Keller, Heinrich (II.), Geburt der Venus, 1800, Marmor, 48 x 36 x 38 cm, Kunstsammlung der Stadt Zürich Bearbeitungstiefe Name Namensvariante/n Keller, Heinrich (II.) Itzenloe, H. von Thelo, F. H. Lebensdaten Vitazeile Lexikonartikel * 17.2.1771 Zürich, 21.12.1832 Rom Bildhauer, Historiker, Archäologe, Dichter und Schriftsteller. Schüler von Joseph Maria Christen und Vertreter des Klassizismus in Rom Als Sohn des Baumeisters und Obristen Johann Kaspar Keller, Besitzer einer der bedeutendsten Bildersammlungen Zürichs, gehört Heinrich zu den verschwindend wenigen Bildhauern der Zeit, die den Zugang zu ihrem Metier nicht über den handwerklichen Hintergrund ihres Elternhauses fanden; er wuchs jedoch in einer kunstsinnigen Familie auf. Mit dem Entschluss, in Bern Jura zu studieren, trug der 18-Jährige seiner Herkunft Rechnung. Im Frühjahr 1791 beeindruckte ihn die Begegnung mit dem Künstler Joseph Maria Christen, und mit Zustimmung der Eltern beschloss er, in dessen Stanser, später Luzerner Werkstatt das Handwerk der Bildhauerei zu erlernen. Drei Jahre dauerte die ungleiche Partnerschaft, dann gab Keller seinem Drang Seite 1/5, http://www.sikart.ch
nach, Italien zu besuchen. 1794 reiste er von Zürich ab und erreichte Rom im Herbst, nach längerem Zwischenhalt in Florenz. Sein Traum, in Alexander Trippels Werkstatt den letzten Schliff zu erhalten, konnte sich nicht mehr erfüllen Trippel war im Vorjahr gestorben. Aber Keller wuchs schnell in die Rolle eines Nachfolgers hinein, verwaltete auch zeitweilig seinen Nachlass. Ausser mit dem Kreis der Altertumsforscher (Georg Zoëga, Karl Ludwig Fernow, Heinrich Meyer) verkehrte er freundschaftlich mit den wichtigsten Exponenten und Exponentinnen der deutsch-römischen Künstlerszene, zu der in diesen entscheidenden Jahren Friederike Brun, Angelika Kauffmann, Asmus Jakob Carstens und bald schon Bertel Thorvaldsen gehörten. Als grosser Hoffnungsträger der deutsch-klassizistischen Bildhauerei schuf Keller bis zur Jahrhundertwende seine wenigen, vielversprechenden Hauptwerke: Den Diomedes mit dem Palladium (1796, Marmor, Kunsthaus Zürich), dann eine Atalanta (begonnen 1796, in Marmor um 1820 fertiggestellt, Kunsthaus Zürich), schliesslich sein erfolgreichstes und vielfach reproduziertes Werk Die Geburt der Venus (1799; Exemplare in Marmor, Alabaster, Bronze und Steinzeug). Die Freiheit, von Pallas Athene und Herkules umringt, ein um 1800 entworfenes Nationaldenkmal für die Schweiz, gelangte nicht zur Ausführung. Den unvermeidlichen Anstrengungen seines Berufs hielt Kellers anfällige Konstitution nicht lange stand. 1803 ereilte ihn ein Lungenleiden, und bei einem Sturz zog er sich ausserdem so schwere Knochenbrüche zu, dass er sich kaum mehr erholte. Eines der seltenen grösseren Werke aus seiner zweiten Lebenshälfte, in der er handwerklich weitgehend auf fremde Hilfe angewiesen war, ist der Kenotaph Friedrichs von Graffenried (1812, Marmor, Bern, Bernisches Historisches Museum). Die dreifigurige Gruppe um einen zentralen, urnenbekrönten Cippus ist noch immer ganz der Schule Trippels verpflichtet, die in Rom mit Keller das Gegengewicht zur verspielteren, aber erfolgreicheren Richtung Canovas zu halten versuchte. Frühere Kompositionen wie die Hoffnung, eine Chimäre nährend oder das Glück auf dem Einhorn, Werke, die sich nicht oder nur in gestochener Form erhalten haben, zeigen mit ihrer Neigung zur allegorischen Verschlüsselung auch die thematische Nähe zu seinem grossen Vorbild. Mehr und mehr auf den Handel mit Marmorblöcken konzentriert, widmete Seite 2/5, http://www.sikart.ch
sich Keller nun auch wieder zunehmend der Schriftstellerei, die er seit seiner Jugend mit einigem Erfolg gepflegt hatte. Übersetzungen, eigene Artikel und Gedichte, vor allem für die zahlreichen Zeitschriften und Journale der Zeit, wechselten ab mit einer Reihe von Theaterstücken alles Arbeiten, für die er auf seine solide Bildung zurückgreifen konnte. Ab 1798 mit der Römerin Clementina Tosetti verheiratet und zum katholischen Glauben übergetreten, bekleidete er nach 1804 ausserdem das Amt eines Dolmetscher-Sekretärs bei der römischen «Propaganda» (der späteren Missionskongregation) und wurde 1810 Mitglied der Päpstlichen Archäologischen Akademie. Nur gerade zweimal, 1805 und 1822, zog es ihn für kurze Aufenthalte in die Schweiz zurück. Keller starb in Rom, wahrscheinlich an einer Lungentuberkulose. In der Entwicklungsgeschichte der deutsch-klassizistischen Skulptur bildet Heinrich Keller das gern unterschätzte Bindeglied zwischen Alexander Trippel und Bertel Thorvaldsen. Dessen epochemachendes Meisterwerk Jason mit dem goldenen Vlies (1802 03, Gips; 1828, Marmor), zu dem Keller den Marmorblock lieferte, fusst nicht zuletzt auf den stilistischen Errungenschaften des Diomedes, der seinerseits Trippels rigidere Maximen weiterentwickelt. Mit seinem langsamen und schmerzlichen Ausscheiden aus dem Kreis der aktiven Bildhauer wird Kellers Bedeutung für die nachkommende Künstlergeneration zwar geringer, eine wichtige Rolle im Hintergrund blieb ihm allerdings erhalten. So gehörte er zu den ersten Römer Freunden der Lukasbrüder um Friedrich Overbeck und lieferte den Nazarenern mit seinen Schauspielen auch später Illustrationsstoffe. Weit stärker assimiliert als die meisten seiner Künstlerfreunde, verfügte er über wertvolle Verbindungen in die Römer Gesellschaft und erleichterte jüngeren Italienfahrern mit seinen Kenntnissen den Studienaufenthalt. Sein Elenco di tutti gli pittori scultori, architetti [...] (1823, 1830), als Führer durch die Künstlerwerkstätten der Stadt konzipiert, belegt sein bleibendes Interesse an der Kunstszene seiner zweiten Heimat. Letzter und wichtigster Schützling Kellers wurde Ende der 1820er-Jahre der Urner Bildhauer Heinrich Max Imhof, der für eines seiner ersten eigenständigen Werke die exzentrische Idee der im Lauf sich bückenden Atalanta wieder aufnehmen sollte (1831 32), und der ihn schliesslich als neuer Hauptvertreter der deutschschweizerischen klassizistischen Bildhauerei ablöste. Seite 3/5, http://www.sikart.ch
Werke: Bern, Bernisches Historisches Museum; Kunsthaus Zürich. Dieter Ulrich, 1998, aktualisiert 2014 Literaturauswahl Nachschlagewerke - Richard Bauer: Das rekonstruierte Antlitz. Die Mozart-Büste des Züricher Bildhauers Heinrich Keller in der Münchner Residenz. Neustadt an der Aisch: Schmidt, 2008 - Alte Löcher - neue Blicke: Zürich im 18. Jahrhundert, Aussen- und Innenperspektiven. Zurich au 18e siècle [...]. Beiträge einer Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts, die vom 14.-16. Dezember 1995 in Zürich stattfand; Hrsg.: Helmut Holzhey, Simone Zurbuchen. Zürich: Chronos, 1997 - Christian Klemm: «Heinrich Keller (1771-1832). Diomedes mit dem Palladium». In: Bericht der Gottfried Keller-Stiftung, 1981-84. S. 98-106 - [Josef Zemp]: «Heinrich Keller (1771-1832). Atalanta». In: Bericht der Gottfried Keller-Stiftung, 1924, S. 11-18 - Bernhard Wyss: Heinrich Keller, der Zürcher Bildhauer und Dichter. Dissertation Universität Zürich. Frauenfeld: J. Huber, 1891 - [C. W. Hardmeyer]: «Leben und Charakteristik des Bildhauers Heinrich Keller aus Zürich». In: Neujahrsstück der Künstlergesellschaft in Zürich, XXXV, 1839 - Römisches Tagebuch, Prosa und Poesie aus den nachgelassenen Papieren des Bildhauers Heinrich Keller. [Manuskript: Julius Max Schottky; im Besitz des Kunsthaus Zürich]. [o. O.], 1835, 3 Bde. - Enrico Keller: Elenco di tutti gli Pittori Scultori Architetti Miniatori Incisori in Gemme e in Rame Sultori in Metallo e Mosaicisti [...]. Roma, 1824 [2. Auflage 1830] - H. J. Burke [Pseudonym für Heinrich Keller]: Franzeska und Paolo. Trauerspiel in 5 Aufzügen von H. J. B.. Zürich, 1808 - F. H. Thelo [Pseudonym für Heinrich Keller]: Ines del Castro. Trauerspiel. Zürich, 1808 - H. von Itzenloe [Pseudonym für Heinrich Keller]: Judith. Schauspiel. Aus einer alten Handschrift. Zürich: Orell Füssli, 1807 - Heinrich Keller: Recueil de petits basreliefs antiques. Cahier 1. Zürich, 1796 - E. Bénézit: Dictionnaire critique et documentaire des peintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs de tous les temps et de tous les pays par un groupe d'écrivains spécialistes français et étrangers. Nouvelle édition entièrement refondue sous la direction de Jacques Busse. Paris: Gründ, 1999, 14 vol. Seite 4/5, http://www.sikart.ch
- Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst. Dictionnaire biographique de l'art suisse. Dizionario biografico dell'arte svizzera. Hrsg.: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Zürich und Lausanne; Leitung: Karl Jost. Zürich: Neue Zürcher Zeitung, 1998, 2 Bde. - The Dictionary of Art. Edited by Jane Turner. 34 volumes. London: Macmillan; New York: Grove, 1996 - Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker, 37 Bde., Leipzig: E. A. Seemann, 1907-1950. - Schweizerisches Künstler-Lexikon, hrsg. vom Schweizerischen Kunstverein, redigiert unter Mitwirkung von Fachgenossen von Carl Brun, 4 Bde., Frauenfeld: Huber, 1905-1917. Direktlink Normdaten http://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4023505&lng=de GND 116174641 Deutsche Biographie Letzte Änderung 23.04.2015 Disclaimer Alle von SIKART angebotenen Inhalte stehen für den persönlichen Eigengebrauch und die wissenschaftliche Verwendung zur Verfügung. Copyright Das Copyright für den redaktionellen Teil, die Daten und die Datenbank von SIKART liegt allein beim Herausgeber (SIK-ISEA). Eine Vervielfältigung oder Verwendung von Dateien oder deren Bestandteilen in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung von SIK-ISEA nicht gestattet. Empfohlene Zitierweise AutorIn: Titel [Datum der Publikation], Quellenangabe, <URL>, Datum des Zugriffs. Beispiel: Oskar Bätschmann: Hodler, Ferdinand [2008, 2011], in: SIKART Lexikon zur Kunst in der Schweiz, http://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4000055, Zugriff vom 13.9.2012. Seite 5/5, http://www.sikart.ch