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Transkript:

Manuskript radiowissen SENDUNG: 27.02.2015 9.05 Uhr/B2 AUFNAHME: Biologie Ab 9. Schuljahr STUDIO: TITEL: Recht auf ein Kind? Pro und Contra Reproduktionsmedizin AUTORIN: Daniela Remus REDAKTION: Gerda Kuhn REGIE: Sabine Kienhöfer TECHNIK: Miriam Böhm PERSONEN Sprecherin Katja Amberger Sprecher Friedrich Schloffer Zuspielungen Prof. Giovanni Maio, Medizinethik, Freiburg Prof. Claudia Wiesemann, Medizinethik, Göttingen Prof. Markus Kupka, Gynäkologie, Hamburg und München PD. Dr. Tina Buchholz, Humangenetik, München Dr. Andreas Bernard, Kulturwissenschaften, München Dr. Gerd Bispink, Gynäkologie, Hamburg 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 service@bayern2.de; www.bayern2.de

2 Take 1 (Ausschnitt aus BBC-Geburtsfilm von Louise Brown, Babygeschrei) darüber 25. Juli 1978, kurz vor Mitternacht. Reporterteams aus aller Welt belagern das Krankenhaus in Oldham bei Manchester. Sie warten auf eine Geburt. Drinnen im Kreissaal holt ein Team von Medizinern und Schwestern ein Kind per Kaiserschnitt auf die Welt. Stolz wird das schreiende Baby vor die Kameras der BBC gehalten: Take 1 (nochmal hoch mit Gewichtsangabe) Das kleine Mädchen wiegt 2600 Gramm, ist 49 Zentimeter lang, blond, blauäugig und völlig gesund. Take 1 (Geschrei) nochmal kurz hoch Dennoch galt und gilt die Geburt des Mädchens mit dem Namen Louise Joy Brown als Meilenstein. Musik Z9369245006 Sie markiert den Beginn der modernen Reproduktionsmedizin. Denn Louise Brown ist der erste Mensch, der außerhalb des Mutterleibs gezeugt worden ist in einer Petrischale. Sprecher: Die Väter dieser medizinischen Sensation sind der Gynäkologe Patrick Steptoe und der Physiologe Robert Edwards, letzterer erhielt 2010 für seine Erkenntnisse den Nobelpreis. Die beiden Wissenschaftler hatten bereits seit den1960er Jahren des letzten Jahrhunderts mit künstlicher Fortpflanzung experimentiert. Zunächst mit Keimzellen von Hasen, Affen, Mäusen und Rindern Musik aus

3 und schließlich auch mit denen von Menschen. Ihr Ziel: Eine künstliche Befruchtung durchzuführen, außerhalb von biologischen Körpern im Reagenzglas. Nach einigen Rückschlägen ist ihnen das auch schließlich gelungen. Aber die nächste Schwierigkeit konnten die Wissenschaftler jahrelang nicht bewältigen: Nämlich das befruchtete Ei so in den menschlichen Körper zurückzutransportieren, dass sich dort eine Schwangerschaft entwickeln konnte. Dieser Schritt hat 1978 zum ersten Mal geklappt und führte zur Geburt von Louise Brown. Take 2 (Andreas Bernard) L: 0,20 Und das hat eine Bewegung in Gang gesetzt in den letzten 20,30 Jahren, dass im Grunde, es ungewollte Kinderlosigkeit, die man einfach hinnehmen muss, nicht mehr gibt. Weil, wenn man jetzt als Paar sagt, wir versuchen seit Jahren ein Kind zu kriegen, das geht nicht,dann beginnt man in diese Spirale der Reproduktionsmedizin zu kommen..das setzt, glaub ich, die Leute unter Druck. Sagt Andreas Bernard. Der Journalist und Kulturwissenschaftler beschreibt in seinem Buch Kinder machen, das 2014 erschienen ist, wie sehr die Erkenntnisse und Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin unsere Vorstellung von Leben, von Familie und Fortpflanzung verändert haben. Und dass Kinderlosigkeit heute nicht mehr als hinzunehmende Tatsache wahrgenommen wird, sondern als leidvoller Zustand, den es mithilfe der Medizin zu überwinden gilt. Claudia Wiesemann, Professorin für Medizinethik an der Universität Göttingen, begrüßt diese Entwicklung: Take 3 (Claudia Wiesemann) L: 0,35 Ich finde, das ist ein Gewinn für die Menschheit, dass wir Technologien haben, die uns helfen, wenn wir keine Kinder bekommen können, und wir zahlen einen durchaus hohen Preis dafür, weil vieles, was wir gewohnt sind, wer ist Vater? Wer ist Mutter eines Kindes? nicht mehr so ohne weiteres feststellbar ist, zumindest bei manchen Techniken, aber es gibt eben doch sehr viele glückliche Eltern, nehmen wir mal nur die künstliche Befruchtung: Weltweit sind Millionen von Kindern dadurch geboren worden, das sind alles geliebte Kinder, und das ist doch schön so.

4 Musik Bioreactor M10586 002 Seit der Geburt von Louise Brown sind etwa fünf Millionen Kinder weltweit durch die Erkenntnisse von Edwards und Steptoe auf die Welt gekommen. Allein in Deutschland verdanken jährlich rund 10.000 Menschen ihr Leben einer künstlichen Befruchtung. Atmo (Arztpraxis, Wartezimmer) Take 4 (Markus Kupka) L: 0,10 Wir fangen in der Regel an, drei Dinge zu untersuchen, die uns helfen einzugrenzen, wo denn das Grundproblem des Paares liegen könnte Sagt Markus Kupka. Der Gynäkologieprofessor ist einer von insgesamt sieben Medizinern am MVZ-Kinderwunschzentrum in Hamburg. Take 5 (Markus Kupka) L: 0,15 Also in der Regel ist das ein ausführlicher Hormontest bei der Frau, ein Samentest beim Mann und eine Überprüfung, ob die Eileiter durchlässig sind. Mit diesen drei Grunduntersuchungen schafft man es, die überwiegende Anzahl der Patientenpaare doch gut beraten zu können und ein Therapiekonzept anbieten zu können, was dann auch wirklich maßgeschneidert ist. Sprecher: Musik Quantum Wire M0010566 003 kurz frei Über 130 Praxen haben sich in ganz Deutschland darauf spezialisiert, Paare zu behandeln, die trotz biologischer Unfruchtbarkeit ein Kind bekommen möchten.

5 Von Retortenbabies, wie Louise Brown damals genannt wurde, spricht dabei heute keiner mehr. Stattdessen von Wunschkindern, die durch moderne Medizintechnik möglich geworden sind. Die Kinderwunschzentren bieten ein ganzes Paket von Therapien und Behandlungen an. Je nachdem, was die medizinische Diagnose ergeben hat. Ist das Paar tatsächlich unfruchtbar? Woran liegt das? Am Zyklus der Frau, an den Hormonen, an einer Infektionskrankheit, an genetischen Defekten, an der Qualität der Spermien oder an verklebten Eileitern? Musik weg Take 6 (Markus Kupka) L: 0,10 Ein Drittel sind die Ursachen bei der Frau, ein Drittel beim Mann und ein Drittel bei beiden zu finden Die am wenigsten invasive Maßnahme der Fortpflanzungsmediziner ist die Insemination. Dabei spritzen die Mediziner den Samen des Mannes direkt in die Gebärmutter der Frau. Aber die mit Abstand am häufigsten angewandte Methode ist die künstliche Befruchtung. Sie findet außerhalb des Körpers statt, so wie damals bei Louise Brown, unter ärztlicher Aufsicht in einem Labor. Wissenschaftler nennen diese Methode In-Vitro-Fertilisation. Sprecher: Dabei wird zunächst die Frau hormonell so behandelt, dass ihre Eizellen maximal befruchtungsfähig sind. Ist das der Fall, entnehmen die Mediziner mehrere Eizellen und bringen sie in einer Nährflüssigkeit mit den Spermien des Mannes zusammen. Klappt die Befruchtung, transportieren die Mediziner den so entstandenen Mini-Embryo nach drei bis vier Tagen in die Gebärmutter der Frau. Jetzt muss er sich nur noch einnisten und neun Monate lang gedeihen und wachsen.

6 Das ganze Prozedere dauert mehrere Wochen. Manchmal kommt es trotz Hormonbehandlung nicht zu befruchtungsfähigen Eiern, manchmal klappt die Befruchtung nicht, oder die Einnistung in die Gebärmutter findet nicht statt. Insgesamt, so die offizielle Statistik der Reproduktionsmediziner, liegt die Wahrscheinlichkeit, mit dieser Methode schwanger zu werden, bei etwa 15 bis 20 Prozent pro Versuch. Musik Hildegard s Lab C1490140012/ Metropolis Z9369241003 Sprecher: Weitaus häufiger als diese klassische Art der künstlichen Befruchtung, wenden die Reproduktionsmediziner mittlerweile die sogenannte ICSI-Technik an. ICSI steht für Intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Der entscheidende Unterschied ist, dass dabei unter dem Mikroskop eine einzelne Samenzelle mithilfe einer Nadel direkt in eine Eizelle injiziert wird. Die Vereinigung der beiden Keimzellen bleibt also nicht dem natürlichen Ablauf überlassen, sondern wird technisch erzwungen. Rund drei Viertel aller künstlichen Befruchtungen finden heutzutage als ICSI-Technik statt. Der Vorteil: Die männlichen Spermien können noch so bewegungsunfähig sein, sie treffen unausweichlich auf eine zu befruchtende Eizelle. Die Erfolgsaussichten seien damit weitaus größer als mit der herkömmlichen In-Vitro- Befruchtung, so die übereinstimmende Auskunft der Reproduktionsmediziner. Trotzdem liegt die Chance, damit schwanger zu werden, rein statistisch betrachtet, auch nur bei etwa 20 Prozent. Für Dr. Tina Buchholz, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, kein Argument gegen die künstliche Befruchtung: Musik weg

7 Take 7 (Tina Buchholz) L: 0,15 Die meisten sind damit erfolgreich, nicht unbedingt beim ersten Mal, aber wenn man zwei, drei, vier Mal zusammennimmt, dann gehen die allermeisten mit einem Kind nach Hause. Die allermeisten sind erfolgreich! Tina Buchholz arbeitet als Gynäkologin und Genetikerin in einer Praxis in München, darüber hinaus ist sie die Leiterin der Zytogenetik an der Technischen Universität in München. Nach ihrer Erfahrung liegt die Erfolgsquote bei einer künstlichen Befruchtung mithilfe der ICSI Methode bei 30 Prozent. Und diese Möglichkeit addiere sich von Versuch zu Versuch auf: Take 8 (Tina Bucholz) L: 0,20 Wenn man dreißig Prozent dann drei Mal nimmt, dann ist man ja bei 90 Prozent, oder bzw. ist pro mal 30 Prozent, das heißt, manche gehen wirklich beim ersten Mal mit einem Kind nach Hause, manche versuchen es ein zweites, ein drittes Mal und die kumulative Schwangerschaftsrate ist besser, als die Natur sie vorgesehen hat. Musik Quantum Wire M0010566 003 Nach den Statistiken der Bundesgesundheitszentrale für gesundheitliche Aufklärung liegt die Erfolgsquote allerdings deutlich niedriger: Nach drei Behandlungen bekommt demnach nur die Hälfte der Frauen ein Kind. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit genau ist, nach mehreren künstlichen Befruchtungen tatsächlich schwanger zu werden, darüber sind sich die Experten also uneins. Auch deshalb, weil Unfruchtbarkeit ausgesprochen komplexe Ursachen haben kann, die im Einzelfall zu extrem unterschiedlichen Erfolgsaussichten führen. Unstrittig aber ist, dass es keine Garantie dafür gibt, mit moderner Reproduktionsmedizin ein Kind zu bekommen. Egal wieviel Geld, Zeit, Nerven und Energie ein Paar zu investieren bereit ist: Kinderlosigkeit ist nicht heilbar wie ein gebrochener Fuß oder wie eine Infektionskrankheit.

8 Musik weg Take 9 (Claudia Wiesemann) L: 0,25 Wenn man nur mal die Befruchtung im Reagenzglas anschaut, dann bürdet sie den Paaren, vor allem den Frauen, Einiges auf. Meistens müssen die Frauen mehrere Zyklen durchmachen, dazu gehören Hormonstimulationen, da gehört natürlich immer dieses ängstliche Warten darauf, bin ich jetzt nun schwanger oder nicht, die unzähligen Tests, die damit gemacht werden, und am Ende steht dann doch wieder die Enttäuschung, dass es nicht geklappt hat. Deshalb hält es die Medizinethikerin Claudia Wiesemann aus Göttingen auch für unverzichtbar, von vornherein die Möglichkeit des Scheiterns gedanklich zuzulassen. Nur so seien die Paare ausreichend gerüstet, um die vielfältigen Belastungen auszuhalten. Denn man könne nicht davon ausgehen, dass es mit der künstlichen Befruchtung gleich beim ersten Mal klappt. Auch deshalb, weil die Paare meist schon etwas älter sind, wenn sie ein Kinderwunschzentrum aufsuchen, berichtet die Reproduktionsmedizinerin Tina Buchholz aus München: Take 10 (Tina Buchholz) L: 0,20 Das Durchschnittsalter ist 35 im Moment für eine Kinderwunschbehandlung, das heißt auch 25-Jährige, aber auch 45-Jährige, und das ist natürlich schon eine Problematik, das ist etwas, was wir wirklich angehen müssen, wir müssen das Bewusstsein schaffen, dass wir nicht so lange warten dürfen, als Frauen mit der Fortpflanzung. Musik Suspended Harmony C1570550110 kurz frei Dem entgegen steht der Trend, dass sich Paare hierzulande immer länger Zeit lassen, um Eltern zu werden. Waren Frauen in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts bei der Geburt ihres ersten Kindes im Schnitt 25 Jahre alt, so liegt das

9 Alter heute bei knapp 30 Jahren. Und bis die Paare merken, dass sich der Nachwuchs bei ihnen nicht spontan einstellt, vergeht noch einmal, fortpflanzungstechnisch betrachtet, viel wertvolle Zeit. Von Unfruchtbarkeit sprechen die Reproduktionsmediziner, wenn Paare mindestens ein Jahr lang regelmäßig ungeschützten Geschlechtsverkehr hatten, ohne dass die Frau schwanger wird. Rund 10-15 Prozent der Paare in Deutschland sind davon betroffen. Musik weg Take 11 (Tina Buchholz) L: 0,25 Das muss ins Bewusstsein kommen, da gibt es Untersuchungen, dass auch Ärzte, also nicht Reproduktionsmediziner, falsche Vorstellungen haben, wann die Fertilität abnimmt und letztendlich mit 25 fängt sie an, abzunehmen. Nicht erst mit 40 und die ist schon mit 30 schlechter als mit 25 und sie ist mit 35 noch viel schlechter und man muss da frühzeitig mit den Menschen sprechen, als Ärzte aber auch draußen in der Politik, die Bevölkerung muss das Thema aufgreifen. Sprecher: Immer wieder kämpfen betroffene Paare sogar vor Gericht darum, dass ihre Unfruchtbarkeit als Krankheit anerkannt wird, damit die Krankenkassen die aufwendigen und teueren Behandlungen bezahlen. Aber das Bundesverfassungsgericht hat diese Definition 2009 abgelehnt. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen deshalb in der Regel nur die Hälfte der Kosten, die bei einer Behandlung in einem Kinderwunschzentrum entstehen, und auch das nur für maximal drei Versuche. Manche Kassen sind großzügiger, in manchen Bundesländern bekommen die Paare darüber hinaus noch Zuschüsse. Eine einheitliche Regelung gibt es jedenfalls nicht. Drei bis viertausend Euro kostet eine künstliche Befruchtung. Auch der finanzielle Aufwand, sich die Sehnsucht nach einem Kind zu erfüllen, ist also nicht unerheblich.

10 Trotzdem sind immer weniger der ungewollt Kinderlosen bereit, auf Nachwuchs zu verzichten. Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem Diktat der Fruchtbarkeit. MUSIK Spacelab Z9369241002 Zu verheißend erscheinen den Möchtegern-Eltern die Erfolgsmeldungen, die Möglichkeiten und Versprechen der Reproduktionsmedizin. Auch Markus Kupka vom Kinderwunschzentrum in Hamburg stellt fest, dass der Druck immer größer wird: Musik weg Take 12 (Markus Kupka) L: 0,30 Die Diskussionen werden immer wilder, das liegt natürlich auch am Aufklärungsgrad der Patientenpaare, der nimmt deutlich zu. Aber es liegt auch daran, dass inzwischen bestimmte Möglichkeiten in Deutschland bestehen, die vor 15 Jahren noch nicht bestanden haben, also es gibt inzwischen die Möglichkeit bei gravierenden genetischen Erkrankungen auch eine Pränataldiagnostik durchzuführen, es gibt seit Jahrzehnten Spendersamenprogramme, die in Deutschland nicht verboten sind, es gibt im Moment eine Diskussion, ob die Embryonenspende in Deutschland möglich ist Musik Z9369241006 Bisher ist in Deutschland durch das sogenannte Embryonenschutzgesetz zwar das Spenden von Samenzellen erlaubt, nicht aber das von Eizellen oder Embryonen, also bereits befruchteten Eizellen. Und auch eine Leihmutterschaft ist verboten. Soweit die gängige Lesart. Dennoch gab es 2014 in Deutschland die ersten Schwangerschaften, die aus einer Embryonenspende stammten. Möglich gemacht hat das das bayrische Netzwerk Embryonenspende e. V. und vor allem die juristische Expertise der Strafrechtlerin Monika Frommel aus Kiel.

11 Musik weg Sie hält die Embryonenspende dann für legitim, wenn sie nicht kommerziell ist. Entstehen bei einer Kinderwunschbehandlung überschüssige Embryonen und werden diese dann nicht mehr gebraucht, können sie deshalb legal einem anderen Paar geschenkt werden. Sprecher: Eine Gesetzeslücke, die dazu führt, dass de facto Embryonen gespendet werden können. Dann hat ein Kind genetische Eltern und soziale Eltern. Genau das wollten aber diejenigen verhindern, die das Embryonenschutzgesetz verabschiedet haben. Damit ein Kind nicht zwei Mütter habe, so eines der Argumente. Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann hält das nicht für überzeugend. Zumal offenbar keiner der Gesetzeshüter Probleme damit habe, zwei Väter für ein Kind zu akzeptieren. Take 13 (Claudia Wiesemann) L: 0, 45 Es ist höchste Zeit, dass wir die Eizellenspende in Deutschland erlauben. Das ist zunächst eine Folgerung aus der Geschlechtergerechtigkeit, es ist einfach nicht einzusehen, dass eine Frau, die unfruchtbar ist, weil sie keine Eizellen hat, weniger Möglichkeiten hat, doch noch ein Kind zu bekommen als ein Mann, der unfruchtbar ist, weil er keine Samenzellen produzieren kann. Das ursprüngliche Motiv derjenigen, die das Embryonenschutzgesetz verfasst haben, und damit die Eizellenspende verboten haben, war vermutlich eher, die Leihmutterschaft zu unterbinden, weil Eizellenspende eine Voraussetzung für Leihmutterschaft ist. Aber wie wir mittlerweile an den technischen Möglichkeiten sehen, ist das nicht automatisch gekoppelt. Es gibt Eizellenspenden für Frauen, die gerade keine Leihmutter in Anspruch nehmen wollen und das Verbot hat paradoxerweise den Effekt, dass man jetzt eine Leihmutter in Anspruch nehmen muss, wenn man unfruchtbar ist, weil man keine Eizellen produzieren kann.

12 Und auch der Reproduktionsmediziner Kupka findet, es sei dringend nötig, die Fortpflanzungsmedizin juristisch auf andere Grundlagen zu stellen. Die medizintechnischen Möglichkeiten seien da, die Menschen wollten sie haben. Um sie nicht in die Arme von dubiosen Agenturen im Ausland zu treiben, sei es sinnvoll und dringend geboten, dafür in Deutschland eine neue Regelung zu finden: Take 14 (Markus Kupka) L: 0,35 Ich persönlich würde mich freuen, wenn wir ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz bekämen, wo beispielsweise die Eizellenspende erlaubt wäre. Ich persönlich kann nicht verstehen, dass die Samenspende möglich ist, aber die Eizellenspende nicht. Was Leihmutterschaft angeht, wird natürlich ein sehr komplexes Thema berührt, ( ) das ist ein Punkt, wo man sicherlich Regelungen finden sollte, dass Leute sich nicht in unsichere Situationen begeben müssen MUSIK Vitamin Z9369245006 Ein Kind um jeden Preis? Sollte erlaubt sein, was medizinisch möglich ist und in vielen Ländern bereits an der Tagesordnung? Oder überschreiten wir mit Leihmutterschaft, Eizellen- und Embryonenspende endgültig die Grenze, die die Reproduktionsmedizin hierzulande noch von der kommerziellen Designerbaby- Dienstleistung trennt? Dass diese Sorgen nicht unbegründet sind, zeigen auch die Anfragen, die Gerd Bispink, der Leiter der Hamburger Samenbank, immer mal wieder bekommt. Musik weg Take 15 (Gerd Bispink) L: 0,30 Wenn die Leute zu uns kommen, haben sie schon einen gewissen Denkprozess hinter sich. Sie kommen dann zu uns und sagen, naja, eigentlich haben wir uns

13 entschlossen, inwiefern wir Einfluss haben auf den Spender. Der Spender soll natürlich Abitur haben, ganz toll aussehen, soll superschlau sein usw. Aber einen Spender nach Katalog auszusuchen, das geht nicht, so Gerd Bispink. Einerseits damit eben genau das nicht möglich sein kann: Ein Designerbaby zu bestellen! Andererseits aber auch aus psychologischen Gründen, damit der Samenspender nicht in Konkurrenz zum zukünftigen Vater gerate. Für die potentiellen Eltern bleibt der Spender deshalb unsichtbar und anonym. Die Kinder aber haben ein Recht darauf, zu erfahren, wer ihr genetischer Vater ist. Wenn sie es später wissen wollen. Seit einigen Jahren machen Spenderkinder-Vereine immer wieder auf sich und ihr Schicksal aufmerksam. Sie wollen Klarheit über ihre genetische Abstammung und mehr wissen über ihre Identität. Aber nach Bispinks Erfahrung kommen nur solche Kinder zu ihm in die Samenbank, bei denen es in der Familie Probleme gibt. Und das seien die wenigsten. Sprecher: Der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard vermutet, dass sich über kurz oder lang unsere Vorstellung davon, was eine Familie ausmacht, durch die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin deutlich verändern wird. Und dann würden auch die ethischen Bedenken eine anderes Gewicht bekommen: Take 16 (Andreas Bernard) L: 0,30 In den heutigen Debatten um Fortpflanzungsmedizin von kritischer Seite, also sagen wir mal, die Kritik an Samenspender, Eizellenspendern und Leihmüttern, in diesen Debatten wird ja immer so getan, als wenn die Familie immer aus der biologisch verwandten Kernfamilie bestanden hätte. Von frühsten Anfängen bis heute und dass diese natürliche Einheit jetzt bedroht wird, durch zusätzliche Akteure, und das ist eben keineswegs so. Musik Belgrade C 1562580106

14 Dass leibliche Kinder ausschließlich bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen, ist kulturhistorisch betrachtet eine noch recht junge Entwicklung. Bis ins späte 18. Jahrhundert hinein lebten nicht nur Mägde und Knechte familienähnlich mit im Haus, auch die Kinder kamen selbstverständlich in ihren ersten Lebensjahren zu Ammen, die sie anstelle der Eltern aufzogen. Der Medizinethiker Giovanni Maio von der Universität Freiburg warnt trotzdem davor, alles, was medizinisch machbar ist, auch umzusetzen. MUSIK weg Take 18 (Giovanni Maio) L: 0,25 Die Medizin suggeriert eben, dass sie über Technik verfügt und über diese Technik auch alles Mögliche erreichen könnte, und das finde ich gefährlich, weil, wenn die Menschen nicht darüber nachdenken, wer sie sind und wer sie sein wollen, sie dann eben in einen Machbarkeitssog hineingeraten und all das, was technisch möglich ist, wird dann auch in Anspruch genommen, weil man glaubt, dadurch könnte man ein besseres Leben erreichen. Doch so denken immer weniger Menschen. MUSIK Space dance 3 C1553520136 Die Reproduktionsmedizin ist ein großes Versprechen, das viele unglückliche Paare dankbar annehmen. Sie ist ein großes Geschäft, an dem Ärzte gut verdienen. Sie ist eine Herausforderung für unsere Gesellschaft und deren Vorstellung von Arbeit und Familie, wie auch die jüngsten Angebote von Google und Co zum kostenlosen Einfrieren von Eizellen deutlich machen. Und sie ist zuweilen auch ein großes Glück, nämlich für die, die dadurch ein Kind bekommen. Musik weg