Sir Peter Ustinov Achtung Vorurteile

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Achtung! Vorurteile. Sir Peter Ustinov. Hoffmann und Campe. 5. Auflage 2003 Copyright 2003 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg ISBN

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Leseprobe aus: Sir Peter Ustinov Achtung Vorurteile (Seite 13-19) 2005 by Rowohlt Verlag GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

Picasso, ein unerwünschter Maler! Am Anfang des 21. Jahrhunderts leben wir wieder im Zeitalter der Renaissance. Nicht in der Renaissance der Künste, sondern der Vorurteile, der arroganten Meinung über Menschen anderer Kulturen, die erneut zu Kriegen führt. Ich traute meinen Augen nicht, als ich im Februar 2003 die Zeitung aufschlug. Die kurze Meldung, die ich kopfschüttelnd las, berichtete von der Verhüllung eines Picasso-Gemäldes in New York. Nicht irgendeines Picasso, sondern seines Bildes «Guernica», das er unter dem Eindruck des entsetzlichen Bombardements der kleinen spanischen Stadt Guernica durch die «Legion Condor» gemalt hatte. Die Legion Condor war bekanntlich ein Luftgeschwader der Nazis, das mit seiner tödlichen Fracht dem spanischen Faschistenführer Franco «zu Hilfe» kam: gegen das noch von den Republikanern regierte Guernica. Binnen Stunden mehr als 1600 Tote in der wehrlosen Zivilbevölkerung. Auf dem riesigen, acht Meter langen Schwarz-Weiß-Gemälde sind in der abstrakten, aber alles andere als abstrakt auf uns wirkenden Malerei Picassos die Folgen zu sehen: sterbende Männer und Frauen, flehende Kinder, in den Flammen versinkende Tiere. Als das in jeder Hinsicht große Bild auf der Pariser Weltausstellung 1937 im spanischen Pavillon erstmals der Öffentlichkeit gezeigt wurde, war Picasso anwesend. Nachdem die Nazis Paris drei Jahre später besetzt hatten, besuchte ein deutscher Offizier Picassos Atelier in der Rue des Grands-Augustins, wo eine kleinere Reproduktion von «Guernica» zwischen den Staffeleien stand. Der Besucher sprach den Maler an, und es kam zu diesem 13

Dialog: Der deutsche Soldat fragte: «Und das haben Sie gemacht?» «Nein», antwortete Picasso, «Sie!» Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dieser denkwürdigen Begegnung in Paris betritt also in New York der US-amerikanische Außenminister Colin Powell das UNO-Gebäude, um in Begleitung des redlichen Waffeninspekteurs Dr. Hans Blix vor den Mikrofonen der internationalen Presse für den amerikanisch-britischen Krieg gegen den Irak zu werben. Im Foyer des UNO-Hauses hängt seit Jahren eine von Nelson Rockefeller gestiftete Tapisserie von Picassos «Guernica». Als Powell eintrifft, ist es von einem blauen Vorhang mit UN-Logos verhüllt. Denn die Schrecken, die das berühmteste Antikriegsbild des 20. Jahrhunderts beschwört, diese Schrecken würden im Krieg gegen den Irak zum Alltag gehören. Auch dieser Krieg, von der Propaganda der Angreifer zynisch als «chirurgisch sauber» angekündigt, würde Menschenleben in der Zivilbevölkerung kosten: sterbende Frauen und schreiende Kinder. Da konnte man sich kein Panorama leisten, das diese Wahrheit symbolisiert. Nichts sollte und durfte die Lüge stören. Im Herbst des Jahres 2003 wissen wir, dass die Scham berechtigt war. Nichts von dem, was die amerikanisch-britische Allianz als Kriegsgrund ausgab, hat sich bewahrheitet: Der britische Premierminister Tony Blair musste schon früh zugeben, dass sein Geheimdienst sich auf ein vergilbtes Papier aus einem Studentenseminar berufen hatte, um die außenpolitische Gefährlichkeit des Irak zu «beweisen». Der amerikanische Präsident George W. Bush musste sich für eine brisante Redepassage entschuldigen, in welcher er «absurden Informationen» (Condoleezza Rice) seines Geheimdienstes CIA auf den Leim gegangen war. Dieser hatte die Lüge verbreitet, Saddam Hussein plane, Uran im Niger zu kaufen, um damit Atombomben zu bauen. Haben 14

die Dolmetscher des Präsidenten vielleicht Uran mit Urin verwechselt? Schließlich: Die biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen des Irak, deren Existenz von Bush und Blair Tag und Nacht als «überzeugendster» Kriegsgrund an die Wand gemalt wurde, sind auch Monate nach dem Ende des alliierten Bombardements weder in Bagdad noch sonst wo im Lande gefunden worden. Die einzige Trophäe, die den Angreifern in die Hände fiel, waren Raketen, die fünfzig Kilometer weiter fliegen konnten, als sie durften. Bis nach London oder Washington? Der Krieg gegen den Irak wurde auf der Basis von Vorurteilen geführt. Und nicht die Kriegsparteien, sondern die Staats- und Regierungschefs, welche Bomben vermeiden wollten, standen aus amerikanischer Sicht am Pranger. Man vergegenwärtige sich diese Moral! Der Krieg wurde auf Basis von Vorurteilen geführt, die nicht nur nicht überprüft worden sind (Hans Blix und seine Waffeninspekteure durften ihre Untersuchungen nicht beenden), sondern die sich allesamt als falsch herausgestellt haben. Dafür wurden, versehentlich (!), Restaurants bombardiert oder Autos beschossen, in denen Familien mit ihren Kindern saßen. Aufgrund von Vermutungen im Tausende Kilometer entfernten Pentagon, dort, im Restaurant einer Seitenstraße von Bagdad, könne der Tyrann zu Abend speisen, aufgrund von reinen Vermutungen, die wir auch Vorurteile nennen dürfen, wurde das Leben einer irakischen Familie ausgelöscht. Ich frage mich, wie schläft eigentlich ein George W. Bush? Wie schläft ein solcher Mann bei dem Gedanken, dass diese Kinder ohne seine Befehle noch leben würden. Schreckt er auf, quälen ihn Albträume? Oder ist sein christliches Gewissen derart Show, dass er diese Gedanken gar nicht kennt? Ich vermute es. Denn mir ist nicht eine einzige Ver- 15

lautbarung bekannt, mit welcher der US-Präsident neben den eigenen auch die Toten der Irakis bedauert hätte. Die toten amerikanischen Soldaten scheinen Business-Class- Tote, die Irakis Economy-Class-Tote zu sein. So wie die US-Administration sich vor dem Kriegsverbrecher-Gerichtshof in Den Haag einen Freibrief für amerikanische Soldaten ausbittet, so beugt sie auch die Menschenrechtskonvention ganz nach Belieben. Welche Empörung wurde in Washington zu Recht laut, als die ersten amerikanischen Kriegsgefangenen der Presse vorgeführt wurden. Doch auch hier die Zweiklassenmoral. Denn als die Besatzer die beiden Söhne Saddam Husseins erschossen hatten, deren Unmenschlichkeit gegen die eigene Bevölkerung ich keineswegs bezweifle, da haben sie sogar ihre bis zur Unkenntlichkeit entstellten Gesichter öffentlich ausgestellt. Vielleicht malt eines Tages ein «Picasso» unserer Tage das Bombardement gegen die Irakis. Dann wünschte ich George W. Bush einen Dialog, wie er damals in Paris stattfand. Stimmgabel Ich habe dieses Buch mit der Nase geschrieben und werde gleich erzählen, wieso. Aber zuerst möchte ich mit einem Vorurteil aufräumen. Es könnte nämlich bei meinem Publikum der Verdacht aufkommen, ein Buch über Vorurteile sei eine akademische Veranstaltung, mit zwanzigtausend Fußnoten. Für akademische Veranstaltungen bin ich gänzlich ungeeignet, und Fußnoten interessieren mich nur, wenn der Arzt zur täglichen Inspektion meiner infolge eines Diabetes kranken Laufwerkzeuge ins Haus kommt. Ich habe eher eine Schnitzeljagd, eine Art Kriminalessay 16

im Sinn. Denn das Vorurteil ist ein Schurke, womöglich der größte Schurke in der Geschichte von uns Menschen. Meine Freunde haben mir zwei Fragen gestellt: Warum dieses Buch? Und was wirst du damit bewirken? Beantworten wir die zweite Frage zuerst: Ich weiß nicht genau, was ich bewirken werde. Ich komme mir vor wie einer dieser Promis bei amerikanischen Football-Spielen, welche die Ehre haben, zu Beginn des Matches das Lederei in die Luft zu werfen. Wenn es wieder runterfällt, schnappt es eine der Mannschaften auf, und ich sitze längst unter den Zu schauern und warte darauf, dass die mir sympathische gewinnt. Wohin das Lederei nun fliegt, in welche Hände es gerät, kann ich von meiner bequemen Loge aus nicht mehr beeinflussen ebenso ist es bei diesem Buch. Mit der Antwort auf die erste Frage bin ich bei der Nase. Anders als bei meinen Filmen hat mich zu diesem Buch niemand angestiftet oder eingeladen. Ich war vielmehr wie ein schlafender Jagdhund, in der Sonne liegend oder vor dem Kamin. Da roch ich plötzlich etwas und stand nervös auf. Vor meiner Nase lag ein saftiger Knochen, das Thema Vorurteile. Ich begann zu nagen, an dem Knochen zu reißen, mein Appetit wurde plötzlich so groß, dass ich andere Hunde, die in meine Nähe trotteten, eifersüchtig anknurrte. Da fiel mir ein: Wenn du deinen Knochen mit niemandem teilen möchtest, brauchst du darüber auch kein Buch zu schreiben. Wie aber schreibt ein Hund ein Buch? Ich verwandelte mich in einen Menschen zurück und wurde Schachspieler, denn ich wollte das Vorurteil schließlich matt setzen. Und zwar auf Deutsch. Ja, dieses Buch ist das erste von etwa zwanzig, das ich erstens mit der Nase und zweitens auf Deutsch verfasst habe. Doch ich neige zu Fehlern in der deutschen Disziplin. Manche trösten mich und sagen, meine Fehler seien charmant. Was aber nützt 17

der Charme bei einem Schachspiel, in dem Fehler tödlich sind? Also verpflichtete ich zwei Sekundanten, wie es auch richtige Schachspieler tun: Jürgen Ritte aus Paris und Harald Wieser aus Hamburg. Sie haben, des Deutschen einigermaßen mächtig, in wochenlangen Gesprächen meine Züge vorbereitet und mich auf Bauernfallen aufmerksam gemacht. Man könnte die beiden auch Hebammen nennen. Sie haben mein Kind entbunden, das sich nun unter dem Namen «Vorurteil» durch gut zweihundert Seiten balgt. Ich weiß, es ist eine Strafe für ein Kind, «Vorurteil» gerufen zu werden. Auf dem Spielplatz: «Vorurteil», das ist mein Sandeimerchen! In der Schule: «Vorurteil», fünf minus, bitte setzen! Auf dem Arbeitsamt: Sie heißen «Vorurteil» und wollen Politiker werden? Also bitte ich mein Kind um Entschuldigung. Es blieb leider keine andere Wahl. Ich habe meinem Publikum Geschichten versprochen, in denen ich mich auf die Spur eines Gangsters begebe. Als ehemaliger Inspektor Hercule Poirot kenne ich mich in diesem Geschäft ein wenig aus. Nun bin ich von meiner Natur her ein friedlicher Mensch und alles andere als ein Polizist. Dennoch: Ich fahnde nach den Vorurteilen. Nur zeigen meine Steckbriefe sehr verschiedene Gesichter: Ka rika turen und Schreckensgestalten. Über kleine Gaune reien und Kavaliersdelikte, die auf das Konto des Vorurteils gehen, amüsiere ich mich. Über die Kapitalverbrechen, die es anrichtet, schreibe ich in einem anderen Ton. Diesen Perspektivwechsel, der nicht nur einer in meinem Kopf, sondern auch in meinem Gemüt ist, möchte ich von Anfang an markieren: Das größte Verbrechen des Vorurteils ist Auschwitz. Ein Brief von Heinrich von Kleist heißt: «Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden». Mit Kleist vergleicht sich keiner ungestraft, und da ich nicht bestraft 18

werden will, vergleiche ich mich nicht. Doch auch ich habe meine Gedanken über das Vorurteil beim Reden verfasst, sehr allmählich. Man möge mir verzeihen, wenn sie darum manchmal auch wie ein Parlando klingen, bei dem getrost auch mal das Telefon läuten darf. Manchmal komponiert, manchmal improvisiert. Wie im normalen Leben. Strenge vertrüge mein Thema auch nicht. Denn das Vorurteil ist schon streng und grimmig genug. Seine Kritik sollte sich spielend alle Freiheiten nehmen. Ich stimme in diesem Buch also nur meine Instrumente zum Thema Vorurteile. Natürlich weiß ich, dass ich das Rad nicht neu erfinde. Sie müssen also keinen einschüchternden Wissensvorsprung des Autors erwarten. Ich bin nicht klüger als Sie. Und so liefere ich auch keine Vorurteilssymphonie ab, bei der jeder Ton der Weisheit letzter Schluss ist. In der Hoffnung, dass bald andere kommen und das Konzert vollenden und es eines Tages so etwas wie eine populäre Bibliothek der Vorurteile geben wird. Da ich meine Gedanken über das Vorurteil mit Geschichten aus meinem Leben verknüpfe, lässt es sich nicht vermeiden, dass ich, allerdings selten, erzähle, was Leute, die mich ein wenig kennen, schon einmal gelesen oder gehört haben. Wie soll der Mensch das auch anders machen! Ich kann mir schließlich keinen anderen Vater erfinden, nur um originell zu sein. Doch ich habe mich bemüht, auch diese Anekdoten so zu erzählen, dass man nun durch sie etwas über Vorurteile erfährt. Wie einen Teppich habe ich die Geschichten noch einmal ausgeklopft. Und dabei neben dem vermeintlich alten Staub durchaus neuen herausgeprügelt. Wie etwa bei meiner Holland-Reise mit dem «netten» Charlie Chaplin. 19