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AUSGEWÄHLTE TEXTE Ein Bericht von Stefan Krikowski TRIUMPH ÜBER STALIN Eine Veranstaltung aus Anlass des Weltfrauentags Rosel Blasczyk und Helga Sperlich haben eine lange Reise auf sich genommen, um in Berlin auf Einladung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur anlässlich des Weltfrauentags am 8. März zum Thema "Frauen im Gulag 1938 1955" als Zeitzeuginnen Auskunft zu geben. Weit über hundert Menschen sind gekommen, um ihren Lebensgeschichten zu lauschen. Die Veranstaltung findet ausgerechnet an Stalins Todestag statt. "Der Hund ist verreckt!" jubeln die Arbeitssklaven überall in den GULags, als sie von seinem Tod am 5. März 1953 erfahren. Ob sie nach der Nachricht vom Tod des Diktators auch Freude empfinden konnten? Zu dieser Frage äußern sich die beiden Frauen zunächst nicht. Vermutlich hatten die harten Jahre der Zwangsarbeit sie "abgestumpft" ein Wort, das Rosel Blasczyk an diesem Abend des Öfteren in den Mund nimmt. Aber stolz wirken die beiden hochbetagten Damen, wie sie so gepflegt und adrett gekleidet auf dem Podium sitzen. Bei der Begrüßung gibt es Komplimente. Sie sähen schön aus, vielleicht sogar noch schöner als beim letzten Treffen. Verlegen aber selbstbewusst nehmen sie die Komplimente entgegen. Foto: Margreet Krikowski Rosel Blasczyk ist mit ihrer Tochter aus der Pfalz angereist, Helga Sperlich aus Baden-Württemberg. Die beiden Frauen lernen sich erst am Vorabend der Veranstaltung kennen, aber ihre Biografien haben Gemeinsamkeiten. Beide erleben Flucht und Vertreibung am Ende des 2. Weltkrieges Rosel Blasczyk aus Schlesien und Helga Sperlich aus der Mark Brandenburg. In einem Vorgespräch erwähnt Frau Sperlich, dass das Gefühl des Verlustes der Heimat stärker nachwirke als ihre Haftzeit in Workuta. Und eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass beide Frauen über Jahre Zwangsarbeit in Workuta leisten müssen.

Die Erfahrungsberichte von Rosel Blasczyk (geb. 1928) und Helga Sperlich (geb. 1932) sind schon deshalb von Bedeutung, weil sie ein Kapitel der DDR-Geschichte aufschlagen, das in der breiten Öffentlichkeit immer noch zu wenig bekannt ist. Eine Zuhörerin (83 J.) erklärte anschließend ganz erschüttert, von alldem hätte sie noch nie gehört, sie wisse auch gar nicht wo Workuta liegt. Die Geschichte der SED-Diktatur begann ja nicht erst mit dem Mauerbau 1961, den Verurteilungen zu langjährigen Zuchthausstrafen wegen versuchter Republikflucht und der Ausschaltung individueller Freiheitsrechte durch die allgegenwärtige Stasi, sondern bereits ab 1945. Die Sowjetunion hielt den Osten Deutschlands besetzt und machte sich daran, hier einen Staat gemäß ihrer politischen und gesellschaftlichen Ideologie zu errichten. Zur Absicherung dieses Ziels hatte sie auch das Repressionssystem mitgebracht, mit dem sie zunächst im eigenen Land, dann in der von ihr besetzten Zone (SBZ) und später in der auf diesem Territorium entstandenen DDR gnadenlos gegen jede Opposition vorging. Zu ihrem wichtigsten Instrumentarium gehörten zum einen die auf deutschem Boden operierenden Organe des sowjetischen Geheimdienstes (NKWD/MWD). Zum anderen hatte sich das Sowjetregime von 1945 bis 1953 (offiziell sogar bis 1955) das Recht vorbehalten, die strafrechtliche Verfolgung vermeintlicher wie tatsächlicher politischer Gegner selbst in die Hand zu nehmen. Die eigens hierfür installierten Sowjetischen Militärtribunale (SMT) verurteilten deutsche Staatsbürger ausnahmslos nach sowjetischen Strafrecht. Damit war besiegelt, dass die meisten SMT-Verurteilten in sowjetische Straflager verschleppt oder wie im Fall von über 1.000 deutschen Frauen und Männern in Moskau hingerichtet wurden. Helga Sperlich wird am 29. August 1951 in Glindow bei Werder durch Mitglieder des MfS gefangengenommen und an die Sowjetische Besatzungsmacht übergeben. Rosel Blasczyk ist zu diesem Zeitpunkt bereits über vier Jahre in der Gewalt der Sowjetmacht. Sie wird während einer Razzia auf einer Tanzveranstaltung am 26. April 1947 in Beelitz/Stadt festgenommen und nach einer Untersuchungshaft in der Potsdamer Leistikowstraße in das Speziallager Sachsenhausen gebracht ohne Gerichtsverfahren und ohne Urteil. Nach Auflösung des Speziallagers geht es für Rosel Blasczyk nach einem Fernurteil (10 Jahre) aus Moskau am 6. September 1950 in die Sowjetunion und nicht, wie bei vielen ihrer Mitgefangenen, nach Hause. Helga Sperlich wird am 8. Januar 1952 nach über vier Monaten Haft, nach brutalen Verhören und anderen Verbrechen im NKWD-Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße zusammen mit drei weiteren mitangeklagten Frauen zu 25 Jahren Straflager verurteilt.

Die sowjetische Besatzungsmacht beschuldigt beiden jungen Frauen der Spionage. Ein Begriff, der sehr weit gefasst und nach Belieben dehnbar ist. Nach ihrer Freilassung im Herbst 1955 erfährt Rosel Blasczyk, geborene Gerlach, dass eine andere Frau, die wie sie Rosel Gerlach hieß, Bekanntschaft mit einem Engländer hatte, und sie vermutet, dass ihre Leidensgeschichte dieser Namensgleichheit, bzw. Verwechselung geschuldet war. Helga Sperlich. Foto: Margreet Krikowski Helga Sperlich wird im Zusammenhang mit dem brutalen Vorgehen der Staatsorgane der DDR und der sowjetischen Besatzungsmacht gegen eine oppositionelle Jugendgruppe in Werder verhaftet. Es ist genug, dass einer ihrer Freunde ihren Namen in einem Verhör genannt hat, um Gefangengenommen und für schuldig befunden zu sein. Acht ihrer Freunde werden in unterschiedlichen Verfahren vor Sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet. Helga Sperlich muss im Gleisbau schwere körperliche Arbeit leisten. Die langen Winter in Workuta sind gnadenlos. Mit Entsetzen erinnert sie sich, wie sie in ihrem Sommerkleid im noch winterlichen Mai 1952 in Workuta ankommt. Sofort hat sie erste Erfrierungen an den Füßen. In Waggons werden die Arbeitssklaven zusammengepfercht mit minimaler Versorgung in die Polargegend kurz vor dem Ural verschleppt. Bei klarer Sicht kann sie die Bergkette am Horizont erkennen. Wenn die Purga, der Schneesturm, tobt, kann sie nicht einmal mehr ihre Hand vor Augen sehen und muss höllisch aufpassen, die Leine nicht loszulassen, an der sie und ihre Kameradinnen sich auf dem Weg zum Arbeitsplatz festhalten müssen. Ein Fehlschritt genügt, um verloren zu gehen und zu erfrieren. Rosel Blasczyk erzählt, wie schwer es war, den Lehm zu schneiden. Foto: Margreet Krikowski Rosel Blasczyks Haftzeit in Sachsenhausen von 1947 bis 1950 ist durch extreme Langweile gekennzeichnet, da die Häftlinge nicht arbeiten dürfen. Dieses "Absitzen" und "zur Untätigkeit verdammt sein", kann einen Menschen zermürben und abstumpfen lassen, wie Frau Blasczyk ihren Zustand wiederholt beschreibt. Weiterhin erschöpfend wirkt der permanente Kampf gegen Läuse und Wanzen, die aus allen Ritzen der Baracken im Lager kriechen. Hingegen sind die folgenden fünf Jahre in Workuta

durch härteste Sklavenarbeit gekennzeichnet. Die Norm erfüllt sie nie, und somit werden die Essensrationen gekürzt. Rosel Blasczyk schuftet in der Ziegelei, beim Lehmabbau unter Tage, am Hochofen und im Gleisbau. Mit völlig unzureichender Schutzkleidung muss sie unterirdisch Lehmstechen und kann die Norm auch hier nie schaffen. Sie schaut sich die Arbeitsabläufe bei den Frauen aus dem Baltikum ab, um so allmählich die Norm einigermaßen zu erfüllen. Ein äußerst mühseliges Geschäft, den harten Lehm mit großen Messern zu schneiden. Beide Frauen berichten vom Gleisbau unter freiem Himmel, wie sie sich in ihren jeweiligen Brigaden gegenseitig regelmäßig auf Erfrierungen untersuchen. Weiße Flecken, die einen Erfrierungsbrand andeuten, werden mit Schnee eingerieben. Foto: Margreet Krikowski Und nun sitzen sie auf dem Podium, gepflegtes Äußeres, leise und ruhige Stimmen. Die Anwesenden hören gebannt zu und fragen beispielsweise, wie man so alt werden kann und noch so frisch und klar bleiben kann. Helga Sperlich antwortet: "Tja, wir waren dort viel an der frischen Luft. Das tat uns anscheinend gut." Frau Sperlich berichtet, dass die ehemaligen GULag-Häftlinge in der DDR nicht von ihrem Leid erzählen dürfen, in der Bundesrepublik hingegen wollen die meisten Menschen nichts vom Gulag wissen. Aber heute sollen wir alle den Zeitzeuginnen zuhören und lernen, damit wir nicht wieder auf die leeren Versprechen eines wie auch immer gearteten Sozialismus/Kommunismus hereinfallen. Die Geschäftsführerin Dr. Anna Kaminsky begrüßte die Zeitzeuginnen und die Gäste. Organisiert wurde die Veranstaltung von Dr. Matthias Buchholz, Leiter der Abteilung Archiv, Bibliothek und Dokumentation. Die Moderation hatte der Historiker Dr. Meinhard Stark, der einfühlsam die Fragen an beide Zeitzeuginnen stellte, für den Zuhörer ein großer Erkenntnisgewinn. Helga Sperlich kam am 28. Dezember 1953 in Glindow an und flüchtete am 8. Januar 1954, auf den Tag genau zwei Jahre nach ihrer Verurteilung, in den Westen. Rosel Blasczyk, die unfassbare 8 ½ Jahre ihres Lebens in Gefangenschaft verbrachte, traf am 15. Oktober 1955 in Friedland ein.

Nach russischer Art sind die beiden Frauen rehabilitiert: kein Wort der Entschuldigung, keine Entschädigung. Aber unterkriegen lassen sie sich nicht. Die vollständige Veranstaltung ist hier nachzuhören: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/mediathek/frauen-im-gulag- 1938-1955-zwei-generationen. Nach der Begrüßung durch Dr. Anna Kaminsky und Dr. Meinhard Stark hören Sie ab Minute 0:07:13 eine Präsentation zu Innenansichten eines Frauenlagers 1938-1946 mit einem Ausschnitt aus einem Dokumentar-Feature mit den ehemaligen Gulag-Häftlingen Ida Konrad, Gertrud Platais, Alice Schellenberg und Frieda Siebenaicher. Für die Interviews und das Manuskript zeichnet Dr. Meinhard Stark verantwortlich. Ab Minute 0:39:00 hören Sie das Interview mit Rosel Blasczyk und Helga Sperlich. Übernommen von: http://workuta.de/aktuelles/index.html