WIE MANAGT MAN KOLLEGEN? Wie managt man eigentlich Kollegen? Jede Analyse der Zeitverwendung von Führungskräften zeigt, dass sie zwar einen erheblichen Anteil ihrer Zeit für ihre Mitarbeiter aufwenden, aber einen noch viel grösseren für ihre Kollegen. Die Beziehungen von oben nach unten sind zweifellos in jeder Organisation wichtig. Die Querbeziehungen sind aber noch viel wichtiger. Wer diese nicht konstruktiv zu gestalten weiss, stösst auf Schritt und Tritt auf fast unüberwindbare Hindernisse. Die Berücksichtigung von wenigen und sehr einfachen Regeln, und die Anwendung einer simplen Methode schaffen fast alle diese Hindernisse aus dem Weg. Man wird sich dadurch nicht alle Kollegen zu Freunden machen können, aber man wird immer ein gutes und fruchtbares Verhältnis zu ihnen haben, wenn man diese einfachen Dinge anwendet. Man wird wirksam arbeiten können und Resultate erzielen. Führungskräfte haben Mitarbeiter, die geführt werden müssen. Sie haben aber auch Kollegen. Die Führung der Mitarbeiter kostet Zeit und gelegentlich gibt es Schwierigkeiten und Probleme. Sehr viel mehr Zeit wenden die meisten Manager aber auf für die Zusammenarbeit mit ihren Kollegen. Und die meisten berichten auch, mit ihren Kollegen wesentlich grössere Schwierigkeiten zu haben, als mit ihren Mitarbeitern. Die Ursache für diesen Umstand liegt in drei Gegebenheiten moderner Organisationen: Erstens werden praktisch alle Organisationen, auch die kleinen, immer komplexer, und daher ist immer mehr bereichsübergreifendes, laterales Zusammenarbeiten erforderlich. Zweitens benötigen immer mehr Aufgaben die Zusammenarbeit von Spezialisten ganz verschiedener Fachdisziplinen, völlig ungeachtet ihrer organisatorischen Zu- und Einordnung. Und zum dritten reagieren Kollegen nicht auf Befehle und Weisungen. Als Vorgesetzter hat man gegenüber seinen Mitarbeitern in letzter Konsequenz und als Ultima ratio das Mittel der Weisung zur Verfügung. Ich habe den Einsatz dieses Mittels nie empfohlen, aber man hat es, wenn sonst alles versagt. Man hat dieses Mittel aber eben nur gegenüber seinen Unterstellten und niemals gegenüber den Kollegen. Das ganze Arsenal der Kommunikation, Kooperation, der Konsensschaffung, Überzeugungsfähigkeit und, wo nötig, Durchsetzungsfähigkeit ist im Kern zwar auch gegenüber unterstellten Mitarbeitern bedeutsam, von wirklicher Tragweite ist es aber in erster Linie gegenüber seinen Kollegen. Natürlich gibt es in jeder Organisation auch gute kollegiale Beziehungen, solche, die gewissermassen von allein funktionieren, weil man es mit vernünftigen und problemlosen Leuten zu tun hat oder weil die "Chemie" stimmt. Es gibt aber, und leider recht häufig, auch solche, die überhaupt nicht funktionieren, und Quelle ständiger Konflikte sind. Ähnlich, wie ich dies schon in M.o.M. 3/95 in Zusammenhang mit dem Management von Chefs sagte, kann auch hier beobachtet werde, dass die meisten Leute sich nicht, oder jedenfalls erst sehr spät darüber klar werden, dass auch Kollegen gemanagt werden müssen. Es gehört zu jedem Job dazu, nicht nur seine Mitarbeiter zu führen, sondern auch seinen Chef und seine Kollegen. Leider habe ich noch nie eine Stellenbeschreibung gefunden, in der das klar und deutlich steht. Alles, was für eine Stelle wichtig ist, mag oft bis in bürokratische Details umschrieben und geregelt sein. Nur die zwei wichtigsten Dimensionen der Führung, das Management von Chefs und Kollegen wird vergessen oder übersehen. Ich betrachte das als einen wesentlichen Grund für das so häufig festzustellende "Kästchendenken". Die Leute werden einfach nicht darauf aufmerksam gemacht, dass das Beziehungsmanagement gegenüber Kollegen und Chefs auch noch zum Job gehört. Man redet und schreibt dann zwar viel von vernetztem und ganzheitlichem Denken; dort, wo es aber wirklich hingehört und tatsächlich implantiert werden kann, fehlt es. Die Menschen werden daher in dieser Hinsicht auch nicht ausgebildet und trainiert, und daher bleiben Vernetzung und Ganzheitlichkeit für die meisten auch Fremdwörter und unverständliche Philosophie. Es wird nie zur Praxis. Das Management von
Kollegen ist völlig problemlos und funktioniert (abgesehen von wenigen pathologischen Fällen, die es da und dort geben mag) ausgezeichnet, wenn man sich an ein paar einfache Regeln hält. Und es ist ein ewiges Problem, und eine Quelle von Frustration, Friktion, Konflikten und Ineffizienz, wenn man diese Regeln nicht beachtet. 1. Man muss Kollegen so nehmen wie sie sind Diese erste Regel mag furchtbar primitiv oder banal erscheinen, aber sie ist die erste und leider am häufigsten missachtete Regel. Viel zu viele Leute sind ständig damit beschäftigt, andere Menschen verändern zu wollen. Aber das gelingt erstens nur sehr selten, und zweitens dauert es viel zu lange. Aus diesen Gründen, und weil praktisch niemand sich seine Kollegen aussuchen kann, hat man kaum eine Alternative: man muss die Kollegen also so nehmen, wie sie sind, und man muss das Beste daraus machen. Alles, was ich in M.o.M. 3/95 zum Thema "Führung von Chefs" sagte, ist sinngemäss auch hier anwendbar. 2. Kollegen sind (im Zweifel) Spezialisten, - genauso wie ich selbst, und jeder ist auf etwas anderes spezialisiert Auch wenn der Ruf nach Generalisten, zu Recht, noch so laut ist, was man tatsächlich in jeder Organisation vorfindet, sind Spezialisten. Spezialisten sind ein sehr eigentümlicher Menschentyp. Man muss ein paar wenige Dinge beherzigen, wenn man mit ihnen gut zusammenarbeiten will. Für Spezialisten gilt immer: Sie leben in einer eigenen Welt, meistens ohne dies wahrhaben zu wollen. Sie sprechen ihre eigene Sprache und sind meistens sogar stolz darauf, von anderen nicht verstanden zu werden. Sie haben ihre eigenen Wahrnehmungen und Interessen, und sie interessieren sich kaum ernsthaft für Dinge, die ausserhalb ihres Spezialgebietes liegen; das war ja schliesslich der Grund, weshalb sie genau dieses Gebiet und kein anderes wählten. Aus diesen Gründen wird man immer beobachten können, dass sich Spezialisten desselben Fachgebietes untereinander trotz fachlicher Meinungsdifferenzen, die sie haben werden, recht gut verständigen können. Sie können es aber gar nicht mit Spezialisten anderer Gebiete. Daher muss man diesen Teufelskreis aufbrechen, - und das kann man nur selbst tun. 3. Es ist meine Verantwortung, mich verständlich zu machen Die Grundfrage muss lauten: Wie muss mein Output aussehen, damit er für einen anderen Kollegen als Input nützlich ist, damit er ihn verstehen und sofort damit weiterarbeiten kann, ohne noch ein zusätzliches Universitätsstudium machen zu müssen? Genau diese Verantwortlichkeit muss in jeden Job eingebaut sein, und sie muss wahrgenommen werden. Exakt hier liegt eine der Bruchstellen jeder Organisation. Es ist die Denkweise: Wenn mein Kollege sich nicht verständlich macht, warum sollte ich es tun? Andererseits sind es genau jene Leute, die aus der Unverständlichkeit ihrer Kollegen eben nicht den Anspruch ableiten, selbst unverständlich zu sein, die gute kollegiale Beziehungen haben, und es sind diese Leute, die die Organisation tragen und trotz aller Grenzen, Abteilungen und Spezialisierung dafür sorgen, dass die Organisation Resultate erzielt; dass sie das vorhandene Wissen und die Spezialkenntnisse wirksam in Nutzen transformiert. Wenn man das einmal begriffen hat und akzeptiert, dann ist alles andere nicht mehr sonderlich schwierig. Dann muss man nämlich nur noch einfach, klar und präzise reden und schreiben. Ich gebe zu, dass das nicht alle und leider immer weniger können, weil es schon in den Schulen nicht mehr trainiert wird. Aber ich behaupte auch, dass man das lernen kann. Es ist sehr modern geworden, sich mit Kommunikation zu befassen. Ich kann dieses Wort schon fast nicht mehr hören. Da werden entsetzlich komplizierte Theorien entwickelt, philosophische Entwürfe produziert und grossartige Konzepte gemacht. Nur über eines hört man
fast nichts, über die beiden Grundprinzipien wirksamer Kommunikation. Das erste Prinzip ist, sich klar, verständlich, einfach und präzise auszudrücken. Selbst auf die Gefahr hin, dass mich einige Kollegen aus der Psychologie und unter den Managementtrainern für einen Ignoranten halten, schlage ich vor, zunächst auf die grossen Kommunikationstheorien zu verzichten und dafür diese Fähigkeit zu vermitteln und zu trainieren. Ich weiss schon, dass Kommunikation auch ihre komplizierten Seiten hat, dass man gelegentlich Sach- und Beziehungsebene unterscheiden muss, dass es kommunikativ konstruierte Wirklichkeiten und Double-Bind-Situationen gibt. Aber dies alles hilft nichts, wenn die Grundfähigkeit, sich klar und verständlich auszudrücken nicht beherrscht wird. Mein bevorzugtes Beispiel - und es lässt sich auf jede Organisation sinngemäss übertragen - ist noch immer: Wer in der Lage ist, einem Ortsfremden den Weg zu einem Treffpunkt so zu beschreiben, dass dieser ihn ohne weiteres Fragen finden kann, wird kaum je grosse Kommunikationsprobleme haben. Ob er es mit Worten oder mit Hilfe einer Zeichnung macht, ist nicht besonders wichtig. Entscheidend ist, dass der andere den Treffpunkt findet. Das zweite Prinzip ist, dass man mit jedem Menschen in dessen Sprache sprechen muss, wenn man verstanden werden will. Wer das zusätzlich begriffen hat, wird wahrscheinlich überhaupt keine Kommunikationsprobleme mehr haben. Was mich immer wieder wundert, ist, dass die meisten Menschen irgendwann einmal in ihrem Leben diese Fähigkeiten tatsächlich und als Selbstverständlichkeit haben, und dass sie ihnen dann irgendwann zwischen gesundem Menschenverstand und akademischem Diplom abhandenkommen. Viele haben diese Fähigkeit ebenfalls selbstverständlich zuhause und im Privatleben. Man weiss doch, dass man mit einem vierjährigen Kind in der Sprache eines vierjährigen Kindes reden muss, damit es einen versteht, und man tut das auch fast reflexartig. Aber in der Firma wenden sehr viele das nicht an. Dort "kommunizieren" sie dann nur noch in ihrem unverständlichen Fachjargon. Die Regel lautet also: Übernimm' die Verantwortung, Dich Deinen Kollegen gegenüber verständlich zu machen, auch wenn diese es selbst nicht tun. Übrigens, als Chef von Spezialisten sollte man es nicht dulden, dass die Leute ihr Spezialisten-'Chinesisch' kultivieren und darauf auch noch stolz sind. Als Vorgesetzter verlangt man ganz einfach von den Leuten, dass sie sich verständlich ausdrücken. 4. Konflikte haben fast immer dieselbe Ursache Der vierte Punkt des Managements von Kollegen hängt mit Konflikten zusammen. Immer und immer wieder hört man ja, dass es Konflikte, Streitereien, Auseinandersetzungen usw. zwischen Kollegen gebe. Auch hier kann man sich nun, wie bei der Kommunikation, mit den grossen und meistens ebenfalls recht komplizierten Konflikt- und Konfliktbewältigungstheorien befassen, oder man kann es etwas praktischer und einfacher haben. Die meisten Konflikte zwischen Kollegen in Organisationen haben dieselbe Wurzel. Es ist die Haltung: Ich habe recht, und der andere hat unrecht. Die Konfliktsituation hat fast immer folgende Grundstruktur: Der Kollege "Entwicklungsingenieur" sitzt mit Kollegen aus anderen Abteilungen zusammen, um gemeinsam eine Frage zu diskutieren oder ein Problem zu lösen. Der Kollege "Marketing" (oder Produktion, oder Finanzen) macht einen Vorschlag oder vertritt eine Meinung, die dem Entwicklungsingenieur total absurd erscheint. Die Reaktion der meisten Leute ist, auch wenn sie es nicht aussprechen: "So ein Idiot. Das ist wieder typisch Marketing (oder Produktion, oder Finanzen). So können nur die Schwachköpfe aus dem Marketing reden. Ich habe immer gewusst, dass sie vom Geschäft keine Ahnung haben..." Die guten Manager denken aber ganz anders. Sie haben vielleicht auch diesen Impuls, aber sie unterdrücken ihn. Sie sehen in diesem echten oder vermeintlichen, jedenfalls drohenden Konflikt nicht eine Gelegenheit, den anderen für einen Idioten zu halten, sondern sie sehen in ihm eine Chance, Verständigung herbeizuführen und mehr über die Situation, die Organisation und das Geschäft zu erfahren und zu lernen. Sie beherrschen sich drei
Sekunden lang, unterdrücken den "Idiotenimpuls" und dann fragen sie sich: "Wie muss der andere, als gesunder, gebildeter und genau wie ich am Wohlergehen dieser Organisation interessierte Mensch die Situation sehen, um zu dieser Meinung kommen zu können, so absurd sie mir auch erscheinen mag?" Sie sind auch nicht im entferntesten an der Frage interessiert: Wer hat recht?, sondern ihr Interesse gilt nur der ganz anderen Frage, nämlich: Was ist richtig? Und dann versuchen sie, herauszufinden, wie der andere die Welt, das Geschäft und die Organisation sieht, und daher zu dieser "so absurden" Meinung kommt. Mit der Zeit lernt man, ausgehend davon, dass man den anderen ernst nimmt, die Welt gelegentlich mit seinen Augen zu sehen, aus der Perspektive seiner Fachdisziplin. Nicht selten, ja sogar recht häufig, wird man feststellen, dass das gar nicht so dumm ist, was er sagt. Man lernt, dass Geschäft nicht nur aus einer, nämlich der eigenen Dimension zu sehen. Man erfährt, dass es noch andere Facetten gibt, die ebenfalls wichtig sind, und man entwickelt sich nach und nach vom Spezialisten zwar nicht zum Generalisten, aber doch zu einem Spezialisten, der es versteht, sich in die Organisation zu integrieren. Wer auf diesem Wege ein Stück weit geht, wird vor allem eine für die Zusammenarbeit mit Kollegen in einer Organisation ausserordentlich wichtige Erfahrung machen: Er lernt, dass die Konfliktparteien nicht nur unterschiedliche Antworten geben, sondern dass sie meistens von ganz anderen Fragestellungen ausgehen. Konflikte, die lediglich auf unterschiedliche Antworten zurück zu führen sind, sind meistens relativ leicht zu lösen. Man kann fast immer einen tragfähigen Kompromiss finden, wenn man wenigstens über die gleiche Frage redet. Konflikte hingegen, deren Wurzel ganz unterschiedliche Fragestellungen sind, sind sehr viel schwieriger zu lösen, denn dafür gibt es meistens keinen Kompromiss. Die Auffassungen stehen sich völlig unversöhnlich gegenüber, weil eben die Ausgangspunkte völlig verschieden sind. Erst wenn man diese anderen Fragestellungen herausgefunden und verstanden hat, eröffnen sich Chancen, auch diese Konflikte zu lösen. Dieser letzte Aspekt ist zugegebener Massen ein Element eher fortgeschrittenen Managements. Wer ihn berücksichtigt, wird erleben, dass er allen anderen fast immer ein Stück voraus ist und sogar sehr schwierige Situationen souverän meistern kann. Und meistens wird er im Rufe stehen, dass er ein vernünftiger und reifer Mensch sei, mit dem man gut zusammenarbeiten könne. Das sind jene Führungskräfte, die verstanden haben, dass der Marketingmanager die Welt völlig anders sieht, ja sehen muss, als der Controller oder der Leiter der Entwicklung. Sie erwarten daher auch gar nichts anderes. Erstens sind alle diese Personen eben Spezialisten, und zweitens werden sie ja nachgerade dafür bezahlt, dass sie die Dinge anders sehen und ihnen anderes wichtig ist. Dies ist für die Organisation auch höchst notwendig und "lebenserhaltend", denn die Welt, der Markt, der Kunde sind eben nicht eindimensional. Die guten Manager orientieren sich also an der Frage: Was ist richtig? und nicht: Wer hat Recht? Sie erliegen gelegentlich zwar auch der Versuchung der zweiten Frage, aber dann akzeptieren sie wenigstens, "...dass ich unrecht, und der andere recht haben kann; oder dass wir beide unrecht haben können und vielleicht gemeinsam das Richtige herausfinden können". Mit dieser Haltung gehen sie dann in die Diskussion und sie wissen, dass es nur drei Methoden gibt, eine solche Diskussion zu führen, nämlich: offen, offen, offen. Es gibt keine vierte. Dies ist die Basis ihrer Glaubwürdigkeit und der daraus resultierenden Überzeugungskraft. Manche Leute mögen mich für naiv halten und werden auf die vielen Intrigen verweisen, die die Kollegen anzetteln; darauf, dass diese ohnehin immer mit gezinkten Karten spielen und jede Sitzung dafür missbrauchen, für sich Vorteile herauszuholen. Es gibt solche Kollegen, und es wäre dumm, das zu ignorieren. Aber eine Organisation kann auf diese Weise auf Dauer weder Resultate erzielen, noch wirksam sein, noch ihren Zweck erfüllen. Sie wird über kurz oder lang weder konkurrenzfähige Autos, noch Werkzeugmaschinen produzieren; sie wird weder Kranke heilen, noch Wähler gewinnen. Sie wird zur Bühne shakespear'scher Intrigenspiele. Wer nur an seiner eigenen Karriere interessiert ist, wird meine Meinung nicht teilen können. Wer am Erfolg und der Wirksamkeit
eines Unternehmens oder irgendeiner anderen Organisation interessiert ist, wird in ihr zumindest eine überlegenswerte Alternative sehen, und vielleicht macht er dann mit und in einer wirksamen Organisation gerade deshalb Karriere. 5. Eine (fast) todsichere Methode Zum Schluss möchte ich eine Methode darstellen, mit der man alle kollegialen Beziehungen, ausser die seltenen, wirklich pathologischen Fälle, so gestalten kann, dass man mit fast allen Leuten hervorragend zusammenarbeiten kann. Die wirklichen Professionals auf diesem Gebiet wenden diese Methode auf die eine oder andere Weise an: Sie machen einmal im Jahr zwei Listen. Daraus leiten sie zwei Erfahrungen ab, und dann führen sie eine Massnahme durch. 5.1. Zwei Listen Sie reservieren sich für die Erstellung der zwei Listen einen ganzen Tag und machen das in Ruhe und mit aller Sorgfalt. Die erste Liste trägt die Überschrift: Von wem hänge ich ab, für meine Resultate? Mit Akribie schreiben sie hier die Namen all' jener Personen auf, auf die sie innerhalb und ausserhalb der Organisation angewiesen sind, um ihre Ergebnisse zu erzielen. An prominenter Stelle auf der Liste wird der eigene Chef stehen; dann die vielen Kollegen, von denen man, ob man will oder nicht, eben abhängig ist; dann natürlich die eigenen Mitarbeiter; dann die Geschäftspartner, Kunden, Lieferanten, Banken usw.; Medienleute, die vielleicht wichtig sind; die eigene Familie, Freunde, Bekannte usw. Die zweite Liste ist das Spiegelbild der ersten und trägt die Überschrift: Wer hängt von mir ab, für seine Resultate? Teilweise werden dieselben Namen auf dieser zweiten Liste stehen, teilweise werden es andere sein. 5.2. Zwei Erfahrungen Praktisch immer können zwei Erfahrungen oder Erkenntnisse aus diesen Listen abgeleitet werden. Erstens, die Listen decken sich nie mit dem Organigramm und schon gar nicht mit dem Organigramm der eigenen Abteilung. Man ist eben nie nur von Personen innerhalb seiner Abteilung oder seiner Organisation abhängig, sondern immer auch noch von solchen ausserhalb. Dies kann man dann "vernetzt" und "ganzheitlich" nennen, wenn man an grossen Worten interessiert ist. Und zweitens macht man die Erfahrung, dass die Listen sich von Jahr zu Jahr ändern. Man kann das, auch mit grossen Worten, als "organizational dynamics" bezeichnen. Es ist die simple Tatsache, dass man immer wieder mit neuen und anderen Leuten zusammenarbeiten muss. Es sind neue Kollegen dazugekommen; bei den Geschäftspartnern hat Personalwechsel stattgefunden; der Geschäftsführer eines wichtigen Kunden hat eine neue Sekretärin, von der man abhängt, um Termine zu bekommen; die Bank hat einen anderen Kreditchef; meine Mitarbeiter sind nicht mehr dieselben usw. Nur in manchen Managementtheorien bleibt die Welt konstant und nur in manchen ökonomischen Theorien gibt es noch immer die "ceteris paribus"-klausel. In der Wirklichkeit gibt es so etwas nicht; - die Wirklichkeit ändert sich. 5.3. Eine Massnahme Auf der Basis der zwei Listen und dieser beiden Erfahrungen führen die Profis nun eine Massnahme durch. Während die ersten beiden Schritte dieser Methode wenig Zeit erfordern, benötigt dieser dritte Schritt leider - ziemlich viel Zeit. Aber sie ist gut investiert. Jetzt gehen sie zu jedem, der auf ihren Listen steht, hin und reden mit ihm. Worüber?
Immer über die folgenden Fragen: Was brauchen Sie von mir, damit Sie Ihre Arbeit so effektiv wie möglich machen können? Was kann ich tun, damit unsere Zusammenarbeit möglichst konstruktiv ist? Was könnten Sie tun, damit ich meine Arbeit möglichst gut machen kann? Man geht als Controller also zu seinem Kollegen aus dem Marketing, und sagt sinngemäss: "Ich mache Controlling und Sie Marketing. Ich glaube, das und das ist es, was Sie von mir brauchen, um wirksam arbeiten zu können. Stimmt das? Sehen Sie das auch so?" Manchmal wird es, insbesondere wenn man schon lange zusammenarbeitet und seinen Kollegen schon recht gut kennt, ein kurzes Gespräch. Der Kollege "Marketing" wird sagen: "Ja, alles in Ordnung. Wo liegt das Problem? Warum kommen Sie?" - "Ich wollte nur sicher sein..." Dieses Gespräch wäre vielleicht nicht nötig gewesen, aber es war dennoch nicht überflüssig. Was man damit nämlich erreicht hat, meistens in wenigen Minuten, ist etwas sehr Wichtiges. Man hat seinem Kollegen das kleine, aber unendlich wirksame Signal gegeben: "Es ist mir wichtig, mit Ihnen gut zusammen zu arbeiten, und ich tue etwas dafür. Wir werden vielleicht nie Freunde sein und nie miteinander in die Ferien fahren, aber ich bemühe mich um eine konstruktive Zusammenarbeit..." Das Gespräch kann aber auch ganz anders verlaufen, dann nämlich, wenn der Kollege antwortet: "Ich sehe das ganz anders! Und es ist gut, dass Sie gekommen sind, ich wollte ohnehin schon lange mit Ihnen sprechen. Die langen Controllingberichte, die ich jeden Monat von Ihnen bekomme, würde ich eigentlich gar nicht brauchen. Ich brauche nicht alle Daten. Im Grunde würden mir die fünf wichtigsten Produktgruppen, ihre Umsätze und Deckungsbeiträge genügen. Was mir aber wirklich weiterhelfen würde, das wären die X,Y,Z-Zahlen über unsere 20 % wichtigsten Kunden. Diese finde ich leider nicht." Und dann kann man als Controller vielleicht etwas für den Kollegen im Marketing tun, weil man ihm diese Zahlen liefern kann, sobald man weiss, dass es das ist, was er wirklich braucht. Vielleicht kann man auch nichts tun, weil die Bereitstellung dieser Zahlen aufgrund des gegebenen Standes des Rechnungswesens und der Informatik nicht verfügbar sind. Dann weiss der Kollege wenigstens, warum das nicht oder noch nicht geht. Manager, die sinngemäss so mit ihren Kollegen umgehen, haben nie Probleme. Sie sind geachtet und angesehen, und jeder, der mit ihnen zusammenarbeitet, weiss, dass sie alles, was man im Dienste einer guten Zusammenarbeit tun kann, auch tun. Man weiss, dass ihnen etwas an konstruktiver, kollegialer Zusammenarbeit liegt, und dass sie sich dafür einsetzen. 6. Ein letzter Tipp Einen letzten Tip möchte ich nicht verschweigen. Teilnehmer an meinen Seminaren fragen mich immer wieder, selbst wenn sie mit allem einverstanden sind und sehen, dass das praktische Bedeutung hat: "Ja, aber wie setzt man das jetzt um?" Das ist ganz einfach: Manager, die diese Methode anwenden, tragen den Tag, an dem sie ihre zwei Listen machen wollen, in ihrem Kalender ein. Und genauso tragen sie die Termine ein, an denen sie mit den Personen, die auf ihren Listen stehen, dieses Gespräch führen wollen. Sie können diese Termine aus einer Reihe von Gründen nicht immer genau dann einhalten, wenn sie sie geplant haben. Aber sie lassen sie nie wieder aus ihren Kalendern verschwinden. Führungskräfte führen nicht nur, sie werden auch geführt. Wodurch? Vor allem durch das, was in ihren Kalendern steht. Diese Dinge werden normalerweise erledigt. Fast alles andere sind fromme Wünsche, gute Absichten und wohlgemeinte Vorsätze, - aber sie verschwinden in der Hektik des Tagesgeschäftes vom Schirm der Aufmerksamkeit, wenn sie
nicht in den Kalendern stehen. Manager, die diese wenigen und recht einfachen Dinge beherzigen, werden erleben, dass sie schon bald zur zweiten Natur werden. Sie erzielen Ergebnisse, sie können damit rechnen, dass sie fast immer Hilfe bekommen, wenn sie sie brauchen. Sie haben ein Verhältnis zu ihren Kollegen aufgebaut, das konstruktiv ist. Vor allem sind diese Beziehungen auch robust genug, um einen gelegentlichen Fehler, der natürlich auch diesen Leuten unterläuft, aushalten und verkraften zu können. Und sollte es trotz aller Bemühungen in seltenen Fällen doch nicht möglich sein, eine Beziehung dieser Art aufzubauen, dann werden sie bedauernd die Achseln zucken und zur Tagesordnung übergehen. Sie werden dies aber mit einem guten Gewissen tun, denn sie haben alles getan, was sie tun konnten. Quelle: m.o.m. -Letter 95/05