Rosemary Sutcliff Troja und die Rückkehr des Odysseus

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Transkript:

Rosemary Sutcliff Troja und die Rückkehr des Odysseus

Rosemary Sutcliff, 1920 in Surrey (England) geboren, erkrankte als kleines Mädchen schwer an juveniler Arthritis und konnte lange keine Schule besuchen. Später befasste sie sich intensiv mit historischen Studien, die sie in ihren Romanen verarbeitete. Ihre Bücher sind in viele Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet worden. Für ihre herausragenden Verdienste um die Jugendliteratur erhielt sie den Orden des British Empire. Rosemary Sutcliff starb 1992.

Rosemary Sutcliff Troja und die Ru.. ckkehr des Odysseus Die Geschichte der Ilias und der Odyssee Aus dem Englischen von Astrid von dem Borne Deutscher Taschenbuch Verlag

Von Rosemary Sutcliff sind bei dtv junior außerdem lieferbar: Der Adler der Neunten Legion Der silberne Zweig Das gesamte lieferbare Programm von dtv junior und viele andere Informationen finden sich unter www.dtvjunior.de Ungekürzte Ausgabe 5. Auflage 2015 2008 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München Die vorliegende Ausgabe enthält die beiden Einzelausgaben Schwarze Schiffe vor Troja und Die Rückkehr des Odysseus Black Ships Before Troy 1993 Frances Lincoln Limited Text 1993 Anthony Lawton The Wanderings of Odysseus 1995 Frances Lincoln Limited Text 1995 Anthony Lawton der deutschsprachigen Ausgabe: 2004 Verlag Freies Geistesleben und Urachhaus GmbH, Stuttgart Umschlagkonzept: Balk & Brumshagen Umschlagbild: Felix Eckardt Gesetzt aus der Aldus 11/14. Gesamtherstellung: Druckerei C.H.Beck, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-423-71332-0

Inhalt Schwarze Schiffe vor Troja Der goldene Apfel 9 Die Schiffe 19 Der Streit mit dem Großkönig 24 Der Zweikampf 31 Die trojanischen Frauen 42 Die Botschaft des Großkönigs 50 Die Pferde des Königs Rhesos 60 Roter Regen 68 Kampf um die Schiffe 74 Die Rüstung des Achilleus 82 Rache für Patroklos 89 Begräbnisspiele 98 Lösegeld für Hektor 105 Trojas Glückshüter 111 Kriegerinnen 124 Achilleus Tod 129 Der vergiftete Pfeil 139 Das hölzerne Pferd 147 Trojas Fall 157

Die Ru.. ckkehr des Odysseus Prolog 167 Der Städteplünderer 169 Die Kyklopen 173 Der Herr der Winde 184 Die Zauberin 190 Die Totenwelt 199 Gefahren auf See 207 Telemachos sucht seinen Vater 216 Abschied von Kalypso 227 Die Königstochter 235 Die phaiakischen Spiele 248 Rückkehr nach Ithaka 256 Der Bettler in der Ecke 269 Der Bogenkampf 281 Der Freiermord 291 Friede auf den Inseln 302 Die griechischen Namen 311

Schwarze Schiffe vor Troja

Der goldene Apfel In den hehren alten Zeiten, als die Männer Helden waren und unter den Göttern wandelten, nahm Peleus, König der Myrmidonen, die Meernymphe Thetis, die Silberfüßige, zum Weibe. Viele Gäste kamen zu dem Hochzeitsmahl und unter die Sterblichen mischten sich alle Götter des Olymp. Doch als sie beim Feiern saßen, trat plötzlich eine, die nicht geladen war, in ihre Mitte: Eris, die Göttin der Zwietracht. Sie hatte man ausgelassen, denn überall, wo sie erschien, brachte sie Ärger mit; doch nun war sie trotzdem gekommen, in finsterer Laune, um sich zu rächen für die Beleidigung. Nur eines tat sie und das schien geringfügig: Sie warf einen goldenen Apfel auf den Tisch und einmal blies sie ihren Atem über die Gäste und entschwand. Da lag der Apfel nun und stach hervor in glühender Farbe aus den aufgehäuften Früchten und den Bechern, die gefüllt waren bis an den Rand. Und als sie sich vorneigten, konnten alle die Worte»Der Schönsten«sehen, die auf einer Seite eingeritzt waren. Der goldene Apfel 9

Und dann forderte eine jede der höchsten Göttinnen, der Apfel müsse ihr gehören. Hera beanspruchte ihn als Gemahlin des Allvaters Zeus und als Herrin über alle Götter. Athene sagte, sie habe ein größeres Recht darauf, denn der Glanz ihrer Weisheit übertreffe alles. Aphrodite lächelte nur und fragte, wer denn einen höheren Anspruch habe auf den Schönheitspreis als die Göttin der Schönheit selbst. Da begannen sie miteinander zu hadern und der Hader wurde zum Streit, nahm zu und wurde heftiger, und jede rief die versammelten Gäste auf, für sie den Richter zu spielen. Doch diese weigerten sich, denn sie wussten nur zu gut, welcher der Göttinnen auch immer sie den Apfel zusprächen, die anderen zwei würden ihnen zu Feinden. Am Ende nahmen die drei den Streit mit sich nach Hause auf den Olymp. Die übrigen Götter ergriffen Partei, manche mit der einen, manche mit der anderen, und der Hader blieb lange zwischen ihnen. Ein Kind, das zu Beginn des Streites in die Menschenwelt hineingeboren war, konnte in der Zwischenzeit zum Mann heranreifen, ein Krieger oder ein Hirte werden so lange währte er. Doch für die unsterblichen Götter gilt nicht die gleiche Zeit wie für die Sterblichen. Es gab nun an der nordöstlichen Küste des Ägäischen Meeres eine Menschenstadt. Troja wurde sie genannt, eine große Stadt, umgeben von mächtigen Mauern, auf einem Hügel unweit der Küste erbaut. 10

Reich war sie geworden durch den Tribut, welchen ihre Könige von den Handelsschiffen verlangten, die auf den nahe gelegenen Wasserstraßen vorbeizogen zu den Getreidefeldern am Schwarzen Meer und wieder zurück. Priamos, der jetzige König, herrschte über weite Ländereien und langmähnige Rosse, und viele Söhne saßen um seinen Herd. Und als der Streit um den Apfel ganz frisch noch war und neu, wurde ihm und seinem Weibe Hekabe der letzte Sohn geboren, den sie Paris nannten. Große Freude hätte herrschen müssen, aber noch als Hekabe mit dem Kinde schwanger ging, hatten die Weissager ihr prophezeit, dass sie einen Unruhestifter zur Welt bringen werde, durch den ganz Troja niederbrennen würde. Und deshalb bat der König, als der Knabe geboren war und getauft, einen Sklaven, ihn in die Wildnis zu bringen und dort zu lassen, damit er sterbe. Der Sklave tat, wie ihm geheißen; doch ein Hirte, der ein Kalb suchte, das er verloren hatte, fand das Kind und zog es auf wie ein eigenes. Der Knabe wuchs heran, wurde groß und stark und wunderschön, er war der schnellste Läufer und der beste Bogenschütze im ganzen Land. So verging seine Jugend in den Eichenwäldern und auf den Weiden hoch am Hange des Ida-Gebirges. Dort begegnete er der Waldnymphe Oinone und gewann sie lieb. Und sie liebte ihn wieder. Sie besaß die Gabe, die Wunden der Sterblichen zu heilen, gleich wie schrecklich sie geartet waren. Der goldene Apfel 11

So lebten sie in den Eichenhainen miteinander und waren glücklich bis zu dem Tage, da die drei neidischen Göttinnen, die noch immer um den Apfel stritten, zufällig vom Olymp heruntersahen und den schönen jungen Mann erblickten, der seine Herde an den Ida-Hängen hütete. Sie wussten, denn die Götter wissen alles, dass er der Sohn von Priamos war, dem Könige Trojas, obgleich er selbst es noch nicht ahnte. Er würde sich nicht fürchten, zwischen ihnen zu richten. Denn allmählich waren sie des Streites überdrüssig. Sie warfen ihm also den Apfel zu, und Paris hob die Hände und fing ihn auf. Gleich darauf kamen die drei hernieder und landeten so leicht und schwerelos vor ihm, dass ihre Füße das Berggras nicht zertraten, und baten ihn, zu wählen zwischen ihnen, welche die Schönste sei und das Anrecht habe auf den Preis, den er in Händen hielt. Als Erste schaute Athene, die mit der glänzenden Rüstung, ihm fest in die Augen und versprach ihm höchste Weisheit, wenn seine Wahl auf sie nur fiele. Dann sagte Hera, die das königliche Gewand der Himmelsherrin trug, ihm unermesslichen Reichtum, Macht und Ehre zu, wenn er ihr den Preis denn gäbe. Zuletzt trat Aphrodite herbei, ihre Augen waren so blau wie das tiefe Meer, ihr Haar, wie gesponnenes Gold, war um ihr Haupt geflochten, und sie 12

lächelte honigsüß und hauchte, ein Weib werde sie ihm geben, so schön wie sie selbst, wenn er den Apfel ihr zuspräche. Und Paris vergaß die beiden anderen mit ihrem Angebot von Weisheit und Macht und vergaß auch, in diesem Augenblick, die dunkelhaarige Oinone in den schattigen Eichenwäldern und er warf den goldenen Apfel Aphrodite zu. Da entbrannten Hera und Athene in hellem Zorn, weil er ihnen den Preis verweigert hatte, und beide zürnten sie auch Aphrodite. Doch diese war höchst zufrieden und machte sich daran, das Versprechen zu erfüllen, das sie dem Hirten gegeben, welcher Sohn eines Königs war. Sie flößte einigen jungen Männern des Königs Priamos bestimmte Gedanken ein, so schlichen sie bei Vollmond heran, das Vieh zu rauben, und trieben Paris mächtigen Leitbullen fort, der Herr war über seine ganze Herde. Da kam Paris den Hügel herunter und bis nach Troja hinein, das Tier zu suchen. Nun geschah es, dass seine Mutter Hekabe ihn erblickte, und sie wusste gleich wegen der Ähnlichkeit mit seinen Brüdern und auch, weil etwas sich in ihrem Herzen rührte, dass er der Sohn war, den sie tot geglaubt und verloren hatte als kleines Kind. Sie weinte vor Freude und brachte ihn vor den König; und als man ihn lebendig sah und so fein anzuschauen, vergaßen alle Männer die Prophezeiung und Priamos hieß ihn im Schoß der Familie willkommen Der goldene Apfel 13

und schenkte ihm ein Haus, wie allen anderen Prinzen Trojas. Dort lebte er, wann immer es ihm gefiel. Doch zu gewissen Zeiten ging er in die Eichenwälder des Ida- Gebirges zu seiner Geliebten Oinone. Und so verlief alles glücklich für eine Weile. Doch inzwischen hatte auf der anderen Seite des Ägäischen Meeres auch eine Hochzeit stattgefunden; die Heirat des Königs Menelaos von Sparta mit Prinzessin Helena, welche die Männer Helena mit den Schönen Wangen nannten, die schönste unter allen sterblichen Frauen. Ihre Schönheit wurde in allen Königreichen Griechenlands gerühmt und viele Könige und Prinzen wünschten sie zur Gemahlin, darunter auch Odysseus, dessen Königreich die felsige Insel Ithaka war. Keinen von ihnen wollte ihr Vater, aber Menelaos gab er seine Tochter. Indes, weil er fürchtete, es könnte später einmal Zwietracht zwischen ihren Verehrern geben, ließ er alle schwören, dass sie ihretwegen zu ihrem Gemahle hielten, wenn er sie einmal brauchen sollte. Und zwischen Helena und Odysseus, der ihre Kusine Penelopeia zum Weibe nahm und sie sehr liebte, gab es dauernde Freundschaft, die ihr zugutekam, als sie Jahre darauf dringend eines Freundes bedurfte. Selbst über die weitesten Grenzen Griechenlands hinaus gelangte der Ruf von Helenas Schönheit, bis er schließlich auch Troja erreichte, wie es Aphrodite 14

vorausgesehen. Und kaum hatte Paris von ihr gehört, beschloss er, loszuziehen und sich selbst zu überzeugen, ob sie so schön sei, wie die Männer sagten. Oinone weinte und bettelte, er möge bei ihr bleiben; doch schenkte er ihr kein Gehör und nie mehr vernahm sie seine Schritte auf dem Weg zu ihrer Waldhütte. Wenn Paris etwas wollte, so musste er es haben; daher bat er seinen Vater um ein Schiff und segelte mit seinen Gefährten davon. Das ganze weite Ägäische Meer lag vor ihnen und oft trieben die Winde sie vom Kurs ab. Doch endlich kam ihr Ziel in Sicht. Und kaum hatten sie s erreicht, ließen sie das Schiff auf den Strand laufen und kletterten die langen Hügelpfade hinauf, die sie vor den Festungspalast von König Menelaos brachten. Im Vorhof empfingen Sklaven sie, wie s bei allen Fremden der Brauch ist, und führten sie hinein, dass sie das Salz und den Staub der langen Reise abwuschen. Und dann standen sie in frischen Gewändern vor dem König in seinem großen Saal, wo das Feuer auf dem erhöhten Herd in der Mitte brannte und des Herrschers Lieblingshunde um ihn verstreut lagen.»seid willkommen, Fremdlinge«, begann Menelaos.»Sagt mir, wer ihr seid und von wo ihr kommt und was euch an meinen Herd führt.ich bin eines Königs Sohn, Paris ist mein Name; aus Troja bin ich weit übers Meer herangereist«, Der goldene Apfel 15

erwiderte Paris.»Ich bin hier, weil es mein Wunsch ist, ferne Länder zu sehen. Und der Ruf des Menelaos ist bis an unsre Küste gelangt als ein großer König und freundlicher Gastgeber dem Fremden.So nehmt Platz und speiset, denn ihr müsst des Weges müde sein nach so weiter Fahrt«, sprach der König. Und als sie sich gesetzt hatten, wurden Braten und Früchte und Wein in goldenen Bechern gebracht und ihnen vorgesetzt. Und als sie aßen und sich mit ihrem Gastgeber unterhielten und ihm von den Abenteuern ihrer Fahrt erzählten, trat Königin Helena aus den Frauengemächern zu ihnen, gefolgt von zweien ihrer Mägde, die eine trug ihre kleine Tochter, die andere ihre Spindel von Elfenbein und den Rocken, um welchen viel Wolle von tiefvioletter Farbe gewickelt war. Sie ließ sich am anderen Ende des Feuers nieder und begann zu spinnen. Und wie sie so spann, lauschte sie den Reiseschilderungen der Fremdlinge. Und in kurzen, rasch hingeworfenen Blicken trafen sich ihre Augen durch den Rauchschleier von der Feuerstelle. Und Paris sah, dass Menelaos Königin sehr schön war, noch schöner, als man berichtet hatte, golden wie die Farbe von Strohhalmen schien sie und süß wie wilder Honig. Und Helena wiederum sah vor allem, dass der fremde Prinz jung war. Menelaos hatte ihr Vater gewählt, nicht sie. Wohl war ihre Ehe recht glücklich, doch ihr Gemahl war 16

um vieles älter als sie und die ersten grauen Haare zeigten sich in seinem Bart. Im Gold von Paris Bart jedoch, da gab es kein Grau, und seine Augen leuchteten und ein Lachen spielte um seine Mundwinkel. Ihr Herz schlug schneller, als sie ihn betrachtete, und einmal riss der violette Faden. Viele Tage blieben Paris und seine Gefährten als Gäste des Königs Menelaos und schon bald reichte es Paris nicht mehr, die Königin nur anzuschauen. Die arme Oinone war ganz vergessen und er fragte sich, wie er denn je fortziehen sollte ohne Helena mit den Schönen Wangen. So vergingen die Tage und der Prinz und die Königin wandelten miteinander in den kühlen Olivenhainen und unter den weißblütigen Mandelbäumen des Palastes; und er saß ihr zu Füßen, wenn sie ihre violette Wolle spann, und sang für sie die Lieder seines Volkes. Eines Tages dann ritt der König zur Jagd. Paris fand eine Ausrede, um ihn nicht begleiten zu müssen und blieb mit seinen Gefährten zurück. Und als sie allein waren miteinander und im silbrigen Schatten der Olivenbäume einhergingen, während seine Gefährten sich mit den Mägden vergnügten, sagte Paris der Königin, nur um sie zu sehen, sei er von so weit hergekommen, und dass er sie, nun da er sie erblickt, bis ins tiefste Innre seines Herzens liebe und nicht mehr leben könne ohne sie.»das«, sprach Helena,»hättest du mir nicht ge- Der goldene Apfel 17

stehen dürfen. Denn ich bin eines anderen Mannes Frau. Und jetzt, da du mir s gesagt hast, ist s umso schlimmer für mich, wenn du wieder fortgehst und mich zurücklässt.liebste«, erwiderte Paris,»mein Schiff liegt in der Bucht und dein Gemahl ist nicht zu Haus. Komm mit mir, du und ich, wir gehören zusammen wie zwei Weinreben, die vom selben Stocke stammen.«und sie redeten und redeten miteinander an diesem heißen Nachmittag, begleitet vom Zirpen der Zikaden, und er drängte sie, und noch zögerte sie. Aber war er nicht Paris, der alles bekam, was er wollte? Und tief in ihrem Innern hegte sie den gleichen Wunsch. Zu guter Letzt gab sie Mann und Kind und Ehre auf. Und er führte sie die Bergpfade hinab, die Wege entlang zu seinem Schiff, das an der Küste wartete. Und hinter ihm folgten seine Männer, denen die Mägde nachjammerten und -flehten. So hatte Paris nun die Braut, die Aphrodite ihm versprochen hatte, und von da kam alle Not.

Die Schiffe Als Menelaos von der Jagd heimkehrte und entdeckte, dass seine Königin mit dem Prinzen geflohen war, kamen schwarzer Gram und roter Zorn über ihn und er ließ die Kunde von dem Unrecht, das man ihm getan, verbreiten, und ein wilder Hilfeschrei erging an seinen Bruder, den dunkelbärtigen Agamemnon, welcher Großkönig war über alle anderen Könige von Griechenland. Und vom goldenen Mykene mit dem Löwentor, wo Agamemnon saß im großen Saal, ertönte der Ruf um Männer und Schiffe. Zum alten Nestor von Pylos, nach Thisbe, wo die wilden Tauben gurren, zum felsigen Pythos, zu Aias, dem Mächtigen, dem Herrn von Salamis; und von Diomedes, dem Rufer im Streit, dessen Reich Argos mit den vielen Pferden war, bis zu Odysseus, dem Listenreichen, in den rauen Hügeln Ithakas, ja bis in den fernen Süden zu Idomeneos von Kreta, und zu vielen, vielen anderen erging die Forderung. Und von Kreta, Argos und Ithaka, vom Festland Die Schiffe 19

und den Inseln wurden die schwarzen Schiffe zu Wasser gelassen, und die Könige holten ihre Mannen von den Feldern und vom Fischen, und sie ergriffen Bogen und Speer, denn sie mussten ihren Schwur halten und Helena mit den Schönen Wangen zurückholen und Rache nehmen an Troja, dessen Prinz sie entführt hatte. Agamemnon erwartete sie bei seinen Schiffen im Hafen von Aulis, und als alle um ihn versammelt waren, segelte die große Flotte gen Troja. Aber einer der Heerführer, der unter ihnen hätte sollen sein, fehlte und das kam so: Bevor Paris geboren wurde, hatte Thetis, die Silberfüßige, dem König Peleus einen Sohn geschenkt, den sie Achilleus nannten. Die Götter hatten versprochen, wenn sie das Kind in den Styx tauche, welches einer der Flüsse der Unterwelt ist, werde das geheiligte Wasser ihn wappnen gegen den Tod in der Schlacht. So tat sie freudig, wie ihr geheißen, doch tauchte sie ihn mit dem Kopf voran in die kalte, dunkle Flut und hielt ihn dabei an einem Fuße fest. Und weil ihre Finger die Ferse umfassten, berührte das Wasser diese eine Stelle nicht. Als sie begriff, was sie getan, war es zu spät, denn die Sache war unwiederholbar. So hatte sie seitdem immer Angst um ihren Sohn, immer Angst. Als er alt genug war, sandte sein Vater ihn mit Patroklos, einem älteren Knaben als Gefährten, nach Thessalien zu Cheiron, dem weisesten aller Kentau- 20