ProPaganda trifft grabenkrieg



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Transkript:

ProPaganda trifft grabenkrieg Plakatkunst um 1915 Wienand

Propaganda trifft Grabenkrieg. Plakatkunst um 1915 Herausgegeben vom Landschaftsverband Westfalen- Lippe (LWL), Münster, Hermann Arnhold, in Kooperation mit der Münster, Beate Tröger und Reinhard Feldmann Diese Publikation erscheint begleitend zur gleichnamigen Ausstellung des LWL-Museums für Kunst und Kultur, Münster, 11. September 2015 bis 10. Januar 2016 Ausstellung Idee und Konzeption Projektmanagement Nina Simone Schepkowski Kommunikation Claudia Miklis und Anja Tomasoni Begleitprogramm Daniel Müller-Hofstede Papierrestaurierung Ryszard Moroz Fotos Exponate Privat-Leihgaben Sabine Ahlbrand-Dornseif Fotos Exponate Martin Horstmann Foto-Dokumentation Ursula Grimm und Anke Killing Einbauten, Rahmenbau Thomas Erdmann und Team Aufbau, Technik Werner Müller und Team Rahmungen, Montagen Marianne Stermann Katalog Redaktion, Assistenz: Max Alsmann, Malte Jung und Patrick Kammann Beiträge Gerd Dethlefs, Reinhard Feldmann, Stefan Kötz, und Martin Zangl Lektorat Thomas Donga-Durach Projektmanagement Verlag Kerstin Schütte Grafik und Satz Martina Zelle Cover Buchhandelsausgabe: Martina Zelle Museumsausgabe: Alexandra Engelberts, Münster Schrift Berthold Akzidenz Grotesk, DIN Reproduktionen dpi-factory, Krefeld Papier LuxoArt Samt New, 150 g/m 2 Druck und Bindung Kern GmbH, Bexbach Printed in Germany Erschienen im Wienand Verlag, Köln www.wienand-verlag.de 2015, Wienand Verlag, Köln und die Autoren ISBN 978-3-86832-290-3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Kat. 66, S. 75 Frontispiz: Kat. 99, S. 101 (Detail) S. 6: Kat. 57, S. 56 (Detail) S. 8: Kat. 80, S. 86 (Detail) VG Bild-Kunst, Bonn 2015 für die Werke von: Lucian Bernhard, Kurt Heiligenstaedt, Th. Th. Heine, Ludwig Hohlwein, Bruno Paul, Francisque Poulbot Trotz intensiver Recherchen war es nicht in allen Fällen möglich, die Rechteinhaber der Abbildungen ausfindig zu machen. Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten. inhalt 7 VorWort Hermann Arnhold und Beate Tröger 9 einleitung ZWischen oberlehrer-traktaten,»granatsplitter-stil«und horror-monstern - stichworte Zum bildwandel auf deutschen und alliierten kriegsplakaten um 1915 14 die deutschen Verlustlisten des ersten Weltkrieges eine Persönliche begegnung mit der katastrophe Martin Zangl 18 bildsequenz 1 Plakate und ProPaganda Vom kriegsbeginn bis 1916/17 62 krieg sammeln? Reinhard Feldmann 66 kämpfe an der»meinungsfront«karikaturen als ProPagandaträger im ersten Weltkrieg Gerd Dethlefs 74 bildsequenz 2 Plakate und ProPaganda -1916/17 bis nach kriegsende 112 metallene ProPaganda medaillen aus der Zeit des ersten Weltkriegs Stefan Kötz 116 bildsequenz 3 medaillen Stefan Kötz

die deutschen Verlustlisten des ersten Weltkrieges eine Persönliche begegnung mit der katastrophe In meiner Generation der um 1970 Geborenen kennt man Daten und Fakten zu den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts meist nur aus dem Geschichtsunterricht in der Schule, seltener durch einen persönlichen Erfahrungsbericht. Mein Großvater, Jahrgang 1897, musste an beiden Weltkriegen teilnehmen. Leider konnte ich ihn nicht mehr kennenlernen. Mein Vater hatte als 1934 Geborener das Glück, nicht mehr als Kombattant in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen zu werden. Nur aus seinen Erzählungen und denen meiner Großmutter weiß ich ein paar Daten und Lebensumstände meines Großvaters Wolfgang Zangl aus dem kleinen Weiler Atzenhof in der Oberpfalz: Er war erst 17 Jahre alt, als er sich 1914 bei der Einkleidung als Soldat der Bayerischen Armee»über die ersten Lederstiefel seines Lebens«freuen konnte. Noch im selben Jahr kam er in Belgien und Frankreich zum Einsatz im Ersten Weltkrieg. 1918 zog er sich eine Verwundung durch einen Granatsplitter am Fuß zu, die ihn zeitlebens beeinträchtigen sollte. Aus den Geschichtsbüchern in der Schule sind mir besonders die Fotografien von geschmückt ausziehenden Truppen und fröhlich winkenden Soldaten in Eisenbahnwaggons in den ersten Kriegsmonaten in Erinnerung. Wenn man sich aber mit den kurz darauf einsetzenden Erfahrungsberichten von Kombattanten und militärhistorischen Quellen beschäftigt, sprechen diese eine ganz andere Sprache und decken die Schwachstellen der offiziellen Propaganda auf. Der Künstler August Macke, der direkt nach der Kriegserklärung am 1. August 1914 einberufen wurde, schrieb bereits nach seinem ersten Kampfeinsatz im gleichen Monat:»Der Krieg ist von einer namenlosen Martin Zangl Traurigkeit. Die Leute, die in Deutschland im Siegestaumel leben, ahnen nicht das Schreckliche des Krieges.«1 Eine der Quellen, welche dies eindrücklich untermauern, ist die Deutsche Verlustliste, die als offizielles Mitteilungsblatt über die Angehörigen der gesamten Streitkräfte des Deutschen Kaiserreichs aus den Jahren 1914 bis Auskunft gibt. Sie erschien nahezu täglich und verzeichnete in 2535 Ausgaben auf 31202 Seiten fast neun Millionen Einträge. Es wurden Daten über Tote, Vermisste, Verwundete, in Gefangenschaft geratene und entlassene Armeeangehörige aufgelistet sowie eine große Zahl nachträglicher Berichtigungen (der Verlustart, des Namens, der Einheit und so weiter) veröffentlicht. Bei aller verwaltungsmäßigen Sachlichkeit dieser Publikation muss man sich vor Augen halten, dass auf mehr als 31000 Zeitungsseiten durch jeden klein gedruckten Eintrag ein menschliches Schicksal dokumentiert wird. Wenn man diese im wahrsten Sinne des Wortes massenweise Auflistung als einen Stapel Zeitungspapier vor sich hat und sich diese Schicksale bewusst macht, kann das berühren und bewegen wie der Anblick der riesigen Soldatenfriedhöfe des Ersten Weltkrieges in Belgien und Nordfrankreich. In der Bibliothek des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster hat sich eine fast vollständige Ausgabe dieser Zeitung erhalten. Sie stammt aus einer äußerst interessanten Sammlung von militärischen Zeitschriften und Kleinschrifttum, die im ehemaligen Großherzoglichen Hofmarschallamt Oldenburg ab 1914 zusammengetragen wurde und um 1970 auf dem Tauschweg aus Cloppenburg nach Münster kam bisher aber wenig Beachtung fand. Bei intensiverer Beschäftigung mit dem Thema und der Deutschen Verlustliste als einem eigentlich stereotypen deutschen Amtsblatt erschließen sich noch weitere eindrückliche Details. Erschreckend ist zum Beispiel, wie schnell die ersten Ausgaben der Verlustlisten an Umfang zunahmen: Während die Ausgabe 1 ohne Datumsangabe etwa 60 Gefallene auf nur einer halben Zeitungsseite verzeichnet, wies die Ausgabe 20 vom 11. September 1914 bereits einen Umfang von 15 Seiten vor und beinhaltete die Namen von rund 3100 gefallenen Soldaten. Die Eintragungen waren schon nach wenigen Ausgaben nicht mehr tagesaktuell, die Verlustlisten erschienen vielmehr erst mehrere Monate nach den verzeichneten Daten. Dies war natürlich der schwierigen Übermittlung der jeweiligen Nachrichten von der kämpfenden Einheit bis zum Oberkommando geschuldet. Es scheint aber auch ein Indiz für unerwartet hohe Verluste zu sein, sodass die Armeebürokratie die Flut der Eintragungen anscheinend nicht mehr zeitnah bewältigen konnte. Anzunehmen ist, dass die Verlustnachrichten die Angehörigen durch die Feldpost von Kameraden oder Kommandeuren, aus Lazaretten oder von Transporten oft schneller erreicht haben. Der Eintrag in die Deutsche Verlustliste war dann nur letzte amtliche Bestätigung. Für den Zeitraum von August 1914 bis Anfang Dezember 1916 sind die Verlustlisten nach den beteiligten Truppenteilen geordnet und enthalten nicht nur Namen, Geburtsort und Dienstgrad, sondern auch Angaben über Datum und Ort der Gefechte. 2 Das ist insofern erstaunlich, als nicht nur in Deutschland, sondern auch bei den Kriegsgegnern damit nachvollziehbar war, welche Armeeteile wo eingesetzt worden waren und wie viele Soldaten sie verloren hatten. Selbst mit der zeitlichen Verzögerung bei der Veröffentlichung war es leicht nachzuvollziehen, dass schon in den ersten Kriegsmonaten ganze Kompanien und Regimente so stark betroffen waren, dass sie nicht mehr eingesetzt werden konnten. August Macke, der schon im September 1914 zum Offiziersstellvertreter ernannt wurde, nachdem seine Kompanie von 250 auf 59 Mann zusammengeschrumpft war, fiel am 26. September 1914 bei Perthes-les-Hurlus. Seiner Frau schrieb er zur Verleihung des Eisernen Kreuzes wenige Tage vor seinem Tod:»Es ist viel damit verbunden. Und wenn ich das später noch einmal sehen werde, so wird es mich erinnern an das Grausigste, was ein Mensch erleben kann.«3 armee-verordnungsblatt, Verlustliste nr. 1, noch undatiert Die erste Einschränkung in der Verbreitung der Verlustlisten erfolgte bereits am 1. September 1914. Der Verein deutscher Zeitungsverleger wurde von den Militärbehörden aufgefordert, in Zeitungen nur noch solche Listen zu veröffentlichen, zu denen»ein lokales oder provinzielles Verhältnis«vorliege. Grund für diese Einschränkung war wahrscheinlich die Sorge, dass allzu lange Verlustlisten die gleichzeitigen Zeitungsberichte über den deutschen Vormarsch als Propaganda entlarvt hätten. 4 Die komplette Verlustliste wurde weiterhin im Armee-Verordnungsblatt und als Beilage zu Deutsches Reich: Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger veröffentlicht und amtlich ausgehängt. Zwischen Dezember 1916 und Ende 1918 gab man die Gliederung der Verlustliste nach Truppenteilen auf, angeblich zwecks besserer Auffindbarkeit der nun alphabetisch geordneten Namen. Tatsächlich dürften nun jedoch wirklich Gründe der militärischen Geheimhaltung ausschlaggebend gewesen sein. Ab August 1917 entfiel bei den Eintragungen zudem noch das Geburtsjahr, da daran erkennbar gewesen wäre, in welchem Umfang sowohl immer ältere als auch immer 14 15

howard chandler christy 1873 1952 americans all! / Victory liberty loan Farboffset, 101,7 x 68,0 cm Münster, Slg. Weltkrieg, Inv.-Nr. 2,509 sidney riesenberg (auch: Reisenberg) 1885 1971 food Will Win the War you came here seeking freedom you must now help to PreserVe it (Ausgestellt: Variante mit hebräischem Text), Plakat für die United States Food Administration 1917/18 Farblithografie, 76,4 x 51,0 cm Münster, Slg. Weltkrieg, Inv.-Nr. 2,274 81 Mit seinem naturalistischen Illustrationsstil traf Christy den amerikanischen Massengeschmack. Die elegante, selbstbewusste junge Frau das»christy Girl«wurde sein Markenzeichen und nach Eintritt der USA in den Krieg für die Rekrutenwerbung eingesetzt. Bei der vorliegenden Werbung für eine Anleihe nach Kriegsende,»Americans all!«, appelliert Christys Idol an die Einheit der USA, indem es stolz auf die»honor Roll«, die Liste der Patrioten mit typischen Namen aus allen Einwanderernationen, deutet. Der nationale Zusammenhalt der Vereinigten Staaten war seit Ausbruch des Krieges in Europa 1914 stark belastet worden. 82 Sein seltsamer, langer deutscher Name der leicht zu Verwechselungen führte hinderte den Künstler nicht daran, durch seine Plakate im Ersten Weltkrieg große Bekanntheit zu erlangen. Mithilfe einer farbenprächtigen Paradiesvision der New Yorker Hafeneinfahrt mitsamt Freiheitsstatue und Wolkenkratzern werden die verschiedenen Einwanderergruppen an ihre patriotische Pflicht zur Sparsamkeit mit Lebensmitteln ermahnt. Der griffige Slogan»Food will win the war«steht in starkem Kontrast zur akademisch gemalten Genreszene mit den pittoresk posierenden Zuwanderern. sidney riesenberg 1885 1971 over the top for you / buy u.s. gov t bonds / third liberty loan 1918 Farblithografie, 76,2 x 50,8 cm Münster, Slg. Weltkrieg, Inv.-Nr. 2,334 83 Im Vergleich zum Werbebild im Auftrag der Food Administration auf dem sich Riesenberg in Genredetails verzettelte schuf er mit seinem an Land stürmenden US-Marinesoldaten unter dem Sternenbanner den Typus des Doughboy (im Zweiten Weltkrieg umgangssprachlich durch den Typus des GI ersetzt).»over the top for you«bedeutet soviel wie in Todesverachtung aus dem Graben stürmen, um die Menschen in der Heimat zu beschützen (frdl. Hinweis meiner Kollegin Dr. Pirsig-Marshall). Dieses Plakat für die 3. Kriegsanleihe im April 1918 wurde ungemein populär. Gemeinsam ist den Riesenberg-Entwürfen wie fast allen US-Weltkriegsplakaten die starke Farbigkeit, die schon mal in unkontrollierte Buntheit umschlagen konnte. Trotzdem brachten die Kriegsplakate, die einen aus der US-Konsumwerbung vor 1917 vertrauten Naturalismus weiterführten (und dabei manchmal am Rande des sentimentalen Kitsches standen), eine neue Note in die internationale Propagandaszene. 88 89

Johannes safis tätig in Berlin um 1920 bolschewismus heisst die Welt im blut ersäufen. Plakat für die Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus in Berlin W 9 Farblithografie, 31,3 x 23,3 cm Inv.-Nr. C-23805 LM 106 Am 10. Januar trafen sich in Berlin auf Initiative des Großindustriellen Hugo Stinnes die»führenden Männer«aus der Wirtschaft und den Banken zu einer Krisensitzung. Grund war die für das Kapital äußerst gefährliche Lage, die nach der Abdankung des Kaisers zwei Monate zuvor in eine radikal-kommunistische Revolution nach russischem Muster umzuschlagen drohte. Noch am Abend des 10. Januars, wenige Tage vor der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung, wurde ein geheimer Hilfsfond mit 500 Millionen Mark Startkapital verabredet, der antibolschewistische Aktivitäten jeder Art großzügig finanzieren sollte. Berlin, aber auch das ganze Land wurden daraufhin plötzlich mit rechtsradikaler Propaganda zugeschüttet, von der sich entsprechend viel Material erhalten hat. Die Hassbilder des Werbefeldzugs waren geradezu von Hysterie getrieben. Man scheute im totalen Kontrast zur vormals kaiserlichen Plakatsprache vor keinem Horrormotiv und keiner noch so dreisten Lüge zurück. Safis, der in den 1920er-Jahren als erfolgreicher Werbegrafiker weiterwirkte, griff mit der blutigen, hyänenartigen Bestie inmitten eines Blutsees vor einer zerstörten Kirche in die tiefsten, aber auch zukunftsträchtigsten Schubladen der rechten Politpropaganda. Die Antikommunisten der ersten Stunde haben zum Teil auch die Stereotypen der Goebbels schen Hasspropaganda gegen die Sowjetunion mitgeprägt. Paul helwig-strehl tätig in Deutschland um um 1945 Willst du dies? Vereinigung Zur bekämpfung des bolschewismus Farblithografie, 70,9 x 94,8 cm Münster, Slg. Weltkrieg, Inv.-Nr. 2,453 otto Von kursell 1884 1967 nieder mit dem bolschewismus. bolschewismus bringt krieg und Verderben, hunger und tod. Plakat für die Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus in Berlin W 9 Farblithografie, 22,8 x 30,4 cm Inv.-Nr. C-23806 LM 107 Dieser Rückgriff auf reißerische Horrorszenen, die an expressionistische Stummfilmplakate mit ihren Modefarben Blutrot und Blasslila erinnern, wäre bis 1918 von der kaiserlichen Zensur verboten worden. Derartige Kampfbilder gehörten aber im antideutschen Bilderkrieg der Alliierten bis Kriegsende zum Tagesgeschäft. Die vom Großkapital üppig finanzierte Kampagne gegen die»asiatische Flutwelle des Bolschewismus«reagierte auf die drohende landesweite Machtübernahme durch linksradikale Rätesysteme, wie sie sich besonders in München längere Zeit an der Macht halten konnten. Helwig-Strehls drastische Bildsprache empfahl ihn nicht zufällig Jahrzehnte später für ähnliche Hassbilder im»deutschen Propaganda-Atelier«, einer von Joseph Goebbels eingerichteten Agentur, die die ultrarechte Stoßrichtung der»vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus«fortsetzte (vgl. dazu die Anmerkungen zum Kleinplakat von Safis»Bolschewismus heißt die Welt im Blut ersäufen«). 108 Im Gegensatz zu Safis, der seine antibolschewistische Botschaft zu einem Horrorfilmplakat radikalisierte, merkt man Kursells Bildidee eines edlen Schlangenbezwingers die Herkunft aus der Kunstakademie deutlich an. Der Künstler, Baltendeutscher und Meisterschüler Franz von Stucks in München, wurde dort in den Wirren der Räterepublik 1918/19 zu einem Gefolgsmann des ebenfalls aus dem Baltikum stammenden Alfred Rosenberg, dem späteren»chefideologen«der NSDAP. Kursells Auftraggeber, die Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus, war nur eine von zahlreichen Kampforganen, die vom Großkapital massiv finanziert wurden (vgl. den Text zu Safis). Offenbar sollte die Propagandaoffensive der Rechtsradikalen möglichst viele Bevölkerungsschichten vom Proletariat bis zum Bildungsbürgertum in jeweils passender Weise ansprechen. Kursell, der auch als antirussischer und antisemitischer Karikaturist arbeitete, stieg nach 1933 in der Kulturszene des NS-Regimes in höchste Ämter auf. 106 107

hans lindl 1885 1946 drei Verband 1914 Bronze, gegossen (einseitig) Dm. 68 mm Inv.-Nr. 14835 Mz karl goetz 1875 1950 kulturträger - Verbündete im Weltkrieg / deutsche Wacht - an JaPan / rachesäerin frankreich 1914 Bronze, gegossen Breite 91 mm, Höhe 60 mm / Dm. 57 mm / Dm. 57 mm Inv.-Nr. 14617 Mz / 14613 Mz / 14614 Mz 127 DREI VERBAND ist das Motto einer Satire auf die drei Alliierten, die sich 1907 endgültig zur sogenannten Triple-Entente zusammengeschlossen hatten. Bei Kriegsbeginn stand diese dem Zweibund aus Deutschland und Österreich-Ungarn, ergänzt um das Osmanische Reich, gegenüber. Die einseitige Medaille, deren Bild auf der Rückseite inkus als vertieftes Relief erscheint, benutzt zwei klassische Mittel der Satire: die karikaturistische Personifikation und das Wortspiel. Für Frankreich steht links der Hahn, für Russland in der Mitte der Bär, für das Vereinigte Königreich rechts die Bulldogge. Der Hahn hat ein Bein verbunden, ist völlig ausgemergelt und weitestgehend gerupft; er kräht erbärmlich, aus dem Auge fließen Tränen. Der Bär kauert auf den Oberschenkeln, trägt eine Halskrause und hat die Rechte verbunden; er schleckt sich die lädierte Linke. Die Bulldogge stützt sich auf die Vorderpfoten, eine ist verbunden, ebenso Kopf und linkes Auge; sie weint heftig. Die Aufschrift spielt mit den medizinischen Wundverbänden, die die drei Alliierten miteinander verbinden, und deren Dreier-Verbund in der Triple-Entente, der in den ersten Kriegsmonaten tatsächlich ernsthafte Verletzungen beigebracht werden konnten. 128 130 Satirische Medaillen bilden eine ganz eigene Gruppe im Spektrum der deutschen Weltkriegsmedaille; als ihr Meister gilt Karl Goetz. Die mit KULTURTRAEGER VERBUENDETE IM WELTKRIEG betitelte querovale Arbeit nimmt Bezug auf den Einsatz kolonialer Hilfstruppen seitens der Triple-Entente, vor allem Frankreichs. Auf der Vorderseite fasst Staatspräsident Raymond Poincaré (1913 1920) in der Mitte rechts den britischen König George V. (1910 1936) und links den russischen Zaren Nikolaus II. (1894 1917) an den Schultern. Dazwischen für die Hauptgebiete der französischen Kolonien stehend links ein Nordwest- und ein Schwarzafrikaner, rechts ein Polynesier und ein Südostasiate. Die Rückseite wirft den Alliierten, die sich für Kulturträger hielten, zu SCHANDE und SPOTTE die Hetze dieser kulturlosen WILDEN HORDEN auf Deutschland vor, das als Kulturnation KULTUR NACH FERNSTEN LANDEN trägt. Eine dieser deutschen Kolonien war seit 1898 das Pachtgebiet Kiautschou an der chinesischen Ostküste. Mit DEUTSCHE WACHT wird hier ein Kolonialist glorifiziert, der mit Säbel und Reichsflagge ein dreiköpfiges ostasiatisches Meerungeheuer abwehrt, das schon das Ufer und den Flaggenmast erreicht hat. Auf der Rückseite richtet sich AN JAPAN, das sein WAHRES GE- SICHT eine Fratze hinter einer Maske offenbart, der Vorwurf, sich IM SOLDE der Alliierten MIT AUF BEUTE zu begeben; die angekündigten BEULEN erhielt Japan zwar, doch ging Kiautschou am 7. November 1914 an Japan verloren. ALLEN RESPEKT VOR DER»GRANDE NATION«Frankreich fordert der Medailleur schließlich für den Einsatz sogenannter Dum-Dum-Geschosse Teilmantelgeschosse, die großflächige, nur schwer heilbare Wunden reißen. Auf der Rückseite, wo rechts drei derartige Patronen zu sehen sind, tritt der gallische Hahn die GENFER KONVENTION in den Mist und beschmutzt sie mit seinem Kot. Zwar nicht durch diese Konvention, aber in der Haager Landkriegsordnung von 1899 allgemeinverbindlich verboten, setzten alle Kriegsmächte derartige Munition, die oft freilich erst nachträglich dazu zurechtgefeilt worden war, ein. Unter dem Vorwurf RACHE SAETEST DU BEI ZEITEN SCHON zeigt die Vorderseite die von zeitgenössischen französischen Münzen bekannte Säerin, wie sie nach einem der schwertförmigen Sonnenstrahlen greift und durch ihr Tun ein von Schlangen wimmelndes Feld vergiftet hinterlässt. 124 125