht kann das Sicherheits- und Gesundheitsverhalten der Kinder und Jugendlichen wesentlich beeinflussen. Schulische Sicherheitsförderung geht demzufolge von den bestehenden individuellen Ressourcen aus und fördert diese. Gleichzeitig müssen die mitbestimmenden Verhältnisse so gestaltet werden, dass eine Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Sicherheit möglich wird. Ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielt, ist offensichtlich das Schulklima. Eine Berner Untersuchung zur Gesundheitsförderung in Schulen kommt ähnlich wie britische Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass im Verlauf des Schulalters ein sozialer Ausgleich der Gesundheitschancen stattfindet. Sie bestätigt damit Untersuchungen, die in Großbritannien durchgeführt wurden. Ab der sechsten Klasse, so die Berner Untersuchung, hat das in der Schule herrschende Klima einen viel wichtigeren Einfluss auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten der Kinder und Jugendlichen als ihr sozialer Status. Aus englischen Studien ist bekannt, dass der Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten bei Schulaustritt für die weitere gesundheitliche und soziale Entwicklung große Bedeutung haben. Was die Kinder in der Schule in puncto Sicherheit und Gesundheit erleben, ist also im Hinblick auf ihr ganzes Leben alles andere als nebensächlich (Jean-Claude Vuille/Maya Schenkel: Evaluation des Projektes Gesundheitsteams an Schulen in der Stadt Bern).

2.4 Sicherheit und Risiko Sicherheitsförderung darf nicht mit Überbehütung und Risikominimierung gleich gesetzt werden. Die Sicherheit des Menschen hängt wesentlich davon ab, welchen Risiken er ausgesetzt ist bzw. welche er sich selber aussucht und ob und wie er gelernt hat, mit diesen Risiken umzugehen. Sicheres Verhalten erfordert demzufolge den selbstständigen Menschen, der gelernt hat, verantwortlich und risikokompetent zu handeln. Demzufolge gehört das Zulassen von Wagnis, Abenteuer und Risiko ebenso zur Sicherheitsförderung wie das Reglementieren oder Einschränken. Unter Risikokompetenz wird die Fähigkeit und Bereitschaft verstanden, Risiken und Gefahren zu erkennen, zu bewältigen und ggf. zu beseitigen, um dadurch neue Sicherheit zu gewinnen. Schülerinnen und Schüler müssen sie im Rahmen der schulischen Sicherheitsförderung mit zunehmendem Alter lernen. Dazu bedarf es u.a. der handelnden Auseinandersetzung mit realen Risiken. Mit Risiken umzugehen kann aus rechtlichen und pädagogischen Gründen für Lehrkräfte, aber auch für Schülerinnen und Schüler jedoch nicht nur bedeuten, diese zu arrangieren oder zu dulden. Mit Risiken umgehen können und über Risikokompetenz verfügen, bedeutet auch, sicherheitsverträgliche Verhaltensmuster aufzubauen sowie Risiken zu dosieren und kalkulierbar zu gestalten. Risikodosierung meint, Risikosituationen so zu gestalten, dass Schülerinnen und Schüler bei den Aufgaben realistische Bewältigungschancen besitzen und ein Scheitern keine gesundheitlichen Schädigungen nach sich ziehen darf. Notwendig ist demzufolge auf jeden Fall ein reflektierter Umgang mit Risiken. Sicherheitsförderung verweist auf die Notwendigkeit der Passung von Anspruchsniveau, Aufgabenschwierigkeit und Bewältigungskompetenz. Insofern erfordert dies von Lehrkräften zum einen Fachkompetenz und Verantwortungsbewusstsein, zum anderen die Fähigkeit, risikoträchtige und wagnishafte Situationen wahrzunehmen und zu interpretieren sowie die jeweilige Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit der Kinder und Jugendlichen einzuschätzen. Die Einbeziehung des Risikos in die Sicherheitsförderung ist auch deshalb sinnvoll und erforderlich, weil Risikoverhalten zu einer normalen gesunden Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gehört. Das Eingehen von Risiken und das Aufsuchen von Wagnissen in ihren unterschiedlichsten Formen sind Begleiterscheinungen des Kindes- und vor allem des Jugendalters. Beim Risikoverhalten testen Kinder und Jugendliche die eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und psychischen Dispositionen sowie die soziale Durchhaltefähigkeit, um herauszufinden, was sie können. Bestandene Abenteuer und bewältigte Risiken sind eine Bestätigung für das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in die eigene Person, aber auch in andere, und der eigenen Wertigkeit in der Prestigehierarchie der Gleichaltrigengruppe. (Vgl. Hurrelmann, Klaus: Risikoverhalten und Kick-Erlebnisse im Jugendalter, S. 4 5.)

2.5 Zielsetzung und Handlungsfelder Unter Berücksichtigung des Erziehungs- und Bildungsauftrags von Schule ergibt sich für die schulische Sicherheitsförderung folgende Zielsetzung: Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte und nicht unterrichtendes Schulpersonal zu befähigen, informiert und kompetent eine Wahl für ihre Sicherheit zu treffen. Sicherzustellen, dass Schule ein Umfeld ist, das eine solche der Sicherheit dienliche Wahl ermöglicht und die Anfälligkeit für Sicherheitsprobleme vermindert. Diese umfassende Zielsetzung ist letztendlich nur zu erreichen, wenn Sicherheitsförderung als übergreifende Aufgabe sowohl integrativ im Unterricht der einzelnen Fächer als auch im Schulleben und Schulalltag verankert wird. Die unterrichtsübergreifende Verankerung ist erforderlich, weil Lernen und Lehren nicht nur im Unterricht stattfindet, sondern im ganzen Schulhaus, auf dem Schulhof, im Zusammenleben mit den Mitschülerinnen und Mitschülern und mit den Lehrerinnen und Lehrern. Nachhaltige und umfassende Sicherheitsförderung muss demzufolge immer als sicherheitsförderliche Schulentwicklung angelegt sein und damit den Kriterien und Bedingungen von Schulentwicklungsprozessen entsprechen: Sicherheitsförderung muss sich auf das gesamte System Schule beziehen, wobei einzelne Problemstellungen, die von der jeweiligen Schule bzw. den an ihr tätigen Personen selbst identifiziert werden müssen, als Anlass für Umgestaltungen, d.h. als Einstiegs- und Ankerpunkte für sicherheitsfördernde Prozesse dienen können. Demzufolge sind neben der Umsetzung sicherheitsfördernder Maßnahmen in den Schulen, z.b. Schulhofgestaltung, Umgang mit Gefahrstoffen, psychomotorisches Bewegungstraining usw., die Verbreitung des Gedankens der Sicherheitsförderung in den Kollegien und die Institutionalisierung der schulischen Arbeit im Sinne sicherheits- und gesundheitsförderlicher Schulentwicklung erforderlich. Letzteresumfasst nicht nur die Aufrechterhaltung von begonnenen Maßnahmen, sondern vorrangig ein fortlaufendes Überdenken und innovatives Umgestalten der Schule. Zu diesem Zweck sollten systemeigene Kräfte aktiviert und ein Entwicklungsprozess mit dem Ziel der Selbstorganisation angeregt werden. Sicherheitsförderung als Bestandteil der Schulentwicklung erfordert die aktive Mitarbeit des gesamten Kollegiums und der Schulleitung. Externe Institutionen, wie z.b. die Träger der gesetzlichen Schüler-Unfallversicherung, erhalten in diesem Prozess die Aufgabe der Sensibilisierung, Information, Beratung, Unterstützung und Begleitung in den unterschiedlichsten Formen. Sicherheitsförderung als Bestandteil von Schulentwicklung muss darüber hinaus auch die Säulen der Schulentwicklung berücksichtigen. Dies sind Ausstattungs-, Personal-, Unterrichts- und Organisationsentwicklung. Personalentwicklung umfasst die Felder fachlich didaktisches Handlungsrepertoire der Lehrkräfte, Forschung und Selbstbeurteilung, Reflexion und Feedback sowie Zusammenarbeit und Arbeitsteilung. Unter

dem Begriff der Unterrichtsentwicklung sind Aspekte zu fassen wie Schülerorientierung, überfachliches Lernen, Methodentraining, Selbstlernteams, erweiterte Unterrichtsformen und Lernkultur. Ziel der Organisationsentwicklung im Schulbereich ist die Schaffung einer so genannten lernenden Schule, d.h. einer Schule, in der Lehrerinnen und Lehrer durch praktisches Tun ihren Arbeitsalltag und die Schule so verändern, dass sie zufriedener und erfolgreicher unterrichten sowie Schülerinnen und Schüler zufriedener und erfolgreicher lernen. Als weitere Säule wird in der Literatur die Ausstattungsentwicklung genannt. Hierbei geht es nicht nur um den Wert von Geräten, sondern auch um die Einrichtung und Gestaltung von Räumlichkeiten (vgl.: Petze, Thomas: GimS. Gesundheitsförderung in und mit Schulen. S. 52ff.). Die Realisierung der Ziele erfordert zielgruppenspezifische Maßnahmen und Aktivitäten, die inhaltlich und idealtypisch fünf Handlungsfeldern zugeordnet werden können. Zwischen diesen Handlungsfeldern bestehen zahlreiche Überschneidungen und Interdependenzen: Bau und Einrichtung: Schulgebäude, Klassenräume, Schulgelände, Ergonomie, Sporthalle, Sportgeräte etc. Organisation und Organisationsentwicklung: Schulklima, Pausenordnung, Schulprogramm, Sicherheitsorganisation, Kommunikation, Rhythmisierung von Unterricht usw. Bildung: Unterrichtsinhalte, Planung und Durchführung von Unterricht, Erste Hilfe usw. Erziehung: Gewaltprävention, Teamfähigkeit, Selbstverantwortung, Selbstreflexion usw. Politik und Rahmenbedingungen: Regelungen und Gesetze, Lehrpläne und Richtlinien, Elternarbeit, Netzwerkbildung, Kooperation, Öffentlichkeitsarbeit usw. Die Übersicht der Handlungsfelder und vor allem die Themenbeispiele zeigen, dass es zahlreiche Schnittstellen und Vernetzungsmöglichkeiten mit anderen Themenbereichen der Gesundheitsförderung und mit anderen Fächer übergreifenden Erziehungsaufgaben wie z.b. Umwelterziehung, Verkehrserziehung oder Bewegungserziehung gibt. Für die praktische Arbeit ergibt sich daraus die Notwendigkeit der Kooperation mit Institutionen, die sich nicht oder nicht primär mit Fragen der Sicherheit beschäftigen.