Energieautarkie für Österreich 2050 Antrittsvorlesung an der Universität Innsbruck Wolfgang Streicher 1
Der Begriff Autarkie Autarkie (Wikipedia.) Autarkie (von altgriechisch αὐτάρκεια autárkeia Selbstgenügsamkeit, Selbständigkeit ) im allgemeinen Sinne bedeutet, dass Organisationseinheiten oder Ökosysteme alles, was sie ver- oder gebrauchen, aus eigenen Ressourcen selbst erzeugen oder herstellen. Selbstversorgung muss im Gegensatz zur Autarkie nicht alles zur Lebenserhaltung aus eigenen Ressourcen bereitstellen. Autarke Systeme sind u. a. wirtschaftliche Einheiten (Volkswirtschaften, Wirtschaftsregionen, Haushalte), die sich ausschließlich mit eigenen wirtschaftlichen Gütern (Lebensmittel, Rohstoffe, Waren, Dienstleistungen, Produktionsfaktoren) versorgen und von Importen unabhängig sind. 2
Der Begriff Energieautarkie Autarkie: Der Begriff wurde von den deutschen Nationalsozialisten und italienischen Verbündeten verwendet und hatte damals eine starke abgrenzende Funktion gegenüber minderwertige Völker und Feinden. Daher wird im deutschsprachigen Ausland (D, CH) für den Energiebereich heute eher der Begriff Energieautonomie verwendet. In der weiteren Ausführung wird hier in Abstimmung mit dem Lebensministerium am Begriff Energieautarkie festgehalten. 3
Der Begriff Energieautarkie Klima:aktiv Programm Österreich Energieautarkie ist das Bestreben einer Gemeinde oder Region, die Energieversorgung in den Bereichen Wärme, Strom und Verkehr von Importen sowie von fossiler Energie weitgehend unabhängig zu machen. Energieautarkie ist nicht als Abkapselung nach außen zu verstehen, sondern besteht in der optimalen und effizienten Nutzung der vorhandenen lokalen Potentiale und Ressourcen an erneuerbaren Energien. 4
Was hieße eigentlich Energieautarkie? Welcher Bedarf wird in das Konzept mit eingeschlossen Wärme Strom Verkehr (auch Urlaub) Abdeckung in jedem Moment durch die autarke Einheit (echte Autarkie) Speicher für Energie (Strom, Wärme) Abdeckung im Mittel über das Jahr (Jahresbilanz Import/Export ausgeglichen) Speicher werden räumlich verlagert (Stromnetz) Import/Export hält sich die Waage 5
Verkehr, Nahrung, Bekleidung etc.??? Einfamilienhäuser und zersiedelte Landschaft fördern Verkehr?? Fleisch braucht 10 mal mehr Energie zur Produktion als pflanzliche Nahrungsmittel Urlaub mit dem Flugzeug auf die Malediven?? Bekleidung aus China, Äpfel aus Spanien Futtermittel Importierte Rohstoffe Was können (müssen?) wir den Menschen zumuten? 6
Warum sollten wir Energieautarkie erreichen? 7
World Nominal Oil Price Chronology: 2008-2011 (http://www.tecson.de/prohoel.htm) t / h 8
Fossile Energieträger Reserven zu Produktion Verhältnis (R/P) Ende 2009 (Quelle BP, 2010) 21. März 2011 Energieautarkie für Österreich 2050, Antrittsvorlesung 9
Die (kurze) Ära der fossilen Energieträger 21. März 2011 Energieautarkie für Österreich 2050, Antrittsvorlesung 10
Rückgang der Pasterze von 1938 bis 2010 Quelle: www.gletscherarchiv.de Quelle: INSTITUT FÜR GEOGRAPHIE UND RAUMFORSCHUNG 2004 21. März 2011 Energieautarkie für Österreich 2050, Antrittsvorlesung 11
Klimawandel die globale Erwärmung Source: ACIA Impacts of a Warming Arctic 21. März 2011 Energieautarkie für Österreich 2050, Antrittsvorlesung 12
Zeitreise durch das Klima der Erde (ZAMG, 2010) 21. März 2011 Energieautarkie für Österreich 2050, Antrittsvorlesung 13
Quelle : IPCC Str 14
Globale Temperaturszenarien - Multi GCM Ergebnisse 15
Trends der CO 2 Konzentration, Temperatur und Meeresspiegel für ein striktes CO 2 - Emissions Reduktions Szenario (A1B) Intergovernmental Panel on climate change (IPCC) 16
Temperaturänderung 2020/50 vs. 1961/90 (nahe dem alten B2 Szenario) 17
EU Ziele "Es wird zu viel über die Kosten geredet. Aber auf längere Sicht hätte es viele Vorteile, wenn wir ambitionierter darin wären, unsere Energieeffizienz zu verbessern", sagte EU- Klimakommissarin Hedegaard Vor dem Hintergrund forderte Sie die EU-Länder auf, ihre Anstrengungen zu verstärken. Die EU drohe ihr selbst gestecktes Ziel zu verfehlen, die Effizienz bis 2020 um 20 Prozent zu steigern. Wenn das Ziel aber erreicht werde, sei es möglich, zugleich die CO 2 -Emissionen bis 2020 um 25 Prozent zu drücken -und nicht nur um die 20 Prozent, die verabredet sind. Das sei zugleich der "kosteneffizienteste Weg", um wie geplant bis 2050 Europas Treibhausgasausstoß um 80 Prozent zu senken. (Financial i Times, 7.3.2011) 18
Wie kann man Konzepte zur Energieautarkie erstellen Definition von Randbedingungen Ist-Zustand Energiebedarf Definition von möglichen Einsparungen des Energiebedarfs Erhebung der Verfügbarkeit (Potentiale) von Erneuerbaren Energieträgern => Bilder + Tabellen Darstellung von Technologien zur Nutzung Erneuerbarer Energieträger Aufstellen von Szenarien, sodass das Angebot mit dem Bedarf übereinstimmt. 19
Energieautarkie Österreich 2050 Feasibility Study Leitung, Gesamtmodell Wolfgang Streicher, Universität Innsbruck, Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften, Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen Bereich Industrie/Produktion Hans Schnitzer, Michaela Titz, TU Graz, Institut für Prozess- und Partikeltechnik Bereich Gebäude Florian Tatzber, Richard Heimrath, Ina Wetz, TU Graz, Institut für Wärmetechnik Bereich Verkehr Stefan Hausberger, TU Graz, Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik Andrea Damm, Karl Steininger, Universität Graz - Wegener Center for Climate and Global Change Bereich Energiewirtschaft Reinhard Haas, Gerald Kalt, TU Wien, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft, Energy Economics Group Stephan Oblasser, Landesenergiebeauftragter Tirol Review Michael Cerveny, Andreas Veigl, ÖGUT, Wien Consulting Martin Kaltschmitt, Universität Hamburg-Harburg g http://umwelt.lebensministerium.at/article/articleview/86784/1/1467/ 20
Randbedingungen: Potentiale Erneuerbarer Energieträger aus Österreich (Biomasse, Wasser, Wind, Sonne, Umweltwärme, tiefe Geothermie) Tages.- und wochenmäßiger Stromaustausch mit Nachbarländern (Saisonspeicherung in Österreich, europäischer Kontext) Konstante t landwirtschaftliche h Fläche für Nahrungs- und Futtermittelproduktion Keine fossilen Energieträger und keine Kernenergie Rucksack an Import von Nahrungsmitteln und Gütern wird nicht berücksichtigt (ca. 44 % des heutigen Verbrauchs an fossiler Energie). Betrachtete Sektoren: Gebäude, Mobilität und Produktion (Industrie) Keine ökonomische Analyse 2 Szenarien Konstant-Szenario: Konstante Energiedienstleistung bis 2050 (beheizte m² Gebäudefläche, Pkm, tkm, konstante Bruttowertschöpfung der Industrie) Wachstums-Szenario: Anstieg der Energiedienstleistung um 0,8 %/a (ca. 40 % Anstieg von 2008 bis 2050) => keine Einschränkung der Bedürfnisse 21
Ausgangslage: Energieflussbild Österreich 2005
Primärenergieverbrauch Österreichs 1955 bis 2008 (Haas 2010, Statistik Austria ) 1400 1200 1000 PJ 800 600 400 200 0 1955 1959 1963 1967 1971 1975 1979 1983 1987 1991 1995 1999 2003 2007 Kohle Öl Erdgas Wasser Biomasse Sonst Erneuerbare Sonstiges
Zusammenhang der Potentialbegriffe (nach Kaltschmitt, Streicher, 2010 ) Theoretische Potenziale Berücksichtigung technischer und ggf. nicht-technischer technischer Restriktionen Technische Potenziale Angebotspotenziale (Erzeugungspot.) Nachfragepotenziale (Endenergiepot.) konkurrierender Systeme Wirtschaftliche Potenziale Berücksichtigung konkurrierender Systeme und zusätzlicher energiepolitischer Maßnahmen Erschließbare Potenziale
Potentiale Erneuerbarer Energieträger, Beispiel PV Gebäudedächer Gebäudefassadeflächen Frei Lärm Flach Schrägwände d schutz Summe dächer dächer Theoretisches Potenzial in PWh/a a ca. 92 Theoretisches Stromerzeugungs potenzial in PWh/a b ca. 26 Theoretisches Flächenpotenzial in km² 155 479 809 983 1,53 2427 Technisches Flächenpotenzial f in km² 35 79 52 136 046 0,46 303 Technisch 5,6 9,5 0,03 21,2 installierbare Leistung in GW c 2,4 5,5 3,6 8,3 12,7 21,8 0,07 48,5 Jährlicher Ertrag in kwh/kw 950 900 650 950 650 Technisches 5,0 9,1 0,02 18,8 23 2,3 53 5,3 24 2,4 54 5,4 Angebotspotenzial in TWh/a 11,4 20,7 e 0,05 42,9 50 % Nutzung Dächer und Fassaden für PV Techn. Flächenpotential PV f in km² 17,5 39,5 26 136 0,46 219,5 Technisch 9,5 0,03 15,3 installierbare Leistung in GW c 1,2 2,8 2,8 6,3 1,8 4,2 21,8 0,07 35,2 Jährlicher Ertrag in kwh/kw 950 900 650 950 650 Technisches 2,5 9,1 0,02 13,9 1,1 2,7 1,2 2,7 Angebotspotenzial in TWh/a 5,7 20,7 e 0,05 31,9 Hier verwendet endet in TWh/a 23 Hier verwendet in PJ/a 83
Nutzung und Technische Potentiale Erneuerbarer Energieträger in Österreich 350 edarf in PJ/a Energieb 300 250 200 150 100 50 0 Nutzung 2008 Techn Potential Bio omasse Wass erkraft Photo ovoltaik Winde energie Solarth hermie Umweltw wärme Oberfläch hennah (ohne Luft) Tiefe Geoth hermie
Lösungsmöglichkeiten: Reduktion des Wärmebedarfs Bauordnung, Raumplanung MFH statt EFH Thermische Sanierung Erneuerbare Energieträger g 27
Lösungsmöglichkeiten: Reduktion des Energiebedarfs für Mobilität Raumplanung (Mischnutzung) Modal Split (Umstieg auf ÖV und NMIV) (= Infrastruktur) Niederer Flottenverbrauch, E-Mobilität Überregionaler Transport auf Schiene 28
Lösungsmöglichkeiten: Reduktion des Energiebedarfs für Industrie Energieeffizienzrichtlinie der EU = 1 %/a Erhöhung der Energieeffizienz Technologischer Fortschritt 29
Technische Nutzungen Strom Wasser/Wind Wasser Bereits heute in hohem Ausmaß genutzt Unter ökologischen Gesichtspunkten nutzen Ist oft sehr günstige Lösung Geht nur in Verbindung mit Stromnetz Wasser als Stromspeicher => Pumpspeicherkw. Wind Geht heute auch in den Bergen mit Böen Neue Technologie: z.b. Flügelblattabtauung g Visueller Landschaftsschutz Geht nur in Verbindung mit Stromnetz 30
Technische Nutzungen Biomasse Potential bereits heute in großem Ausmaß genutzt Biomasse ist chemisch gespeicherte Sonnenenergie Speicherung ist unproblematisch Kann in praktisch alle Energieformen umgewandelt werden Produktion konkurriert mit Landwirtschaft Bedarf konkurriert mit nichtenergetischer Nutzung (Bau, Papier & Zellstoff, Biokunststoffe. Eher keine Fernwärmenutzung, da FW-Netze bei Gebäudesanierung eher nicht mehr richtiges Konzept (hohe Verluste/Kosten im vgl. zur Abnahme) 31
Lösungsmöglichkeiten Wärme Strom Verkehr Biomasse (Beispiel Güssing) Quelle: Koch et al. 32
Technische Nutzungen Wärme Solarthermie Praktisch keine Volldeckung möglich Daher immer weiteres Backup Produktion im Bereich des Verbrauchs oder bei Fernwärmenetz Grazer Solardachkataster, Fa. Laserdata Innsbruck 33
Technische Nutzungen Wärme Wärmepumpen Erdreichwärmpumpen: Fläche?, Grundwasserwp: Verfügbarkeit, Lift-Wasser Wärmepumpen: unlimitierte Wärmequelle Wärmepumpe richtig eingesetzt: Erdreich- oder Grundwasserkoppelung - Jahresarbeitszahlen von 5 sind möglich Außenluftwärmepumpen kommen maximal auf eine Jahresarbeitszahl von 3,5 Kann im Gegensatz zu Biomasse sehr klein skaliert werden (z.b. für Passivhaus-Einfamilienhaus) Bei Erdreich- oder Grundwasserkoppelung: Grundwasserrechtliche Bewilligung und Bodengutachten) 34
Ergebnisse: Endenergiebedarf nach Sektoren 35
Ergebnisse: Gebäude Endenergiebedarf Gebäude Erdgas ebedarf in PJ/ /a Endenergi 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 86 82 27 69 66 57 23 16 49 68 157 49 69 39 13 2008 2050 Konstant 2050 Wachstum Erdöl Elektrizität für Heizen und WW Elektrizität für Kühlen und E Geräte Elektrizität fürwp (Wärme) Umgebungswärme (WP) Solarthermie Biomasse und Wärmenetze Ca. 50 % Energieeinsparung g => hochwertige Sanierung alter Gebäude, neue Gebäude als Passivhäuser Umstieg auf Solarthermie, Wärmepumpe; Einsparung beim Haushaltsstrom (Biomasse wird speziell im Wachstums-Szenario primär für Verkehr und Industrie benötigt) 36
Ergebnisse: Mobilität Endenergiebedarf Mobilität in PJ/a nergiebedarf i Ende 350 300 250 200 150 100 50 0 10 288 15 17 40 38 7 30 43 2008 2050 Konstant 2050 Wachstum Gas Kraftstoffe Elektrizität Ca. 70 % Energieeinsparung => NMIV, ÖV, E-Fahrzeuge (leicht, < 12 kwh/100km ), PKW < 3 ltr/100km, Güterferntransport auf Schiene Starker Ausbau des ÖV notwendig (Infrastruktur) Kraftstoffe und Gas aus Biomasse bzw. Kraftstoffe aus Strom und CO 2 aus Atmosphäre (Fischer Tropsch) 37
Ergebnisse: Industrie Endenergiebedarf Produktion Endenerg giebedarf in PJ J/a 350 300 250 200 150 100 50 0 18 65 86 7 25 123 57 46 25 22 58 38 99 59 89 2008 2050 Konstant 2050 Wachstum Kraftstoffe Wärme NT Wärme HT elektr Wärme HT CH4 aus CO2 Wärme HT Biomasse Wärme HT fossil Elektrisch NT: Niedertemperatur HT: Hochtemperatur Ca. 35 % Einsparung (Konstant-Szenario) bzw. konstanter Bedarf (Wachstums-Szenario) => Das entspricht etwa der Vorgabe durch die EU Energieeffizienzrichtlinie Wärme NT auch aus Solarthermie, Wärme HT aus CH 4 (aus El. + CO 2 ), Biomasse, Elektrizität 38
Ergebnisse: Endenergiebedarf nach Energieträgern Endener rgiebedarf in PJ/a 400 300 200 100 0 2008 2050 Szenario Konstant 2050 Szenario Wachstum * Wärme HT Biofür 2008 auch mit fossilenenergieträgern 39
Ergebnisse: Primärenergieeinsatz Erneuerbarer Energieträger Annähernde Ausschöpfung der Potenziale bei Wachstums-Szenario Starke Steigerung bei PV, Wind, Solarthermie, Umweltwärme, tiefe Geothermie Erhöhung der Leistung der Pumpspeicherkraftwerke um 85 % bzw. 130 % 40
Ergebnisse: Primärenergieeinsatz für die Umwandlung von Primärenergie 41
FAKULTÄT FÜR BAUINGENIEURWISSENSCHAFTEN 21. März 2011 INSTITUT FÜR KONSTRUKTION UND MATERIALWISSENSCHAFTEN Energieautarkie für Österreich 2050 Antrittsvorlesung 42
Versuch eines Resümees für die Energieautarkie Österreichs Energieautarkie für Österreich ist mit den getroffenen Randbedingungen technisch auch ohne Einbuße an Energiedienstleistung möglich Bei einem Wachstum der Energiedienstleistung (durch mehr Bedarf pro Einwohner oder Bevölkerungswachstum) von > 0,8 %/a wird eine Versorgung nur mittels über das hier angenommene Maß hinausgehenden Effizienzsteigerungen i i möglich Die bereits angenommenen Effizienzsteigerungen bedürfen eine umfassende Änderung des Energiesystems und der Form der Energiedienstleistungen Der Handlungsspielraum ist relativ klein, da die Potentiale der Erneuerbaren Energieträger weitgehend genutzt werden müssen Die Elektrizitätsversorgung ist immer im Europäischen Kontext zu sehen Um Energieautarkie bis 2050 zu erreichen sind politische Rahmenbedingungen bereits heute zu setzen 43