Praxis-Workshop: Street Photography mit Witz Der erwartete Grafische Muster, schelmischer Blick: Fotograf Siegfried Hansen flaniert durch Großstädte und sieht dabei Szenen, die nicht jedem auffallen eine Arbeitsweise, die man lernen kann. Praxis & Know-How Die Aufgabe ist stets identisch. Sinnvoll ohne Zweifel, schließlich bringt sie brillante Bilder. Doch man muss jedes Mal die gleiche Herausforderung annehmen, ähnlich einem fotografischen Sisyphos. Schließlich passt von 1.000 Momenten nur ein einziger, weiß Siegfried Hansen. Also vergeht kaum ein Wochen ende ohne einen fotografischen Spaziergang: Er beginnt am Flohmarkt in der Sternschanze, führt hinüber zu den Landungsbrücken, macht einen Schlenker Richtung Innenstadt und endet schließlich in der Hafen- City. Hansen ist auf der Pirsch, kennt sein Revier aus dem Effeff, aber großartig auf der Lauer liegt er nie. Zwei Minuten, vielleicht mal fünf bleibt er an einer Stelle. Dann treibt er seinen Stein wieder voran. Siegfried Hansen sagt: Man muss rausgehen, muss schnell die Situation erfassen, schnell auslösen und weiter! Schnelligkeit und Zufall mit akkuraten Kompositionen zu kombinieren hat er sich bei seinen großen Vorbildern abgeschaut: Henri Cartier-Bresson und André Kertész. Ihren Bild- und Arbeitsstil hat Hansen analysiert, hat seinen eigenen Blick darauf trainiert, sofort grafische Muster auszumachen. Was bei Cartier-Bresson oft nach einem Schnappschuss aussieht, war Ergebnis langer Erfahrung und besonderer Beobachtung, so der Norddeutsche. Dank ähnlicher Reflexe bleibt Hansen als Fotograf meist unbemerkt; dabei hilft auch die kompakte Fuji X100, die er derzeit nutzt. Sie hat durchaus Ähnlichkeit mit Cartier-Bressons handlicher Ausrüstung. Hansen fotografiert im JPEG-Format, seine Nachbearbeitung beschränkt sich aufs Zuschneiden sowie auf die Korrektur von Helligkeit, Kontrast und Tonwerten. Gern präsentiere ich meine Bilder im Internet, um eine erste Einschätzung zu bekommen, erklärt Hansen. Meist stelle ich ohnehin erst am Rechner fest, welche Qualität ein Motiv hat. Vor Ort ein gutes Bild zu schießen und dann nach Hause zu gehen anstatt weiterzumachen: unmöglich! Man muss sich Sisyphos als glücklichen Fotografen vorstellen. _ dro Ausstellung: Die Gruppe Seconds2Real, der auch Siegfried Hansen angehört, zeigt ihre Arbeiten von 31. März bis 13. April in Wien. www.seconds2real.com Alle Fotos: Siegfried Hansen 80 PhotograPhie 04 2012
Zufall Tipp 1: BeleBTe plätze In Londons Bankenviertel ist schon morgens ein hohes Tempo angesagt. So genügt hier 1/140 s, um die Bewegungen des Mannes im Vordergrund dynamisch zu verwischen (f8; ISO 800; Blendenvorwahl). Das Motiv, ebenso klar strukturiert wie allseits business-grau, hätte man kaum besser inszenieren können. Siegfried Hansen sucht belebte Orte, bleibt aber stets Beobachter, arbeitet aus respektabler Distanz. Ihm geht es nicht um konkrete Porträts, sondern um die Szene, in denen sich diese Menschen bewegen. Auch deshalb hat er sich hier entschieden, den Kopf anzuschneiden. 04 2012 PhotograPhie 81
Praxis & Know-How Tipp 2: Klassische MoTive Um Siegfried Hansen nachzueifern, kann man sich für den Anfang gut eine Hafenstadt suchen. Ich finde, Matrosen sind ein absoluter Klassiker des Genres, sagt der Norddeutsche und denkt dabei an den Magnum-Fotografen Ernst Haas, eines seiner Vorbilder ( 1986). Vor allem das Grafische des gestreiften Schultuchs lässt sich sehr gut kombinieren. Hansen griff die drei aus einer Gruppe Seeleute heraus und hatte ausnahmsweise einen Moment länger Zeit für die Bildkomposition normalweise verweilt er kaum länger, als die Belichtungszeit dauert. 82 PhotograPhie 04 2012
Tipp 3: richtiger riecher Dass die Mauern im Hintergrund zum Pariser Louvre gehören, erahnen nur echte Kunst- und Königskenner. Hansen lässt das Museum links liegen. Der Arbeiter auf der Leiter, die Rechtecke der Container und die Fluchtlinie im Vordergrund erregen bei ihm deutlich mehr Aufmerksamkeit. Er beobachtet die Baustelle einen Moment lang. Erst der zweite hereinschwebende Container hat zwei Fenster und Hansen sein Motiv. Tipp 4: praktische höhe Wer ein bisschen über den Dingen steht, hat Straßen und Plätze besser im Blick. Außerdem bemerken die Passanten ihn dadurch nicht so schnell; der Fotograf ist davor gefeit, die Abläufe durch seine bloße Anwesenheit zu stören. Diese skurrile Konstellation fing Siegfried Hansen in Shanghai ein. Sein Geheimtipp: Die Sicht von oben funktioniert nur in wenigen Städten. An der Hafenpromenade in Hamburg klappt es super. Tipp 5: ständige BereiTschafT Egal, ob Siegfried Hansen Mittagspause macht oder morgens rasch Brötchen holt: Seine Kamera ist immer dabei. Seit ein paar Monaten benutze ich die Fuji X100 und bin begeistert. Sie passt notfalls sogar in die Jackentasche. Und ich falle weniger auf als mit einer SLR. Für die verschiedenen Ebenen im Bild hat Hansen einen regelrechten Reflex entwickelt, die Leute fielen ihm gleich auf. Also suchte er seinen Bildaufbau, wartete aufs i-tüpfelchen. Die Schwäne schwammen heran, Hansen löste aus. Nur eine Minute später stand der Mann im Vordergrund auf und ging. 04 2012 PhotograPhie 83
Tipp 6: prägnante MusTer Fast schematisch geht Siegfried Hansen an seine Aufnahmen heran: Am Anfang steht immer eine grafische Struktur. Die Linien, die der Alltag bietet, sind deshalb hoch willkommen. Dafür muss man einfach in den großen Metropolen arbeiten, rät Hansen. London und New York sind perfekt. Diese Aufnahme entstand in der britischen Hauptstadt, aber Straßenmarkierungen findet man natürlich ebenso in Bochum oder Bayreuth. Für sie einen Anknüpfungspunkt zu suchen eignet sich exzellent zum Üben und verspricht schnelle Erfolge. Praxis & Know-How Tipp 7: sichere TechniK Über die Einstellungen mache ich mir nicht allzu viele Gedanken, so Siegfried Hansen. Er konzentriert sich lieber aufs Motiv, arbeitet mit Blendenpriorität. Alles Weitere regelt die Kamera ja inzwischen sehr gut allein. Nur wenn es zur Bildgestaltung darauf ankommt, schaut er ganz genau hin: Bei f/8 wählte er einen minimalen Abstand zum Ast, damit die unfreiwillige Ast-Tänzerin leicht im Bokeh verschwimmt. Tipp 8: perfekte Kulisse Es gibt Orte, an denen kann ein Straßenfotograf nicht vorbeigehen. Ja, er muss sogar wiederkommen. So erlebte es Siegfried Hansen mit dieser XXL-Werbung am Checkpoint Charlie. Er empfiehlt: Riesige Poster bieten praktisch immer einen tollen Ausgangspunkt. Bei mehreren Berlin- Besuchen legte sich Hansen auf die Lauer; klar, dass der Unfall zu Füßen der Barbusigen zum Top-Shot wurde. 84 PhotograPhie 04 2012
Tipp 9: wesentliche KleinigKeiTen Der Hotelturm in Shanghai wäre schon für sich beeindruckend genug. Doch Siegfried Hansen hätte es in der Street Photography nicht zu einiger Beachtung gebracht, würde er einfach ein Architekturfoto schießen. Er suchte einerseits eine besonders steile Perspektive, die dem Betrachter zunächst einen Tunnelblick suggeriert. Andererseits wartete er auf ein dynamisches Element: Es kam in Gestalt des Zimmerservices, der flinken Schrittes den Flur entlangeilt und dem Bild damit wieder eine andere Richtung gibt. siegfried hansen Der 50-jährige Wahl-Hamburger ist fotografischer Autodidakt, die Street Photography betreibt Siegfried Hansen seit dem Jahr 2002. Seine Werke waren bereits in mehreren Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen, unter anderem in Hamburg und Berlin. Vor zwei Jahren schaffte er es in das Buch Street Photography Now, das sich binnen kurzer Zeit zum Standardwerk entwickelt hat. Dort stehen seine Bilder neben denen von Martin Parr oder Bruce Gilden. Infos: www.siegfried hansen.de 04 2012 PhotograPhie 85