Kurt Pock SCHRAUBVERBINDUNGEN IM PRAKTISCHEN EINSATZ Kurt Pock Ingenieurkonsulent für Bauwesen Lektor FH Kärnten, FH Salzburg Verbindungen mit selbstbohrenden Vollgewinde- oder Doppelgewindeschrauben bieten neue Möglichkeiten des Anschlussdesigns im Ingenieurholzbau. Die vorwiegend in axialer Richtung belasteten eingeschraubten Gewindestäbe ermöglichen hohe Kräfte bei geringer Verformung zu übertragen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Der Einsatz dieser relativ jungen Verbindungsmittel reicht vom einfachen Haupt-Nebenträgeranschluss über den Verbundquerschnitt hin zu Querzug- bzw. Querdruck bewehrten Bauteilen. Die augenscheinliche Einfachheit dieser Anschlüsse täuscht oft über die Komplexität dieser hochleistenden Verbindungen hinweg. Es bedarf einer exakten Planung, sowohl bei der Auslegung, bei der statischen Berechnung als auch bei der Ausführung. Diese Verbindungen sind weit mehr als eine Anhäufung von schräg eingedrehten Schrauben. Große Sorgfalt muss beim Einhalten der leistungsbestimmenden Parameter walten. Abstände, Einschraubwinkel, Einschraubebene, Schraubendurchmesser und Schraubenlänge müssen exakt eingehalten werden. Die Überprüfbarkeit der ausgeführten Verbindung ist im Nachhinein nur bedingt gegeben. In diesem Beitrag werden die Grundprinzipien dieser Anschlüsse erörtert und an einigen ausgeführten Beispielen erläutert. 1 EINLEITUNG 1.1 Grundsätzliches zur Kraftübertragung im Holzbau Im Holzbau können mit mechanischen Verbindungsmitteln nur Druckkräfte übertragen werden. Diese Aussage scheint sehr gewagt, wenn man die unzähligen Anschlüsse von Zugelementen mit ins Kalkül zieht. Unterzieht man diese Zuganschlüsse aber einer detaillierten Betrachtung zeigt sich, dass hier Zugkräfte geschickt umgeleitet werden um über Kontaktpressung ins jeweilig andere Material zu gelangen (Im Übrigen ist das bei sehr vielen Verbindungen abseits des Holzbaus genauso). Dies geschieht bei Stabdübel-Stahlblechverbindung oder bei der einfachen Nagelverbindung über Pressung des zylindrischen Metallstabes gegen die Holzfasern. Dieser Bereich ist bei Belastung auf Abscheren örtlich durch die Lochleibungsfestigkeit des Holzes und die Biegefestigkeit des Verbindungsmittels begrenzt. Der Erfolg der relativ neu auf dem Markt befindlichen selbstbohrenden Schrauben mit bauaufsichtlicher Zulassung beruht grundsätzlich auf dem Ansatz diese vornehmlich in axialer Richtung zu belasten. Die Kräfte werden über optimierte Gewindegänge über die gesamte Gewindelänge verteilt über Druckspannungen in den umhüllenden Holzquerschnitt eingeleitet. Also wiederum eine geschickte Umleitung von Zugkräften, in letzter Konsequenz Kraftübertragung durch Kontaktpressung, mit dem Erfolg, dass der lastübertragende Bereich gegenüber der Scher-Lochleibungsverbindung wesentlich ausgeweitet wird (Abbildung 1). 1
Abbildung 1 Prinzipieller Ansatz der im Holz aktivierten Bereiche bei Belastung auf Abscherung bzw. in axialer Richtung. 2 HOCHLEISTENDE SCHRAUBVERBINDUNGEN zugrunde liegende Prinzip dargestellt und am Beispiel des Haupt-Nebenträger Anschlusses erläutert: Eine grundlegende Möglichkeit ist der in Abbildung 3 dargestellte Ansatz, die ankommende Querkraft nur mit Zugschrauben abzudecken (blau dargestellt). Die Druckkomponente (rot) wird über Kontaktpressung übertragen und erzeugt zudem eine Reibungskomponente (grün), die die Kraftübertragung erhöht. Die Zugschrauben können hier beliebig in Serie geschaltet werden. Entscheidend bei diesem Anschluss ist die eindeutig definierte Belastungsrichtung und die Lagerung des Hauptträgers in Bezug auf Verdrehung. 2.1 Prinzip hochleistender Verbindungen Effiziente Verbindungen sind so ausgelegt, dass Schrauben idealerweise axial belastet werden. Dies geschieht, indem sie in einem Winkel zwischen 30 und 90 zur Faser eingebracht werden. So entstehen im Prinzip eingedrehte oft unsichtbare Fachwerke, die hohe Kräfte übertragen können. Abbildung 3 Haupt-Nebenträgeranschluss mit Zugschraube im Querschnitt Abbildung 2 Eingeschraubtes Fachwerk am Beispiel eines Haupt-Nebenträger Anschlusses. Quelle: SFS INTEC Querkräfte zwischen Haupt- und Nebenträger können auch konsequent in Zugund Druckkräfte aufgeteilt und entsprechend abgedeckt werden (Abbildung 4). Hier entsteht im Gegensatz zum oben gezeigten Anschluss keine Kontaktpressung in der Fuge und daher auch keine günstig wirkende Haftkraft. Die Ausrichtung der Schrauben in Bezug auf die Kraftrichtung unter Berücksichtigung der Faserrichtung bestimmt die Effektivität der Verbindung. Entsprechende Vorschläge und die dazugehörigen Rechenmodelle finden sich in der Fachliteratur (z.b. [1]). Nachstehend wird kurz das den meisten Anschlüssen 3 ANWENDUNGSBEISPIELE 3.1 Haupt-Nebenträgeranschlüsse Durch den Ansatz des eingeschraubten Fachwerks sind verdeckte Anschlüsse auch größerer Querschnitte möglich. 2 Schraubverbindungen im praktischen Einsatz
Kurt Pock zwei Hölzern sehr elegant herstellen. Gerade im Sanierungsbereich, wo oft auf engem Raum Verstärkungen anzuordnen sind, ist das Prinzip sehr effizient einsetzbar. Hohe erzielbare Tragfähigkeiten kombiniert mit geringen Relativverschiebungen liefern eine sehr gute Verbundwirkung. Abbildung 4 Einfaches Fachwerkmodell zur Abdeckung der Querkraft aus dem Nebenträger. Limitierend sind nach dem derzeitigen Wissensstand im Prinzip nur die Schraubenlänge und die dazugehörige Übertragskraft in Abhängigkeit vom Schraubendurchmesser und die Möglichkeit der planmäßigen Montage. Hervorgehoben sei hier der Umstand, dass Druckschrauben ab einem bestimmten Schlankheitsgrad im Holz ausknicken können. Abbildung 6 Verbundwirkung durch schräg eingedrehte Gewindestäbe, in diesem Fall Doppelgewindeschrauben. Quelle: SFS INTEC Abbildung 5 Verdeckter Anschluss der Nebenträger Ein vom Prinzip her ähnlicher Ansatz wurde bei der Sanierung von Brettschichtholzträgern einer Turnhalle gewählt. Nach einer Standzeit von 12 Jahren wurden an den Seitenflächen beachtliche Delaminierungsrisse unbekannten Alters entdeckt. Die Dimensionierung war ordnungsgemäß durchgeführt. Die Herkunft der Risse ist nicht eindeutig nachvollziehbar. Hier kommen 100 cm lange, unter 45 eingeschraubte Gewindestäbe zum Einsatz. Das Neue Tragmodell (bei durchgehenden Rissen) ähnelt dem eines verdübelten Balkens (Abbildung 6) Bei der in Abbildung 5 dargestellten Halle wurden die Nebenträger mit 60 cm langen Vollgewindeschrauben angeschlossen. Die Schraubenachsen sind ca. 30 zum Lot geneigt und kreuzen sich in der Fuge. Diese Anschlussvariante wurde vom ausführenden Betrieb vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen in Betracht gezogen. 3.2 Verbundquerschnitte Durch den Einsatz von schräg angeordneten Schrauben lässt sich der Verbund zwischen Die Abbildung 8 zeigt ein altes Dachtragwerk, das durch eine neue Nutzung zusätzliche Belastungen erfährt und somit ertüchtigt werden musste. Um den Raum so gering wie möglich einzuengen wurden beidseitig des alten Gesperres neue Druckstäbe angeordnet. Diese wurden so schmal wie möglich ausgebildet. Der neu entstandene dreiteilige Stab wurde mittels kreuzweise eingedrehten Doppelgewindeschrauben zu einem Verbundquerschnitt verbunden. Somit war es möglich die effektive 3
Schlankheit des Gesamtstabes so zu reduzieren, dass die geforderte Knickstabilität gewährleistet ist. Abbildung 7 Eingeschraubte Gewindestäbe bei der Sanierung eines gekrümmten Brettschichtholzträgers. Die Berechnung erfolgt nach ÖNORM, Kapitel Zusammengesetzte Biegeträger mit nachgiebigem Verbund und Verschiebungsmodulen aus den Versuchsergebnissen des Schraubenherstellers. Ein weiteres wesentliches Einsatzgebiet dieser Schrauben ist die Querzug bzw. Querdruckverstärkung von Holzbauteilen. Hier seien zwei Beispiele angeführt: Stabdübelanschlüsse erzeugen auch bei Belastung in Richtung der Stabachse Spannungen normal zur Faser. Diese Spaltzugkräfte reduzieren die Übertragskraft der Verbindung erheblich. Diesem Gruppeneffekt bei Stabdübeln wird in den aktuellen Ausgaben der ÖNORM, DIN und Eurocode verstärkte Bedeutung beigemessen. Eine deutliche Reduktion der Übertragskräfte eines Stabdübels ist anzusetzen. In der ÖNORM B 4100/2 wird eine Möglichkeit aufgezeigt diesem Effekt durch entsprechende Spaltzugverstärkungen entgegenzuwirken. Bei der Stranachbrücke, einer Bundesstraßenbrücke über die Möll in Kärnten, wurde diese Möglichkeit bei den Stabdübelanschlüssen der Diagonalstäbe umgesetzt. Normal zur Stabdübelachse eingedrehte Doppelgewindeschrauben decken diese Spaltkräfte ab. Abbildung 8 Der alte Dachstuhl eines Gasthofes soll ausgebaut werden. Das neu hinzugefügte Gesperre soll die neuen Lasten übernehmen. Durch Doppelgewindeschrauben wird eine Verbundwirkung hergestellt. 3.3 Querzug- und Querdruckverstärkungen mit selbstbohrenden Holzschrauben Abbildung 9 Spaltzugarmierung des Stabdübelanschlusses durch Doppelgewindeschrauben. Das zweite Beispiel zeigt eine Querdruckverstärkung am Auflagerbereich der Hauptbinder einer Werkshalle. Um die Auflagerlänge zu reduzieren wurde dieser Bereich durch lotrechte, möglichst eng an geordnete Schrauben bewehrt. Der zugrunde liegende Ansatz besteht darin den sensiblen Lasteintragungsbereich räumlich zu erweitern. Die Vollgewindeoder Doppelgewindeschrauben leiten die 4 Schraubverbindungen im praktischen Einsatz
Kurt Pock ihnen zugewiesenen Kräfte axial tiefer in den Holzquerschnitt ein. Abbildung 10 Bewehrung des Auflagerbereichs durch normal zur Faser angeordnete Schrauben. Rechenansätze für die Bemessung dieser Verbindungen finden sich in der nachstehend aufgelisteten Literatur. 4 BESONDERHEITEN Der simple Ansatz täuscht oft über die Komplexität der Zusammenhänge hinweg. Es bedarf einer exakten Planung, sowohl bei der Auslegung, bei der statischen Berechnung als auch bei der Ausführung. Diese Verbindungen sind weit mehr als eine Anhäufung von schräg eingedrehten Schrauben. Nachstehend wird auf einige der entscheidenden Parameter näher eingegangen. Abbildung 11 Winkel zwischen Schnittfläche und Schraubenachse 4.2 Einschraubebenen In bauaufsichtlichen Zulassungen der jeweiligen Produkte sind die Mindestabstände der Schrauben untereinander genau geregelt. Bei planmäßig axial belasteten Schrauben sind diese gegenüber den erforderlichen Abständen bei Belastung auf Abscherung extrem reduziert. Die große Herausforderung ist es diese geplanten Abstände auch im Ausführungsfall einzuhalten. Grundvoraussetzung für die Funktion der Verbindung ist das berührungsfreie Einbringen der Verbinder. Die einzelnen Einbringebenen müssen einen ausreichend großen, klar definierten Abstand zueinander aufweisen um die Kollisionsfreiheit zu gewährleisten. 4.1 Einschraubwinkel Der Winkel der Schraubenachse zur Schnittfläche ist von essentieller Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des Anschlusses. Bei der Montage müssen hier effiziente Methoden gefunden werden (hier nicht dargestellt) um die planmäßig festgelegte Lage der Schrauben zu gewährleisten. Das rasche und zielgenaue Positionieren der Schrauben ist für die Wirtschaftlichkeit dieser Verbindung von entscheidender Bedeutung. Abbildung 12 Gedachte Einschraubebenen des Anschlusses (blau Druck- rot Zugschrauben). 5
Voruntersuchungen im Rahmen der Ausführung der Werkshalle haben gezeigt wie sensibel diese bis zu 60 cm langen Schrauben reagieren. Eine spezielle Führung ist unumgänglich um die Richtung und die Ebene zu halten. In der Literatur wird von theoretisch möglichen Abständen von sich kreuzenden Schrauben im Bereich des Nenndurchmessers gesprochen. Die Kollisionsgefahr bei so knapp gesetzten Verbindern ist sehr groß. Ein möglicher Ansatz wäre die Untersuchung fraglicher Anschlusspunkte mit Röntgentechnologie, im Prinzip eine zerstörungsfreie Kontrollmöglichkeit. Diese Prüfungen sind zurzeit aber nur im Labor möglich, von einer baustellenreifen Lösung ist man hier noch weit entfernt. Abbildung 13 Teilweise durch Kollision beschädigtes Gewinde zweier zu eng gesetzter, kreuzweise angeordneter Schrauben. Abbildung 14 Röntgenaufnahme zweier kollidierender Schrauben eines Haupt- Nebenträgeranschlusses. Quelle: Dr. Willhelm Luggin Ein Berühren der Schrauben ist beim Einbringen nur durch ein leichtes Rucken über die Maschine zu bemerken, die Folgen sind weit größer. Es kann im Extremfall ein Großteil des Gewindes beschädigt werden. Eine nachträgliche Kontrolle der Kollisionsfreiheit der einzelnen Schrauben ist derzeit baupraktisch nicht möglich. 5 SCHLUSSFOLGERUNGEN Bei Anschlüssen mit selbstbohrenden Schrauben handelt es sich um hochsensible exakt zu planende Detailpunkte. Die theoretische Seite wird durch bauaufsichtliche Zulassungen und begleitende Literatur gut abgedeckt. 6 LITERATUR [1] Blaß H.J. Bejtka I.; Selbstbohrende Holzschrauben und ihre Anwendungsmöglichkeit in Holzbaukalender 2004, Bruderverlag, Karlsruhe [2] Pock K.; Schraubverbindungen in der Anwendung im Tagungsband Innovation u. Praxis 2006, FH Kärnten, Spittal Großes Augenmerk muss hier bei der Qualitätssicherung auf der Baustelle liegen. Es gilt Routinen zu entwickeln, um das Einbringen der Verbindungsmittel einfach, rasch und fehlerfrei zu gewährleisten. Die Frage der Kontrollierbarkeit derartig gestalteter Anschlüsse ist ein weiteres wichtiges, teilweise noch offenes Thema. Forschungsfelder hinsichtlich der praxisnahen Anwendung dieser viel versprechenden zukunftsweisenden Anschlüsse sind mannigfaltig vorhanden. 6 Schraubverbindungen im praktischen Einsatz