Autorin: Schulz, Ursula. Titel: Web-Usability für Silversurfer. Quelle: merz. medien + erziehung. 48. Jahrgang, Heft 4/04. München 2004. S. 18-22. http://www.merz-zeitschrift.de Verlag: kopaed verlagsgmbh. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Ursula Schulz Web-Usability für Silversurfer Ältere Menschen, die so genannten Silversurfer, stellen einen ständig wachsenden Anteil der Internetnutzer. Sie stoßen auf altersbedingte Barrieren motorischer, visueller und kognitiver Art. Websites müssen deshalb den Kriterien für seniorenfreundliches Webdesign genügen. Silversurfer im Internet 'Silversurfer' werden in den angelsächsischen Ländern die Internetnutzer im Alter von 50 an aufwärts genannt. Für ältere Menschen bietet das Internet eine vielfältige, mitunter entscheidende Verbesserung ihrer Lebensqualität: Trotz eventuell eingeschränkter Mobilität können ältere Menschen in Verbindung mit ihrer Familie bleiben (z.b. Emails an Kinder und Enkelkinder), Kontakte knüpfen (z.b. Chat, Mailinglisten), Hobbys pflegen, Geschäfte abwickeln (z.b. Home Banking, E-Commerce), am öffentlichen Leben teilnehmen (z.b. Bürgerinformationssysteme, Graue Panther) und Informationen recherchieren (z.b. medizinische Informationen). Eine Website im deutschsprachigen Raum wie www.webheimat.at veranschaulicht die Vielfalt an Themen und Aktivitäten, an denen ältere Menschen durch das Internet 1
teilhaben können: Arbeit / Beruf / Pension, Finanzen / Immobilien, Kultur / Veranstaltungen, Kurse / Seminare, Musik, Ausflüge / Reisen, Essen / Trinken, Gesundheit / Wellness, Haustiere, Hobbys / Interessen, Wohnen, Produkttipps / Lesetipps, Recht und Behörden, Horoskope, Grußkarten senden, Fotoalbum, Partner finden, Kleinanzeigen und vieles mehr. Ein analoges - und vorbildliches - Beispiel für die britische Klientel ist www.silversurfers.net. Wie am obigen Beispiel erkennbar, sind praktisch alle Lebensbereiche im Internet abgedeckt, Internetnutzung bedeutet für ältere Menschen demzufolge Zugehörigkeit, Teilhabe am öffentlichen Leben und Bereicherung ihres Privatlebens. Das Thema 'Web-Usability für Silversurfer' verdient aus mehreren Gründen eine nähere Betrachtung: 1. Prognosen gehen davon aus, dass die Hälfte unserer Bevölkerung in 50 Jahren über 50 Jahre alt sein wird. 1 Ob wir dieser Prognose folgen oder nicht: Der Anteil der älteren Bevölkerung wächst und wird eine bedeutende Zielgruppe für Internetangebote und -anwendungen stellen. 2. Ältere Menschen können in einem besonderen Ausmaß und in besonderer Weise von den Möglichkeiten des Internet profitieren. 3. Ältere Menschen erfahren bei der Nutzung des Internet altersspezifische Schwierigkeiten bis hin zu Ausgrenzung. 1 Schirrmacher, Frank (2004): Die Revolution der Hundertjährigen. Der Spiegel, 12, 78-84. 2
Usability und Accessibility Auch im Deutschen hat sich die Benennung Usability durchgesetzt. Eine häufige Übersetzung ist Benutzerfreundlichkeit. Die ISO 9241-11 verwendet die Bezeichnung Gebrauchstauglichkeit und definiert sie so: Das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufrieden stellend zu erreichen. (ISO 9241-11, Abs. 3.1 Gebrauchstauglichkeit) Wir wollen also wissen, ob ältere Menschen ihre Ziele bei der Benutzung von Websites erreichen und zwar vollständig (Effektivität), bei günstiger Aufwand-Nutzen-Relation (Effizienz) und mit einer positiven Einstellung gegenüber dem Medium. Wo dies nicht der Fall sein sollte, beschäftigt uns die Frage, was wir tun können, um die Usability-Probleme zu beheben. Dabei beruht die gebrauchstaugliche Gestaltung von Websites auf einem freiwilligen Entgegenkommen der Betreiber. Ist eine Website schwer zu benutzen, wird es dem Betreiber einer kommerziellen Website allerdings nicht gelingen, seine Produkte an die beständig anwachsende und zahlungskräftige Klientel der Senioren und Seniorinnen zu verkaufen. Der Betreiber einer mangelhaften 3
nichtkommerziellen Website mit einer eher informativen oder kommunikativen Funktion schließt die Zielgruppe der Älteren von Möglichkeiten der Teilhabe am öffentlichen Leben aus. Da ältere Menschen von Behinderungen betroffen sein können, interessiert hier zusätzlich ein inzwischen gesetzlich geregelter Aspekt der Internetnutzung: die Barrierefreiheit, im internationalen Sprachgebrauch des Internet als Accessibility bezeichnet. Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) schreibt seit dem 27 April 2002 auch in Deutschland Barrierefreiheit von öffentlichen Informationsangeboten gesetzlich vor. Eine Ergänzung zu 3 dieses Gesetzes betont bei der Definition von 'Behinderung' die Beeinträchtigung an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (BGG) 2. Speziell zu barrierefreier Informationstechnik gibt das BGG in 11, Abs. 1 vor: Träger öffentlicher Gewalt [...] gestalten ihre Internetauftritte und -angebote sowie die von ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen, die mit Mitteln der Informationstechnik dargestellt werden, [...] schrittweise technisch so, dass sie von behinderten Menschen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können. Weiter sieht Absatz 2 desselben Paragrafen vor, dass die Bundesregierung darauf hinwirkt, dass auch gewerbsmäßige Anbieter von Internetseiten sowie von grafischen Programmoberflächen, die mit Mitteln der Informationstechnik dargestellt werden ihre Produkte barrierefrei gestalten. Senioren erleben altersspezifische Barrieren bei der Nutzung von Online-Medien, die denen für Behinderte ähnlich sein können. Über Usability-Probleme hinaus müssen uns deshalb auch Kriterien für barrierefreies Webdesign interessieren. Probleme der Silversurfer Websites werden von jungen Leuten für junge Leute gestaltet. Generationsbedingte Barrieren wie Jargon (z.b. FAQ, Sitemap, About Us, Submit) und neue Features sind für jüngere Surfer cool, für ältere aber problematisch. Vor allem aber sind ältere Menschen 2 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen, Ausfertigungsdatum: 27. April 2002; Verkündungsfundstelle: BGBI I 2002, 1467, 1468 Sachgebiet: FNA 860-9-2, GESTA G086 Stand: Geändert durch Art. 210 V vom 25.11.2003 / 2304 <http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bgg/> ohne Datum, aufgerufen: 30.3.04. Das Gesetz kann von hier als PDF-Datei heruntergeladen werden. 4
mit visuellen (Weitsichtigkeit), motorischen (Arthritis, Parkinson) und geistigen (nachlassendes Kurzzeitgedächtnis, Altersdemenz) Beeinträchtigungen konfrontiert. Durch eine Studie der international bekannten Nielsen Norman Group 3 wissen wir, dass Websites für Silversurfer doppelt so schwierig zu nutzen sind wie für jüngere Menschen. Silversurfer bewiesen zwar eine erstaunliche Frustrationstoleranz, gaben aber leicht bedienbaren Sites entschieden den Vorzug. Usability ist deshalb auch eine Maßnahme der Kundenbindung. Ältere Internetnutzer erfuhren Usability-Probleme in folgenden Bereichen: Mangelnde Fehlertoleranz und Unterstützung Ältere Internetnutzer hatten größere Orientierungsprobleme auf Websites als jüngere Nutzer. Die Silversurfer verbrachten viel Zeit damit, unbeabsichtigt auf Seiten zurückzukehren, die sie schon gesehen hatten. Wo bin ich jetzt? und Wo war ich schon? sind Fragen, die man ohne unterstützende Anhaltspunkte nur dann beantworten kann, wenn man ein gutes Kurzzeitgedächtnis hat. Suchmaschinen und Formulare erwiesen sich als intolerant gegenüber Eingabevarianten. Ältere Nutzer hatten Probleme, ihre Eingaben an die Vorgaben von Formularen in der erwarteten Perfektion anzupassen. Eine Klammer, ein Bindestrich zuviel - und die Interaktion schlug fehl. Manche Fehlermeldungen waren in einem besonders für ältere Menschen schwer verständlichen Jargon abgefasst. Andere waren auf überfüllten Bildschirmen nicht zu identifizieren. Geringe Größe und Kontrast Silversurfer hatten natürlich Schwierigkeiten, kleine Schrift zu lesen. Auf winzige Schrift oder Icons zu klicken bedeutete für sie eine besondere motorische Herausforderung. Häufig klickten sie auf den falschen von mehreren eng beieinander liegenden Links. 3 Nielsen Norman Group Report: Web Usability for Senior Citizens: 46 Design Guidelines Based on Usability Studies with People Age 65 and Older. Download als PDF-Datei: <www.nngroup.com/reports/seniors/> Datum: April 18, 2002. 125 Seiten. Kosten 125 $. - Zusammenfassung des Reports: Jakob Nielsen: Usability for Senior Citizens. <www.useit.com/alertbox/20020428.html>. (Jakob Nielsen's Alertbox, April 28, 2002). 5
Darüber hinaus bildeten kontrastarme Informationselemente (z.b. blaue Schrift auf schwarzem Hintergrund) unnötige Barrieren. Ungeeignete Interface-Elemente Die älteren Menschen hatten motorische Schwierigkeiten, Pull-down-Menüs zu bedienen oder Linkhierarchien zu verfolgen, die nur mit gedrückter Maustaste und gerader, zügiger Handbewegung gesteuert werden können. Dabei kann auch für Silversurfer die Nutzung von Websites barrierefrei und vergnüglich sein, wenn einige einfache Regeln des seniorenzentrierten Webdesigns berücksichtigt werden. Design-Empfehlungen Aufgrund ihrer Erfahrungen haben Silversurfer einige Anregungen für die Gestalter von Websites zusammengestellt. Fehlertoleranz und Unterstützung Verwenden Sie allgemein verständliches Vokabular und vermeiden Sie 'coole' Sprache. Fehlermeldungen sollen unmissverständlich erklären, was schief gelaufen ist und wie der Fehler behoben werden kann. Unterscheiden Sie besuchte und noch nicht besuchte Links durch Farben. Am besten, Sie halten sich an Standards: Ein unbesuchter Link ist blau (und unterstrichen), ein besuchter Link violett (und unterstrichen). Sorgen Sie durch eine flache Link-Hierarchie dafür, dass Ihre Kunden in der Regel nur zwei Schritte bis zum Ziel benötigen, aber nie mehr als vier Schritte. Vermeiden Sie die Notwendigkeit, eigene Eingaben zu machen. Das bedeutet auch, dass Ihre Site eine intuitiv verständliche Informationsarchitektur hat und ohne Suchfunktion auskommt. 6
Sollten eigene Eingaben nicht zu vermeiden sein (z.b. Eingabe von Kreditkartennummern oder Versandadressen), geben Sie die erwartete Syntax und möglichst viele Defaults vor. Lassen Sie möglichst keine neuen Fenster öffnen. Unvermeidbare neue Fenster sollten sich etwas minimiert öffnen, so dass sichtbar bleibt, was geschehen ist. Größe und Kontrast Verwenden Sie eine 12-Punkt-Schrift als Standardgröße. Definieren Sie die Schriftgröße aber nicht als fixe Größe, sondern so, dass sie über die entsprechende Browserfunktion skalierbar ist. Achten Sie auf genügend 'white space' zwischen klickbaren Grafiken oder Buttons. Außerdem müssen die klickbaren Elemente große Flächen haben. Berücksichtigen Sie die für das Auge angenehmen Kontrastempfehlungen: Optimal ist schwarze Schrift auf weißem Hintergrund. Bieten Sie eine Printversion in 12-PunktSchrift an. Geeignete Interface-Elemente Vermeiden Sie Pull-down-Menüs und dynamische Navigationselemente, die eine gewisse Geschicklichkeit im Umgang mit der Maus voraussetzen. Am besten, die Navigationselemente sind ohne Dazutun des Anwenders sichtbar, unbeweglich und durch einen Klick zu bedienen. Unterscheiden Sie Werbung deutlich von allen anderen Elementen. Verwenden Sie ein flexibles Layout. Planen Sie Ihr Design für eine niedrige Bildschirmauflösung. Senioren-zentriertes Web-Design Last but not least: Überprüfen Sie die Entwicklungsschritte für Ihre Website durch Methoden der Anwenderpartizipation. Denken Sie sich zwei fiktive Silversurfer aus, z.b. Opa Hansen, Alter 80 und Frau Dr. Schubert, Alter 75. Geben Sie Ihren Figuren eine Geschichte: Warum benutzen sie das Internet, wie sind sie gegenüber jüngeren Internetnutzern beeinträchtigt, welche Vorkenntnisse haben sie, wie reagieren sie auf mögliche Barrieren? Nehmen Sie Opa 7
Hansen und Frau Dr. Schubert in Ihr Team auf und treffen Sie keine Entscheidung, ohne sich zu fragen, was Ihre fiktiven Teammitglieder dazu sagen würden. Testen Sie, ob Ihre 75-jährige Mutter oder Großmutter den Text auf den geplanten Seiten versteht. Fragen Sie sie, was sie hinter den Linkbenennungen erwartet. Lassen Sie Ihren 80-jährigen Großvater auf Designelemente klicken. Fragen Sie ihn, wo er sich gerade befindet und wo er schon war. Ändern Sie Ihren Prototypen entsprechend und testen Sie ihn noch einmal. Literatur und Links Krug, Steve (2002). Don't make me think! Web Usability das intuitive Web. Bonn: mitp Eine anschauliche und temperamentvolle Einführung in allgemeine Usability-Prinzipien. National Institute on Aging und National Library of Medicine (Hrsg.) (2001). Making Your Web Site Senior Friendly. <http://usability.gov/checklist.pdf>. Die Design-Richtlinien dieser Checkliste beruhen auf Forschungsergebnissen. Die Richtlinien selbst sind ein Beispiel für eine seniorenfreundliche Textaufbereitung. Becker, S.A. (2003). Web Accessibility for Older Adults. <www.cba.nau.edu/beckera/accessibility/main.html> - (aufgerufen: 31. März 2004). Die Seite listet Software-Tools auf, die Websites auf ihre Eignung für ältere Menschen überprüfen. SilverSurfers <www.silversurfers.net> (ohne Datum). Ein Vorbild. SilverSurfers über sich selbst: SiIverSurfers provides the guiding hand that can bridge the gap between uncertainty and understanding, between struggling and succeeding, between confusion and clarity, between interest and involvement, between frustration and fun. Enjoy. Enjoy. Enjoy. Quelle: <http://www.silversurfers.net/about.html> 8
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