Qualitative Online-Forschung - Interview mit Herrn Dirk Weller, psychonomics AG



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Transkript:

Qualitative Online-Forschung - Interview mit Herrn Dirk Weller, psychonomics AG Kurzeinführung zum Thema Qualitative Online-Forschung - ein aktuelles Stichwort: In Branchenforen, auf Kongressen, unter Sozialforschern fällt es immer häufiger. Doch zugleich ist es für die meisten noch von einem geheimnisvollen Dunst des Unbekannten umgeben. Auch viele Forscher selbst sind derzeit ambivalent - Was kommt da auf uns zu? Wird hier etwa der altgediente Moderator wegrationalisiert? Soll qualitative Forschung mal wieder in eine unpassende Schematisierung und Technisierung gepresst werden? Passt das überhaupt zusammen? Für die Überwindung solcher diffusen Sorgen gibt es jedoch gute Gründe, so psychonomics-experte Dirk Weller. Sehr geehrter Herr Weller, Frage 1: Bereits im Jahr 2000 wurden Online-Fokusgruppen in das Methodenportfolio der psychonomics AG aufgenommen, verschwanden dann aber lange Zeit in der Versenkung. Worauf ist das wiederaufkeimende Interesse an dieser Methode zurückzuführen? Kurz gesagt: Die Zeit ist jetzt reif! Die Technik bietet ungleich spannendere Möglichkeiten als damals. Dazu kommt: Die Menschen sind jetzt erst richtig im Internet angekommen die Medienkompetenz ist in diesem Bereich enorm gewachsen, sowohl in die Tiefe als auch in die Breite. Das betrifft natürlich zum einen die Bevölkerung, aber auch die Auftraggeber. Online-Befragungen an sich sind immer mehr Menschen vertraut, der Schritt zu einer qualitativen Befragung ist nicht mehr so groß. Dazu kommt: Auch die Globalisierung ist in

den letzten 10 Jahren mächtig vorangeschritten. Immer mehr internationale Studien unter immer größerem Zeitdruck da bietet sich auch bei qualitativer Forschung die Nutzung des Online-Mediums an. B2B- oder Expertenstudien in mehreren Ländern, weitverteilte Zielgruppen das lässt sich offline oft kaum noch realisieren. Außerdem spielt uns bei der Rekrutierung die Nutzung von hervorragenden Panels in die Hand. Frage 2: Auch wenn Online-Fokusgruppen ein allgemein bekannter Begriff sind, verbergen sich dahinter verschiedene Variationen. Welche Vorgehensweisen werden genau unterschieden? Eine ganz grundsätzliche Unterscheidung betrifft die zeitliche Direktheit der Kommunikation, also die Frage, ob alle Teilnehmer gleichzeitig diskutieren - was man eine synchrone Gruppe nennt - oder ob man sich innerhalb einiger Tage zeitlich verteilt zu den Fragen sowie zu Antworten anderer Teilnehmer äußert, was einer asynchronen Gruppe entspricht - da Frage und Antwort um Stunden oder Tage versetzt sein können. Beide Modi haben spezifische Stärken. Eine weitere wichtige Unterscheidung sind die verfügbaren Kommunikations- Kanäle. Mittlerweile können Moderatoren, unter Nutzung von Multi-Media- Technik, Testmaterialien wie Bilder, Filme, Websites darbieten. Die Diskussion selbst kann über die Tastatur, über Audioverbindung und Video-Fenster laufen. Auch der ergänzende Einsatz der klassischen Telefonleitung hat sich im Einzelfall bewährt.

Frage 3: Wie können wir uns den organisatorischen und zeitlichen Ablauf vorstellen? Wie so häufig bei qualitativer Forschung ist der Ablauf nicht wirklich standardisierbar. Die Methode und der Prozess müssen sich den Gegebenheiten und der Fragestellung anpassen. Und gerade diese Flexibilität der Methode und des Ablaufs wird durch das Online-Medium noch weiter erhöht. Der Zeitaufwand ist nicht automatisch geringer als bei konventionellen Verfahren, aber bestimmte Projekte lassen sich konkurrenzlos schnell abwickeln. Dennoch muss man sein Vorgehen sehr genau und methodenspezifisch durchdenken: Es ist nicht möglich, die traditionelle Arbeitsweise einfach online durchzuführen das Medium hat seine eigene Logik und Anforderungen, es ist eine eigene Methode. Wichtig zu wissen ist, dass die Durchführung von jedem Ort aus moderiert, aber auch beobachtet und kontrolliert werden kann - neue Möglichkeiten auch für die Auftraggeber. Frage 4: Zum Thema Auftraggeber: Für welche Fragestellungen bieten sich Online- Fokusgruppen insbesondere an? Wir staunen derzeit selbst über die Breite der Einsatzmöglichkeiten. Anfängliche Bedenken über Themeneinschränkungen mussten wir teilweise bereits revidieren. Selbst die Betrachtung von über 15 Finanzdienstleistungs- Anzeigen kann spannend genug sein, dass in einer Gruppe über 100 Seiten Transkript entstehen. Ein reiner Text-Chat scheint uns dabei, unabhängig vom Thema, heute nicht mehr zeitgemäß. Das Arbeiten mit einem textgestützten Chat kann eine einzelne Sequenz, beispielsweise eine Kreativ-Phase, sehr gut unterstützen, aber es lässt nicht die lebendige Beziehungsebene entstehen, die sich bei

Voice-over-IP oder bei einem mehrtägigen Forum ergibt. Daher empfehlen wir bei Fragestellungen, bei denen es um Motive und Unbewusstes, um Emotionen und innere Konflikte geht, immer eine Umsetzung über ein Audio-Tool oder über ein mehrtägiges Setting. Frage 5: Welche Anforderungen stellen sich an den Moderator, insbesondere im Vergleich zu herkömmlichen qualitativen Gruppendiskussionen? Der Moderator sollte sehr sensibel und flexibel auf subtile Beziehungssignale eingehen können, um auch ohne den direkten Kontakt schnell eine entspannte, positive Beziehungsebene aufzubauen. Bei Foren-Gruppen darf er sich jedoch zugleich nicht scheuen, in der Anfangsphase auch stark aktivierend zu agieren, damit der Prozess eine gute Dynamik entwickelt, die sich dann von selbst aufrechterhält. Er sollte besonders kompetent darin sein, seine eigenen Projektionen und Übertragungen auf die Teilnehmer zu bemerken und angemessen distanziert zu interpretieren. Was man leicht unterschätzt ist die Informationsfülle, mit der der Moderator konfrontiert wird. Sei es die Textfülle in einem asynchronen Forum oder die hohe Dynamik einer synchronen Audiogruppe mit einem integrierten Textchat, verdeckten Botschaften, Auftraggeber-Anregungen und so weiter. Gerade die synchronen Verfahren profitieren von einem gut eingespielten Ko-Moderator, der auch die technische Seite mit absichern kann.

Frage 6: Online-Fokusgruppen und Telefon-Fokusgruppen stellen alternative Methoden zur traditionellen Vorgehensweise dar. Warum gewinnt im Vergleich dieser beiden Außenseiter-Verfahren Ihrer Meinung nach die Online-Version? Auch Telefon-Gruppen sind nicht zu unterschätzen nicht ohne Grund gibt es in den Vereinigten Staaten schon lange Jahre erfolgreiche Anbieter. Und auch bei uns wächst beispielsweise nach wie vor die Rolle des qualitativen Telefoninterviews mit ein oder auch zwei Gesprächspartnern. Allerdings sind bei telefonischer Befragung die Möglichkeiten ungleich begrenzter. Das betrifft ganz offenkundig die Darbietung von visuellem Material. Natürlich kann man Materialien vorher per Post oder E-Mail verschicken, aber wenn ich etwas in einer fundierten Studie zunächst nur 3 Sekunden und dann erst dauerhaft darbieten will, geht das nur Online sauber. Doch der noch wichtigere Punkt ist die Kommunikation selbst. Eine Telefon- Konferenz ist bei 4-5 Teilnehmern noch handhabbar, danach geht entweder die Steuerbarkeit oder die Lebendigkeit verloren. Online gibt es diese Grenze nicht, auch zwanzig Teilnehmer sind möglich. Das gemeinsame, für alle sichtbare Agieren auf einer Webseiten-Oberfläche verbindet alle Teilnehmer und man kann auch in seinen Redepausen aktiv sein. Das Rederecht wird durch eine intelligente Sprecherliste verwaltet, was zu einer konzentrierten, engagierten, absolut gleichberechtigten und emotional hochauthentischen Kommunikationsverfassung führt.

Frage 7: Es handelt sich bei qualitativer Online-Marktforschung um einen noch sehr jungen Forschungszweig, daher ist anzunehmen, dass sich die bisherigen Methoden noch weiter ausdifferenzieren werden. Was, glauben Sie, wird uns im Hinblick auf Online- Fokusgruppen in Zukunft erwarten? Wir hoffen und gehen davon aus, dass einiges in naher Zukunft zu Routine wird, was derzeit noch eine technische Herausforderung ist - auf Seiten der Durchführenden und auf Seiten der Teilnehmer. Stichworte sind hier sicherlich Audio und Video, aber auch Mobil- Kommunikation und entsprechende Mixed-mode-Designs. Wir hoffen aber auch darauf, dass die rasante technische und mediale Evolution uns mit weiteren Möglichkeiten überrascht, an die wir heute noch gar nicht denken!