Nora Bretschneider, St. Gallen Der seitliche Lidzug zum Absetzen formstabiler Kontaktlinsen Beim Tragen formstabiler Kontaktlinsen gibt es mehrere Vorgehensweisen, diese wieder vom Auge zu entfernen. In der Praxis haben sich zwei Methoden durchgesetzt: zum einen die Abnahme der Kontaktlinse mit Hilfe eines Saugers, zum anderen die Methode über den seitlichen Lidzug. Täglich erklären wir unserem Kunden, wie er seine formstabilen Kontaktlinsen durch einen seitlichen Lidzug vom Auge nehmen kann. Aber warum diese Methode funktioniert, darüber haben sich wenige Anpasser genaue Gedanken gemacht. Die Entfernung einer formstabilen Kontaktlinse über den seitlichen Lidzug ist ein weit komplexerer Vorgang als sich die meisten Anpasser vorstellen. Um einem Kontaktlinsenträger die Technik erklären zu können, müssen der Ablauf und die Ursache für das Funktionieren dieser Methode bekannt sein. Jeder einzelne Schritt trägt dazu bei, dass die Kontaktlinse aus dem Auge fällt. Die Reihenfolge der Vorgänge ist sehr bedeutend, jeder einzelne Schritt sollte genau erklärt und bewusst vom Kontaktlinsenträger durchgeführt werden. In einer Studie an der Queensland University of Technology in Brisbane, Australien 1, wurde untersucht, welche Veränderungen am Auge bei der Anwendung der seitlichen Lidzugtechnik entstehen. Die Studienergebnisse sind im folgenden dargestellt. Die Vorgehensweise Dem Kontaktlinsenträger wird die Technik auf folgende Weise erklärt: Der Zeige- und/oder Mittelfinger wird an den äußeren Lidwinkel gelegt. Dann öffnet der Kontaktlinsenträger das Auge so weit wie möglich, zieht die Lider mit dem Zeigebzw. Mittelfinger schläfenwärts, um sie zu straffen, und schließt anschließend das Auge. Veränderungen des Auges Bei der Untersuchung der seitlichen Lidzugmethode konnte in oben erwähnter Studie herausgefunden werden, dass sich beim Öffnen und Schließen des Auges die Augenposition und beim Ziehen der Augenlider nach außen die Hornhauttopographie verändern. Veränderungen der Hornhauttopographie Um die Veränderungen der Hornhauttopographie zu messen, die durch den seitlichen Lidzug entstehen, wurde ein speziell modifiziertes High Speed Videokeratoskop genutzt. Mit diesem High Speed Videokeratoskop konnte die Hornhaut- Topographie kontinuierlich mit 50 Aufnahmen pro Sekunde aufgezeichnet werden. Jedes Auge wurde 10 Sekunden vermessen. Die ersten 3 bis 5 Sekunden blickten die Probanden, mit dem Kopf stabilisiert in einer Kopfstütze, mit normal geöffnetem Auge auf den Fixierpunkt. Danach haben sie ihre Augenlider nach außen gezogen, so wie es beim seitlichen Lidzug praktiziert wird. Bei allen Probanden war beim Ausführen des seitlichen Lidzugs eine Versteilung der Hornhaut im vertikalen Meridian und eine Abflachung im horizontalen Meridian zu beobachten. In Abbildung 1 und 2 sind die Veränderungen der Hornhaut für den Probanden S.V. dargestellt. Bei dieser Testperson konnten sehr große Veränderungen der Hornhaut beobachtet werden. Im Normalzustand betrug die zentrale Hornhautradiendifferenz 0.2 mm. Bei der Ausführung des seitlichen Lidzug erhöhte sie sich auf 1.3 mm, d.h. die Hornhaut wurde durch den Zug an den Lidern signifikant astigmatisch. (s. auch Video 1 *). Im Durchschnitt aller untersuchten Probanden flachte die Hornhaut im horizontalen Meridian um 0.20 mm ab und versteilte im vertikalen Meridian um 0.22 mm. Wenn zu Beginn eine Kontaktlinse nach dem Gleichlaufprinzip angepasst worden ist, hat die Versteilung der Cornea durch den seitlichen Lidzug im vertikalen Meridian ein Abstehen der Linse zur Folge. Dieses Abstehen erhöht die Angriffsmöglichkeit der Lider erheblich. Die Versteilung der Hornhaut entsteht wahrscheinlich durch den erhöhten Druck, der durch die gestrafften Augenlider auf die Hornhaut ausgeübt wird. Schon Gullstrand hat festgestellt, * Auf der Homepage www.galifa.ch/fachgeschäfte/monatsbriefe finden Sie die Videos zu den im Text erwähnten Veränderungen des Auges. Wir danken dem Kontakt Lens and Visual Optics Laboratory der Queensland University of Technology, Brisbane, Australien (http://www.hlth.qut.edu.au/opt/ research/kontakts/index.jsp) für die Bereitstellung der Videos. 74
Abbildung 1: Veränderung der Hornhauttopographie beim seitlichen Lidzug für Testperson S.V.. Im linken Bild ist das Auge normal geöffnet, im rechten Bild sind die Lider nach außen gezogen, so als ob eine formstabile Kontaktlinse vom Auge entfernt werden sollte. Abbildung 2: Veränderung des steilen und flachen Keratometerwertes beim seitlichen Lidzug für Testperson S.V., kontinuierlich aufgezeichnet mit einem High Speed Videokeratoskop. Beim Ziehen der Augenlider nach außen wurde der flache Keratometerwert (flat K) noch flacher und der steile Keratometerwert (steep K) noch steiler. Tabelle 1: Veränderung des steilen und des flachen Hornhautradius beim seitlichen Lidzug für Testperson S.V. das der Druck der Lider auf den Bulbus einen Astigmatismus rectus hervorruft. 2 In weiteren Studien wurde festgestellt, dass das Anheben der Lider von der Oberfläche des Auges eine Abnahme des Astigmatimus rectus 3 und die Verengung der Lidspalte einen signifikanten Anstieg 4 mit sich bringt. Veränderung der Augenposition beim Öffnen und Schließen des Auges Mit einer High-Speed Camera konnten die Vorgänge bei kräftigem Öffnen und Schließen der Lider aufgezeichnet werden. Die Auswertung dieser Aufnahmen zeigt, dass sich der Bulbus beim Öffnen des Auges um 0.1 bis 0.2 mm nach vorne bewegt (Proptosis, s. Abbildung 3a, 3b und Video 2). Durch diesen Vorgang wird begünstigt, dass die Lider, die sich nach dem Öffnen des Auges über und unter dem Kontaktlinsenrand befinden, den Linsenrand besser greifen können. Weiter konnte dargestellt werden, dass sich der Bulbus beim kräftigen Schließen des Auges in die Augenhöhle zurück zieht (Retraction, s. Abbildung 4a, 4b und Video 3). Dies hat zur Folge, dass die Lider zwischen Kontaktlinse und den Bulbus gleiten können. Bereits in zahlreichen früheren Studien wurde die Verlagerung des Bulbus in Richtung Augenhöhle (Retraction) beim Schließen der Lider beobachtet. In einer Studie von Collins et al5 wurde herausgefunden, dass sich das Auge bei einem 75
Abb. 3a Abb. 4a Abb. 3b Abb. 3a und 3b: Beim Öffnen des Auges bewegt sich der Bulbus um 0.1 bis 0.2 mm nach vorne Abb. 4b Abb. 4a und 4b: Der Bulbus zieht sich beim kräftigen Schließen des Auges in die Augenhöhle zurück kraftvollen Lidschluss um ca. 0.96 mm und bei einem normalen Lidschluss um ca. 0.44 mm in die Orbita verlagert. Dies lässt schließen, dass das Entfernen der Kontaktlinse umso besser funktioniert, je kraftvoller geblinzelt wird. Zusammenfassung Um eine formstabile Kontaktlinse mit dem seitlichen Lidzug vom Auge zu entfernen, wird im ersten Schritt das Auge so weit geöffnet, dass sich die Lider über und unter dem Linsenrand befinden. Das weite Öffnen des Auges hat zur Folge, dass sich der Bulbus leicht nach vorn verlagert. Wenn die Lider schläfenwärts gezogen werden, wird die Cornea im vertikalen Meridian steiler und im horizontalen Meridian flacher. Dadurch hebt die Kontaktlinse im vertikalen Meridian ab. Beim Schließen des Auges greifen die Lider die Ränder der Kontaktlinse (s. Abbildung 5). Je weiter das Auge geschlossen wird, desto stär- 76 Abbildung 5: Auf dieser Abbildung ist zu erkennen, wie der Kontaktlinsenrand vom Oberlid auf das Unterlid gedrückt wird. Der Kontaktlinsenrand, der nur etwa 1/10 so breit wie der Lidrand ist, kann von den Lidern gut gegriffen werden.
ker bewegt sich der Bulbus in die Orbita zurück und das Oberlid kann hinter die Kontaktlinse gleiten (s. Video 4). Die seitliche Lidzugtechnik wird durch die Anatomie der Lidränder begünstigt. Die Lidränder sind flach, ca. 2 mm breit mit einer scharf begrenzten hinteren Kante, die gegen die bulbäre Bindehaut liegt und einer vorderen abgerundenen Kante (vgl. Abbildung 6). Wenn die Augenlider gestrafft sind, liegt die innere Lidkante noch näher an der bulbären Bindehaut. Aus diesem Grund können die Lider die Kontaktlinsenränder, die eine Randdicke von etwa 0.11 bis 0.17 mm haben, greifen. Über die vordere abgerundete Kante der Lidränder kann die Kontaktlinse nach außen vom Auge gleiten. Neu in Europa: Abbildung 6: Form des Unterlides. Die Lidaußenkante ist abgerundet, die Lidinnenkante kantiger Einflüsse auf das Funktionieren der Methode Einige Kontaktlinsenträger haben Schwierigkeiten, ihre Linsen mit dem seitlichen Lidzug vom Auge zu entfernen. Diese Schwierigkeiten können verschiedene Ursachen haben. Ein Proband in dieser Studie konnte die Kontaktlinse mit dem seitlichen Lidzug nicht vom Auge entfernen. Dieser Proband zeigte die geringste Veränderung in der Hornhauttopographie im Vergleich zu den anderen Testpersonen. Dies kann auf eine geringere Lidspannung zurückzuführen sein. Durch eine geringere Lidspannung ist der Druck auf das Auge und somit die Versteilung des vertikalen Meridians geringer. Bei den meisten Probanden fand der Vorgang wie oben beschrieben statt, d.h. die Kontaktlinse wurde vom Ober- und Unterlid gegriffen, der Bulbus verlagert sich in die Orbita und das Oberlid konnte hinter die Kontaktlinse gleiten (Video 4). Bei einer Testperson wurde dokumentiert, dass das obere Ende der Kontaktlinse vom Oberlid an den Bulbus gedrückt wurde, wodurch die Kontaktlinse unten abgehoben ist und aus dem Auge fiel (s. Video 5). Unterschiede in der Art und Weise, wie die Kontaktlinse vom Auge fällt, können auf eine unterschiedlich starke Veränderung der Hornhauttopographie und der Augenposition zurückzuführen sein. Weitere Unterschiede sind in der Anwendung der Technik begründet: nicht jeder Kontaktlinsenträger zieht die Augenlider in die selbe Richtung oder mit der selben Kraft. Unterschiede bestehen ebenso in der Stärke des Lidschlusses. Weitere Einflüsse können die Blickrichtung und somit die Kontaktlinsenposition auf dem Auge haben. Einigen Kontaktlinsenträgern gelingt es leichter, die Kontaktlinse zu entfernen, Das tut gut.
Tabelle 2: Proptosis = Bulbus bewegt sich nach außen Retraction = Bulbus bewegt sich zurück in die Augenhöhle wenn sie in Richtung Nase schauen, bevor sie das Auge schließen. Ebenso spielt die angepasste Kontaktlinse eine Rolle: eine im vertikalen Meridian tendenziell flach angepasste Linse bietet den Lidern eine bessere Möglichkeit, die Linsenränder zu greifen, als eine steil oder sehr groß angepasste Linse. Fazit Der seitliche Lidzug ist eine von verschiedenen Möglichkeiten, eine formstabile Kontaktlinse aus dem Auge zu entfernen. Jeder einzelne Schritt bei der Anwendung dieser Methode trägt dazu bei, dass die Kontaktlinse vom Auge fällt. Aus diesem Grund sollte die Methode bewusst Schritt für Schritt erklärt und vom Kontaktlinsenträger ausgeführt werden. Wenn die Methode nicht funktioniert, ist zunächst die Vorgehensweise erneut zu erklären. Es ist darauf zu achten, dass das Auge vor dem Zug an den Augenlidern weit genug geöffnet wurde. Es sollte kräftig geblinzelt und ggf. in Richtung Nase geblickt werden. Je besser der Kontaktlinsenanpasser versteht, wie sich das Auge bei der Anwendung dieser Technik verändert, desto verständlicher kann er es seinen Kontaktlinsenträgern erklären. Anschrift der Autorin: Nora Bretschneider, Dipl.-Ing. (FH) Augenoptik c/o Galifa Kontaktlinsen AG, Zürcherstraße 204e, 9014 St. Gallen Literatur 1 The biomechanics of rigid kontakt lens removal, Kontakt Lens & Anterior Eye 28 (2005) 121-125, M. J. Collins, S. Voetz, N. Bretschneider. 2 Gullstrand A. The cornea. In: Southall JPC, ed. Helmholtz s Treatise on Physiological Optics. New York: Dover, 1962:320-1 3 Wilson G, Bell CH, Chotai S: The effect of lifting the lids on corneal astigmatism. American Journal of Optometry and Physiological Optics, 1982, 59-8: 670-674 4 Grey C, Yap M: Influence of Lid Position on Astigmatism. American Journal of Optometry and Physiological Optics, 1986, 63-12: 966-969 5 Collins M, Smyth W, Seawright J, Kelly S: The synkinesis between antero-posterior eye position and lid fissure width. Clinical & Experimental Optometry, 1992, 75.2: 38-41. Verkaufsförderung durch Dienstleistung Prof. Joachim Köhler Dienst-Leistungs-Marketing Produktnebenleistungen gewinnen wieder mehr an Bedeutung! Format 170 x 245, 176 Seiten mit sehr vielen Abbildungen 39, inkl. ges. MwSt., zzgl. Porto u. Verpackung ISBN 987-3-922269-38-0 Postfach 12 02 01 69065 Heidelberg Tel: +49(0)62 21-90 5170 Fax: +49(0)62 21-90 5171 www.doz-verlag.de 78