Wie wirkt Prednison? Warum nicht immer?



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Transkript:

Wie wirkt Prednison? Warum nicht immer? Andreas W. Jehle Transplantationsimmunologie und Nephrologie, Universitätsspital Basel Quintessenz P Glukokortikoide wie Prednison spielen bei der Therapie vieler Patienten mit entzündlichen und/oder autoimmunen Erkrankungen eine Schlüsselrolle, jedoch nur auf Zeit. Eine Dauertherapie mit systemischen Glukokortikoiden ist wegen der gravierenden Nebenwirkungen problematisch. Ein zusätzliches Problem stellt das Therapieversagen dar, die sogenannte Glukokortikoidresistenz. P Glukokortikoide sind Liganden des Glukokortikoidrezeptors (GR), von dem es verschiedene Spielformen (Isoformen) gibt. Zudem besteht der GR aus funktionellen Untereinheiten, die durch natürliche oder pharmakologische Liganden unterschiedlich modifiziert werden. Dies erklärt, warum je nach Zelltyp und Ligand eine andere biologische Wirkung auftritt. P Die klassische Wirkung der Glukokortikoide erfolgt genomisch, d.h. durch Regulation der Transkription, welche molekular durch verschiedene Mechanismen erfolgt. Viele metabolische Nebenwirkungen der Glukokortikoide treten nur auf, wenn sich der GR als Homodimer direkt an die bindet. P Neuere, selektive Modulatoren des GR, welche zu keiner Dimerisierung des GR führen, wirken gut antientzündlich, ohne schwere metabolische Nebenwirkungen aufzuweisen. Das Potential dieser neuen Substanzen ist gross, auch wenn der Nachweis eines Benefits in klinischen Studien noch erfolgen muss. Andreas W. Jehle Der Autor hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Prednison ist einer der wichtigsten Vertreter der therapeutisch eingesetzten Glukokortikoide. Prednison wirkt vor allem über die Bindung an den Glukokortikoidrezeptor (GR) im Zytoplasma von Zellen [1]. Der auf diese Weise aktivierte GR kann in den Zellkern wandern und dort die Transkription von Genen regulieren. Zusätzlich sind unterschiedliche, nicht-genomische Effekte der Glukokortikoide bekannt, die nicht über die Regulation der Transkription erfolgen. Der wichtigste natürliche Ligand des GR ist das Kortisol, das in der Nebennierenrinde aus Cholesterin gebildet wird. Die biologische Wirkung des Kortisols ist ausgesprochen vielfältig. Therapeutisch werden Glukokortikoide in der täglichen Praxis insbesondere für die Behandlung vieler Patienten mit entzündlichen und/oder autoimmunen Erkrankungen wie beispielsweise Asthma bronchiale, rheumatoider Arthritis oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen mit grossem Erfolg eingesetzt. Andere entzündliche Krankheiten wie beispielsweise die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) sind auf die Therapie mit Glukokortikoiden weitgehend resistent [2, 3]. Eine weitere Limitation der Glukokortikoide sind die zahlreichen Nebenwirkungen [4]. Wie der Name schon sagt, haben die Glukokortikoide einen starken Einfluss auf den Glukosemetabolismus. Eine der häufigsten Nebenwirkungen therapeutisch eingesetzter Glukokortikoide ist denn auch die Entwicklung eines Diabetes mellitus. In diesem Artikel wird nach einer kurzen Einführung in die molekularen Grundlagen einer chronischen Entzündung ein Einblick in die molekularen Wirkungsmechanismen der Glukokortikoide bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen gegeben. Das Ziel ist dabei, einige allgemeine Angriffspunkte und Wirkungsmechanismen der Glukokortikoide aufzuzeigen, um damit das Verständnis für die Wirkung dieser wichtigen Medikamentenklasse aufzufrischen und exemplarisch zu ergänzen. In einem weiteren Abschnitt wird das klinisch relevante Problem der Glukokortikoidresistenz am Beispiel der COPD erläutert. Am Schluss erfolgt ein Ausblick auf neuere, sogenannt selektive GR-Modulatoren, mit denen das Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil der Glukokortikoide potentiell stark optimiert werden kann. Molekulare Mechanismen einer chronischen Entzündung Chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Asthma bronchiale, rheumatoide Arthritis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder COPD sind alle durch eine Infiltration und Aktivierung verschiedener Entzündungszellen gekennzeichnet, die eine ganze Reihe von Entzündungsproteinen exprimieren und teilweise auch sezernieren. Das Spektrum reicht dabei von proinflammatorischen Zytokinen und Zytokinrezeptoren über Adhäsionsmoleküle, die für die Infiltration und das Homing der Entzündungszellen wichtig sind, bis zur Expression von Proteasen, die durch Auflösung von Proteinen zur Gewebezerstörung einer überschiessenden Entzündung beitragen [5]. Die verstärkte Expression dieser Entzündungsproteine ist auf der Ebene der Transkription durch proinflammatorische Transkriptionsfaktoren reguliert. Einer der wichtigsten Transkriptionsfaktoren ist der nukleäre Faktor kappa B (NF-kB), welcher beispielsweise in den Atemwegen bei Asthmapatienten, aber auch in den Gelenken von Patienten mit rheumatoider Arthritis aktiviert ist. Bei der Regulierung der Expression von Entzündungsgenen spielt die Organisation des Chromatins eine zentrale Rolle [6]. Stimuli, welche die Transkription von Entzündungsgenen aktivieren, verändern die Chromatinstruktur, ein Vorgang, der durch Glukokortikoide revertiert werden kann. Zum besseren Verständnis dieses Vorgangs und der Glukokortikoidwirkung widmet sich der nachfolgende Abschnitt der Chromatinstruktur. CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 466 oder im Internet unter www.smf-cme.ch. Schweiz Med Forum 2011;11(27):473 477 473

RNA Histon HAT Histon- Azetylierung Abbildung 1 Regulation der Transkription durch Histonazetylierung. Chromatin besteht aus und Histonen. Kofaktoren der Transkription interagieren mit Transkriptionsfaktoren wie dem nukleären Faktor kappa B (), wodurch die Histon-Azetyl-Transferase (HAT) aktiviert wird. Die daraus folgende Azetylierung von Histonen bewirkt eine Öffnung der Chromatinstruktur, so dass sich die RNA-Polymerase an die binden und in der Folge die Transkription initiiert werden kann (modifiziert nach [2]). Regulation der Genexpression durch die Chromatinstruktur Chromatin besteht aus sowie Histonen (Abb. 1 x). Histone sind Proteine, welche das Rückgrat der Chromosomen bilden. Es ist schon lange bekannt, dass Histone eine kritische Rolle in der Regulation der Genexpression spielen. In einer ruhenden Zelle ist die ganz dicht um die Histonproteine gewickelt, wodurch die RNA- Polymerase, welche die Geninformation abliest und die Boten-RNA, die sogenannte mrna (für «messenger RNA»), bildet, ausgeschlossen wird. Die Transkription erfolgt nur, wenn die Chromatinstruktur geöffnet wird, so dass sich die RNA-Polymerase an die binden kann. Für dieses Remodeling des Chromatins werden die Histonproteine enzymatisch u.a. durch Azetylierung verändert (Abb. 1). Für die Transkription von Entzündungsgenen ist es notwendig, dass proinflammatorische Transkriptionsfaktoren wie NF-kB mit Koaktivatoren interagieren, welche eine Azetylierung der entsprechenden Genabschnitte bewirken können, das heisst als Histon-Azetyl-Transferasen (HAT) fungieren. Dieser Prozess ist reversibel und wird durch Histon-Azetyl-Deazetylasen (HD) katalysiert. Beim Asthma bronchiale beispielsweise ist die Expression von HAT erhöht und die Expression und Aktivität von HD vermindert, was die Transkription von Entzündungsgenen begünstigt. Molekulare Wirkungsweise der Glukokortikoide Der Glukokortikoidrezeptor (GR) spielt bei der Wirkung der Glukokortikoide eine zentrale Rolle. Es gibt nur ein Gen für den menschlichen GR. Die Transkription des Gens wie auch die Verarbeitung der mrna sind allerdings unterschiedlich, weshalb es verschiedene Isoformen des GR gibt [1]. Zusätzlich kann der GR beispielsweise durch das Anhängen oder Abtrennen von Phosphatgruppen (Phosphorylierung, De-Phosphorylierung) modifiziert werden. Obschon wir also nur ein Gen für den GR haben, gibt es eine Vielzahl verschiedener Genprodukte. Dies erklärt nicht nur die grosse Diversität in der biologischen Wirkung des Kortisols, sondern birgt auch die Chance, dass durch pharmakologische Interaktion mit einer speziellen Spielform des GR selektive Effekte erzielt werden können. Der GR besteht aus drei verschiedenen Domänen oder Modulen (Abb. 2 x), wobei das eine Modul Kortisol oder einen pharmakologischen Liganden an sich bindet. Ein zweites Modul kann sich an die binden. Schliesslich kann ein drittes Modul mit anderen Transkriptionsfaktoren und/oder deren Kofaktoren interagieren. Am besten bekannt sind die antientzündlichen Wirkungen der Glukokortikoide durch Bindung an den GR im Zytoplasma der Zelle (Abb. 3 x). Durch diese Bindung wird der Rezeptor aktiviert, und es spalten sich Begleitproteine, sogenannte Chaperons, ab. Der aktivierte GR wandert in der Folge in den Zellkern. Innerhalb des Zellkerns erfolgt die biologische Wirkung durch Regulation der Genexpression. Letztere kann auf zwei verschiedene Arten erfolgen. Erstens können sich zwei GR als Homodimere direkt an die binden, an ein sogenanntes glucocorticoid-responsive element (GRE) (Abb. 3). Dadurch kann die Expression von Genen direkt aktiviert oder in gewissen Fällen auch gehemmt werden. Wichtig ist, dass viele der unerwünschten Wirkungen der Glukokortikoide durch diesen ersten Mechanismus bedingt sind. Die Zahl der Gene, die durch die direkte Interaktion mit einem GRE reguliert werden, ist relativ klein, und es werden dazu hohe Glukokortikoidkonzentrationen benötigt. Interessanterweise besitzen viele Gene, die bei Asthma bronchiale aktiviert sind, kein GRE, obschon sie durch Glukokortikoide stark gehemmt werden [2]. Es ist deshalb fraglich, wieweit die direkte Regulierung der Transkription über den geschilderten Mechanismus für die antientzündliche Aktivität der Glukokortikoide bedeutend ist. Ein weiterer Hinweis dafür, dass diesem Mechanismus allenfalls eine untergeordnete Bedeutung zukommt, stammt von einem Tiermodell. So wirken Glukokortikoide bei Mäusen mit einem mutierten GR, der sich nicht mehr direkt an die binden kann, immer noch stark antiinflammatorisch [7]. Das heisst, dass ein wesent- Schweiz Med Forum 2011;11(27):473 477 474

A Ligand Ligandenbindung -Bindung Bindung an Kofaktoren B Glukokortikoidrezeptor (GR) U GR GRE ballview.org DNS Abbildung 2 Moduläre Struktur des Glukokortikoidrezeptors. A Der Glukokortikoidrezeptor (GR) besteht aus drei funktionellen Modulen, einem für die Ligandenbindung, einem für die Bindung an die im Bereich eines glucocorticoid-responsive element (GRE) und einem dritten Modul für die Bindung an Transkriptionsfaktoren und deren Kofaktoren. B Detailliertes Modell für die Interaktion der -Bindungsdomäne mit der (Bild erstellt mit Software von ballview.org [13]). licher Teil des antientzündlichen Effekts der Glukokortikoide auf Ebene der Transkription wahrscheinlich über einen anderen Mechanismus erfolgt. Dabei interagiert der GR mit anderen Transkriptionsfaktoren wie beispielsweise NF-kB, wodurch die Transkription einer Vielzahl von Entzündungsgenen gehemmt wird. Bei dieser indirekten Wirkung der Glukokortikoide über die Aktivität anderer Transkriptionsfaktoren wird insbesondere die Azetylierung von Histonen vermindert, wodurch die Transkription abgeschaltet wird. Im Detail erfolgt dies durch die Bindung des GR an Kofaktoren der Transkription und Hemmung deren HAT-Aktivität (Abb. 3) [2]. Alternativ kann die Azetylierung von Histonen vermindert werden, indem durch den aktivierten GR Histon-Deazetylasen (HDs) rekrutiert werden (Abb. 3). Unklar ist nach wie vor, warum Glukokortikoide über diesen Mechanismus selektiv die Transkription von Entzündungsgenen abschalten können. Möglicherweise liegt das daran, dass der aktivierte GR besonders an Transkriptionskofaktoren bindet, die mit proinflammatorischen Transkriptionsfaktoren interagieren [2]. Neben den genomischen Wirkungen der Glukokortikoide über die Regulation der Transkription können Glukokortikoide auch die mrna-stabilität beeinflussen oder über direkte Interaktionen mit Membranlipiden (Veränderung der Membranfluidität), Membranproteinen (beispielsweise Ionenkanäle) oder Proteinen im Zytoplasma wirken [8]. Teils sind diese Effekte direkt durch die Glukokortikoide bedingt, teils jedoch auch durch den aktivierten GR, der mit zytoplasmatischen Proteinen, Ionenkanälen oder Rezeptoren an der Zellmembran interagiert. Eine nicht-genomische Wirkung kann durch Beeinflussung von Ionenkanälen und der intrazellulären Signalvermittlung (Effekt auf sogenannte second messenger) sehr rasch erfolgen. Im Gegensatz dazu brau- Glukokortikoide UGR UGR 1 Chaperons Homodimer UGR UGR Transkription mrna GRE Zellkern 2 U HAT Zellmembran - GR HD Deazetylierung STOP Abbildung 3 Molekulare Wirkung des Glukokortikoidrezeptors über die Regulation der Transkription. Glukokortikoide passieren die Zellmembran und binden im Zytoplasma an den Glukokortikoidrezeptor (GR), worauf sich Begleitproteine (Chaperons) vom Rezeptor ablösen. Als Homodimer bindet der GR im Zellkern an die im Bereich von glucocorticoid-responsive element (GRE), wodurch die Transkription von Genen reguliert wird. Alternativ kann sich der GR als Monomer an Transkriptionsfaktoren oder deren Kofaktoren binden. Bei diesem zweiten Mechanismus hemmt der GR typischerweise die Histon-Azetylase (HAT) und rekrutiert eine Histon- Deazetylase (HD), wodurch die Transkription gehemmt wird. Schweiz Med Forum 2011;11(27):473 477 475

Entzündungsmediatoren Alveolar- Makrophage Asthma Histon- Azetylierung Reiz HD UGR HD chen genomische Effekte über die Regulation der Transkription Zeit (mindestens 5 bis 15 Minuten oder sogar mehrere Stunden). Viele der biologischen Effekte der Glukokortikoide sind schliesslich das Resultat von genomischen und nicht-genomischen Effekten. Als wichtiges Bespiel dazu sei der Effekt auf den Zelltod eosinophiler Granulozyten genannt, der für die Wirkung der Glukokortikoide bei Asthma bronchiale als zentral gilt [9]. Ähnliches gilt für die immunmodulatorischen Wirkungen der Glukokortikoide auf Lymphozyten [10]. Glukokortikoidresistenz Histon- Azetylierung COPD Asthma + Rauchen Oxidativer Stress Entzündungsmediatoren Abbildung 4 Modell der Glukokortikoidresistenz bei COPD. Die Stimulation von Alveolarmakrophagen aktiviert proinflammatorische Transkriptionsfaktoren wie den nukleären Faktor kappa B (), was zur Azetylierung von Histonen führt und in der Folge zur Transkription von Entzündungsgenen. Glukokortikoide stoppen diesen Vorgang durch Bindung an den Glukokortikoidrezeptor (GR) und Rekrutierung der Histon-Deazetylase (HD), wodurch die durch induzierte Azetylierung und Aktivierung von Entzündungsgenen gehemmt wird. Bei Patienten mit COPD oder Asthmapatienten, die rauchen, ist die Aktivität der HD wegen verstärkten oxidativen Stresses deutlich vermindert, was die Aktivität von verstärkt und das Ansprechen auf Glukokortikoide vermindert, d.h., es resultiert eine Glukokortikoidresistenz (modifiziert nach [2]). Besonders gut bekannt ist, dass COPD-Patienten im Vergleich zu Patienten mit Asthma bronchiale schlecht auf Glukokortikoide ansprechen. Daneben gibt es chronischentzündliche Erkrankungen wie die rheumatoide Arthritis, den Morbus Crohn oder die Colitis ulcerosa, bei denen Glukokortikoide bei vielen, jedoch nicht bei allen Patienten eine gute Wirkung zeigen. Für die Glukokortikoidresistenz sind heute verschiedene Mechanismen bekannt, wobei selbst bei der gleichen Erkrankung verschiedene Mechanismen beteiligt sein können [3]. Im Folgenden wird im Sinne eines Beispiels ein Hauptmechanismus der Glukokortikoidresistenz anhand der COPD erläutert. Bei Alveolarmakrophagen von Patienten mit COPD ist die Deazetylierung von Histonen stark vermindert. Dies hängt mit einer verminderten Aktivität der HD zusammen, welche bei Patienten mit schwerer COPD deutlich weniger exprimiert und durch oxidativen Stress noch zusätzlich in ihrer Aktivität gehemmt wird (Abb. 4 x) [2]. Dies kann die schlechte Wirkung von Glukokortikoiden bei der COPD gut erklären, da deren antientzündliche Effekte ganz wesentlich von der Rekrutierung der HD abhängen. Auf ähnliche Weise kann bei Rauchern mit Asthma bronchiale die Aktivität der HD auch massiv reduziert sein (Abb. 4), was gut erklärt, warum Raucher mit Asthma bronchiale ebenfalls deutlich weniger gut auf topische oder sytstemische Glukokortikoide ansprechen. Ausblick zur Optimierung der Therapie mit Glukokortikoiden bzw. nicht-steroidalen Glukokortikoidmodulatoren Der klinische Einsatz der Glukokortikoide ist limitiert wegen dosisabhängiger Nebenwirkungen. In Bezug auf Asthma war sicher die Entwicklung von topischen Steroidpräparaten ein Meilenstein, welche vorwiegend lokal wirken und den Einsatz systemischer Glukokortikoide deutlich vermindern konnten. Bei Erwachsenen mit langdauernder systemischer Applikation von Glukokortikoiden stehen häufig die metabolischen Auswirkungen mit Ausbildung einer Stammadipositas und der Entwicklung eines Diabetes mellitus sowie die Gefahr der Entwicklung oder Zunahme einer Osteoporose im Vordergrund. Wie zuvor geschildert, besteht ein weiteres Problem in der Glukokortikoidresistenz. Durch die Fortschritte im Verständnis der molekularen Angriffspunkte und Wirkungsmechanismen der Glukokortikoide besteht grosse Hoffnung, selektive Glukokortikoidrezeptoragonisten oder -modulatoren zu finden, die gut entzündungshemmend wirken und gleichzeitig weniger Nebenwirkungen aufweisen. Wie zuvor geschildert, sind die unerwünschten Wirkungen häufig Folge der direkten Bindung des aktivierten GR als Homodimer an die, wohingegen die Interaktion eines GR (als Monomer) mit proinflammatorischen Transkriptionsfaktoren und deren Kofaktoren die Expression vieler Entzündungsproteine gut hemmen kann. Besonders vielversprechend sind neuere Forschungsresultate mit sogenannt nicht-steroidalen GR-Modulatoren wie dem Compound A (CpdA) [11]. CpdA ist ein relativ kleines Molekül (Abb. 5 x), das aus einer namibischen Wüstenpflanze stammt. Der selektive oder dissoziierte Effekt von CpdA kann u.a. dadurch erklärt werden, dass der durch CpdA aktivierte GR keinen Homodimer bilden kann (Abb. 5). Zusätzlich rekrutiert der durch CpdA aktivierte GR ein anderes Set von Kofaktoren der Transkription. Man geht heute davon aus, dass nur kleine Veränderungen in der Struktur des GR-Liganden einen grossen Einfluss auf das Profil der Genexpression haben. Ein weiterer, zukunftsweisender Ansatz besteht darin, die Glukokortikoidresistenz zu durchbrechen oder deren Ursache zu beheben. Dies kann beispielsweise bei Asthmatikern durch Rauchstopp erreicht werden. Mechanistisch ist dies durch die fehlende, raucherbedingte Hemmung der HD respektive die erneut funktionierende Deazetylierung der Histone von Entzündungsgenen erklärbar. Interessanterweise wirkt Theophyllin, dessen Wirkung in der Therapie des Asthma bronchiale wie auch der COPD klassischerweise durch einen antientzündlichen und bronchodilatatorischen Effekt erklärt wird, u.a. Schweiz Med Forum 2011;11(27):473 477 476

A Steroidaler GR Agonist Prednison B Nicht-steroidaler GR Modulator CpdA O Cl CH 3 CH 3 C O CH CH 2 NH 2 Cl Selektive(re) Wirkung Abbildung 5 Differenzierte Regulation der Transkription durch selektive Glukokortikoidrezeptormodulatoren. A Klassische Glukokortikoidrezeptor-(GR-)Liganden wie Prednison regulieren die Transkription über zwei verschiedene Mechanismen. Einerseits bewirkt Prednison eine Homodimerisierung des GR mit konsekutiver Bindung des Homodimers an ein glucocorticoid-responsive element (GRE). Andererseits kann der an Prednison gebundene GR mit anderen Transkriptionsfaktoren oder deren Kofaktoren interagieren. Währenddem der erste Mechanismus für viele metabolische Nebenwirkungen der Glukokortikoide verantwortlich ist, führt der zweite Wirkungsmechanismus über die Hemmung der Histon-Azetylase (HAT) und Rekrutierung der Histon-Deazetylase (HD) zur Hemmung proinflammatorischer Transkriptionsfaktoren wie des nukleären Faktors kappa B (). B Neuere, zum Teil nicht-steroidale Glukokortikoidrezeptormodulatoren, wie der Compound A (CpdA), lassen keine Homodimerbildung des GR zu und wirken insbesondere über Hemmung der HAT und Rekrutierung der HD, was das günstigere Wirkungs-Nebenwirkungs-Profil von CpdA erklärt. durch Hemmung von Phosphodiesterasen, auch über eine Aktivierung der HD. Dieser Effekt von Theophyllin konnte in Alveolarmakrophagen von COPD-Patienten gezeigt werden, bei denen therapeutische Konzentrationen von Theophyllin (10 5 bis 10 6 molar) die HD-Aktivität um das Sechsfache erhöhten. Der Effekt von Theophyllin auf die HD erfolgt über eine Hemmung der Phosphoinositolkinase 3 delta (PI3Kd) [3, 12]. Aus diesem Grund sind selektive PI3Kd-Inhibitoren potentiell neue Medikamente, um die Glukokortikoidresistenz zu durchbrechen. Zusammenfassend sind die neueren Erkenntnisse über die molekularen Wirkungsmechanismen der Glukokortikoide nicht nur sehr interessant, sondern sie zeigen verschiedene Möglichkeiten auf, die Therapie von entzündlichen und potentiell auch verschiedenen anderen Erkrankungen durch Modulation der Glukokortikoidwirkung und eine selektive(-re) Interaktion mit dem GR weiter zu verbessern. Wir sind wahrscheinlich erst am Anfang einer spannenden (Erfolgs-)Geschichte, deren Ausgang möglicherweise die Behandlung vieler unserer Patienten beeinflussen wird. Verdankung Der Autor dankt folgenden Kolleginnen und Kollegen für die sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und verschiedene Anregungen und Diskussionen: Frau Prof. B. C. Biedermann (Arztpraxis in 8345 Adetswil), Frau Dr. med. C. Rosamilia (Assistenzärztin, Medizinische Universitätsklinik, Kantonsspital Bruderholz) und Herrn Prof. S. Krähenbühl (Chefarzt, Abteilung Klinische Pharmakologie & Toxikologie, Universitätsspital Basel). Korrespondenz: Dr. med. Andreas W. Jehle Transplantationsimmunologie und Nephrologie Universitätsspital Basel CH-4031 Basel andreas.jehle@unibas.ch Empfohlene Literatur Rhen T, Cidlowski JA. Antiinflammatory action of glucocorticoids new mechanisms for old drugs. N Engl J Med. 2005;353(16):1711 23. Barnes PJ. How corticosteroids control inflammation: Quintiles Prize Lecture 2005. Br J Pharmacol. 2006;148(3):245 54. Reichardt HM, et al. Repression of inflammatory responses in the absence of binding by the glucocorticoid receptor. Embo J. 2001;20(24):7168 73. Druilhe A, Letuve S, Pretolani M. Glucocorticoid-induced apoptosis in human eosinophils: mechanisms of action. Apoptosis. 2003;8(5):481 95. De Bosscher K, Haegeman G, Elewaut D. Targeting inflammation using selective glucocorticoid receptor modulators. Curr Opin Pharmacol. 2010;10(4):497 504. Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie unter www.medicalforum.ch. Schweiz Med Forum 2011;11(27):473 477 477

Wie wirkt Prednison? Warum nicht immer? / Comment agit la prednisone? Pourquoi pas toujours? Literatur (Online-Version) / Références (online version) 1 Rhen T, Cidlowski JA. Antiinflammatory action of glucocorticoids new mechanisms for old drugs. N Engl J Med. 2005;353(16):1711 23. 2 Barnes PJ. How corticosteroids control inflammation: Quintiles Prize Lecture 2005. Br J Pharmacol. 2006;148(3):245 54. 3 Barnes PJ, Adcock IM. Glucocorticoid resistance in inflammatory diseases. Lancet. 2009;373(9678):1905 17. 4 Moghadam-Kia S, Werth VP. Prevention and treatment of systemic glucocorticoid side effects. Int J Dermatol. 49(3):239 48. 5 Barnes PJ. Mediators of chronic obstructive pulmonary disease. Pharmacol Rev. 2004;56(4):515 48. 6 Sanchez-Pernaute O, et al. Epigenetic clues to rheumatoid arthritis. J Autoimmun. 2008;30(1 2):12 20. 7 Reichardt HM, et al. Repression of inflammatory responses in the absence of binding by the glucocorticoid receptor. Embo J. 2001;20(24):7168 73. 8 Haller J, Mikics E, Makara GB. The effects of non-genomic glucocorticoid mechanisms on bodily functions and the central neural system. A critical evaluation of findings. Front Neuroendocrinol. 2008;29(2):273 91. 9 Druilhe A, Letuve S, Pretolani M. Glucocorticoid-induced apoptosis in human eosinophils: mechanisms of action. Apoptosis. 2003;8(5):481 95. 10 Lowenberg M, et al. Glucocorticoid signaling: a nongenomic mechanism for T-cell immunosuppression. Trends Mol Med. 2007;13(4):158 63. 11 De Bosscher K, Haegeman G, Elewaut D. Targeting inflammation using selective glucocorticoid receptor modulators. Curr Opin Pharmacol. 10(4):497 504. 12 To Y, et al. Targeting phosphoinositide-3-kinase-delta with theophylline reverses corticosteroid insensitivity in chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med. 182(7):897 904. 13 Moll A, et al. BALLView: a tool for research and education in molecular modeling. Bioinformatics. 2006;22(3):365 6.