Costa Rica im Mai 2010. von Lucie Kirstein

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Transkript:

Costa Rica im Mai 2010 von Lucie Kirstein

Titelbild: Kuna Yala, Panamá Liebe Freunde, liebe Verwandte, lieber Unterstützerkreis! 3 Monate ist es jetzt schon her, seit ihr den letzten Rundbrief erhalten habt und für mich ist seitdem kaum Zeit vergangen. Je mehr ich mich in Costa Rica einlebe und je mehr ich mein Leben als Alltag empfinde, desto schneller vergeht für mich die Zeit. Ich habe die 3 Monate lang ueberlegt, über was ich schreiben werde es fiel mir um einiges schwerer als die letzten Male. Das Spannende daran ist vielleicht aber genau dies: sich so einzuleben, sein Leben hier nach so wenig Zeit als so normal, als so gewohnt zu empfinden, dass man denkt, es sei kaum etwas Neues passiert. Nur auf den ersten Blick. Ich fand endlich doch einige Dinge, die ich Euch mitteilen möchte. Ich wünsche Euch viel Spass beim Lesen und freue mich über Eure Kommentare, Anregungen und die weiterhin tolle Unterstützung aus Deutschland! 1. M wie März oder Migrationsruten Seit diesem März gibt es das neue Migrationsgesetz. Von der Regierung als Segen und als grosse Hilfe für die nicaraguanische Bevölkerung beschworen, ist es tatsächlich eher ein Fluch. Uns, bei Cenderos, beschert es einiges an Arbeit, und das wird bis mindestens November anhalten. Um sich gegen die ungezügelte Migration zu schützen, macht Costa Rica es Europa und den Staaten nach hier leben ist ab sofort nur noch mit gültiger, costaricanischer Cédula, ähnlich eines deutschen Personalausweises, möglich. Dieser wird seit Neuem nur noch begrenzt ausgegeben. Entweder man hat Kinder, die hier geboren wurden und somit automatisch Anrecht auf die Costaricanische Staatsbürgerschaft haben, oder man ist mit einem/r CostaricanerIn verheiratet. Eine andere Möglichkeit, sich legal aufzuhalten, ist die Arbeitserlaubnis, die aber natürlich nur mit der Dauer des Arbeitsvertrages gueltig ist. Wie man Anfang des Jahres schon deutlich absehen konnte, gewann bei den Wahlen wieder die Partei Liberación Nacional, die Partei des vorherigen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Oscar Arias, die den sehr konservativen Flügel repräsentiert. Wie ich am Ende des letzten Rundbriefs Bei der Migrationsberatung schon angedeutet hatte, hat bei ihnen das Thema Sicherheit, wie auch bei anderen Parteien, einen leicht fremdenfeindlichen Beigeschmack. Da sie aber einsahen, dass Migration ein heikles und ein Thema mit grosser Priorität ist, erschufen sie den nationalen Migrationsrat, der Ende Februar ins Leben gerufen und gewählt wurde. Ein kleiner Erfolg für die Rechte von illegalen Migranten, da der Migrationsrat Adilia, unserer Chefin, als dessen Präsidentin, Rechte zur Mitverhandlung einräumt. Was das aber genau

bedeutet und wieviel Mitspracherecht Cenderos und den Migranten dann tatsächlich zusteht wird sich noch zeigen. Feiern wir ersteinmal den symbolischen Erfolg... Es kommen also mehr Verantwortungen auf Cenderos zu, auch die Verbreitung der Information an die betroffene Bevölkerung muss von uns erledigt werden, denn nur bis November haben sie Zeit, sich in Costa Rica sozusagen zu legalisieren. Costa Rica räumt also auf und es bleiben nur solche die nicht schmarotzen, sondern ihren Teil zum costaricanischen Wirtschaftswachstum beitragen und die Arbeit tun, die kaum ein Tico bereit ist, zu machen: legalisierte Arbeiter im Bau, auf Plantagen und als Hausangestellte. Wenn sie es nicht schaffen, Geld für die geforderten Dokumente aufzubringen (Geburtsurkunde und polizeiliches Fuehrungszeugnis kosten allein 120$) oder wenn sie ganz einfach kein Anrecht auf eine Cédula haben, müssen sie ab Dezember mit einer Strafe von 100$ pro Monat rechnen. All dies, ungeachtet des Lebens in den Vierteln, dass schon genug psychologischen Stress mit sich bringt und des Weges, den die meisten hinter sich haben. Bei einem Seminar mit Jugendlichen analysieren wir die Schwierigkeiten der Migranten bei der illegalen Einreise. Für sie ist es wichtig all dies in Worte zu fassen, um sich über ihre eigene Situation im Klaren zu sein, denn vieles wird aus Reflex ausgeblendet. In einem Interview stelle ich zum Beispiel fest, dass von den Migranten geredet wird, sich selber nicht mit eingeschlossen, obwohl doch so viele die Schwierigkeiten des Grenzgangs so haargenau kennen. So gibt es zum Beispiel bestimmte Pfade durch den Wald, die abseits Nicaragua (Kinder stehen für kostenloses Essen an) der geteerten Strassen liegen, auf denen man nach Berichten der Jugendlichen schon mal mehr als zwei Tage unterwegs sein kann und am Flussufer schlafen muss. Wenn man auf Grenzbeamten trifft, verlangen diese oft Geld oder man wird festgenommen und deportiert. Die Frauen sind zudem schutzlos dem Risiko der Vergewaltigungen von Seiten der Grenzpolizei ausgesetzt, die oft sexuelle Handlungen gegen Freilassung verlangen. Die Jugendlichen kennen auch Fälle, in denen Kinder von ihren eigenen Eltern misshandelt wurden, die unter Stress standen und es nicht aushalten konnten, dass ihre Kinder Hunger haben und den langen Weg kaum schaffen. Marsiell aus Bajo Tejares erzählt von einer Freundin, die mit 14 allein über die Grenze gekommen ist, um ihrer Mutter nach Costa Rica zu folgen. Dieses intensive Seminar hilft nicht nur den Jugendlichen, ihre Erfahrungen zu teilen und aus der Analyse einen konkreten Arbeitsplan zu erstellen und sich zu organisieren, sondern es hilft auch uns Facilitadores, viel von den Jugendlichen zu lernen und mitzunehmen und sich immer wieder daran zu erinnern, wie unvorstellbar hart es für Manche ist. Viele Informationen bekommt man nur auf diesem Weg, aus Fernsehen oder Zeitung erfährt man so etwas nicht. Dies ist die Grenze zu Nicaragua und so sind wir damals rübergekommen... Diesen März warte ich darauf, dass die Grossküchenmöbel aus dem vorderen Teil des Büros abgeholt werden. Mein Plan war es, dort eine Spieleecke für Kinder einzurichten. Es soll ein

abgetrennter Bereich von vielleicht 8-10 m² werden, der als Beschäftigungsort für Kinder dient. In der Theorie können sich die Eltern über Legalisierungsprozesse und Arbeitsgenehmigungen informieren, sich untereinander austauschen und den Aktivitäten folgen, während die Kinder die Möglichkeit haben zu spielen. Leider war es bisher der Fall, dass Frauen (wie auch bei den Workshops) dazu aufgefordert wurden, ihre Kinder nicht mitzubringen. Das ist für viele schwierig und ist auch ein Grund dafür, weshalb sie gar nicht erst erscheinen konnten. Wenn Kinder im Büro sind, kann man meist beobachten, dass sie entweder ihrer Mutter am Rockzipfel hängen oder durch die Gänge rennen, was auch der Arbeitsatmosphäre weniger zugute kommt. Na nu, was machen die denn da?! Ein Kostenvoranschlag sollte gemacht werden, um dann die Sachen einzukaufen (Kissen, Decken, Stoffe und Spielzeuge). Jetzt ist Mai und es ist noch nichts passiert. Aber wie wir wissen, ist in mittelamerikanischen NGOs Geduld geboten und wir müssen alle viel Motivation aufbringen, damit das, was wir vorhaben, klappt. Auch die Regelmässigkeit ist ein Problem. Die theoretisch einmal pro Woche stattfindenden Workshops mit dem Frauennetzwerk in Bajo Tejares finden inzischen höchstens ein Mal in zwei Wochen statt. Wenn sie aber stattfinden, dann richtig. Zutage kommt mit einer unglaublichen Wucht, alles, was sich bei den Frauen im Laufe der Woche (oder Wochen) angestaut hat, von der täglichen Isolation über Neid bis zu Misserfolg und dem Gefühl im Stich gelassen zu werden. Vom Staat und auch von Cenderos oder dem Frauennetzwerk. Leider ist da auch unsere Soziologin Vilma manchmal überfordert und lässt die Frauen oft zu wenig zu Wort kommen. Ich soll in dem Fall mit Gruppendynamiken und Spielen helfen, allerdings fehlt der Gruppe noch ein gemeinsames Ziel, was nicht definiert ist und weswegen sich niemand über den fehlenden Zusammenhalt wundern sollte. Die Aufgabe der Frauen ist im Moment, sich selbst als Gruppe einzuschätzen und eigenverantwortlich neue Gemeinschaftsprojekte zu beginnen. Viel Negatives kommt in der Gesprächsrunde zutage (die meist einen ganzen Tag dauert) aber Problematiken werden hier meist nur auf einzelne Personen geschoben und die Überforderung macht es ständig schwieriger ein produktives Treffen auf die Beine zu stellen. Viele benutzen die Institutionen Cenderos oder das Frauennetzwerk als Sündenbock, bevor sie über die eigene Gemeinde urteilen. Bevor man also neue Projekte beginnt, müssen bestimmte andere Fähigkeiten, wie zum Beispiel Teamwork und die Fähigkeit zur Selbstanalyse erlernt werden. Die Arbeit mit den Gemeinde ist delikat Fotoausstellung in Cenderos am int. Frauentag und manchmal schwierig, ja, aber neben all dem zeigen die Bäckerei und das gemeinschaftliche Gewäckshaus aber auch ihre ersten Erfolge. Es ist also wichtig zu begreifen (auch für Cenderos), dass man manchmal nicht sofort an dem Punkt ansetzen kann, der einem am Besten passt, manchmal braucht es viel Vorarbeit und vor allem die verschiedenen lokalen Gruppen des nicaraguanischen Frauennetzwerks entwickeln sich so unterschiedlich, dass ein grösserer allgemeiner nationaler Projektplan nicht überall klappen kann, denn der kann wie in Bajo Tejares zu grosser Überforderung führen.

Ausser, dass das Büro viele Anrufe bekommt, weil viele wegen des neuen Migrationsgesetzes in Panik geraten sind, gibt es im neuen Jahr weniger zu tun. Durch Luis, der kaum noch da ist, weil er inwzischen nicht mehr bezahlt wird, kommt vieles zum Stehen, auch ein Teil meiner Arbeit vor und waehrend der Workshops faellt nun weg, die Recherchearbeit, die kreative Arbeit mit Kindern, die Interviews. Das Ende des Monats, beziehungsweise die Osterwoche, verbrachten wir in Panamá. Das wurde mein erster Urlaub ohne Reiseführer und Landkarte, aber der beste, den man ohne all das und in nur einer Woche haben kann. Zuerst in Panama City, wo die Kontraste nicht grösser sein könnten, wo die Skyline aussieht wie Miami, wo die arme Bevölkerung in Hochhäusern ohne Fenstern lebt und wo man um halbverfallene und von Pflanzen berankte Kolonialgebaeude trauert, von denen man nicht will, Früchtefrühstück auf einer ökologischen Farm dass sie wieder aufgebaut werden. Nicht schwer, sich in diese Stadt zu verlieben, die um einiges grösser und metropolitaner ist als San José oder Managua, die auch kulturell einiges zu bieten hat und auf dessen Strassen die gold-bunten Trachten der Kuna- und Ngöbe-Frauen nicht zu übersehen sind. In der panamaischen Karibik sahen wir das, was viele als Paradies bezeichnen würden, was aber ausser Kokospalmen vegetativ kaum etwas zu bieten hat: das Territorium der Kuna Yala, die dort weitestgehend autonom regiert geografisch abseits der guten Infrastruktur der dicht besiedelten Regionen Panamas (aber nicht unbedingt abseits der Turistenströme) leben. In Panama gilt die Region als wirtschaftlich stark, die Kuna sind durch den Turismus reich geworden und haben Rechte. Klingt nicht nach Unterdrückung, trotzdem leidet die Bevölkerung unter den Auswirkungen des weit verbreiteten Alkoholismus und der Verwestlichung, viele verzichten auf ihre Traditionen oder vergessen sie ganz einfach. Wenn man so viel Geld hat, wie ein Kuna, dann weiss man irgendwann nicht mehr, was man damit machen soll, da kauft man sich schnell mal einen Kühlschrank, ein Paar Fernseher und eine Anlage und vielleicht noch 10 Kästen Bier, auch wenn man all das als Kuna nicht braucht., sagt Grande, der uns mit seinem Gelaendewagen nach Kuna Yala bringt. Ananas und Militär auf einem Markt in Panama City Der Baustil der Häuser aus Gras und Rohr ändert sich durch die Kühlschränke und Fernseher wenig, auch nicht die harten Betten, auf denen sie schlafen.

2. A wie April oder Alltagsmüdigkeit Auch in der auf den ersten Blick perfekten WG gibt es manchmal Stress, kennt ihr ja. Erholt aus der Semana Santa, der Osterwoche, zurück in San José, war unser kleiner Streit in der WG immer noch nicht geklärt. Vor Ostern stellte es sich leider als ein sehr grosses Problem heraus, dass die Putzhilfe des Hauses, die eigentlich einmal die Woche kommt, nicht mehr auftauchte. Fuer mich und Murcia, meinen Mitbewohner war das nicht schlimm, 2 Wochen ohne sie liessen das Haus vor unseren Augen keineswegs dreckig dastehen 2 meiner anderen Mitbewohnerinnen sahen das Panamaische Berge anders, und das obwohl in den zwei Wochen Besucher des Hauses immer fasziniert von der Sauberkeit waren. Vielleicht ist es eine kulturelle Frage, wie Murcia, mein Mitbewohner, sagt. Ticas werden immer als sehr sauberkeits- und hygieneliebend beschrieben. Wahrscheinlicher ist, dass so etwas in jedem Haushalt vorkommt und auch der allgemeinen Atmosphäre nur kurzzeitig einen Abbruch tut! Seit Ende April kommt unsere Putzhilfe übrigens wieder. Mehr Nerven brauche ich Anfang April für meinen Alltag im Büro, denn die Tage am Computer sind lang und nur abwechslungsreich, wenn man an unterschiedlichen Aufgaben arbeiten kann. Auch beim Englischkurs Sonntags mit den Frauen läuft es nach der Semana Santa zäh an. Er war gelinde gesagt schlecht besucht und es kamen viele zu spät, sodass wir die Zeit nicht ausnutzen konnten. Aber genau wie die Frauengruppe in Bajo Tejares, die auch nicht jede Woche tagen kann, weil die Frauen kurzfristig Gelegenheitsarbeiten wie Kaffeepflücken gefunden haben, ist es auch hier beim Englischkurs eine Frage der momentanen Situation der Frauen. Einer meiner erwachsenen Schülerinnen verbot der Mann, weiterhin zum Englischkurs zu kommen. Die wachsende Autonomie seiner Frau kommt ihm nicht gelegen. Auch das Essen muss schliesslich um Punkt 12 auf dem Tisch stehen. Ihre Tochter darf allergings kommen. Nur ihr gibt der Vater das Busgeld. Während der langen Tage im Büro freue ich mich um so mehr, wenn die Frauen, die ins Büro kommen mich ins Vertrauen ziehen und mir des öfteren ihre Lebensgeschichte erzählen. Ein offenes Ohr zu haben ist hier so unabdingbar wie Geduld und für mich die beste Methode so viel wie möglich von den Menschen zu lernen und über ihre Situation zu erfahren die meisten, die ins Büro kommen, sind für mich echte LebenskünstlerInnen und ich frage mich immer wieder wie es zum Beispiel Dorothy, eine alleinerziehende Mutter von 9 Kindern ohne festes Einkommen schafft, alle zu ernähren und in die Schule zu schicken. Bei der Auswertung eines Kooperationsspiels während eines Tallers (Workshop)

Der Englischkurs mit den Jugendlichen in Alajuelita ist im Gegensatz zu dem der Frauen immer gut besucht, auch wenn wir dieses Jahr keinen Klassenraum hinter der Kirche zur Verfügung hatten. Leider bezahlt Cenderos dieses Jahr die Miete nicht, weil im Moment keine Workshops oder Ferias de Salud (so etwas wie mobile, kostenlose Krankenstationen für die vielen Unversicherten) stattfinden. Also fand der Kurs stattdessen im Hinterhof von Doña Christina zwischen der frisch aufgehängten Wäsche statt, wo wir die Tafel aufbauten und das Sofa von drinnen holten. (Manchmal passiert es auch, dass die aus Schotter und Lehm bestehende Strasse durch einen mehrstündigen tropischen Regenguss überschwemmt wird und die Kirche gleich mit und, dass wegen des Mülls dann alles unglaublich anfängt zu stinken.) Hier findet man sich damit ab und das ist auch gut so, denn wenn es uns nicht stört, tut es auch der Qualität des Kurses keinen Abbruch. Kinder mit neuen Schulmaterialien am Anfang des Schuljahres im März (Vielen Dank noch einmal für die Spenden!) Mir wurde neulich vorgeschlagen, ich solle meinen Malkurs, den ich schon lange mit den gespendeten Farben geplant hatte, im Park von Tejarcillos, einer kleinen Grünfläche stattfindenlassen. Ob das aber die beste Idee ist, fragte ich mich, als ich überall Müll herumliegen sah und man mir erzählte, dass sich dort am liebsten Abhängiger verschiedener Suchten treffen und es nachts eher einem Bordell gleicht. Aber vielleicht eignet sich der Grünstreifen, um Müll zu sammeln, ihn zu säubern und vielleicht daraus Kunst zu machen. Für all das brauche ich aber auch Zeit und die ist knapp. Sonntags fängt der erste Englischkurs um 10 Uhr morgens im Büro an. Bis 12 oder 1 Uhr zieht sich der Kurs, weil sich die Frauen sehr oft verspäten. Dann kann ich mich auf den Weg ins Viertel machen, wo der Kurs um 2 Uhr anfängt und um 4 Uhr aufhört. Wir möchten alle viel mehr machen. Das Interesse der Menschen ist da, aber die Zeit, bis mein Vertrag Ende September ausläuft läuft mir davon. Mich fragen meine Kollegin Lola, Doña Christina, der Pastor. Aber Lucie, kannst du das nicht an einem Samstag machen? Aber bis ich meinen einzigen auch nur manchmal freien Tag der Woche aufgebe, muss noch einiges mehr passieren. Gerne hätte ich meinen Vertrag verlängert, aber dazu habe ich mich leider zu spät entschieden. 3. M wie Mai oder Mittel zwecks Arbeit In einer Organisation wie Cenderos gibt es theoretisch keine finanziellen Notfallfonds. Wie sich Geld auf die tägliche Arbeit auswirkt. Seit Anfang des Jahres warten wir jetzt schon auf die Akkreditierung des Projekts zur Prävention männlicher Gewalt gegen nicaraguanische Frauen in Costa Rica. Erst konnte unser Psychologe nur noch halbtags bezahlt werden, dann 1/3, dann gar nicht mehr. Ohne Psychologe ist Cenderos aber nicht mehr das was es ist und so kommt er, um freiwillig Patienten zu betreuen. Bald soll es aber wieder losgehen und Cenderos will eine zweite

Psychologin zusaetzlich in Upala an der Grenzzone einstellen. Cenderos ist ein Kommen und Gehen. Als ich anfing, machte Andrea gerade ihr Praktisches Jahr und Aldemar, der kolumbianische Schweizer arbeitete als Entwicklungshelfer bei uns. Inzwischen sitzen nicht mehr Andrea, Luis und Aldemar in meinem Büro, sondern unser neuer Praktikant Fabio und Eva, die deutsche Entwicklungshelferin von Eirene. Seit sich Anfang des Jahres mein Laptop auf Nimmerwiedersehen verabschiedet hatte, konnte ich bis Mai den PC im psychologischen Gesprächsraum nutzen. Dieser verabschiedete sich dann auch in der Anfang Mai. In schieres Wunder, dass er nun wieder repariert ist, denn es gab weder eine gültige Garantie, noch das Geld zur Reparation in der Organisationskasse. Ich stand also letztendlich doch nicht ohne Arbeit da. Wer weiss, wie es jetzt aber weitergeht, denn der Computer im Geprächsraum wird von unserem neuen Praktikanten benutzt und ich habe keinen Laptop mehr. Ja, alle hier sind in gewisser Hinsicht von ihrem Computer abhaengig, um unter der Woche arbeiten zu können. Der Freiwilligenplatz ist hier der abhängigste von der Technologie. Theoretisch ist es keine Voraussetzung, einen PC mit in das Projekt zu bringen, Cenderos kann aber auch nicht immer einen Computer bereitstellen. Vielleicht kann ich in den nächsten Wochen den persönlichen Laptop von Ana benutzen. Was danach kommt, weiss ich noch nicht. Vielleicht hilft uns ja der Wunderfinanztopf noch einmal? Ericka, eine meiner Englisch- Schülerinnen bei einem Workshop für die Selbstorganisation der Jugendlichen Eine Schule in der Grenzregion, sinnvoll umgewandelt zur mobilen Krankenstation Seit neuem gibt es ein Projekt in Desamparados (auf deutsch die Hilflosen oder die Verlassenen - sehr ironisch, denn der Name entspricht tatsächlich in vielen Fällen der Realität dort), einem Kanton von San José, in dem es mehrere Armenviertel mit einer besonders hohen Kriminalitätsrate gibt. Wie Bajo Tejares oder Tejarcillos gibt es dort sogenannte Precarios (gut von dem Wort prekär abzuleiten, so etwas wie Favelas), in dem die Leute in selbstgebauten Wellblechkonstruktionen leben. Dort soll die Bevölkerung sich jetzt auch mithilfe von Cenderos und Kooperativen (gemeinschaftliche Gewächshäuser, Verkauf von selbst verarbeiteten Lebensmitteln, etc.) selbst organisieren und es soll dort sowohl ein neues lokales Jugend-, Frauen- als auch ein Männernetzwerk gegründet werden. Die Precarios sind wie wandelnde Viertel. Mit Baggern und Traktoren von Polizei und örtlichen Behörden verjagt, bauen sie sich wie ganz von selber an anderen Stellen wieder auf. Eine unnachhaltige Methode, dessen Konsequenzen es Cenderos schwer machen. Kaum wird in Bajo Tejares der vordere Teil der Siedlung durch ein Feuer zerstört (die illegal gelegten Stromleitungen sind nicht die sichersten), fängt man wieder an, aufzubauen. 3 Monate später kommt das 3-Tages-Ultimatum der Polizei: Wenn die Bevölkerung nicht in 3 Tagen die Hütten verlässt, wird alles vom Bagger zerstört. Die Jugendlichen sind verständlicherweise entsetzt, als wir sie am Freitag zum Seminar abholen, denn alle kennen die Menschen, die dort leben. Frauen von dort sind auch Teil des Frauennetzwerks.

Ich hoffe, dass ich Euch durch diesen Rundbrief eine komplettere Sicht meiner Organisation geben konnte und hoffe auch, dass ihr Euch von meiner Arbeit und meinem anderen aber inzwischen trotzdem sehr vertrauten Leben nach jedem Rundbrief jedes Mal ein besseres Bild machen könnt! Vier Monate werde ich noch hier arbeiten und kann es mir im Moment noch nicht vorstellen, so bald wieder zu gehen. Mehr und mehr mache ich mir auch ueber meine Rückkehr nach Deutschland Gedanken, die womöglich auch einen kleinen Kulturschock mit sich bringen wird. Zu sehr gewöhnt man sich schon an die Wärme der Tropen (natürlich auch die menschliche), die Gelassenheit, das äusserliche Bild. Um meine bisherigen Impressionen von Lateinamerika ein bisschen zu vervollständigen, habe ich mich entschieden, nach meinem Friedensdienst weiterzureisen. Vorher werdet ihr aber in jeden Fall noch einen letzten Rundbrief bekommen! Ich wünsche Euch alles Gute, danke Euch für Eure Unterstützung und für die Zeit, die Ihr Euch jedesmal nehmt, meine Rundbriefe zu lesen! Eure Lucie Post an: c/o Cenderos, Centro de Derechos Sociales de la Persona Migrante 300m al Sur del portón principal del colegio de Señoritas San José, Costa Rica Tel. Büro: +506 2222 2126 Tel. WG: +506 2225 0733 www.cenderos.org www.eirene.org (Der alte Rundbrief ist unter http://www.eirene.org/costarica-temp/news.costarica.18/bericht.html zu finden.)...wer hat noch nicht oder möchte nochmal? =) EIRENE KD-Bank Duisburg BLZ 350 601 90 KtoNr. 10 11 380 014 Stichwort: FWD Lucie Kirstein