Das Museum der Alltagskultur dialogisch besehen Erneuerungsperspektiven aus einer revidierten Haltung THOMAS BRUNE Ich könnte über die Museen zur Alltagskultur als Gattung sprechen und über das ihnen grundsätzlich enthaltene Dialogische. Doch halte ich es für fruchtbarer, weil anschaulicher, am besonderen Exempel des Museums der Alltagskultur im Schloss Waldenbuch skizzenhaft aufzureißen, wie Museen zur historischen Alltagskultur auf unterschiedlichen Ebenen dem Dialogischen Gestalt geben können. Dieser Vortrag versteht sich als Bericht aus einer Museumswerkstatt, wie sich das Hin und Her von Bildern, Botschaften und Empfindungen in Konzepten entwickelte und schließlich umgesetzt wurde. Vorausschicken möchte ich schon jetzt, dass wir für das Fest des Museumsdialogischen weder viel interaktiven Medieneinsatz noch soziokulturelle Partizipation bemühen. Vielmehr setzen wir nachhaltig und konservativ auf unsere Sammlungsschätze, auf jedes einzelne Ding in seiner Stärke, Präsenz, Informationswucht, Schönheit und Bizarrerie und auf die Beziehungen, die wir zwischen den Dingen herstellen, räumlich, bühnenhaft, szenisch. Dazu nehmen wir nicht nur die Gestalter 1 als Bühnenbildner mit 1 Gestaltungspartner des Museums der Alltagskultur Schloss Waldenbuch sind Franziska Schmidt und Korkut Demirag, demirag-architekten Stuttgart
20 BRUNE dramaturgischer Kompetenz in Pflicht und Partnerschaft. Wir tun dies auch mit der Sprache, mit den Wörtern, jenen museografisch schwächsten und doch so wirkmächtigen Mitspielern auf der Museumsbühne. 2 Dieser Bericht konzentriert sich vor allem auf die Eingangssequenzen des neu zu erfindenden Hauses, weil wir dort sehr viel Raum für ein komplexes Vorspiel im Dialogischen geben. Wir sehen darin die Chance für ein stärkeres und also nachhaltigeres Erlebnis in der Begegnung mit der eigenen Alltagskultur in der vergangenen Alltagskultur. 3 VORSPIEL Das Museum der Alltagskultur Schloss Waldenbuch wurde 1989/90 als Außenstelle des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart unter dem Namen Museum für Volkskultur in Württemberg in zwei Abschnitten auf 2.500 qm eröffnet. Es war in die Jahre gekommen 4 und Zeit genug vergangen, um es zu erneuern. 2009 benannten wir es um in Museum der Alltagskultur Schloss Waldenbuch. Die jetzt laufende Erneuerung begann 2010, ermöglicht durch jahrweise Sonderzuweisungen des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden Württemberg in allerdings sehr(!) überschaubaren Dimensionen. Der erste Abschnitt der Erneuerung im Erdgeschoss mit dem Café Alltag und den Abteilungen Mein Stück Alltag, den ZeitSprüngen und einer kleineren Abteilung zu vorindustriellen Arbeitswelten, wurde im Mai 2011 eröffnet, der zweite Abschnitt folgte im November 2011 mit der Abteilung Wohnwirklichkeiten im 1. Obergeschosses. Außerdem gehörte zu diesem Abschnitt die kleine aber 2 Geholfen haben uns dabei Workshops mit dem Kommunikationsbüro Bütefisch. 3 Als nächster Abschnitt der Erneuerung des Museums der Alltagskultur Schloss Waldenbuch ist für 2014 die Fertigstellung des bisher schon größten Ausstellungsteils unter dem Titel Wohnwelten geplant. Ihm folgen 2015 und 2016 die Abschnitte Arbeitswelten, Körperwelten, Bilderwelten. 4 siehe Thomas Brune: Auf halbem Weg zwischen Tübingen und Stuttgart. Zur Lage des Museums für Volkskultur. In: Monika Kania-Schütz (Hg.): In die Jahre gekommen? Chancen und Potentiale kulturhistorischer Museen. Münster/ New York/München/Berlin 2009, S. 137-148.
MUSEUM DER ALLTAGSKULTUR 21 feine Ausstellung zu Hirschen, Fürsten, Waldgeschichten als Reverenz an das Gebäude als ehemaliges Jagdschloss, die sich nicht als Abteilung zur Alltagskultur versteht (Abbildung 1). Abbildung 1: Waldgeschichten Quelle: H. Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart Ohne in eine ausführliche Kritik des vor bald 25 Jahren eröffneten Museums für Volkskultur in Württemberg einzusteigen diese lieferte Anja Schöne in ihrer klugen Arbeit über das Museum 5, ist es aber dennoch nötig, die Folie zu benennen, vor der die revidierte Haltung Kontur gewinnt. Aus sehr persönlicher Sicht: Ich war in den 1970er Jahren Student von Martin Scharfe mit seinen Lernausstellungen und vom sich gerade dem Musealen zuwendenden Gottfried Korff. Ich staunte allerdings eher freudlos über Frankfurts neues Historisches Museum, begeisterte mich aber an Peter Schirmbecks neuem Rüsselsheimer Stadtmuseum. An dem Museum für Volkskultur in Württemberg wirkte ich als Volontär Ende der 1970er Jahre kurzzeitig in der ersten Konzeptphase mit, als es darum ging, Themen und Sammlungen auf Zettelchen zu schreiben und Räumen zuzu- 5 Anja Schöne: Alltagskultur im Museum. Zwischen Anspruch und Realität. Münster/New York/München/Berlin 1998, S. 172-190.
22 BRUNE ordnen. Ich erinnere, dass es immer mehr Zettel auf den Grundrissplänen wurden und die Räume in meiner Vorstellung immer kleiner. Als ich das Museum dann im fertigen Zustand sah, erkannte ich die Mühe, die Fantasie auch, vor allem aber den informationellen Impetus, die hineingesteckt worden waren von den Mitarbeitern unter der Leitung meines Vorgängers Hans Ulrich Roller. Ihm gegenüber komme ich mir jetzt zeitweilig ein wenig wie ein Vatermörder vor, weil ich sein Werk verwandelnd, notwendigerweise auch zerstöre. Die volkskundliche Museumswelt setzte damals hohe Erwartungen in das neue Museum und konnte es loben. 6 Ich muss gestehen: Ich empfand es immer auch als etwas anstrengend. Anja Schöne befand einen gewissen Akademismus. Aber es gab ja schließlich auch so viel mitzuteilen aus der nun museal zu schreibenden Geschichte der Volkskultur. 7 Die Lesezeit errechnete sich ohne Objektbeschriftungen auf mehr als sechs Stunden. Objekte in dichten Zusammenstellungen von zum Teil schwer erschließbarer Komplexität bei zugleich schwacher Dramaturgie in Themenfolgen und Auftritt. Es war die Zeit der Botschaften, der Aufklärung des Volkes über sich selbst, eine One-Way-Veranstaltung. Lernen war Programm, die Freude der Besucher an den reichen und ärmlichen Objekten zwar nicht wirklich ungern gesehen allerdings zumeist nur dann, wenn sie sich nicht am notgeboren Ärmlichen entzündete. 8 6 Gottfried Korff / Hans-Ulrich Roller (Hg.): Alltagskultur passé? Positionen und Perspektiven volkskundlicher Museumsarbeit. Tübingen 1993. 7 Das erste Museumsplakat spiegelte den Charakter des Museums ziemlich treffend mit einer flächenfüllenden Wortreihung und wenigen eingesprenkelten kleinen Objektabbildungen. 8 Diese Kritik trifft sicher stärker auf den ersten, 1989 eröffneten Abschnitt im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss zu, als auf den 1990 eröffneten Museumteil im 2. Obergeschoss, zu dessen Gestaltung man auch den Gestalter gewechselt hatte.
MUSEUM DER ALLTAGSKULTUR 23 Abbildung 2: Alte Ausstellung, Regionalprofile Möbelgesichter Quelle: H. Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart Abbildung 3: Alte Ausstellung, Handwerkerkultur Quelle: H. Zwietasch, Landesmuseum Württemberg, Stuttgart