Der Konjunktiv Bildung und Anwendung Der Konjunktiv wird in der gesprochenen und in der geschriebenen Sprache verwendet. In der gesprochenen Sprache ist er auf Hauptsätze und Bedingungssätze beschränkt: Hättest du nur etwas gesagt, dann hätte ich dir geholfen! Würden sie mir die Tür aufhalten? Das hätte ich mir nicht bieten lassen! Er dürfte wohl gegen sechs kommen. Diese mündlichen Anwendungsfälle bereiten einem Sprecher des Deutschen kaum Schwierigkeiten. Anders sieht es mit jenen Konjunktiven aus, die ausschließlich in der geschrieben Sprache vorkommen. Hier findet man in Zeitungen und Büchern eine enorme Zahl an falschen Formen. Was macht der Konjunktiv? Die meisten verbinden den Konjunktiv mit Begriffen wie Möglichkeit. Abgesehen von der Frage, ob der Konjunktiv überhaupt eine Möglichkeit ausdrücken kann (nein), sind solche Begriffe natürlich viel zu vage, wenn man davon genaue Regeln ableiten will, wie man den Konjunktiv anwenden soll. Tatsächlich gibt es solche Regeln, und sie sind exakter, eindeutiger und leichter, als viele glauben.
Die wichtigste Erkenntnis besteht darin, daß es zwei Konjunktive gibt, die ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Bevor wir uns diese Aufgaben ansehen, sollten wir uns klarmachen, welche Konjunktive es gibt und wie sie gebildet werden: Bildung des Konjunktivs Die deutsche Sprache besitzt zwei Konjunktivformen. Sie werden vom Stamm der Präsens- und der Präteritumsform des Verbs abgeleitet, weshalb man sie traditionell als Konjunktiv Präsens (lateinisch coniunctivus praesentis) und Konjunktiv Präteritum (lateinisch coniunctivus praeteriti) bezeichnet: ich bin daß ich sei (Konjunktiv Präsens) ich war als ob ich wäre (Konjunktiv Präteritum) ich habe daß ich habe (Konjunktiv Präsens) ich hatte als ob ich hätte (Konjunktiv Präteritum) ich fahre daß ich fahre (Konjunktiv Präsens) ich fuhr als ob ich führe (Konjunktiv Präteritum) Begänne oder begönne? Warum gibt es im Deutschen Verben mit zwei konkurrierenden Formen im Konjunktiv 2? befehlen: beföhle und selten befähle beginnen: begönne und begänne empfehlen: empföhle und nur selten empfähle gelten: gölte und vor allem gälte gewinnen: gewönne und gewänne beginnen: begönne und begänne helfen: hülfe und hälfe rinnen: rönne und ränne schwimmen: schwömme und schwämme sinnen: sönne und sänne spinnen: spönne und spänne stehen: stünde und stände
stehen: stöhle und stähle sterben: stürbe und stärbe Andere Verben haben nur eine Form, allerdings nicht die, die man erwartet: gelten: nur noch selten gölte, dafür meist gälte stehlen: stöhle aber nur sehr selten stähle verderben: verdürbe aber nicht verdärbe werben: würbe aber nicht wärbe werfen: würfe aber nicht wärfe Bei den Verben mit Doeppelform sind die jeweils erstgenannten Formen älter, die zweiten sind systematische Neubildungen des Neuhochdeutschen. Betroffen sind nur starke Verben, also solche, die die Vergangenheit durch Ablaut des Wurzelvokals bilden: ich schwimme, ich schwamm, geschwommen. Vor dem Neuhochdeutschen besaß jedes starke Verb vier Ablautstufen, hier mit dem althochdeutschen Vorfahr von beginnen dargestellt: Althochdeutsch: beginnen Gegenwart Präteritum Singular Präteritum Plural Partizip Präteritum ih beginnu wir beginnumes ih bigan wir bigunnum bigunnan Alle Formen, die keine Vergangenheitsbedeutung haben, also der Infinitiv (beginnen), das Partizip Präsens (beginnend), die Imperative (beginne!) sowie der Indikativ (ich beginne) und Konjunktiv Präsens (daß ich beginne), haben wie im heutigen Deutschen Ablautstufe 1. Ebenso besitzt das Partizip Präteritum (begonnen) eine eigene Ablautstufe.
Die Vergangenheitsformen haben bis zum Mittelhochdeutschen zwei Ablautstufen, eine für den Singular und eine andere für den Plural: mittelhochdeutsch: befelhen ich befalh wir befulhen beginnen ich began wir begunnen emphelhen ich emphalh wir emphulen gelten ich galt wir gulten gewinnen ich gewan wir gewunnen helfen ich half wir hulfen rinnen es rann sie runnen schelten ich schalt wir schulten swimmen ich swam wir swummen sinnen ich san wir sunnen spinnen ich span wir spunnen stehen ich stuo(n)t wir stuonden steln ich stal wir stulen sterben ich starb wir sturben verderbn ich verdarb wir verdurben werben ich warb wir wurben Diese Trennung zwischen Singular und Plural wurde im Neuhochdeutschen aufgegeben. Es gibt heute einen gemeinsamen Ablaut für alle Vergangenheitsformen: modernes deutsch: beginnen Gegenwart Präteritum Partizip Präteritum ich beginne wir beginnen ich begann wir begannen begonnen Dasselbe haben auch die anderen germanischen Sprachen getan, nur das Isländische besitzt auch heute noch alle vier Ablautstufen:
englisch schwedisch isländisch Präsens I give jag ger ég gef Prät. Sg. I gave jag gav ég gaf Prät. Pl. we gave vi gav við gáfum Part. Prät. given given gefinn Meist haben die Pluralformen bei dieser Reform den Ablaut des Singulars angenommen: wir begunnen wurde wie der Singular ich began zu wir begannen. Bei den oben genannten Verben führte dies zu einem Problem: Der Konjunktiv 2 (alle Formen) wurde noch bis ins Neuhochdeutsche von der Ablautstufe des Präteritum Plurals abgeleitet: wir sturben daß ich stürbe, daß du stürbest, daß er oder sie stürbe, daß wir stürben usw. Die Vokale a, o, u werden dabei zu ä, ö, ü umgelautet. Wenn die Ableitungsbasis wir sturben allerdings aufgegeben und durch wir starben ersetzt wird, wird der Konjunktiv 2 verhüllt: Niemand weiß mehr, woher der Vokal ü stammt, wenn die Vergangenheit doch ich starb, wir starben heißt. Deshalb wurden zu diesen Verben noch einmal systematische, neue Formen für den Konjunktiv 2 gebildet: Von ich begann, wir begannen wird ein neuer Umlaut gebildet: als ob ich begänne. Beide Varianten sind grammatikalisch korrekt. Das eine ist nicht hochsprachlicher, umgangssprachlicher oder stilistisch besser oder schlechter als das andere. Der Sprecher kann nach seinem musikalischen Geschmack entscheiden.
Verwendung des Konjunktivs Für die Bildung der Konjunktivformen sind die traditionellen Bezeichnung erhellend, für ihre Verwendung dagegen irreführend, denn keiner der beiden Konjunktive drückt eine Zeitstufe aus. Der deutsche Konjunktiv hat im Gegensatz zum Lateinischen (consecutio temporum) und anderen Sprachen keinen Zeitbezug. Deshalb nennt man die beiden Formen besser Konjunktiv 1 und Konjunktiv 2. Sie übernehmen im Nebensatz verschiedene Aufgaben. Konjunktiv Präsens Konjunktiv 1 Konjunktiv Präteritum Konjunktiv 2 Konjunktiv im abhängigen Aussagesatz Eine Vorübung: Er sagt die Wahrheit. Äußerlich/formal ist die Wahrheit das Objekt des Satzes und vom Verb sagte abhängig. Es erläutert zudem, was der Inhalt des Sagens ist (innerlich oder inhaltlich abhängig). Das Objekt muß aber kein Substantiv sein. Auch ein ganzer Satz kann das Objekt bilden: Ich fahre jetzt! sagt er. Hier bildet ein direkter Aussagesatz das Objekt des Hauptsatzes. Möchte man die direkte Aussage in eine indirekte umwandeln, erhält man einen indirekten (= abhängigen) Aussagesatz: Er fahre jetzt, sagt er. Indirekte (= abhängige) Aussagesätze, auch bekannt als indirekte Rede, stehen grundsätzlich im Konjunktiv 1. Ob das Verb im Hauptsatz (ein Verb des Sagens, Denkens oder Fühlens, sogenannte verba dicendi et sentiendi) im Präsens oder im Präteritum steht, ist unerheblich: Er fahre jetzt, sagt er. Er fahre jetzt, sagte er.
Es kann allerdings vorkommen, daß der Konjunktiv 1 sich nicht vom Indikativ unterscheiden läßt: Sie beginnen jetzt, sagt er. (= Indikativ) Sie beginnen jetzt, sagte er. (= Konjunktiv 1) In diesem Fall und nur in diesem! wird der Konjunktiv 1 ausnahmsweise durch den Konjunktiv 2 ersetzt: Sie beginnen jetzt, sagte er. (= Konjunktiv 1) Sie begännen jetzt, sagte er. (=Konjunktiv 2) Regel Im abhängigen Aussagesatz steht unabhängig vom Tempus des Verbs, von dem dieser Satz abhängt, der Konjunktiv 1. Der Konjunktiv 1 ist die Form, die inhaltliche/ innerliche Abhängigkeit zum Ausdruck bringt (und nichts andres). Ist die Form des Konjunktivs 1 allerdings mit der Indikativform identisch, wird stellvertretend der Konjunktiv 2 verwendet. Dieses übergeordnete Verb muß nicht unbedingt ein Verb wie sagen, fragen oder glauben sein. Manchmal ergibt sich das Aussagen auch aus der Gesamtbedeutung des Hauptsatzes:»Wir werden nicht gerettet!«sie hatten keine Hoffnung mehr, daß sie gerettet würden. Auch bei diesem Beispiel wurde der Konjunktiv 1 (werden) durch den Konjunktiv 2 (würden) ersetzt, weil er mit dem Indikativ identisch ist. Konjunktiv 1 als Optativ? Hat der Konjunktiv 1 denn wirklich keine anderen Aufgaben, als die innerliche Abhängigkeit und indirekte Rede auszudrücken? Was hat es dann mit diesen Beispielen auf sich: Seien wir ehrlich! Sei doch so lieb!
Es ist schrecklich mit dir! Seien es deine Launen, sei es, daß du mir nie die Wahrheit sagst! Hier hat der Konjunktiv 1 doch die Funktion, die man auch als Optativ, das heißt als Wunschform bezeichnet. Das ist doch auch im Lateinischen so: Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat.»die Konsuln mögen zusehen, daß der Staat keinen Schaden nimmt.«audiatur et altera pars.»man höre auch den anderen Teil.«Die Antwort lautet nein. Im Lateinischen kommen Begehrsätze nur im Konjunktiv Präsens wie in den beiden Beispielen in der dritten Person vor. In der zweiten Person zieht man den Imperativ vor: Audi et altera pars!»höre auch den anderen Teil!«Genauso ist es im Deutschen. Die Formen sei- sind keine Konjunktive, sondern Imperative: Sei doch nicht so gierig! Tatsächlich sind die heutigen Imperativformen des Verbums sein, nämlich sei! seien wir! seid! seien Sie!, noch im Mittelhochdeutschen Konjunktive, während die Befehlsform damals wis! oder bis! lauteten. Ersetzt man sei(n) jedoch durch ein anderes Verb, bleibt kein Zweifel, daß es sich um Imperative handelt: Geh doch nicht so schnell! Es ist schrecklich mit dir! Nimm deine Launen und bedenke, daß du mir nie die Wahrheit sagst! Hier lauten die Formen des Konjunktivs 1 nicht wie die Imperative: du gehest, du nehmest, du bedenkest. Übrig sind wie bei den lateinischen Beispielen Formen in der dritten Person: Er entferne sich unverzüglich! Möge er verschwinden! Kann man solche Sätze heute noch bilden, ohne dabei wie ein Sonnenkönig zu klingen? Nein. Aufforderungen an die dritte Person werden heute mit dem Modalverb sollen gebildet: Er soll verschwinden! Sie sollen die Klappe halten!
Es bleibt also dabei: Der Konjunktiv 1 wird im modernen Deutschen nur für innerliche Abhängigkeit gebraucht. Er kann keine Wünsche ausdrücken und auch keine Möglichkeiten. Irrealis und Konjunktiv 2 Eine ganz andere Anwendung als der Konjunktiv 1 hat der Konjunktiv 2. Er kennzeichnet Aussagen als irreal (unwirklich). Eine reale Aussage: Paul Anna Ich komme dann um sechs. Wenn du kommst, wird das Essen schon fertig sein. Die Bedingung, die Anna nennt, steht im Indikativ, denn sowohl Anna, Paul als auch der Leser können davon ausgehen, daß diese Bedingung tatsächlich eintreten wird. Es handelt sich also um eine reale Behauptung. Diese Aus sageform nennt man Realis. Eine irreale Aussage: Knut Heute abend kann ich leider nicht kommen. Britta Wie schade! Wenn du doch kämest, würde ich mich sehr freuen. Oder in der Vergangenheit: Knut Es tut mir leid, daß ich gestern nicht kommen konnte. Britta Dabei hätte ich mich so gefreut, wenn du gekommen wärest! Britta nennt Bedingungen, deren Unerfüllbarkeit klar ist, noch während Britta sie ausspricht. Solche Aussagenformen nennt man Irrealis. Der Modus des Irrealis ist der Konjunktiv 2 (niemals der Konjunktiv 1). Die beiden Beispiele zeigen Aussagen, wie sie auch in der gesprochenen Sprache vorkommen. Sie bereiten Sprechern daher keine Schwierigkeiten. Der Irrealis kommt in der Schriftsprache allerdings auch in anderen Satzarten vor.
Vergleichssätze Ein Beispiel aus einem Zeitungsartikel: Ihr Blick ist so konzentriert auf die Buchstaben gerichtet, daß es scheint, sie könne aufsaugen, was da steht. Natürlich kann der Blick der Lesenden niemals so konzentriert sein, daß dadurch die Druckerschwärze vom Papier gesaugt wird. Es handelt sich bloß um eine Übertreibung, mit der verdeutlicht werden soll, wie konzentriert die Lesende liest. Der Vergleich (scheinen wie) ist also nicht Wirklichkeit (irreal) und muß deshalb im Konjunktiv 2 stehen. Dies gilt für alle Sätze, die von Verben wie scheinen abhängen. Die Form könne (= Konjunktiv 1) muß also zu könnte (= Konjunktiv 2) korrigiert werden. Ein Beispiel aus der Schönliteratur: Sie kam sich vor, als sei sie gerade gestorben. Sie kam sich vor, als ob sie gerade gestorben sei. Natürlich kann die Person nicht wirklich gestorben sein, da sie sich dann ja nicht mehr irgendwie vorkommen könnte. Richtig ist also: Sie kam sich vor, als wäre sie gerade gestorben. Sie kam sich vor, als ob sie gerade gestorben wäre. Gerade im Hochfeuilleton und in der Hochliteratur, also überall dort, wo die Ambitionen des Autors besonders hoch sind, findet man die meisten falschen Konjunktive, denn hier sind Vergleichssätze besonders beliebt. Viele werden verleitet, hier den Konjunktiv 1 zu verwenden (, als sei bla bla;, als habe bla bla; usw.), weil der Konjunktiv 1 vielleicht vornehmer und literarischer klingt. Der Konjunktiv 1 hat in Vergleichssätzen allerdings nichts verloren. Die Wortkombinationen als sei, als habe usw. sind also immer falsch. Richtig sind als wäre und als hätte. Denn das Wesen von Vergleichen besteht ja gerade darin, daß sie nicht Wirklichkeit sind, sondern ein Bild, das zur Verdeutlichung der Wirklichkeit neben sie gestellt wird. Vergleiche und Vergleichssätze sind also grundsätzlich und ausnahmslos irreal. Irreale Aussagen stehen immer im Konjunktiv 2 und niemals im Konjunktiv 1, der nichts andres als innerliche Abhängigkeit ausdrückt. In Vergleichssätzen, die mit als (ob) eingeleitet werden, sowie in allen anderen Sätzen, die einen Vergleich ausdrücken, steht ohne Spielraum der Konjunktiv 2 (wäre, hätte, müßte, wüßte ).
Konjunktiv 2 als Modus der Höflichkeit Im Alltag werden Aussagen oft als irreale Aussagen formuliert, um den Angesprochenen nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. Könnten Sie mir bitte helfen? Bairischer Irrealis In Bayern ist selbst das, was bereits als Tatsache eingetreten ist, noch ungewiß. Bayern formulieren daher jede Aussage im Konjunktiv 2. Die Benutzung des Indikativs (Realis) nennt man dort gschert daherredn. Des kannt scho sei! An soichatn Schmoan mechatn mia ned! Pfeilgråd! Jetzat häddidi bald nimma kennt! Von Bruno Jonas gibt es folgenden Lehrdialog: #1 Was dadsd denn du sogn, wenn i di frogn dad, ob du morgen Zeit hättst? #2 Dad i sogn, kannt ma drüber reden Am nächsten Tag #2 Ich wär jetzt da. #1 Zeit wär s.
Scheinbarer Potentialis Natürlich besteht die Welt nicht nur aus schwarz und weiß. Oft möchte man sich gar nicht festlegen, ob etwas real oder irreal ist. Die folgenden Beispiele sind Zeitungsartikeln entnommen, die aus der Zeit der Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten stammen. Sie verraten, daß der Verfasser nach Grautönen zwischen schwarz und weiß sucht. Axelrod wirkt auf den ersten Blick, als sei er direkt aus den sechziger Jahren in die Gegenwart gebeamt worden. Axelrod, damals der Wahlkampftaktiker von Obama, sieht in den Augen des Verfassers dieses Satzes also wie jemand aus, der aus den Sechzigern stammt. Das wäre die wirkliche Seite dieses Satzes, die Sache mit dem Beamen dagegen die unwirkliche. Vielleicht möchte der Autor durch den (hier ganz und gar deplazierten) Konjunktiv 1 andeuten, daß der Vergleich nicht ganz irreal ist, sondern nur ein bißchen. Der Gedanke ist jedoch ein Irrtum. Entweder hat man es mit einem Vergleich zu tun (Konjunktiv 2) oder eben nicht (Indikativ). Und hier ist es ein Vergleich. Wenn weder der Konjunktiv 2 noch der Indikativ die Sache treffen, kann man das als deutlichen Hinweis sehen, daß die Aussage als solche falsch konstruiert ist und umformuliert werden sollte. Die sanfteste Veränderung wäre hier: Axelrod wirkt auf den ersten Blick wie (jemand) aus den sechziger Jahren. Als wäre er von dort in die Gegenwart gebeamt worden. Das nächste Beispiel ist noch extremer. Einige Tage nach der Präsidentenwahl hieß es: Es ist, als müsse sich das Land immer noch vergegenwärtigen, was letzte Woche geschah: Wir haben es wirklich getan! Hier wird etwas als Vergleich und damit als irreal formuliert, was tatsächlich Wirklichkeit war. Die amerikanischen Wähler mußten sich durchaus erst vergegenwärtigen, daß sie einen Farbigen ins Weiße Haus gewählt haben. Hier hilft nichts, als die gesamte Konstruktion aufzugeben. Ein Vergleichssatz gehört hier nicht hin: Das Land muß sich immer noch vergegenwärtigen, was letzte Woche geschah: Wir haben es wirklich getan!
Ein weiteres Beispiel: Fortan modellierten die PR-Berater sie zur treuen und schönen Gattin. ( ) Und es scheint, als habe Michelle Obama mit dieser Rolle inzwischen ihren Frieden gemacht. Der Verfasser dieses Satz kann nicht mit Gewißheit sagen, was in Michelle Obama vorgeht. Mit dem Verb scheinen und den Vergleichssatz gibt er allerdings vor, Michelle hätte sich innerlich nicht damit abgefunden, verhalte sich aber so. Ob der Autor das sagen wollte? Echter Potentialis Tatsächlich sind im Lateinischen der Konjunktiv Präsens (vocem, moneam) und der Konjunktiv Perfekt (vocaverim, monuerim) dafür zuständig, den Potentialis, also eine für möglich gehaltene Aussage, auszudrücken. Auch im Deutschen ging man mit geringerer Exaktheit einst so vor. Dies ist jedoch seit langem ausgestorben und heute allein schon dadurch unmöglich, weil der Konjunktiv 1 ausschließlich innerliche Abhängigkeit ausdrückt. In dieser Rolle enthält er sich jeder Aussage über ihren Bezug zur äußeren Wirklichkeit. Er kann also nicht zugleich in gewissen Fällen Potentialis ausdrücken, in anderen aber nicht. Das Deutsche hat deshalb Konstruktionen entwickelt, mit denen man potentielle Aussagen formulieren kann: Das dürfte der letzte gewesen sein. Er kommt wohl nicht vor sechs. Vielleicht kommt sie morgen. Das könnte unser Untergang sein. Oft kann eine Formulierung mit anscheinend falsche und sinnlose Vergleichssätze beseitigen: Anscheinend hat Michelle Obama mit dieser Rolle inzwischen ihren Frieden gemacht.
Irreale anhängige Aussagesätze Oben wurde erklärt, daß der Konjunktiv 2 im abhängigen Aussagesatz nur als Stellvertreter für den Konjunktiv 1 einspringen darf, wenn dieser vom Indikativ nicht zu unterscheiden ist. Was aber, wenn man eine indirekte Aussage durch den Konjunktiv 1 als inhaltlich abhängig kennzeichnet, zugleich aber zum Ausdruck bringen will, daß diese Aussage unwahr oder irreal ist? Regel Wenn Konjunktiv 1 und Konjunktiv 2 konkurrieren, gewinnt immer Konjunktiv 2. Der Konjunktiv 2 kann die innerliche Abhängigkeit mitausdrücken, der Konjunktiv 1 jedoch niemals den Irrealis. Ein erfundenes Beispiel in zwei Varianten. Bei der ersten erfährt man erst ganz zuletzt, daß die Aussage unwahr ist. Ich habe die Sache bereits erledigt, Liebling! Er behauptete immerfort, er habe die Sache bereits erledigt, dabei konnte sie die Klospülung noch laufen hören. In diesem Fall bietet sich Konjunktiv 1 an. Die Aussage wird zunächst als inhaltlich abhängig wiedergegeben und erst danach widerlegt. Sieht man in dem Verb behaupten jedoch einen Anfangsverdacht für einen Irrealis, kann man auch in den Konjunktiv 2 wechseln. Dies würde sich auch deshalb anbieten, weil es sich bei dem Satz um erlebte Rede handelt. Schriftsteller und Lektoren müssen hier genau überlegen, ob der Tonfall schriftsprachlich bleibt oder in den der gesprochenen Sprache wechselt. Bei der zweiten Variante wird jedoch bereits vor der Behauptung kein Zweifel gelassen: Ich habe die Sache bereits erledigt, Liebling! Wie alle Männer war er faul und ein Lügner. Er behauptete immerfort, er hätte die Sache bereits erledigt, dabei konnte sie die Klospülung noch laufen hören. Hier sollte auf jeden Fall der Konjunktiv 2 verwendet werden, auch wenn der Konjunktiv 1 vielleicht literarischer, klüger, vornehmer, sensibler, feingeistiger oder graustufiger klingt.
Zusammenfassung der Konjunktiv-Regeln 1 Konjunktiv 1 und Konjunktiv 2 haben nichts miteinander zu tun. Ihre Funktionen sind exakt festgelegt und überschneiden sich nicht. 2 Der Konjunktiv 1 kennzeichnet syntaktisch abhängige Sätze (Nebensätze) als auch inhaltlich abhängig. Das bedeutet, daß der Aussagesatz den Inhalt einer Aussage (Verb des Sagens im übergeordneten Satz) erläutert. 3 Der Konjunktiv 2 kennzeichnet Aussagen als irreal.
Verben mit besonderen Konjunktivformen backen er bäckt ¹ daß er backe ² er backte/buk ³ als ob er backte oder büke befehlen er befiehlt ¹ daß er befehle er befahl als ob er beföhle/befähle ⁴ beginnen er beginnt daß er beginne er begann als ob er begönne/begänne ⁴ brennen er brennt daß er brenne er brannte als ob er brennte ⁵ bringen er bringt daß er bringe er brachte als ob er brächte denken er denkt daß er denke er dachte als ob er dächte ¹ Starke Verben haben in der zweiten und dritten Person Präsens Umlaut, weil die althochdeutschen Endungen ein i enthielten: ih faru, thu ferist, er ferit. Regeln: a ä, o ö, u ü, e i (in kurzer Silbe: erschrickst), e ie (in langer Silbe: befiehlst). ² Der Konjunktiv 1 hat immer denselben Wurzelvokal wie der Infinitiv. ³ Man kann backte wie buk sagen, oder zwischen transitiv (backte) und intransitiv (buk) unterscheiden. ⁴ Beide Formen sind gleichrichtig. ⁵ Auch das e in brennte ist ein Umlaut.
dünken es dünkt/deucht mir ⁶ daß es mir dünke/deuche mir dünkte/deuchte als ob es mir dünkte/deuchte empfehlen er empfiehlt ¹ daß er empfehle er empfahl als ob er empföhle/empfähle ⁴ ⁶ Neben mir ist auch mich möglich. ⁷ Transitives erschrecken (ohne Objekt) ist ein schwaches Verb. Es hat in der zweiten und dritten Person Präsens keinen Umlaut (du erschreckst, er erschreckt), ebenso im Imperativ (Erschreck ihn nicht!). ⁸ Intransitives erschrecken (mit Objekt) ist ein starkes Verb. Es hat in der zweiten und dritten Person Präsens Umlaut (du erschrickst, er erschrickt), ebenso im Imperativ (Erschrick nicht!). jemand erschrecken ⁷ er erschreckt ihn daß er ihn erschrecke er erschreckte ihn als ob er ihn erschreckte erschrecken ⁸ er erschrickt ¹ daß er erschrecke er erschrak als ob er erschreckte essen er ißt ¹ daß er esse er aß als ob er äße fangen er fängt ¹ daß er fange er fing als ob er finge geben er gibt ¹ daß er gebe er gab als ob er gäbe gewinnen er gewinnt daß er gewinne er gewan er gewönne/gewänne ⁴ gelten es gilt ¹ daß es gelte es galt er gölte/gälte ⁴ halten er hält ¹ daß er halte er hielt als ob er hielte
hängen er hängt am Haken ¹ (intransitiv) daß er am Haken hänge er hing am Haken als ob er am Haken hinge hängen er hängt auf ⁹ (transitiv) daß er hänge er hängte als ob er hängte ⁹ Hier ist ä auch ein Umlaut aber, nicht derselbe wie bei den starken Verben. Er gilt in allen Formen. ¹⁰ Hier ist e (kennte) der Umlaut zu a (kannte). ¹¹ Das transitive schwache Verb hat keinen Umlaut in der zweiten und dritten Person Präsens (du schmelzt Eis, er schmelzt Eis). kennen er kennt daß er kenne er kannte als ob er kennte ¹⁰ können er kann daß er könne er konnte als ob er könnte nennen er nenne daß er nenne er nannte als ob er nennte rinnen es rinnt daß es rinne es rann als ob es rönne/ränne ⁴ saugen er saugt den Teppich daß er den Teppich sauge er saugte den Teppich als ob den Teppich saugte saugen er saugt sich fest daß er sich festsauge er sog sich fest als ob er sich festsöge schmelzen das Eis schmilzt ¹ daß das Eis schmelze das Eis schmolz als ob das Eis schmölze schmelzen er schmelzt Eis ¹¹ daß er Eis schmelze er schmelzte Eis als ob er Eis schmelzte schreien er schreit daß er schreie er schrie als ob er schriee
schwimmen er schwimmt daß er schwimme er schwamm als ob er schwömme/schwämme ⁴ ¹² Der regelmäßige Konjunktiv 2 stärbe ist ungebräuchlich. sehen er sieht ¹ daß er sehe er sah als ob er sähe senden er sendet daß er sende er sandte (sendete) als ob er sendete sinnen er sinnt daß er sinne er sann als ob er sönne/sänne ⁴ spinnen er spinnt daß er spinne sie sponn den Faden er spinnte/sponn herum als ob er spönne stecken er steckt fest daß er feststecke er stak fest als ob er feststäke stecken er steckt etwas ein daß er einstecke er steckte ein als ob er einsteckte sterben er sterbe daß er sterbe er starb als ob er stürbe ¹² triefen er trieft daß er triefe er triefe (troff) als ob er triefte (tröffe) trügen es trügt daß es trüge es trog als ob es tröge verderben es verdarb daß es verderbe es verdarb als ob es verdürbe vergessen er vergißt ¹ daß er vergesse vergäße er vergaß als ob er vergäße
waschen er wäscht ¹ daß er wasche er wusch als ob er wüsche wenden er wendet daß er wende er wandte sich, er wendete den Wagen als ob er wendete werben er wirbt ¹ daß er werbe er warb als ob er würbe (nicht: wärbe) werfen er wirft ¹ daß er werfe er warf als ob er würfe (nicht: wärfe) wissen er weiß daß er wisse er wußte als ob er wüßte wollen er will daß er wolle er wollte als ob er wollte