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Abb.: Werner Wittig 23
Galerie Weise: Arbeiten von Werner W i t t i g und Carlfriedrich C l a u s W. Wittig Am Strand Farbholzriss Es sind einige Chemnitzer Künstler, die in der Kunstlandschaft der Bundesrepublik Deutschland eine substanzielle unverwechselbare Stellung einnehmen. Dazu gehören in jedem Falle Werner Wittig, der in Chemnitz geborene Dresdner, und Carlfriedrich Claus, der in Annaberg-Buchholz bei Chemnitz lebte und der den Kunstsammlungen Chemnitz seinen kompletten Nachlass überließ. Werner Wittig und Carlfriedrich Claus kannten und schätzten sich. Ihre Kunst ist unvergleichbar, jeder steht mit seinem künstlerischen Werk für sich. Beide Künstler verbindet ihre Herkunft und das Geburtsjahr 1930. Erscheinen die Arbeiten von Werner Wittig eher zurückhaltend und realistisch, so erkennt man in den Sprachblättern von Carlfriedrich Claus nur geringfügige, minimale Anklänge an Reales. Die Wahrhaftigkeit und die Stille, die nachhaltig aus den Arbeiten heraus wirkt, ist bei beiden Künstlern von gleicher Intensität. Vom 30. September bis zum 9. Dezember sind in Chemnitz Arbeiten von Werner Wittig zu sehen. Fast zeitgleich präsentiert das Grafikmuseum Stiftung Schreiner in Bad Steben in Zusammenarbeit mit Galerie Weise Arbeiten von Werner Wittig und Carlfriedrich Claus. Der Anlass dieser umfangreichen Ehrungen ist der 80. Geburtstag beider Künstler und das 20-jährige Bestehen der Galerie Weise. Obwohl Carlfriedrich Claus bereits 1964 eine erste Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden hatte, war er zu DDR Zeiten fast nur Insidern des Kunstgeschehens bekannt. 1975 nahm man den Künstler als Mitglied in den Verband Bildender Künstler auf. Was damals weder verstanden und noch weniger reflektiert wurde, war wenigstens gelitten. Besonders nach der Wende hat Carlfriedrich Claus öffentliche Anerkennung erfahren. So gehört er zu den wenigen Künstlern, von denen eine repräsentative Arbeit im Bundestag zu sehen ist. Wichtig war ihm diese Art der Ehre nicht. Er legte keinen Wert auf Publicity. Carlfriedrich Claus lebte bescheiden und zurückgezogen. Dieser Lebensstil war für ihn nötig, um ungestört seinen Exerzitien nachgehen zu können. Er begriff sein Leben als Experiment. Bewußtseinstätigkeit im Schlaf, so der Titel einer seiner grafischen Arbeiten, war auch als ganz konkreter Selbstversuch gemeint. Begegnete man Carlfriedrich Claus mit freundlicher Offenheit, so bekam man diese vieltausendfach zurück. Wir, meine Frau und ich, kannten und schätzten ihn sehr. Gespräche mit ihm waren immer herzlich. Mehrfach waren wir zu Gast in seiner Annaberger Behausung. Er besuchte uns, gemeinsam mit Klaus Sobolewski, in unserer Wohnung in Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß. Nachdem wir für die damalige Galerie Oben eine Grafikmappe mit Texten des Schriftstellers Hans Brinkmann, die er zu Grafiken von Andreas Stelzer erarbeitet hatte, herausgeben konnten, gelang es uns auch Carlfriedrich Claus und Klaus Sobolewski für ähnliche Dialoge zu begeistern. Künstler, die ihm nahestanden, wussten zu berichten, wie schwer es sei, an ihn mit dem Vorschlag einer Zusammenarbeit heranzutreten. Doch unsere Offenheit stieß auf ebensolches Interesse nach nur fünf Tagen hatten Carlfriedrich Claus und Klaus Sobolewski die Zeichnungen auf die Steine gezeichnet, die wir geliefert hatten und der Drucker Klaus Göbel 24
konnte mit der Herstellung der Auflage beginnen. In Klaus Sobolewskis Annaberger Wohnung trafen wir uns, um die Probedrucke zu begutachten und um die endgültige Auswahl für die Mappe zu treffen. Es sind Dialoge entstanden, aus denen sich Hände, Köpfe und Landschaften herauskristallisieren, in denen sich Schrift auflöst und wie Gedanken verfliegt, um sich zu neuen Inhalten zu verdichten. Carlfriedrich Claus und Klaus Sobolewski wollten, dass als Erscheinungsort noch Karl-Marx-Stadt im Impressum vermerkt wurde. Zwei Wochen später erfolgte die Umbenennung der Stadt in Chemnitz. Natürlich gab es auch Zeiten, in denen sich Carlfriedrich Claus in seiner privaten Umgebung abschottete. In diesen Zeiten der Klausur kommunizierte er ausschließlich und nur in großen Abständen auf postalischem Wege mit der Außenwelt. Claus begriff sich als überzeugter Kommunist. Nach seiner Auffassung steckt in jedem Menschen die Sehnsucht nach einem kommunistischen Zukunftsideal. Sie äußerte sich in der Sehnsucht nach einem neuen Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu anderen Menschen und zur Natur - in den unterschiedlichsten Religionen und Weltanschauungen. Wie viele andere auch wurde natürlich auch Carlfriedrich Claus von Mirarbeitern des Staatssicherheitsdienstes der DDR überwacht, man legte ihm eine Ausreise in den Westen nahe. Er blieb. Erst in Annaberg, dann in Chemnitz. Wer sich durch die Beschäftigung mit seiner Kunst auch mit den literarisch-künstlerischen Äußerungen von Carlfriedrich Claus und seinen wissenschaftlichen Texten näher befasst, wird von dem exzellenten Sprachkundler, Philosophen, Psychologen und kenntnisreichen Menschen überrascht sein. Sprachblätter werden seine grafischen Werke genannt, weil Sprache für Claus der konzentrierteste Ausdruck des Denkens war. Die scheinbaren Geheimnisse auf Claus grafischen Arbeiten lassen sich oft wie Fadenknäuel entwirren: Man kann Wortrelikte entdecken, die als Ausgangspunkt für eigenes Denken dienen. Carlfriedrich Claus wollte, dass der Betrachter seine geschriebenen Informationen als Ausgangspunkte für eigene Beschäftigungen verwendet. Dabei lädt er nicht zum Bestaunen seiner Kunst, sondern zur aktiven Mitarbeit daran ein. Er sprach stets von den starting points für eigene geistige Aktivitäten in seinen Arbeiten. Im Grunde verstand Carlfriedrich Claus seine Sprachblätter und experimentellen Sprechoperationen als Vorschlag an uns, mit eigenen Gedanken zu experimentieren und zu versuchen, wie unterschiedliche Gegebenheiten auf die psychische Befindlichkeit zurückwirken, wenn sie bewusst artikuliert werden. Beindruckend war und ist, wie Claus seine transparenten Blätter entwickelte und beidseitig bedruckte, sodass sich das Werk erst im Durchscheinen der jeweils anderen Seite erschließt. Claus hat das Bild hinter dem Bild wörtlich genommen. Er führt vor, dass hinter Reflexionen, zwischen Worten, Sätzen, Zeilen auch Bilder sind. Carlfriedrich Claus sah die Emanziption des Rezipienten zum aktiven Mitschöpfer als eine utopische Funktion (Ernst Bloch). Im Osten kennt man es noch, zum Glück, das Zwischen-den- Zeilen-lesen. In den 1990er Jahren arbeitete Carlfriedrich Claus an visueller Poesie im Grenzbereich von Lyrik und Grafik. Ihm ging es darum, aus dem Gerüst natürlicher Sprache, die auch unser Weltverhältnis bis zu einem großen Grade bestimmt, auszubrechen. 1995, Abb.: W. Wittig Helle Landschaft Öl auf Hartfaser v o n B e r n d W e i s e 25
drei Jahre vor seinem Tode, präsentierten die Kunstsammlungen Chemnitz in einem Lautprozess-Raum sein Lautaggregat. Dieses Lautaggregat war die logische und konsequente Fortsetzung seiner wortgrafischen Untersuchungen, die in dem umfangreichen Portfolio Aggregat K zusammengefasst sind, auf tonalem Gebiet. Auch Werner Wittig zählt zu den wichtigsten sächsischen Künstlern seiner Generation, er galt bereits als bedeutender Holzschneider, als es zwischen Ost und West noch wenig künstlerischen Austausch gab. Vor allem mit seinen Farbholzrissen wurde er deutschlandweit bekannt und mit zahlreichen Preisen geehrt. Werner Wittig wurde 1930 in Chemnitz geboren. Nach einer Lehre und gerade begonnenen Berufstätigkeit als Bäcker in Chemnitz verlor er 1948 durch einen Unfall die linke Hand, während die rechte schwer beschädigt wurde. Noch während der Umschulung als Industriekaufmann erlernte er an der Volkshochschule in Chemnitz das Malen und Zeichnen. Er lernte graphisch zu arbeiten, mit feinen Stiften, Nadeln und Sticheln; er lithographierte, radierte, riss in Holz. Gefördert durch den damaligen Direktor der Chemnitzer Kunstsammlungen, Friedrich Schreiber-Weigand, studierte Wittig von 1952 bis 1957 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden bei den Professoren Erich Fraaß, Hans Theo Richter und Max Schwimmer. Wittig war und ist mit vielen Künstlern bekannt oder befreundet. Dazu gehörten die aus Chemnitz stammenden Bildhauerinnen Irmtraud Förster (1925 2008) und Brigitte Beyer (1931-1995), die seit ihrem Studium an der Hochschule für Bildende Kunst in Berlin in Esslingen lebten. Dazu gehören Dagmar Ranft-Schinke und die Herren der ehemaligen Karl-Marx-Städter Künstlergruppe Clara Mosch, der Dresdner Zeichner Claus Weidensdorfer, der in Berlin lebende Dieter Goltzsche und zahlreiche weitere künstlerische Weggefährten in Dresden und Radebeul. Im Alter von vierzig Jahren erhielt Werner Wittig seine erste Einzelausstellung im Berliner Kupferstichkabinett im Alten Museum. Bereits 1958 wurde er mit dem renommierten Max- Pechstein-Preis der Stadt Zwickau geehrt. Im Jahr 2000 verlieh ihm die Sächsische Akademie der Künste zu Dresden den Hans- Theo-Richter-Preis. Ab 1970 erarbeitete sich Werner Wittig die komplizierte Technik des Holzrisses. Erste farbige Exemplare entstanden 1975. Vor allem mit diesen Farbholzrissen wurde er zu einem der renommiertesten Vertretern des Künstlerhochdrucks in Deutschland. Seitdem ist die Kombination von Landschaft und Stillleben sein wichtigstes Thema. Seine Holzrisse zeigen eine eigene, typische Handschrift mit zarten Linien und feinen Strukturen. Die Druckgrafik wie auch die Malerei Wittigs sind von zurückhaltender, warmer Farbigkeit. Seine skizzenhaften Landschafts- und Architekturdarstellungen nähern sich oft surrealer Verfremdung. Die aktuelle Ausstellung gibt einen Überblick über seine künstlerische Arbeit. In der Druckgrafik ebenso wie in den erst in den letzten Jahren entstandenen Zeichnungen zeigt sich sein hohes Empfinden für farbig sensibel abgestimmte Tonwerte. Werner Wittig entwickelte die selten angewandte Technik des Holzrisses weiter. In Verbindung mit ausgeklügelten Druckabläufen ermöglicht diese Tech- 26
nik malerische Effekte mit feinsten Nuancierungen. Seit 1975 entstehen so farbige Holzrisse von bis zu sieben Druckstöcken in ebenso vielen Farben. Die Malerei war Wittigs künstlerisches Fundament und ist bis heute wichtiger Kontrapunkt zur Grafik geblieben. In diesem Metier lotet er die Optionen seiner Bildmotive ebenso aus wie die farbige Palette. Mit der Kombination der Genres Landschaft und Stillleben hat Werner Wittig um 1976 sein inhaltliches Hauptthema gefunden. Seine Arbeiten erscheinen durch ihren zurückhaltenden, fast intimen Charakter als substanzielle, unverwechselbare Position in der aktuellen Kunstlandschaft. Abb. links oben: Werner und Ute Wittig in der Galerie Weise 2009; Abb links unten: OB Barbara Ludwig, Ute Wittig, Werner Wittig; Abb. rechts ganz oben: Werner Wittig vor der Dresdner Frauenkirche; Abb. rechts oben: Werner Wittig; Regine Weise und Dagmar Ranft-Schinke, Abb. Mitte: Werner Wittig Herbstlich Farbholzriss Als wir vor zwanzig Jahren, im Oktober 1990, das Gewerbe für die damals erste private Galerie in Chemnitz anmeldeten, war Werner Wittig gerade 60 Jahre alt. Wir stellten Arbeiten von Werner Wittig mehrfach aus, zeigten Arbeiten von Ute Wittig und präsentierten im Jahr 2003 Arbeiten von Dieter Goltzsche und Werner Wittig in gemeinschaftlichem Kontext. Bei der Vorbereitung der Ausstellungen besuchten wir Wittigs mehrmals. Wir waren dabei, als er in seinem Atelier, am Radebeuler Hang oberhalb des Wohnhauses, seine Holzrisse mit aufmerksamer Genauigkeit selbst druckte. Heute feiern wir mit ihm und seiner Frau Ute Wittig mit einer Ausstellung seiner besten Holzschnitte und Holzrisse schon seinen 80. Geburtstag Zahlreiche Museen und Galerien im In- und Ausland, besonders aber das Museum Morsbroich in Leverkusen, das Staatliche Spendhausmuseum Reutlingen, die Städtische Galerie Albstadt und das Stadtmuseum Dresden haben sich um das Werk Werner Wittigs bemüht und sich Verdienste bei dessen Popularisierung erworben. Bemerkenswert ist das besonders deshalb, weil Werner Wittig sich selbst durch feine Zurückhaltung und Stille auszeichnet so wie seine Arbeiten es vermuten lassen. Er gehörte nie zu den Lauten, die sich aufdrängen. Arbeiten von Werner Wittig befinden sich in vielen öffentlichen Sammlungen des In- und Auslandes u.a. in Albstadt (Städtische Galerie), Berlin (Akademie der Künste), Bremen (Kunsthalle), Dresden (Kupferstichkabinett und Städtische Galerie), Reutlingen (Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen), Skopje/Mazedonien (Staatliche Kunstsammlung), Stuttgart (Staatsgalerie/Graphische Sammlung), Rostock (Kunsthalle) und in Krakau/Polen (Staatliche Kunstsammlung). In der Ausstellung in der Galerie Weise und in der musealen Präsentation im Grafikmuseum Stiftung Schreiner in Bad Steben sind seltene, oft unikate Exemplare, die vor den meist geringen Auflagen gedruckt wurden, zu sehen. Zwanzig Jahre Galeriearbeit sind zwei Jahrzehnte Freude darüber, herausragende Künstler kennengelernt zu haben. Die Zusammenarbeit mit Carlfriedrich Claus und die Zuneigung, die uns von ihm entgegengebracht wurde, war sehr angenehm. Das vertrauensvolle Miteinander mit Werner Wittig und seiner Frau, der Malerin Ute Wittig, ist bis heute eine wunderbare Erfahrung. Bernd Weise, 27. September 2010. 27