Urteil. hat das Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - 1 - Aktenzeichen: 16 Ca 19/06. Urschrift. Verkündet am 31.03.



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Transkript:

- 1 - Urschrift Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen Aktenzeichen: 16 Ca 19/06 (Bitte bei allen Schreiben angeben!) Verkündet am 31.03.2006 Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Im Namen des Volkes Urteil In der Rechtssache - Kläg. - Proz.-Bev.: gegen - Bekl. - Proz.-Bev.: hat das Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen Teschner, auf die mündliche Verhandlung vom 31.03.2006-16. Kammer - durch den Richter Dr. für Recht erkannt: 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen. 3. Der Wert des Streitgegenstandes der Entscheidung beträgt 6.750,00. 4. Die Berufung wird zugelassen.

- 2 - T a t b e s t a n d : Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigung vor dem Hintergrund des 90 Abs. 2 a SGB IX. Der am 0.0.1949 geborene Kläger ist seit dem 01.02.2005 beim Beklagten, der weniger als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, als Schlosser zu einem durchschnittlichen monatlichen Verdienst von 2.250,00 angestellt. Der Kläger hat am 28.12.2005 bei der Agentur für Arbeit die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt. Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 13.01.2006 fristgerecht zum 15.02.2006 gekündigt. Die Agentur für Arbeit hat am 30.01.2006 den klägerischen Gleichstellungsantrag positiv verbeschieden. Der Kläger ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung vom 13.01.2006 sei wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes rechtsunwirksam. Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 13.01.2006 zum 15.02.2006 nicht aufgelöst ist. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte stützt sich auf die Regelung des 90 Abs. 2 a SGB IX, der nach Auffassung des Beklagten auch auf das Gleichstellungsverfahren bei der Agentur für Arbeit anwendbar ist. Die dortige Verweisung auf die Bearbeitungsfrist des 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX sei ebenfalls im Gleichstellungsverfahren anwendbar, weshalb der Gleichstellungsantrag im vorliegenden Fall nicht ausreichend frühzeitig vor Ausspruch der Kündigung gestellt worden sei. Der Kläger vertritt die gegenteilige Rechtsauffassung und hält 90 Abs. 2 a SGB IX nicht für auf das Gleichstellungsverfahren anwendbar.

- 3 - Beide Parteien stützen sich auf Rechtsprechung und Literatur, die ihren jeweiligen Rechtsstandpunkt teilen. Im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 31.03.2006 waren. Die Kammer hat den Rechtstreit ohne Durchführung einer Beweisaufnahme am 31.03.2006 entschieden. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e : I. Das Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - war für die Entscheidung des Rechtstreits örtlich und sachlich gemäss 2 Abs. 1 Ziffer 3 b, 46 Abs. 2 ArbGG, 12 ff. ZPO örtlich und sachlich zuständig. II. Die zulässige Klage war in der Sache ohne Erfolg. Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 15.02.2006 beendet. Insbesondere war keine Zustimmung des Integrationsamtes gemäss 85 SGB IX erforderlich, da 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX auf das Gleichstellungsverfahren jedenfalls analog anwendbar ist. Da die Voraussetzungen des 23 Abs. 1 Satz 2 u. 3 KSchG unstreitig nicht vorliegen, die Kündigung somit keiner sozialen Rechtfertigung nach 1 Abs. 2 KSchG bedurfte und sonstige Unwirksamkeitsgründe weder vorgetragen noch ersichtlich sind, war alleine streitentscheidend die Rechtsfrage, ob die Kündigung gem. 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts bedurfte. Im Einzelnen: 1. Gemäss 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Gemäss 68 Abs. 3 SGB IX werden auf gleichgestellte behinderte Menschen die Vorschriften des zweiten Teils des SGB IX mit Ausnahme des 125 und des Kapitels 13 angewendet. Die Kündigung eines gleichgestellten behinderten Menschen bedarf daher ebenfalls der Zustimmung des Integrationsamtes. Anders als im Falle der Anerkennung als Schwerbehinderter nach 69 Abs. 1 SGB IX, welcher nur eine deklaratorische Feststellung der bereits bestehenden Schwerbehinderteneigenschaft zukommt, hat die

- 4 - Feststellung der Gleichstellung behinderter Menschen mit schwerbehinderten Menschen nach 68 Abs. 2 SGB IX konstitutive Wirkung. Die Gleichstellung wird nach 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags bei der Agentur für Arbeit wirksam. Gemäss 90 Abs. 2 a SGB findet das Zustimmungserfordernis des 85 SGB IX keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Diese mit Wirkung zum 01.05.2004 neu eingefügte und aufgrund ihrer Formulierung zunächst schwer verständliche Bestimmung soll nach dem Willen des Gesetzgebers gewährleisten, dass der Arbeitgeber zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist, also entweder nicht offenkundig ist oder der Nachweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht durch einen Feststellungsbescheid erbracht ist. Unangetastet bleiben soll der Kündigungsschutz jedoch nach 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung ein Verfahren auf Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch anhängig gemacht hat, die zuständige Behörde aber ohne Verschulden des Arbeitnehmers noch keine Feststellung treffen konnte, d. h. die verzögerte Bearbeitung nicht im Einflussbereich des Arbeitnehmers liegt und bei korrekter Sachbehandlung durch die Behörde ein Feststellungsbescheid bereits vor Ausspruch der Kündigung hätte vorliegen können (vgl. z. B. Erfurter Kommentar/Rolfs, 6. Auflage 2006, 90 SGB IX Rdnr. 4 a m.w.n.). Dies ergibt sich aus der sachgerechten Auslegung des 90 Abs. 2a SGB IX, bei dessen Formulierung dem Gesetzgeber offensichtlich ein Redaktionsversehen unterlaufen ist und das Wort "oder" durch das Wort "und" ersetzt werden muss (ArbG Düsseldorf, 29.10.2004, 13 Ca 5326/04, NZA-RR 2005, S. 138). Die maßgeblichen Fristen bestimmen sich aufgrund der Verweisung des 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX auf 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, welcher wiederum auf die Fristen des 14 Abs. 2 Satz 2 und 4 sowie Abs. 5 Satz 2 und 5 SGB IX Bezug nimmt. Ist die Entscheidung über den Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung ohne Einholung eines Gutachtens möglich, so hat die Entscheidung innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang zu erfolgen ( 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Ist ein Gutachten notwendig, wird "unverzüglich" ein Sachverständiger beauftragt, der das Gutachten innerhalb von zwei Wochen erstellen muss ( 14 Abs. 5 Satz 2 und 5 SGB IX). Die Behörde hat dann innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens zu entscheiden ( 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX). 2. Da sich die Regelung des 90 Abs. 2 a SGB IX von dessen unmittelbarem Wortlaut her nur auf das Feststellungsverfahren einer Schwerbehinderung bezieht, ist in Literatur und Rechtsprechung derzeit streitig, ob die Vorschrift auch auf das Gleichstellungsverfahren bei der Agentur für Arbeit Anwendung finden kann (für eine Anwendbarkeit: LAG Rheinland-Pfalz, 12.10.2005, 10 Sa 502/05, NZA-RR 2006, S. 186 (Revision unter 2 AZR 217/06 eingelegt); Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 11.02.2005, 36 Ca 2336/04;

- 5 - Grimm/Brock/Windeln, DB 2005, Seite 282, 284; wohl auch Griebeling, NZA 2005, 498; gegen eine Anwendbarkeit: Arbeitsgericht Pforzheim, Urteil vom 23.02.2005, 5 Ca 348/04; Düwell, BB 2004, 2811, 2813; Schlewing, NZA 2005, 1218, 1223f.). 3. Im vorliegenden Fall ist der Kläger durch Bescheid der Agentur für Arbeit vom 30.01.2006 gemäß 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX rückwirkend ab dem Tag des Eingangs des Antrags, d.h. dem 28.12.2005, einem Schwerbehinderten gleichgestellt worden. Grundsätzlich war demnach zum Ausspruch der Kündigung am 13.01.2006 gem. 68 Abs. 3, 85 SGB IX die vorherige Zustimmung des Integrationsamts erforderlich. 4. Eine Ausnahme hiervon besteht jedoch im Falle der analogen Anwendbarkeit des 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX auf das Gleichstellungsverfahren, von der die Kammer ausgeht. 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX ist zwar nicht unmittelbar auf das Gleichstellungsverfahren vor der Agentur für Arbeit anzuwenden. Dies ergibt sich aus der Verweisung auf die Fristenregelungen im Verfahren zur Anerkennung als Schwerbehinderter vor den Versorgungsämtern ( 69 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 2 Satz 2 u. 4 SGB IX). Da das Gleichstellungsverfahren zum einen durch die Agentur für Arbeit bearbeitet wird und zum anderen die in Bezug genommenen Fristen hier nicht gelten, kann nicht von einer unmittelbaren Anwendbarkeit ausgegangen werden (a. A. wohl LAG Rheinland-Pfalz a.a.o., das die Fristen des 14 Abs. 2 SGB IX direkt auf das Gleichstellungsverfahren anzuwenden scheint). Andernfalls hätte es nahegelegen, dass der Gesetzgeber das Gleichstellungsverfahren in der Formulierung des 90 Abs. 2a SGB IX ausdrücklich in Bezug nimmt, anstatt von der "Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch" und dem "Versorgungsamt" zu sprechen. 90 Abs. 2a SGB IX ist jedoch analog auf das Gleichstellungsverfahren anwendbar. Voraussetzungen für eine analoge Anwendung einer Rechtsvorschrift sind eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz und vergleichbare Sachverhalte, von denen einer keine gesetzliche Regelung erfahren hat (vgl. z. B. Palandt/Heinrichs, 65. Auflage 2006, vor 1 Rn. 48 m.w.n.). Die Frage, ob der Arbeitgeber eine Kündigung nur mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamts aussprechen darf, wenn der Arbeitnehmer erst nach Zugang der Kündigung rückwirkend einem Schwerbehinderten gleichgestellt wird ist gesetzlich planwidrig nicht geregelt. Es kann nach Auffassung der Kammer nicht davon ausgegangen werden, dass hier sog. "beredtes Schweigen" des Gesetzgebers vorliegt, d.h. dass der Gesetzgeber eine Ausnahme vom Zustimmungserfordernis des 85 SGB IX nur für das Anerkennungsverfahren, nicht aber für das Gleichstellungsverfahren schaffen wollte (a.a. Düwell, BB 2004, 2811, 2813; Schlewing, NZA 2005, 1218, 1223f.). Die Nichterwähnung des Gleichstellungsverfahrens weder im Gesetz noch in der Gesetzesbegründung läßt nicht den Schluss zu, dass dies durch den Gesetzgeber bewußt und in Übersehung der rechtlichen Konsequenzen geschehen ist. Im Gegenteil ist davon aus-

- 6 - zugehen, dass - jedenfalls in der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Dr. 15/2357, S. 24) - ein Hinweis auf die parallele Situation im Gleichstellungsverfahren erfolgt wäre, wenn deren abweichende Behandlung vom Anerkennungsverfahren beabsichtigt gewesen wäre. Gerade weil der Gesetzgeber selbst den Begriff der "Gleichstellung" gebraucht, kann nicht angenommen werden, dass Gleichgestellte durch die Nichtanwendung der einschränkenden Vorschrift des 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX gegenüber anerkannten Schwerbehinderten besser gestellt werden sollen. Dies würde jedoch ohne analoge Anwendung geschehen. Die insgesamt als sprachlich unglücklich zu bezeichnende Formulierung (vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz a.a.o.: "sprachlich und konzeptionell missglückt") und das o.g. Redaktionsversehen des Gesetzgebers legen zusätzlich die Annahme nahe, dass die rechtlichen Konsequenzen für das Gleichstellungsverfahren vom Gesetzgeber nicht ausreichend bedacht wurden und somit eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz betreffend den vorliegenden Sachverhalt gegeben ist. Der hier vorliegende Sachverhalt ist auch mit dem eigentlichen Anwendungsfall des 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX vergleichbar. Die Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers ausschliessen, dass der besondere Kündigungsschutz auch für den Zeitraum gilt, in dem ein in der Regel aussichtsloses Anerkennungsverfahren betrieben wird (BT-Dr. 15/2357, S. 24). Typischer Anwendungsfall des 90 Abs. 2 a SGB IX ist deshalb der vom Arbeitnehmer kurz vor Ausspruch der Kündigung in Erwartung derselben gestellte Anerkennungsantrag zu dem bis dato in anwaltlicher Praxis allein aus taktischen Gründen angeraten werden konnte. Einem kurz vor Ausspruch der Kündigung gestellten Gleichstellungsantrag liegt ein nahezu vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde. Zwar werden beide Anträge von unterschiedlichen Behörden nach unterschiedlichen Fristvorgaben und nur im Falle des Anerkennungsantrags unter verfahrensmäßiger Beteiligung des Arbeitgebers bearbeitet. Der Regelungszweck des 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX, dem Arbeitnehmer den Sonderkündigungsschutz nur zu gewähren, wenn entweder zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Voraussetzungen festgestellt waren oder ein entsprechender Antrag ohne Mitwirkungsverschulden des Arbeitnehmers von der Behörde bis zum Ausspruch der Kündigung hätte bearbeitet werden können, ist jedoch auch hier einschlägig. Es ist trotz der vorhandenen Verfahrensunterschiede kein durchgreifender Einwand ersichtlich, weshalb der Sonderkündigungsschutz im Falle der Gleichstellung stärker ausgeprägt sein sollte als im Falle der Schwerbehinderung. 5. Die analoge Anwendung des 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX bedeutet nach Auffassung der Kammer nicht, dass die dort in Bezug genommenen Fristen stets ebenfalls analog angewendet werden müssen (a. A. wohl LAG Rheinland-Pfalz a.a.o.). Da das Verfahren vor der Agentur für Arbeit anderen Fristvorgaben folgt, als im 14 SGB IX geregelt, sind die dortigen Fristen lediglich als Anhaltspunkt heranzuziehen. Grundsätzlich wird deshalb von einer Bearbeitungsfrist von ebenfalls drei Wochen auszugehen sein, wenn keine besonderen ärztlichen Feststellungen erforderlich sind. Diese Frist war hier nicht eingehalten.

- 7 - Vorrangig ist jedoch der Rechtsgedanke des 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX zu berücksichtigen: Kann der Arbeitnehmer realistisch nach üblichem Bearbeitungsgang nicht bis zum Ausspruch der Kündigung mit einer Verbescheidung seines Gleichstellungsantrags durch die Agentur für Arbeit rechnen, entfällt gem. 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX der Sonderkündigungsschutz des 85 SGB IX. Der hier am 28.12.2005 gestellte Gleichstellungsantrag konnte - vor allem wegen der Ferienzeit und der Feiertage - nicht realistisch nach üblichem Bearbeitungsgang durch die Agentur für Arbeit bereits am 13.1.2006, vier Tage nach Ende der Weihnachtsferien, bearbeitet sein. Gem. 90 Abs. 2 a Alt. 2 SGB IX analog kann der Kläger deshalb keinen Sonderkündigungsschutz nach 85 SGB IX beanspruchen, weshalb die Zustimmung des Integrationsamts zum Ausspruch der Kündigung nicht notwendig war. III. Der Kläger hat als unterlegene Partei gem. 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1 ZPO die Kosten des Rechtstreits zu tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wurde gem. 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil und gem. 42 Abs. 4 S. 1 GKG in Höhe der Quartalsvergütung des Klägers festgesetzt. Die Berufung wurde - neben der gesetzlichen Regelung ( 64 Abs. 2 c ArbGG) - gesondert zugelassen, da der Streitigkeit im Hinblick auf die höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt, 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG.

1. Gegen dieses Urteil kann d. Kläg. Berufung einlegen. - 8 - R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G Wird das Urteil nicht in dem Umfang angefochten, in dem d. Kläg. unterlegen ist, hängt die Zulässigkeit der Berufung davon ab, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder der Beschwerdegegenstand das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses betrifft. Die Einlegung der Berufung hat binnen eines Monats nach Zustellung dieses Urteils schriftlich beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Kammern Freiburg, Habsburgerstr. 103, 79104 Freiburg zu erfolgen. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten. Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landesarbeitsgericht zu begründen. Der Berufungskläger muss sich vor dem Landesarbeitsgericht durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen Berufungs- und eine eventuelle Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein. An seine Stelle kann auch ein Vertreter eines Verbandes (Gewerkschaften, Arbeitgebervereinigungen) oder eines Spitzenverbandes (Zusammenschlüsse solcher Verbände) treten, sofern er kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt und die Partei Mitglied des Verbandes oder Spitzenverbandes ist. An die Stelle der vorgenannten Vertreter können auch Angestellte einer juristischen Person, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer dieser Organisationen stehen, treten, sofern die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung der Verbandsmitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und der Verband für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet. Ist die Partei Mitglied eines Verbandes oder Spitzenverbandes, kann sie sich auch durch einen Vertreter eines anderen Verbandes oder Angestellten einer der oben genannten juristischen Personen mit vergleichbarer Ausrichtung vertreten lassen. Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden. Die Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts bittet, Schriftsätze in fünffacher Fertigung einzureichen. 2. Für d. Bekl. ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben. D.Vorsitzende: Dr. Teschner