Ortsumgehung Quedlinburg 6000 Jahre Archäologie

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Transkript:

Ortsumgehung Quedlinburg 6000 Jahre Archäologie Zwischenbericht zu den archäologischen Dokumentationen an der Ortsumgehung Quedlinburg vom 17.08.2009 bis 30.04.2010

Einführung Seit Sommer 2009 führte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt im Vorfeld der geplanten Ortsumgehung Quedlinburg L 66 archäologische Dokumentationen durch. Die Grabungskampagne fand im Gelände in der Zeit von Mitte Juni 2009 bis Ende April 2010 statt. Im Rahmen der Ausgrabungen waren etwa 50 Personen gleichzeitig beschäftigt. Drei Archäologen mit ihren Teams bearbeiteten zeitgleich zwei Fundstellen von einer Größe von 7 ha. Fundstelle 1 liegt zwischen der Magdeburger Straße und der alten B 6. Fundstelle 2 erstreckt sich beidseits des Bicklingsbaches am Ochsenkopf. Insgesamt wurden aus 1400 Befunden 40000 Funde geborgen. Aufgrund des eng getakteten Bauablaufes und zeitigen Beginns des Straßenbaus im Frühjahr 2010 liefen die archäologischen Grabungen auch den Jahrhundertwinter 2009/2010 hindurch. Bei Temperaturen bis zu -18 C und geschlossener Schneedecke wurde nicht nur die körperliche Arbeit zu einem Wagnis, auch die Bagger hatten mit Hydraulikausfällen und eingefrorenem Diesel zu kämpfen. Blick vom Ochsenkopf auf die Fundstelle 2 am Bicklingsbach Lehofsberg alte B6 Morgenrot Bicklingsbach Ochsenkopf Quedlinburg Seweckenberge Seweckenberge Quarmbeck Verlauf Ortsumgehung Ausgrabungsfläche 1 km 2 km der insgesamt 8 km langen Trasse sind archäologische Fundstellen. 2

Mitten drin Sachsen-Anhalt liegt mitten drin. Das archäologische Potential dieser kulturträchtigen Landschaft überrascht nicht erst seit dem Fund der Himmelsscheibe von Nebra. Der natürliche Reichtum an Bodenschätzen die sehr fruchtbaren Böden, aber auch Kupfer und Salz zählte stets zu den ausschlaggebenden Faktoren für die Besiedlung dieser Region. Wichtige europäische Verkehrs- und Handelswege durchzogen das Land bereits in vorgeschichtlicher Zeit. Auf diesen Wegen gelangen Kulturgruppen aus allen Himmelsrichtungen in die landschaftlich vielseitige Region. Ihre Einflüsse und Spuren machen Sachsen-Anhalt zu einer der reichsten Kulturlandschaften Deutschlands. Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs liegt Sachsen-Anhalt wieder im Zentrum des vereinigten Europas. Mit den großen Verkehrsprojekten werden alte Verbindungen ausgebaut, neue geschaffen. Durch den Neubau der Ortsumgehung ist nun auch Quedlinburg an diese angebunden. Die im Vorfeld realisierten archäologischen Untersuchungen decken die Geschichte dieser Region auf und zeigen die Wurzeln einer Kulturlandschaft mitten in Europa. Ihre Bedeutung reicht weit über die Region hinaus. Zahlreiche Baudenkmäler zeugen von der Bedeutung der Region: die Dome in Halberstadt und Magdeburg zum Beispiel und natürlich der Schloßberg in Quedlinburg mit der Stiftskirche, ein europäisches Machtzentrum unter den Ottonen im 10. und 11. Jahrhundert. Die Himmelsscheibe von Nebra - ein Sensationsfund der letzten Jahre - belegt die schon damals europaweiten Beziehungen. Der als Logo des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie bekannte Reiterstein von Hornhausen wurde 1874 beim Tiefpflügen entdeckt. Die Grabplatte aus der Merowingerzeit (um 700 n Chr.) zeigt die bisher einzig in Sachsen-Anhalt bekannte figürliche Darstellung dieser Zeit. 3

Lebenswandel und Lebensspuren Ein Jahr Archäologie an der Ortsumgehung Quedlinburg: Das ist wie eine Zeitreise durch die Vergangenheit Quedlinburgs. Im Zeitraffer betrachtet, erschließt sich eine dichte und pulsierende Siedlungslandschaft. Vor mehr als 5000 Jahren wurde das östliche Hochufer der Bode an der Magdeburger Straße von den Menschen der Jungsteinzeit besiedelt. Später wurde dieser Ort wieder verlassen und von anderen Gruppen neu besetzt. Die menschlichen Siedlungsaktivitäten zeichnen sich noch Jahrtausende später ab: meist als dunkle Verfärbungen im Erdboden. Gruben, Hausgrundrisse, Gräben und Öfen illustrieren 5000 Jahre Besiedlungsgeschichte. Die Funde beleuchten die unterschiedlichsten Aspekte des Lebens unserer Vorfahren. Aunjetitzer Kultur (Frühe Bronzezeit) 2.300-1.700 v. Chr. Späte Bronze / Frühe Eisenzeit 1.300-700 v.chr. Römische Kaiserzeit 0-375 n. Chr. Frühe Neuzeit ab 1.600 n.chr. Der Bereich des Bicklingsbaches östlich von Quedlinburg war seit der frühen Bronzezeit immer wieder ein beliebter Siedlungsplatz. Lebensspuren: Pfostengruben eines steinzeitlichen Hauses bleiben über Jahrtausende unter dem Pflughorizont erhalten. Die darin eingebrachten Holzpfosten sind hingegen im Laufe der Zeit vergangen. 4

Durch Raum und Zeit Trassen verursachen mehr oder weniger zufällige Querschnitte durch Gebiete, Landschaften und Naturräume. Für die Kenntnis der archäologischen Hinterlassenschaften in einer Region sind derartige Untersuchungen grundlegend. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die vorab durch Zufallsfunde, Begehungen und Befliegungen bekannten Fundstellen teilweise schon durch jahrhundertelange agrarische Bewirtschaftung stark zerstört sind. Hingegen fehlen von hervorragend im Boden konservierten Kulturdenkmalen häufig Lesefunde. Werden unbekannte Fundstellen erst nach Baubeginn entdeckt, droht ein Baustopp. Um diese Problematik zu würdigen, finden archäologische Untersuchungen stets vor dem eigentlichen Straßenbau statt. Dies gewährleistet angesichts der archäologischen Brisanz der Regionen in Mitteldeutschland sachgerechte Ausgrabungen, die zu keinerlei zeitlichem Widerspruch zu den eigentlichen Bauvorhaben stehen. Eine Luftaufnahme der Trasse am Bicklingsbach/Ochsenkopf mit Blick Richtung Gernrode während der archäologischen Ausgrabungen. Mit Kettenbaggern wird das Untersuchungsareal auf das archäologisch relevante Niveau hier heller Lößboden abgetieft. Dunkle Verfärbungen sowie Funde (Keramik, Knochen und Steingerät) belegen die archäologische Fundstelle. 5

Gräber und Siedlungen der Baalberger Kultur (4100 3600 v. Chr.) Im Frühjahr 2010 kam nach dem Abtragen des Mutterbodens an der Magdeburger Straße eine 6 x 4 m große Trapezanlage zum Vorschein. Im Zentrum der Anlage befand sich eine wenige Zentimeter messende, ovale Ost-West ausgerichtete, dunkle Verfärbung. Überreste von menschlichen Knochen belegen, dass es sich bei diesem Befund um eine Grabanlage der Baalberger Kultur (4100 3600 v. Chr.) handelt. Aus der näheren Umgebung Quedlinburgs sind bereits mehrere Gräber der Baalberger Kultur bekannt. Nördlich vom Lehof entdeckte man 2005 bei Grabungen im Vorfeld des Neubaus der B 6 gleich mehrere Gräber. Die zugehörigen Siedlungen haben wir bislang noch nicht erfasst. In mehreren Gruben unmittelbar neben der Grabanlage an der Magdeburger Straße kam typische Keramik der Baalberger Kultur zum Vorschein. Diese ist meist unverziert. Lediglich die von den Handhaben ausgehenden plastischen Leisten sind ein charakteristisches Verzierungselement. Die zahlreichen Abfallgruben zeigen eine Siedlung an: Gehört diese vielleicht zum 2,5 km östlich gelegenen Gräberfeld am Lehof? Unter dem Pflughorizont haben sich die Reste eines Grabes erhalten. Der trapezförmige Umfassungsgraben Überrest eines Totenhauses oder Grabhügels ist ein charakteristisches Merkmal für die Baalberger Kultur. Typische Verzierungselemente der Baalberger Keramik. Bereits bei den Ausgrabungen im Vorfeld des Baues der neuen B 6 wurde am Lehof ein Gräberfeld der Baalberger Kultur entdeckt. 6

Glockenbecher & Schnurkeramik (2800 2200 v. Chr.) Im dritten vorchristlichen Jahrtausend ist Mitteleuropa durch zwei verschiedene Kulturströmungen geprägt: Einerseits durch die von der Iberischen Halbinsel bis weit über unseren Raum hinaus ausgreifende Glockenbecherkultur (2500 2200 v. Chr.), andererseits durch die so genannte Schnurkeramische Kultur (2800 2200 v. Chr.), deren Schwerpunkt sich von Russland aus bis nach Frankreich hin verlagert. Im April 2010 entdeckten die Archäologen auf der östlichen Hochterrasse der Bode ein besonderes Grab. Nur wenige Zentimeter unter dem Mutterboden befanden sich die Überreste eines Menschen. Durch seine Hocklage und Ausrichtung, vor allem aber durch die Beigabe eines verzierten Glockenbechers ist er ein typischer Vertreter der Glockenbecherkultur. Direkt unter dieser Bestattung kam ein weiteres Skelett zum Vorschein. Durch die Beigabe einer Steinaxt, die Orientierung und Körperhaltung des Toten ist diese Bestattung der Schnurkeramischen Kultur zuzuordnen. Mit dem Grab an der Magdeburger Straße gelingt der seltene Nachweis, dass beide Kulturen (Glockenbecherkultur und Schnurkeramische Kultur) im direkten Kontakt standen. Eine typische Bestattung der so genannten Glockenbecherkultur. Dem nach Osten blickenden, auf der linken Seite liegenden Toten ist ein reich verziertes, glockenförmiges Gefäß beigegeben. Der dem Toten beigegebene Glockenbecher ist reich verziert. Steinaxt Flintmesser Glockenbecher anstehender Boden Grabgrube Schnurkeramische Bestattung Glockenbecher Bestattung Tierknochen 1m N Oberhalb einer Bestattung der Schnurkeramischen Kultur legten Träger der Glockenbecherkultur einen weiteren Toten nieder. 7

Ein neuer Rohstoff Siedlungen und Gräber der Frühbronzezeit (2200 1600 v. Chr.) An der Wende vom 3. zum 2. vorchristlichen Jahrtausend vollzog sich ein Prozess, der enorme Auswirkung auf die menschliche Gesellschaft hatte. Die Bronze, eine Legierung aus 10 Prozent Zinn und 90 Prozent Kupfer, setzte sich endgültig durch. Das Wissen darüber und die Verfügungsgewalt über die notwendigen Ressourcen führten zu einer starken Hierarchisierung der Gesellschaftsstruktur. Zahlreiche an der Ortsumgehung Quedlinburg geborgene Funde datieren genau in den Übergangszeitraum von der späten Jungsteinzeit zur frühen Bronzezeit. Neben Bestattungen aus der Glockenbecherkultur (2500 2200 v. Chr.) wurden Siedlungen und Bestattungen aus der nachfolgenden Aunjetitzer Kultur (2200 1600 v. Chr.) entdeckt. Ihre räumliche Nähe und die beibehaltene Bestattungssitte sprechen für eine Bevölkerungskontinuität. Ein Leitfund der Frühbronzezeit in Mitteldeutschland ist die so genannte Aunjetitzer Tasse. Ihr markantes Profil ist metallenen Vorbildern nachempfunden. Durch die Seltenheit und den hohen Wert des neuen Rohstoffes Bronze, wurden solche Tassen daher oft aus Ton hergestellt. Aunjetitzer Tasse - in Profilansicht Bestattung der Aunjetitzer Kultur. 8

Es wird eng Siedlungen der späten Bronze- und frühen Vorrömischen Eisenzeit (1300 480 v. Chr.) Die zukünftige Straße durchschneidet Siedlungsgrund, der seit alters her intensiv besiedelt bzw. genutzt worden war. Auf der knapp acht Kilometer langen Trasse befanden sich zwei Siedlungen der späten Bronze- und frühen Vorrömischen Eisenzeit (1300 480 v. Chr.) Das Klima war merklich wärmer und trockener als heute. Die Zahl der in der Region lebenden Menschen nahm deutlich zu, die Bevölkerungsdichte stieg an. Es entstanden zahlreiche neue Siedlungen und charakteristische Bestattungsplätze. Der recht hohe Bevölkerungsdruck bewirkte im Zusammenspiel mit den klimatischen Faktoren, dass zum Teil bisher unbewohnte Gebiete besiedelt wurden. Die dichten Wälder wurden für Hausbauten, zum Verfeuern, zum Kochen, für Verhüttungsprozesse, für das Salzsieden und andere Wirtschaftszweige aufgelichtet bzw. vollständig abgeholzt. Sie wuchsen nicht mehr nach, und es bildeten sich kleinräumig betrachtet steppenartige Landschaften. Nicht mehr benötigte Vorratsgruben verfüllt man mit Siedlungsabfällen beispielsweise mit Hundekadavern oder zerbrochenem Geschirr. Der organische Inhalt der Gruben hat sich über die Jahrtausende hinweg zersetzt und hebt sich nun als dunkle Verfärbung vom helleren Boden ab. Aus den spätbronze-/früheisenzeitlichen Gruben konnten zahlreiche Alltagsgegenstände wie diese kleine Kanne geborgen werden. Abfallgruben wahre Fundgruben für die Archäologen. 9

Das Leben im Tal Der Übergang von der Römischen Kaiserzeit zur Völkerwanderungszeit (4./5. Jahrhundert n. Chr.) Blickte man vor etwa 1500 Jahren über die Talaue am Bicklingsbach, so böte sich folgendes Bild: Zwischen kleinen Feldern und Wiesen liegen einzelne Gehöfte. Sie verteilen sich in unregelmäßigen Abständen über das gesamte Tal. An einigen Stellen konzentrieren sich mehrere der kleinen Höfe um einen gemeinsam genutzten Platz. Fast könnte man meinen, der römische Historiker und Politiker Tacitus (um Christi Geburt) hätte sich das Tal am Bicklingsbach zum Vorbild für seine Beschreibung der Siedlungsweise der Germanen genommen. Dass die Völkerschaften der Germanen keine Städte bewohnen, ist hinreichend bekannt, ja dass sie nicht einmal zusammenhängende Siedlungen dulden. Sie hausen einzeln und gesondert, gerade wie ein Quell, eine Fläche, ein Gehölz ihnen zusagt. (Germania 16,1) Die Gehöfte bestanden aus einem Hauptgebäude mit Wohn- und Stallteil, kleinen Speicherbauten für den Getreidevorrat und mehreren Grubenhäusern. Von diesen kleinen Hütten ragte oft nur ihr strohgedecktes Giebeldach über den Erdboden. Besonders häufig wurden sie, durch das feuchte Milieu begünstigt, für die Verarbeitung von Wolle genutzt. Darin gefundene Webgewichte belegen dies. Bicklingsbach Grubenhaus. Die kreisrunden Verfärbungen an den Längsseiten des Hauses stammen von Holzpfosten, die die Dachkonstruktion getragen haben. B 6n Grubenhaus und Rekonstruktion. Der Name Grubenhäuser bezieht sich auf den Aufbau der Gebäude: Eine Grube, ursprünglich etwa hüfthoch in den Boden eingetieft, wird mit einem Dach überspannt. Die Wände sind aus Flechtwerk und oft mit Lehm verstrichen. Walzenförmige Gewichte eines Webstuhls. Die senkrecht vom stehenden Webrahmen herabhängenden Kettfäden sind durch die Webgewichte straff gespannt. 10

Unter Erde begraben Geprägt wird die Landschaft am Bicklingsbach durch aufgestellte Gesteinsschichten aus Kreidegestein, welche die eiszeitlichen Ablagerungen (Geschiebe, Sande, Löß) durchragen. Der südlich der Grabungsfläche gelegene Höhenzug Seweckenberge ist ein Beispiel dafür. Während des Holozäns das ist das Erdzeitalter in dem wir seit 10000 Jahren leben bildete sich eine Schwarzerde. Vor 1500 Jahren siedelten sich Menschen darauf an. Nach einigen Jahrhunderten gaben sie ihre Siedlung wieder auf. Durch Wind, Wetter und fehlende Vegetation floß nun das Bodenmaterial von den Hängen in Richtung Bachaue und bildete dort eine bis zu 2 m mächtige schwarze Schwemmschicht. Diese Schwemmschicht nennen wir Kolluvium. Dank des beschriebenen Erosionsvorganges ist uns die darunter begrabene Siedlung ohne landwirtschaftliche Störung wie Tiefpflug oder neuzeitlichen Wegebau erhalten geblieben. Kolluvium Neuzeit (ab 16. Jh.) Kolluvium nach 4./ 5. Jh. Siedlungsschicht, Röm. Kaiserzeit/ Frühe Völkerwanderungszeit 4. /5. Jh. alte Schwarzerde eiszeitliche Ablagerungen, Löß Abfallgruben 4. /5. Jh. Tiergang Störung, große Steine ect. Steine gebrannter Lehm N 1m Foto und CAD-Umzeichnung des Geoprofils am Bicklingsbach. Deutlich zu erkennen sind die in die fossile Schwarzerde eingetieften Siedlungsgruben und das Grubenhaus. Die Verwendung von Handdrehmühlen ist in Mitteldeutschland dem Einfluss der römischen Lebensweise zuzuschreiben. Auf einer Drehscheibe getöpferte Keramik der Römischen Kaiserzeit (15 v. Chr. 375 n. Chr). 11

Ein Wisent vom Ochsenkopf Der Wisent ist eine Wildrindart, die in Europa noch bis ins frühe Mittelalter vorkam und mit dem amerikanischen Bison verwandt ist. Der letzte frei lebende Wisent wurde 1927 im Kaukasus erschossen. Durch Rückzucht und Artenschutzprogramme leben heute im Nationalpark Białowieza an der polnisch-weißrussischen Grenze wieder mehrere wildlebende Herden. In Mitteleuropa ist der Wisent aus archäologischen Befunden kaum belegt. Beispielsweise kennen wir von dem germanischen Opferplatz Oberdorla in Thüringen Überreste von Wisenten. Bei dem Quedlinburger Wisent handelte es sich um einen ausgewachsenen Bullen. Aufsehen erregend sind vor allem die Verletzungen im Stirnbereich. Sie belegen, dass der Wisent mit gezielten Schlägen getötet wurde. Diese Form des Tötens wurde in der Regel nur bei domestizierten Tieren angewendet. Es stellt sich daher die Frage, wie und warum dies bei einem so großen Wildtier durchgeführt wurde. Am ehesten muss daher von einer Tötung mit rituellem Hintergrund ausgegangen werden. Der Wisent von Quedlinburg datiert wie jene aus Oberdorla in die Römische Kaiserzeit (15 v. Chr. 375 n. Chr.). Der Wisent ist das größte und schwerste Landsäugetier des heutigen Europas. Ein ausgewachsener Bulle kann bis zu 900 kg wiegen. Die halbrunde Schlagmarke stammt von einem Betäubungsschlag zwischen die Hörner. Der massige Hieb auf Höhe der Augen tötet den Wisent. 12

Alte Funde Neue Funde Bereits vor Ausgrabungsbeginn war der Nahbereich des Bicklingsbaches als vorgeschichtliche Fundstelle bekannt. In der Lehmgrube am Hakelteich, die sich südlich der heutigen Grabungsfläche befand, erkannte man bereits 1922 vorgeschichtliche Funde. In einer beim Lehmabbau angeschnittenen Grube kamen neben Keramikscherben auch zwei zerbrochene Feuerböcke zum Vorschein. Feuerböcke sind während der frühen Vorrömischen Eisenzeit (780 480 v. Chr.) in Mitteldeutschland weit verbreitet. Diese Fundobjekte sind nachlässig gearbeitet und schlecht gebrannt. Parallele Furchen und Fingertupfen verzieren die Frontalansicht. Über die Funktion solcher Feuerböcke ist bisher wenig bekannt. Die Regelmäßigkeit ihrer Verzierung und fehlende Gebrauchsspuren lassen eine eher zeremonielle, rituelle Funktion vermuten. Fast 90 Jahre später, im Frühjahr 2010, entdeckten Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt bei Grabungen am Bicklingsbach die Reste weiterer Feuerböcke. Form, Größe und Verzierungen entsprechen sich in verblüffender Weise mit den Altfunden. Das 2010 bei den Ausgrabungen entdeckte Fragment eines Feuerbocks. Diese Geweihaxt aus der mittleren Steinzeit (9000 5500 v. Chr.) wurde um 1925 auf dem Gebiet des ehemaligen Hakelteiches unterhalb des Ochsenkopfs gefunden. Aus einer Lehmgrube unmittelbar neben der Grabungsfl äche wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder vorgeschichtliche Funde geborgen. Neben Gefäßen der Jungsteinzeit wurden auch Feuerböcke gefunden, die erstaunliche Ähnlichkeiten mit den 2010 entdeckten Funden aufweisen. Nur 800 m nördlich der Grabungsflächen am Ochsenkopf befindet sich ein jungsteinzeitlicher Grabhügel. Hier fanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrfach archäologische Ausgrabungen statt. 13

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen Anhalt LANDESMUSEUM FÜR VORGESCHICHTE Richard-Wagner-Straße 9 06114 Halle Tel.: 0345 52 47 30 Fax: 0345 52 47 351 poststelle@lda.mk.sachsen-anhalt.de www.archlsa.de

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