Zu Allerheiligen im Gespräch mit der Ruswilerin Rita Jung Für den Anzeiger vom Rottal, Interview mit Hannes Bucher 31.9.2013 Bei der Brücke über den Bielbach nahe ihres Raumes an der Hellbühlerstrasse 36, erklärt Rita Jung, dass Rituale Brücken sein können zwischen Loslassen und Neuanfangen. Rita Jung, Sie bezeichnen sich auf Ihrer Homepage als Ritualbegleiterin und auch Leiterin von Zeremonien : 1. Was ist mit den beiden Begriffen gemeint? Worin besteht der Unterschied? Können Sie Beispiele nennen? Ein Ritual unterstreicht eine besondere Zeit, einen speziellen Moment oder einen grossen Lebensübergang. Wir feiern Rituale zu zwei Zeitqualitäten: Erstens wiederkehrende Zeiten wie die Jahreszeiten und Feste im Jahreskreis: sie schenken uns Orientierung, geben uns Strukturen und einen Rhythmus. Wir schliessen zum Beispiel die Erntezeit ab und sind dann frei um im November den Verstorbenen zu gedenken und uns der Stille unseres Innenraumes und dem neu Werdenden zu stellen. In der Zeit der Rauhnächte verabschieden wir das verflossene Jahr und begrüssen das neue. Der zweite Zeitbegriff meint die besonderen Momente, die Höhepunkte, Lebenskrisen, die Übergänge im Leben. Dann werden spezielle Übergangsrituale gefragt. Meistens werden sie im Leben nur einmal gefeiert wie die Willkommensfeier eines Kindes oder die Pensionierung. Das Ritual wird bewusst, achtsam und an einem gewählten Ort zu einer bestimmten Zeit begangen. Mit meiner Haltung dem Leben gegenüber schaffe ich als Ritualbegleiterin einen
Rahmen, in dem das Spirituelle, Religiöse präsent sein kann. Ein Ritual kann jedoch auch ein religiöser Brauch sein, zum Beispiel die festgelegte Ordnung der Feiern der Kirchen. Nicht immer reichen Worte, damit wir wirklich verstehen, was uns geschieht. Gegenstände, Bilder, Gerüche zum Erinnern, Reinigen und andere symbolische Handlungen wie ein Händedruck helfen uns, zu spüren und zu verstehen. Ein Kind malt zum Beispiel die Erlebnisse mit dem verstorbenen Grossvater und gibt seine Zeichnung in den Sarg. Das hilft ihm, den Abschied besser zu verarbeiten. Oder eine Kerzenflamme kann uns bewusst machen, dass unser Leben mehr ausmacht als der materielle Körper allein. Die Begriffe Ritual und Zeremonie sind schwer auseinander zu halten: Ich wählte den Begriff Zeremonie für die Begrüssungsfeiern eines Menschen auf der Erde, das Feiern des gemeinsamen Weges eines Paares, für den letzten Abschied (Bestattungsfeier). Zeremonien sind für mich einmalig, öffentlich, feierlich und sie beinhalten rituelle Elemente. Rituale nenne ich eher Prozesse oder Feiern, die mit bewussten Handlungen unterstützt und begangen werden. Sie können alleine oder in Gemeinschaft durchgeführt werden. 2. Rituale und Zeremonien: Das ist die Kernaufgabe oder etwas salopper gesagt, das Kerngeschäft der Kirchen. Genügen denn diese kirchlichen Angebote nicht? Zuerst muss man klären, was mit Kirche gemeint ist: die Amtskirche, der Papst, die Pfarrei Ruswil... Nicht alle Menschen fühlen sich in der Kirche aufgehoben. Die Amtskirche hält zum Teil heute noch an Formen und Formulierungen fest, die wir nicht mehr mit unseren Erfahrungen in Übereinstimmung bringen können. Wenn ich unsere Pfarreien betrachte, sind die Mitarbeitenden wach und arbeiten so offen wie nur möglich, mutig über die kirchlich gesetzten Grenzen hinaus. Ein grosser Unterschied zur Kirche ist, dass ich Menschen mit verschiedenen Lebenseinstellungen begleite. Ich habe so wunderbare Menschen kennen lernen dürfen, die ihre Lebensphilosophie gemeinschaftlich leben, sich treffen und austauschen. Das Denken, Fühlen und Erleben geht immer mehr in die Richtung, dass wir untereinander, mit der Natur, in der allem zu Grunde liegenden Liebe eins sind. Ich beobachte darin eine Ausweitung des christlichen Glaubens. Die Frage an uns Menschen ist, wie die Gemeinschaft, die die Pfarreien ermöglichen, weiterhin gelebt werden kann. Braucht es neue Rituale, die uns das Gemeinsame bewusst machen? Mit den Feiern der Jahreszeiten und der Rituale bei denen wir unsere Aufmerksamkeit nach innen wenden oder bei denen wir unsere Erde ehren, ist auch im Rottal eine grosse Kraft vorhanden. 3. Hat der moderne Mensch, der sich so selbstbewusst, eigenständig und individuell in seiner Welt bewegt, noch ein Bedürfnis nach Zeremonien, Ritualen. Das sind ja Bereiche, die quer zu unserer High- Tech- Welt daherkommen.
Es ist tatsächlich so, dass Menschen zeitweise vom Beruf, den Social Medias, den vielfältigen Freizeitaktivitäten und Familienstrukturen so beansprucht werden, dass sie die eigene Mitte kaum wahrnehmen. Das bewusste Feiern der Jahreszeiten, der eigenen wichtigen Lebensereignisse, Familienfeste kann Orientierung sein. Ich stelle fest, dass das bewusste Abschliessen einer Phase z.b Arbeitsortwechsel, Wechsel in eine kleinere Wohnung, Umzug ins Betagtenzentrum oder der Abschluss einer Beziehung hilfreich ist. So verhält es sich auch mit jedem Neubeginn, wie eine Eintrinkete, Hauseinsegnung... Das gemeinschaftliche Feiern und das Teilnehmen an Herausforderungen, z.b an der Trauer des Arbeitskollegen, stärken unsere Beziehungen. Viele Menschen erkennen diesen Wert, die Kinder machen es uns vor. Das Phänomen, dass Krisen zum Umdenken anregen, liegt in der menschlichen Natur und zeigt sich als Chance für eine Veränderung. Oft schenken bewusst gewählte Alltagsrituale Orientierung. Regelmässige persönliche Zeiten der Stille im Wald, bei einer Meditation oder beim morgendlichen Kaffee können uns unterstützen, wahrzunehmen wer wir sind. Mir persönlich ist in solchen Momenten auch das Bewusstsein wichtig, dass ich nicht allein unterwegs bin. 4. Was hat Sie veranlasst, in diesem Bereich tätig zu werden? Haben Sie ganz einfach eine Marktlücke entdeck? Seit wann sind Sie in diesem Bereich tätig? Ich habe immer gewusst, dass ich gerne Seelsorgerin sein möchte. In Zell hat mit meiner Arbeit als Lehrerin für Textiles Werken auch meine ehrenamtliche Tätigkeit in der Pfarrei, z.b. die Mithilfe in der Liturgie begonnen. Als ich vor meinem Aufenthalt in Südamerika diese Arbeiten aufgab, passierte in mir etwas, das mein Leben prägte. Ich konnte das, was ich in mir erlebte, nicht mehr mit den mir vertrauten Worten der christlichen Lehre formulieren. Mir blieb nur noch das Erleben. Ich zog mich anschliessend für längere Zeit vom öffentlichen Engagement zurück. Der Studiengang Theologie, Weiterbildungen in Energiearbeit und 2002 die Anfrage von Thomas Meli in Ruswil, Sterbegebete zu gestalten, haben mich herausgefordert, einen Neuanfang zu wagen. Das Begleiten der Menschen im Rahmen der Sterbegebete hat mir so gut gefallen, dass ich mich 2004 für den freiberuflichen Weg der Seelsorge entschied. Vier Jahre war ich auch Sekretärin des Netzwerk Rituale Schweiz. Für mich ist das Handeln ein wichtiges Werkzeug um das Leben zu verstehen. Ich bildete mich zur Kunsttherapeutin aus, um den Menschen durch das Gestalten zu ermöglichen, mehr von ihrem Inneren zu erkennen, zu begreifen und auch zu wandeln. 5. Die religiösen Zeremonien und Rituale haben eine lange Tradition und kommen in Erscheinungsbild und Ablauf immer in der gleichen Weise daher. Wenn man sich nun jemand privat eindeckt : Kann man sich da sozusagen massgeschneidert, auf seine persönlichen Bedürfnisse und seine individuelle Befindlichkeit abgestimmt. das Ritual oder die gewünschte Zeremonie anpassen lassen?
Das ist die Qualität der freiberuflichen Arbeit. Wir sind an keine Formen gebunden. Ich fühle mich allen Menschen verpflichtet, die zu mir kommen. Nicht allen fällt es leicht, darüber zu sprechen. Die Sicht der Welt unseres Daseins ist je nach Menschenbild verschieden, vor allem wenn sich Menschen ihrem Inneren nicht bewusst widmen können oder wollen oder wenn sie sich keine andere Realität als die materielle vorstellen können. Ich bin mit Paaren, Familien, Gemeinschaften konfrontiert, die nicht alle die gleiche Sicht des Lebens haben. Der Verstorbene ist z.b. aus der Kirche ausgetreten, sah seine Verbindung mit der Natur und die Existenz des Todes als naturgegeben an. Seine Partnerin lebt ein spirituelles Leben und stellt die Einheit aller Wesen ins Zentrum. Dann gilt es als erstes die Menschen mit ihren Lebenseinstellungen und verschiedenen - philosophien anzuhören. Im Gespräch finden wir einen roten Faden, der das Leben des Verstorbenen mit seinen Angehörigen und Freunden verbindet. Meine Aufgabe ist es, zusammen mit den Angehörigen Formen und Formulierungen zu finden, die allen entsprechen. Massgebend sind die Wünsche des Verstorbenen. Die Rituale und rituellen Symbole sprechen alle Menschen an, so dass Angehörige zum Beispiel entscheiden, während des Lieblingsliedes des Verstorbenen um die Urne zu stehen und sich die Hände zu halten. Rituale wirken versöhnend. 6. Auf Ihrer Homepage bieten Sie auch Zeremonien für die Feier des letzten Abschieds von Angehörigen und auch Bestattungsfeiern oder Naturbestattungen an. Wie stark sind denn diese Feiern an die kirchlichen Feiern angelehnt oder wie unterscheiden sie sich von kirchlichen Abläufen? Was ist unter einer Naturbestattung konkret zu verstehen? Rituale heben sich von kirchlichen Ritualen ab, indem sie nicht einem festegelegten Ritus entsprechen, sondern persönlich und mit Beizug der Beteiligten vorbereitet, gestaltet und durchgeführt werden. Viele Abschiedsfeiern fanden in Abdankungshallen, gemieteten Räumen, aber auch Kirchen statt, oft mit ähnlichem Inhalt, aber frei formuliert. Es ist für die Verarbeitung sinnvoll, wenn die Angehörigen einen Teil der Feier, z.b. Dank an den Verstorbenen oder die Gestaltung des Raumes selber oder zusammen mit mir übernehmen. Der Abschluss ist beim Grab und wird mit einem Gedicht oder einem Gebet beendet. Naturbestattungen sind Alternativen zur Beisetzung auf dem Friedhof. Anders als bei einer herkömmlichen Beerdigung kann die Trauerzeremonie des Verstorbenen inmitten der freien Natur stattfinden, an einem individuell gewählten Ort. Dabei ist gut zu überlegen, ob ein Ort gewählt wird, an dem anschliessend andere Menschen wieder die Freizeit verbringen oder ein Friedwald, in dem auch andere Menschen Abschied nehmen. Bei Bestattungen im Freien kann die Natur bewusst mit einbezogen werden oder es ist möglich die Feier durch einen Weg und verschiedene Stationen zu gestalten. Bei einer Feier in einem Raum sind die Gestaltungselemente Musik und Stille wichtig.
7. Was für Leute kommen zu ihnen allenfalls solche, welche sich durch religiöse Rituale nicht abgeholt fühlen auch solche vielleicht, die ihre Individualität betonen wollen? Es ist beides der Fall. Einerseits sind es Menschen die keiner Konfession angehören, evtl. aus der Kirche ausgetreten sind. Oder es sind Familien/Paare die verschiedene Glaubensrichtungen haben. Ich hatte auch schon katholische Paare bei Hochzeiten, die sich eine persönliche Vorbereitung oder eine spezielle Zeremonie wünschten. 8. Wo Tod und Abschied Thema sind, steht immer auch die Frage nach dem Nachher im Raum. Geben Sie da Antworten ausserhalb des kirchlichen Rahmens auf diese elementaren Grundfragen? Gibt es diese Antworten überhaupt ausserhalb des religiösen Rahmens? Im Vorgespräch gehe ich vor allem auf die Gefühle der Trauerfamilie und die verstorbene Person ein. Ich versuche die Menschen dort abzuholen wo sie gerade stehen. Ich habe z.b. bei einer Feier die etwas andere Glaubensrichtung des Verstorbenen ins Zentrum gestellt, so konnte das Verständnis ihm gegenüber klarer werden. Wenn die Angehörigen mich persönlich auf meine Sicht ansprechen, gebe ich gerne Antwort. Meine Haltung dem Leben gegenüber kann ich nicht weglegen. Auch wenn das Denken und die Gefühle des Verstorbenen anders als meine waren, begleite ich ihn im Bewusstsein, dass sein Leben und alles was war in der Liebe aufgehoben ist.... Und diese Liebe kann viele Namen haben. Es ist mir auch wichtig, dass die Seele sich vom Körper und von der Erde lösen kann und ihren Weg dahin, wo sie jetzt hingehört, findet. Fast immer sind die Angehörigen offen für Formulierungen in diese Richtung. 9. Wir stehen kurz vor Allerheiligen dem Fest, an dem der toten Angehörigen besonders gedacht wird. Welchen Bezug haben Sie persönlich zu Allerheiligen? Da für mich das Gestalten von Abschiedsfeiern etwas sehr Kostbares ist, sind mir an diesem Tag die Menschen und ihre Angehörigen nahe, die ich während des Jahres begleiten durfte. Privat treffen wir uns als Familie im Gedenken an meinen Vater. Es ist auch immer eine Gelegenheit, uns wieder zu sehen. Der Grabbesuch steht bei mir nicht im Zentrum. Es geht mir um die Erinnerung an meinen Vater, dass ich ihm danke, z.b. dass er mir das Leben geschenkt hat. Wichtig ist mir, dass ich weiss, dass er jetzt ein anderes Leben lebt, vielleicht ganz anders, als ich es mir je vorstellen kann. Ich wünsche ihm einfach, dass es ihm gut geht. Es ist auch die Jahreszeit, die mir bewusst macht, dass mein Leben nicht ewig auf dieser Erde währt. Ich stelle mir vor, wie auch meine Seele ihren Weg ins Licht finden wird wenn es heisst Abschied zu nehmen. 10. Was Sie sonst noch sagen wollten? Auf der Homepage www.rituale- und- kunst.ch können Sie sich über meine Arbeit informieren, auch über das Malen, das ich zum Jahreswechsel anbiete: Freitag. 27.12.13: 19.00-21.30 Uhr, Samstag, 28.12.13: 9.00-11.30 Uhr, 14.00-16.30 Uhr. Anmeldung Tel. 041 495 01 67. Als Kunsttherapeutin bin ich krankenkassenanerkannt.