Im folgenden beziehe ich mich auf streitige Situationen des Umgangsrechts, bei denen folgendes vorausgesetzt wird:



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30.10.1998 Klaus Ritter Diplom-Psychologe Kassel Die Verweigerung des Umgangsrechts -------------------------------------------------------------------------------------------------- Motive für diesen Ablauf Die Bedeutung für den Agierenden Die Bedeutung für den ausgegrenzten Elternteil Die Bedeutung für das Kind Maßnahmen aus psychologischer Sicht Abschließende Thesen Im folgenden beziehe ich mich auf streitige Situationen des Umgangsrechts, bei denen folgendes vorausgesetzt wird: Die Beziehung des Kindes ist trotz der Trennung und Scheidung der Eltern zu beiden Elternteilen ausreichend intakt und das Kind hat genug Bindungswünsche an beide. Das Umgangsrecht wird von demjenigen, bei dem das Kind lebt, ohne sachgerechte Motive unterbrochen und dem anderen Elternteil wird damit die Möglichkeit genommen, den Kontakt zum Kind aufrecht zu erhalten. 1. Motive für diesen Ablauf Viele Begutachtungen zeigen, dass in den meisten Fällen die von den Elternteilen geschilderten Erfahrungen mit dem Umgangsrecht lediglich der Auslöser für diese Unterbrechung sind. Auf einer tiefergehenden Beziehungsebene kann angenommen werden, dass es sich um eine Fortsetzung der unverarbeiteten Konflikte aus der früheren Ehe bzw. Partnerschaft handelt. Die Konfliktstrukturen sind latent und warten auf eine Aktualisierung, die beispielsweise in einem Konflikt bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts besteht. Zielsetzung der Unterbrechung der Kontakte ist es, denjenigen Elternteil, der seine Bindung zum Kind nur im Rahmen der Umgangskontakte aufrechterhalten kann, in seiner Bedeutung zurückzuweisen und ihm eine Diskontinuität in der Beziehungsführung aufzuzwingen. Diese Diskontinuität wirkt in der Regel als starke narzisstische Kränkung. Aus dem Blick der enttäuschten Liebe könnte man sagen, dass es einerseits um die symbolische Vernichtung der bisherigen Intimität handelt, andererseits um eine Fortsetzung von Liebe in Form von Aggression. 2. Die Bedeutung für den Agierenden Durch die bisherige Festlegung des Umgangsrechts meint der sorgeberechtigte Elternteil in ein neues Abhängigkeitsverhältnis zum getrennten ehemaligen Partner geraten zu sein. Dabei bilden sich Phantasien, passiv und ausgeliefert zu sein. In dem aktiven Handeln der Unterbrechung findet jetzt eine Wendung von passiv in aktiv statt. Dieser Elternteil kann sich im Sinne einer psychischen Entlastung wieder als der Protagonist, als der Träger von Maßnahmen erleben.

In bezug auf das Kind kann die Maßnahme der Unterbrechung bedeuten, dass der sorgeberechtigte Elternteil unbewußt eine Art Wiedergutmachung an dem Kind vollziehen will. Häufig haben sich Schuldgefühle herausgebildet, dass das Kind von dem anderen Elternteil oder der eigenen Rolle am Trennungsgeschehen geschädigt worden sein könnte. Das tatsächliche Fernhalten soll folglich eine psychische Wiedergutmachung darstellen. Die Unterbrechung der Besuchskontakte gibt dem sorgeberechtigten Elternteil die Möglichkeit, sich das Kind verstärkt anzueignen. Ihm steht fast ausschließlich die Verfügung über das Kind zu und der Elternteil ist besser in der Lage, diejenige Bedeutung dem Kind zuzuweisen, die er für seine eigene seelische Regulation braucht. Folglich besteht in dieser Situation verstärkt die Gefahr, dass das Kind zum Selbstobjekt dieses Elternteils wird. Weiterer Hintergrund kann sein, dass über die Besuchskontakte dem sorgeberechtigten Elternteil die Phantasie erwächst, das Kind könnte sich dem anderen Elternteil zuwenden und ihn als weniger wichtig betrachten. Hierbei besteht die Gefahr einer narzisstischen Kränkung. Durch das Agieren in Form der Unterbrechung der Umgangskontakte wird dieser Kränkung bereits im Vorfeld aus dem Weg gegangen, ohne sie allerdings lösen zu können (Fortbestehen einer latenten Angst). Zusätzlicher Gesichtspunkt ist, dass die Unterbrechung der Umgangskontakte im Kontext der Herausbildung einer Feinbildprojektion steht. Dabei wird der andere Elternteil umfassend als böse oder inkompetent angesehen, so dass der ihm verweigerte Zugang zum Kind nur ein Teilaspekt des Agierens im Rahmen der Feinbildprojektion ist. Häufiger Auslöser der Unterbrechung der Umgangskontakte ist, wenn der andere Elternteil eine neue Partnerschaft herausbildet. Mit dieser Partnerschaft entsteht das Bild, dass sich bei dem anderen wieder eine komplette Familie herausbildet, somit das Kind verstärkt in diese Familie integriert werden könnte. Mit der tatsächlichen Vermeidung von Kontakten kann der sorgeberechtigte Elternteil versuchen, Erinnerungsauslöser und Anknüpfungspunkte zur eigenen Geschichte zu vermeiden. Das ist insbesondere für ihn wichtig, wenn die Konflikte nur wenig verarbeitet sind und durch relativ banale Alltagsauslöser zur Geltung gebracht werden können. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass der sorgeberechtigte Elternteil im Kontext seiner eigenen Herkunftsfamilie, seiner Verwandten und seines Freundeskreises steht. Diese Personen agieren häufig in ähnlicher Weise, indem beispielsweise die Konflikte um die Trennung und Scheidung ungeschehen gemacht werden sollen, man dem getrennten Partner eine böse Rolle zuschreibt und ihn ausgrenzen will. Der Ausschluss der Umgangskontakte bedeutet somit für den sorgeberechtigten Elternteil ein stärkerer Bedeutungs- und Statusgewinn im beschriebenen sozialen Umfeld. 3. Die Bedeutung für den ausgegrenzten Elternteil Unmittelbare Konsequenz für diesen Elternteil ist, dass seine Kontinuität in der Beziehung zum Kind unterbrochen wird. In den hier betrachteten Abläufen geschieht das für ihn häufig unerwartet, so dass er keine psychischen Schutzmechanismen zur Verarbeitung dieser Situation aufbauen kann.

Folge ist, dass seine Aufmerksamkeit vom Kind abgezogen wird und er erneut auf den früheren Partner und dessen Konfliktpotentiale fixiert wird. Er muss sich direkt mit ihm auseinandersetzen, entweder in direkter Konfrontation oder über einen juristisch ausgetragenen Konflikt. Für die psychische Struktur des ausgegrenzten Elternteiles ist häufig die narzisstische Kränkung, die Abwertung des Selbstwertgefühles mit der Folge der Störung der narzisstischen Regulation und einer Depotenzierung, festzustellen. Diese Entwertung bezieht sich auf das innere Bild als funktionierende Mutter bzw. funktionierender Vater. Dieses Selbstbild wird in Frage gestellt mit der Konsequenz der narzisstischen Labilisierung. Der Elternteil gerät in das Gefühl der eigenen Ohnmacht. Seine Unfähigkeit, sein Nicht-Handeln- Können wird ihm vom anderen Elternteil vorgeführt. Oft erleben diese Elternteile, dass sie vom anderen Partner nachträglich für Auseinandersetzungen in der Partnerschaft gestraft werden. Grundsätzlich besteht in dieser prekären Situation die Gefahr, dass der ausgegrenzte Elternteil mit zwei im Sinne des Kindeswohls wenig konstruktiven Mechanismen reagiert. Der erste Mechanismus meint, dass er selbst in ein aggressives Agieren verfällt, er versucht, eine unmittelbare Konfliktlösung in seinem Sinne zu erzwingen, beispielsweise den anderen Elternteil zu bedrohen oder anderweitig unter Druck zu setzen. Eine Verschiebung beispielsweise auf die Ebene der materiellen Zahlungen, nämlich des Unterhalts, wäre hier vorstellbar. Folge ist in der Beziehungskonstellation, dass er damit das bereits auf ihn gerichtete Feinbild der anderen Seite trefflich erfüllt. Es schließt sich ein Teufelskreis, in dem der unterbrechende Elternteil den ausgegrenzten Elternteil dazu zwingt, endlich die böse Farbe zu bekennen. Zweiter Mechanismus ist die Gefahr einer Wendung gegen das Selbst. Dabei werden die aggressiven Impulse weder in der zuerst beschriebenen Form agiert werden noch in ein konstruktives Handeln geführt, sondern sie münden letztendlich in eine unbewusste Selbstabwertung und Selbstbestrafung. Hier bilden sich beispielsweise Bilder, zu Recht der eigenen Rolle als Elternteil beraubt worden zu sein, beispielsweise, weil man sich früher falsch verhalten habe oder weil man dem Kind doch nicht genügend geben könne. Eine Rationalisierung dieser Variante wäre die Betonung, sich der jetzigen neuen Familie oder Partnerschaft verstärkt zuzuwenden. Dieser Mechanismus, den man auch als Unterwerfung unter den Aggressor bezeichnen kann, enthält die Gefahr einer langwierigen narzisstischen Störung. Selbst wenn die Beziehung zum Kind später wieder aufgenommen werden kann, spürt das Kind die Beeinträchtigung im Selbstbild dieses Elternteils. Möglicherweise liegt hier dann ein Kern für sich anschließende innere Schuldgefühle des Kindes. Die Ausgrenzung des Elternteils hat auch Auswirkungen auf seinen Bezug zu anderen Kindern. Vorstellbar sind hier wiederum zwei extreme Konstellationen. Zum einen die idealisierende Überhöhung der Kinder, zu denen man eine Beziehung hat. Diese sollen eine kompensatorische Funktion einnehmen. Zum anderen im Sinne einer Selbstbestrafung, sich die Kontakte auch zu diesen Kindern selbst zu beschneiden. Die Abwertung des Elternteils bedeutet auch eine Gefahr für dessen aktuelle Partnerschaft. Das Zusammenhalten gegen den äußeren Feind (den unterbrechenden Elternteil) wirkt zunächst wie eine Stabilisierung der Partnerschaft, letztlich aber beinhaltet es eine Feinbildprojektion und eine Verarmung der gemeinsamen Inhalte. Die Partnerschaft wird überbetont und kann die emotionalen (Über-) Ansprüche nicht mehr erfüllen.

Vorstellbar sind auch Auswirkungen im beruflichen Feld des ausgegrenzten Elternteils. Aus dem Erleben einer Ohnmacht im privaten Bereich kann beispielsweise eine Erhöhung der kompensatorischen Wünsche im beruflichen Feld erfolgen mit der Konsequenz eines übersteigerten Leistungsdenkens. Schließlich bietet die Unterbrechung der Umgangskontakte die Gefahr, dass die Ambivalenz, die insgesamt in der Rolle des nicht sorgeberechtigten Elternteils liegt, verstärkt aufbricht. Das Gefühl, sowieso nicht genügend abzubekommen, kann dazu führen, den Kontakt zum Kind abzubrechen. Man kann ja drauf verweisen, dass der andere Elternteil diesen Schritt erzwungen habe. 4. Die Bedeutung für das Kind Das Kind erlebt den Ablauf als Traumatisierung: Ein plötzliches Ereignis, dass psychisch nicht nachvollziehbar ist. Häufig tritt eine Labilisierung des Ichs ein, die Folge: seelische Erschütterung, Verunsicherung und Retraumatiserung. Die Gefühle zum abwesenden Elternteil sind stark ambivalent. Einerseits treten Idealisierungen auf, andererseits Abwertungen. Weiterhin finden sich: Unverständnis, Schuld und Schamkonflikte (bin ich schuld?). Es kommt zu einer ungünstigen narzisstischen Regulation: extreme Auf- und Abwertungen des Selbstwertgefühls. Die Aufwertung erfolgt in der Phantasie, jetzt eine ausschließliche und einzigartige Bedeutung für den unterbrechenden Elternteil zu haben. Möglicherweise kommt es aber auch zu einer Abwertung in dem Sinne einer Angst vor erneuter Trennung. Die Beziehung zu beiden Elternteilen kann nicht organisch fortgesetzt werden. Zum unterbrechenden Elternteil wird Aggressionen oder dumpfe Wut erlebt, die jedoch abgewehrt werden muss. Die Mächtigkeit des unterbrechenden Elternteils steigt. Das Kind fühlt sich ausgeliefert, es muss folglich die Wutgefühle unterdrücken. Die Folge ist: Etablierung eines überlagernden Affekts, einer anderen Haltung, um die Wutgefühle zu überdecken. Beispiel: Überangepasstheit, verstärktes Leistungsdenken oder vermehrte kompensatorische Außenkontakte. Eine andere mögliche Haltung: Trend ins Psychosomatische, um sich dem sorgeberechtigten Elternteil als krank und schutzbedürftig darzustellen. Sowohl der Weg in das Depressive oder Psychosomatische als auch die übereilte Flucht in die Progression wären aus entwicklungspsychologischer Sicht problematisch. Langfristig besteht die Gefahr einer Objektbeziehungsstörung mit dem Verlust der Vertrauensstruktur. Beziehungen werden nicht mehr als beständig erlebt, sondern die innere Abschirmung gilt der potentiellen Gefahr einer überraschenden Einschränkung oder Trennung in Beziehungen. Im Kind entsteht der Wunsch nach Ersatz für den abwesenden Elternteil, beispielsweise könnten über die Mutter hinaus auch andere Bezugspersonen wichtig werden. Dies könnte als ein relativ konstruktiver Bewältigungsversuch gesehen werden. 5. Maßnahmen aus psychologischer Sicht Als kausale Maßnahme steht der Abbau der Ursachen der Unterbrechung der Besuchskontakte an erster Stelle. Oft handelt es sich um die bisher nicht bewältigten Partnerschaftskonflikte der beiden Elternteile. Als Maßnahme ist hier Psychotherapie vorstellbar oder begrenzte gemeinsame Beratung (Jugendamt, Erziehungsberatungstelle).

Perspektivisch sollte der Aufbau konstanter Objektbeziehungen für das Kind angestrebt werden. Wichtig ist dabei Kontinuität und Verlässlichkeit. Der zeitliche Umfang der Besuchskontakte spielt demgegenüber eine sekundäre Rolle: Qualität geht vor Quantität. Es sollte der Erhalt eines vielfältigen Umfeldes für das Kind angestrebt werden. Ziel dabei: Ausprobieren verschiedener Beziehungen in Inhalt und Intensität. Es sollten korrigierende Dritte im Umfeld des Kindes erhalten bleiben. Damit wird die Macht des sorgeberechtigten Elternteils auf der unbewussten Ebene symbolisch eingeschränkt. Der Prozess einer Triangulation wird ermöglicht. Wiederaufbau der Besuchskontakte in kleinen Schritten: Zunächst unter der Möglichkeit einer fachlichen Begleitung. Dies ist für den organisatorischen Ablauf wichtig, aber auch, damit das Kind einen korrigierenden Dritten erlebt, der situativ mächtiger erscheint als die eigenen Elternteile. Strukturierter Rahmen für die Elternteile durch Vorgabe der betreuenden Stellen bzw. des Familiengerichts, um das Ausmaß des Agierens einzugrenzen. Damit auch Möglichkeit der entlastenden Verschiebung aggressiver Phantasien auf den strukturierenden Dritten. Das Ausmaß des Agierens miteinander könnte eingegrenzt werden. Orientierung für den Wiederaufbau: Keine Überharmonie im Umgang mit dem Kind, keine demonstrativen Wiedergutmachungsleistungen, keine Beeinflussung gegen den anderen Elternteil. 6. Abschließende Thesen - Hohe Bedeutung der Durchführung bzw. der Wiederaufnahme der Besuchskontakte des Kindes zum anderen Elternteil. - Der Loyalitätskonflikt ist eine normale Situation des Scheidungskindes und nicht aus sich heraus schädigend. Die psychische Schädigung tritt dann ein, wenn eine einseitige Fixierung durch die Elternteile erzwungen werden soll. - Daher sollten Besuchskontakte auch gegen den zunächst erklärten Willen des Kindes durchgeführt werden, da dieser Wille häufig aus einer ungünstigen Fixierung an einen Elternteil resultiert. Andererseits sollte geprüft werden, ob der Kindeswille nicht auch auf plausiblen negativen Erfahrungen mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil beruht. - Wenn der Kontakt auf Dauer unterbrochen wird, verliert das Kind das Gespür für korrigierende Dritte. Der Macht des sorgeberechtigten Elternteils wird weniger entgegengestellt. Es besteht die Gefahr einer langfristigen dyadischen Fixierung des Kindes. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers Anschrift des Verfassers Dipl.-Psych. Klaus Ritter Christbuchenstr. 18, 34130 Kassel 0561-68580 E-Mail: mail@ritter-gerstner.de www.ritter-gerstner.de 2000 Klaus Ritter