Predigt am 22.01.2006 im Universitätsgottesdienst über Apg 9, 1-19 Prof. Dr. Rolf Schieder Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen Der Predigttext steht in der Apostelgeschichte des Lukas im 9. Kapitel: Saulus aber wütete weiter mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn. Er ging zum Hohenpriester und bat ihn um Briefe an die Synagoge in Damaskus, um Anhänger der neuen Lehre, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gebunden nach Jerusalem führen zu können. Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sagte zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber fragte: Herr, wer bist du? Der Herr antwortete: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Stehe auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. Die Männer aber, die mit ihm reisten, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemand. Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Da nahmen sie ihn bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; und er konnte drei Tage nicht sehen und aß und trank nicht. Es gab aber einen Jünger in Damaskus mit Namen Hananias, dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Er antwortete: Hier bin ich, Herr. Der Herr sagte zu ihm: Steh auf und geh in die Gerade Straße und frage in dem Hause des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn, siehe, er betet und hat in einer Erscheinung gesehen, wie ein Mann mit Namen Hananias zu ihm hereinkam und ihm die Hand auflegte, damit er wieder sehen könnte. Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört, wie viel Böses dieser Mann deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat; und hier hat er von den Hohenpriestern Vollmacht, alle festzunehmen, 1
die deinen Namen anrufen. Doch der Herr sagte zu ihm: Geh nur hin; denn gerade dieser ist mein auserwähltes Werkzeug und soll meinen Namen vor Heiden, vor Königen und vor das Volk Israel tragen. Ich will ihm zeigen, wie viel er um meines Namens leiden muss. Und Hananias ging und trat in das Haus, legte ihm die Hände auf und sagte: Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist. Du sollst wieder sehen können und mit dem heiligen Geist erfüllt werden. Sogleich fiel es wie Schuppen von seinen Augen und er konnte wieder sehen. Er stand auf, ließ sich taufen, nahm Speise zu sich und stärkte sich. Saulus aber blieb einige Tage bei den Jüngern in Damaskus. Liebe Gemeinde, Jesusfilme gibt es viele. Eigentlich ist es Zeit für einen Paulus-Film. Im Nachlass von Pier Paolo Pasolini fand man Vorstudien für einen Paulusfilm. Der Mord an diesem streitbaren und kompromisslosen Regisseur machte das Projekt aber zunichte. Stellen Sie sich vor, ein Filmproduzent würde Sie bitten, einen Paulusfilm zu inszenieren oder ein Drehbuch zu schreiben. War für ein Typ wäre Ihr Paulus? Wie sähe er aus? Wäre er ein Fanatiker mit stechendem Blick? Ein asketischer, aber gnadenloser Gesetzestreuer, der erst die Christen, dann die Juden in die Enge treibt? Oder eher ein rationaler Typ, der sich seine Welt zuerst zurecht denkt und sie dann danach zu gestalten versucht - ohne Rücksicht auf sich und andere. Oder ist er ein Suchender? Einer, der in all seiner Verfolgungswut eigentlich etwas anderes verfolgt, einer Sache nachjagt, die er aber noch gar nicht richtig ergreifen kann? Oder ist er ein an sich und seiner Wirklichkeit Leidender? Ein Kranker, der vor Damaskus einfach einen epileptischen Anfall hatte? Hat man sich ein Bild von seinem Hauptdarsteller gemacht, dann muss man sich für ein Filmgenre entscheiden. Soll Ihr Paulusfilm ein Historienfilm werden? Sie müssten dann an Originalschauplätzen drehen, bräuchten historische Kostüme, Männer mit Bärten, Turbanen, langen Gewändern, 2
nicht zu vergessen die unvermeidlichen Sandalen, sowie Pferde und Kamele. Archäologen könnten Sie bei der authentischen Rekonstruktion der Straßen in und um Damaskus beraten. Man könnte die Ereignisse aber auch in die Gegenwart verlegen. Paulus hieße dann vielleicht Paul und fiele nicht - wie in vielen Darstellungen - vom Pferd, sondern er hätte einen Autounfall. Nicht zwischen Jerusalem und Damaskus, sondern zwischen der Ausfahrt Beelitz und dem Autobahnkreuz Potsdam. Paul wäre vielleicht Sonderbevollmächtiger des Bundesinnenministers zur Bekämpfung staatsgefährdender neuer religiöser Strömungen. Ein junger dynamischer Ministerialrat mit besten Aufstiegschancen. Man schätzt seine außerordentlich guten religionswissenschaftlichen Kenntnisse, seine präzisen Lageeinschätzungen und seine zupackende Art. Dann wäre zu klären, wie der Dialog zwischen Paul und Jesus filmisch zu inszenieren wäre? Grundsätzlich bieten sich zwei Möglichkeiten. Man kann sich dafür entscheiden, Jesus leibhaftig auftreten zu lassen. In den letzten Jahren war eine Reihe von Hollywoodfilmen zu sehen, wo Engel auftraten oder bereits Gestorbene die Chance zum Eingreifen in das Leben der Lebenden erhielten. Blickt man ferner auf die vielen Fantasyfilme, dann wäre es zumindest nicht unzumutbar, Jesus sozusagen aus einem Paralleluniversum in die Alltagwelt eingreifen zu lassen. Der Bibeltext legt ein solches Vorgehen aber nicht nahe. Denn hier tritt Jesus nicht als eine Gestalt in Erscheinung. Lediglich vom Licht und von einer Stimme ist die Rede. Das den Paulus umleuchtende himmlische Licht ließe sich durchaus als eine Erleuchtung verstehen. Mir geht ein Licht auf, sagen die, die mit einem Mal etwas ihnen vorher Verschlossenes verstehen. Die in unserem Bibeltext verwendete Metapher wie Schuppen von den Augen fallen will eine 3
ähnliche Erfahrung beschreiben: Plötzlich erkannt man, wie die Dinge wirklich sind. Man sieht seine Welt mit anderen Augen. Die Szene ließe sich also ganz realistisch inszenieren. Zum Beispiel so: Paul sitzt am Steuer seines 5er BMW. Den Chauffeur hat er auf den Beifahrersitz verbannt. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin und der Bodyguard sitzen im Fond. Langsam fährt die Kamera auf das Gesicht des Paul zu und zeigt es in Großaufnahme. Die Zuschauer erkennen, wie es in ihm arbeitet. Seine Aufmerksamkeit changiert zwischen Straße und den Stimmen in seinem Innern. Was verfolgst Du eigentlich, Paul? Was suchst Du, wenn Du Anhänger der neuen Lehre aufstöbert? Was treibt dich um? Oft übersetzen wir die Frage des Herrn Was verfolgst Du mich? mit Warum verfolgst du mich? Paulus steht aber nicht vor einem Tribunal, vor dem er sein vergangenes Handeln verteidigen müsste. Die Frage des Herrn richtet sich an das künftige Lebens des Paulus: Was suchst Du? Welches Ziel verfolgst Du? Warum? verlangt eine Rechtfertigung früherer Handlungen. Wozu? fragt nach dem Ziel, fragt nach dem Wohin. Jesu Frage war in wahrsten Sinne des Wortes umwerfend. Wie ein Blitz muss Paulus die Erkenntnis durchfahren haben, dass ausgerechnet das, was er ausrotten will, seine Bestimmung ist. Wenn wir uns unseren Paul als gut ausgebildeten Theologen und Religionswissenschaftler vorstellen, dann können wir davon ausgehen, dass bei aller Intensität der Erfahrung seine kritische Selbstbeobachtung nicht ausgeschaltet ist. Es wird ihm nicht schwer gefallen sein, die Gedanken und Gefühle, die ihn mitten auf der Autobahn überwältigten, als eine religiöse Erfahrung zu deuten. Erschreckend und befreiend zugleich breitet sich körperlich spürbar die Gewissheit aus, dass nichts mehr so sein wird wie vorher. Unterscheidungen wie Glaube und Wissen verlieren in solchen Momenten ihren Sinn. Die gängige Meinung, Wissen sei ein empirisch abgesicherter 4
Modus der Erkenntnis, Glaube dagegen ein unsicheres Wissen, ist falsch. Im Gegenteil: Glaube ist eine gesteigerte Form des Wissens. Es gibt nämlich ein Wissen, das interessiert mich nur am Rande. Glaube aber ist das Wissen, das mich mit Macht zwingt, mein Leben an meinen Gewissheiten auszurichten und gegebenenfalls auch zu verändern. Auch wenn seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nichts davon mitbekamen, was ihm da geschah, ändert das nichts am Wirklichkeitsgehalt des Geschehenen. Wirklich ist das, was wirkt. Tiefe Wahrheiten lassen sich oft nur in der ersten Person Singular sagen. Da rast also Paul mit Tempo 200 auf Berlin zu - aber er nimmt seine Umwelt nur noch wie durch einen Schleier wahr. Die Stimmen der Mitarbeiter werden leiser und leiser und jetzt beginnt auch noch die Straße vor ihm zu verschwimmen. Instinktiv tritt er auf die Bremse, versucht noch die Standspur zu erreichten. An mehr kann er sich später nicht mehr erinnern. Das Fahrzeug rutscht eine Böschung hinab. Die Insassen bleiben unverletzt. Paul hat einen Schock erlitten und er klagt über Sehstörungen. Was er an innerem Durchblick gewonnen hat, das hat er an äußerer Sehkraft verloren. Man bringt ihn in eine Klinik. Typisches Stressphänomen, diagnostizieren die Ärzte, knapp am Herzinfarkt vorbei - völlig überarbeitet, der Mann. Paul weigert sich zu essen und zu trinken. Seine Sehstörungen halten an. Was in der Erzählung der Apostelgeschichte sehr schnell geht, muss der Film dehnen. Erleuchtungen und Inspirationen kommen zwar schnell und plötzlich - aber die Frage, wie ich mich dazu verhalten soll, kann viel Kraft und Zeit in Anspruch nehmen. Nach der Erzählung der Apostelgeschichte marschiert Paulus nach seiner Taufe stracks in die Synagoge und ruft dort Entsetzen hervor. Die Paulusforscher aber klären uns darüber auf, dass Paulus noch drei weitere Jahre braucht, bis er Ja dazu sagen kann, ein Apostel Jesu Christi zu sein. Bekehrungserlebnisse sind keine Kleinigkeit. Die Reorganisation des eigenen Lebens ist ein langer und schmerzhafter Prozess. 5
Hinzu kommt, dass dem Paulus kein schönes Leben prophezeit worden ist. Ich will ihm zeigen, wie viel er um meines Namens willen leiden muss, heißt es in unseren Text. Und tatsächlich berichtet Paulus in seinen Briefen von Leiden in Hülle und Fülle, von Gefühlen der Bedrohung, der Angst und der Schwäche. Ja, er berichtete sogar davon, dass er dreimal den Herrn gebeten hat, doch von ihm zu lassen. Auch das gehört zu Bekehrungsgeschichten: der Zweifel daran, ob der neue Weg sich nicht ebenso als Irrweg erweisen wird wie der alte. Bei Paulus blieben das vorübergehende Krisen. Ihn tröstete die Antwort Jesu: Lass dir an meiner Gnade genügen. denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Hätte man Paulus später noch einmal gefragt, wie er denn heute auf die Frage des Herrn: Was hast Du mich verfolgt? antworten würde, dann hätte er wohl gesagt: Ich habe Dich verfolgt, weil ich Deine Gnade gesucht habe. Ich habe Dich verfolgt, und wollte Dir eigentlich immer nur nachfolgen. Ich bin froh, dass mir damals vor Damaskus meine Bestimmung so klar vor Augen gestellt wurde. Dass auch wir unsere Bestimmung erkennen, das verleihe uns der allmächtige und barmherzige Gott. Amen. 6