Moçambique: Zwei Ärzte für 250 000 Menschen

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Transkript:

Nr. 41 16. Mai 2005 www.solidarmed.ch Notfalldienst in Moçambique Jochen Ehmer gewährt Einblicke in seine Arbeit. Seite 2 Tiere als Entgelt für Behandlungen Innovative Strategie gegen Zahlungsunfähigkeit in Seboche. Seite 5 SolidarMed-Arzt ausgezeichnet Christian Seelhofer ist «Der Ambassador 2005». Seite 7 Moçambique: Zwei Ärzte für 250 000 Menschen Foto: Peter Schweizer

Fast 60 Prozent der Menschen wohnen weiter als acht Kilometer von einer Gesundheitsstation entfernt. Foto: Peter Schweizer MOÇAMBIQUE Ein einziges Spital im Distrikt Wer beim Landeanflug aufmerksam aus dem Fenster schaut, kann neben der Rollbahn ein zerschelltes Flugzeug rosten sehen. Ein Relikt des Bürgerkrieges, das Skelett aus schmutzigem Stahl, eine Allegorie auf dieses Land. Wie ein rostiges Ausrufezeichen wacht es über die Erinnerung: Moçambique ist eines der ärmsten Länder Afrikas, 40 Prozent der Bevölkerung lebt von weniger als einem US-Dollar pro Tag. 20 Prozent aller Kinder sterben vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres. Mehr als zwei Millionen Menschen sind HIV-positiv, es gibt über 500 000 Aidswaisen. Die mittlere Lebenserwartung sinkt auf Grund der Aidsepidemie von 45 Jahren (1990) auf mittlerweile unter 40 Jahre. Das Land trägt schwer an seiner Geschichte: Nach der Kolonialisierung durch die Portugiesen wurde Moçambique 1975 als eines der letzten Länder Afrikas unabhängig. Zwei Jahre später begann der Bürgerkrieg und zerstörte weite Teile der Infrastruktur. Am vierten Oktober 1992 wurde in Rom ein Friedensabkommen unterzeichnet. Zwei Stunden Fussmarsch zur nächsten Gesundheitsstation Die Rollbahn ist zu kurz, Bremsen quietschen, wir werden nach vorne geschleudert. Der Gegenschub dröhnt in den Ohren. Das Flugzeug dreht, rollt noch ein paar Meter, kommt zum Stehen. Was wird uns erwarten, wie wird es sein Moçambique? Wir steigen aus und sofort schlägt uns heisse, feuchte Luft wie eine flache Hand entgegen. Es riecht nach warmem Teer, nach Papaya, nach Fäulnis und Salz. Wir sind angekommen. Der Distrikt Chiure ist mit zirka 250 000 Einwohnerinnen und Einwohnern der bevölkerungsreichste der Nordprovinz Cabo Delgado. Zusammen mit mir arbeitet noch ein einheimischer Arzt. Andere Ärzte gibt es für die 250 000 Menschen nicht. In Chiure gibt es ein einziges kleines Spital im Distrikt: Wir haben ungefähr 40 Betten. Ein funktionierendes Labor gibt es nicht. Aber es gibt ein Mikroskop. Es funktioniert mit einem Spiegel, denn Strom gibt es keinen. 2

Nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung findet den Weg in unser kleines Spital, die meisten wohnen zu weit weg auf dem Land. Fast 60 Prozent der Menschen wohnen weiter als acht Kilometer von einer Gesundheitsstation entfernt! Das bedeutet ungefähr zwei Stunden Fussmarsch in glühender Hitze. Chiure wird von einer geteerten Strasse in Nord-Süd- Richtung durchzogen, der einzigen Teerstrasse weit und breit. Sonst gibt es Pisten aus roter Erde, die in der Regenzeit zu Schlammbahnen werden. In der Mitte des Distrikts liegt das Dorf Chiure Sede. Da wohnen wir. Es gibt ein paar Häuschen aus Beton. Die meisten sind Ruinen. Der Rest von Chiure Sede besteht aus Lehmhütten, mit Bambus und Stroh gedeckt. Es gibt keinen Strom. Es gibt kein fliessendes Wasser. EDITORIAL Es mangelt an Medikamenten und Personal Die Flutkatastrophe in Phuket habe ich als Mitglied des schweizerischen «Care-Teams» miterlebt. Weil Thailand kein Entwicklungsland mehr ist, funktionierte die Soforthilfe, welche von einheimischen Helferinnen und Helfern geleistet wurde, sehr gut. Perfekt ausgebaute Strassen und gute medizinische Infrastruktur haben ermöglicht, dass sechs Tage nach der Katastrophe praktisch alle Touristen via Bangkok in ihre jeweilige Heimat repatriiert waren. In der Schweiz setzte eine unglaubliche Solidarität ein. Ein Spendeneingang in Rekordhöhe folgte. Die schrecklichen Fernsehbilder und vielleicht auch der Bekanntheitsgrad Phukets öffneten die Herzen der Menschen. In Afrika sterben infolge von Unterernährung und an sich behandelbaren Krankheiten alle drei Wochen gleich viele Menschen wie es Tsunami-Opfer gab. Hat sich unsere reiche Welt an das vermeidbare Sterben in Afrika gewöhnt? Braucht es reisserische Fernsehbilder, um unsere Solidarität mit den ärmsten Menschen dieser Welt wach zu rütteln? In Nord-Süd-Richtung führt eine geteerte Strasse durch Chiure - sonst gibt es nur Pisten aus roter Erde, die während der Regenzeit zu Schlammbahnen werden. Mangelernährung und Durchfall Foto: Rudolf Fischer Inzwischen haben wir uns schon eingelebt. Ich habe Notdienst im Spital. Es ist Helden-Gedenktag und morgen finden Wahlen statt. Die Kinder haben schulfrei, die Behörden arbeiten zwei Tage lang nicht. Tänzer und Trommeln begleiten die Gedenkveranstaltung der Regierungspartei auf dem Marktplatz. Es ist nachts um halb zwei. Das Kind heisst Nelson. Nelson ist acht Monate alt, wiegt vier Kilogramm und hat seit fünf Monaten Durchfall. Vor drei Monaten war er zum ersten Mal im Spital. Er wurde mit einem Rezept und einem Antibiotikum wieder nach Hause geschickt. Das Antibiotikum hat nicht gewirkt, noch immer hat er Durchfall. Jetzt weiss seine Mutter nicht mehr, was sie Fortsetzung auf Seite 4 SolidarMed arbeitet in vier der ärmsten Länder Afrikas. Unsere nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit und Hilfe zur Selbsthilfe retten jeden Tag Leben. Helfen Sie mit und unterstützen Sie SolidarMed mit einer Spende, damit wir die Not der Menschen in Afrika lindern können. Dr. med. Pepo Frick, Vizepräsident Redaktion SolidarMed aktuell 41/05 SolidarMed, Obergrundstrasse 97, Postfach, CH-6000 Luzern 4 Tel. +41 41 310 66 60, Fax +41 41 310 66 62 E-Mail solidarmed@solidarmed.ch Internet http://www.solidarmed.ch Redaktion Dr. phil. Rudolf Fischer, Gabriela Knobel, Kathi Jungen, Nadia Dörflinger-Khashman Layout Stefan Huwiler Druck Druckerei Brunner AG, Kriens Auflage 5200 Exemplare «SolidarMed aktuell» erscheint vier Mal jährlich, die nächste Ausgabe im August 2005. Das Abonnement ist in den SolidarMed-Mitgliederbeiträgen eingeschlossen. Fr. 20.- für Einzelmitglieder; Fr. 50.- für Vereine und Institutionen; Spenden und Mitgliederbeiträge (bitte mit entsprechendem Vermerk) an: SolidarMed, Luzern, PC-Konto 60-1433-9 3

machen soll. Ihr Kind wird jeden Tag schwächer. Der Kopf ist viel zu gross für diesen kleinen Körper. Seine Stirn ist heiss. «Management of acute malnutrition for senior health workers» (Behandlung akuter Mangelernährung für höheres Gesundheitspersonal) heisst ein Handbuch, das ich vor dem Abflug durchgelesen habe. Im zweiten Kapitel wird beschrieben, wie man ein akut mangelernährtes Kind behandelt: «Die Grundlage der Behandlung», kann man dort lesen, «besteht in regelmässigem Füttern des Kindes mit der Nährlösung F 75 und rascher Antibiotika- Abgabe». Von der Nährlösung F 75 hat der Dienst habende Pfleger noch nie gehört. Früher gab es «LOA (Zusatz-Nährlösung)», sagt er, «aber seit zwei Monaten gibt es nur noch Zuckerwasser». Wir geben dem Kind ein Antibiotikum, etwas Zuckerwasser und Paracetamol (Schmerz- und Fiebermittel). Dann versuchen wir, eine Kanüle in die vertrockneten Venen zu schieben. Das Kind braucht Flüssigkeit. Die Mutter fragt mich, ob ihr Kind sterben müsse. Die Situation ist ernst, sage ich, das Kind schwebt in Lebensgefahr. Aber wir werden tun, was wir können. Korruption, Aids und Armut Der Verdacht auf Malaria hat sich nicht bestätigt. Der Pfleger Abdul hat die Anweisung, Nelson regelmässig zu trinken zu geben. Es ist halb vier. Ich lege mich hin und hoffe, dass man mich nicht mehr wecken wird. Am nächsten Morgen schreckt mich das Knattern eines Militärhubschraubers auf. Auf dem staubigen alten Fussballplatz bei der Schule setzt er auf. Heisse Luft wirbelt unter das schlecht befestigte Schuldach. Es kippt und fliegt seitlich ins Gebüsch. Niemand wird verletzt die Schule ist leer, denn heute wird ein neuer Staatspräsident gewählt. Aus dem Hubschrauber steigen Soldaten, die Regierung ist nervös: Sie will kein Risiko eingehen. Aber alles wird nach Plan laufen, Regierungskandidat Armando Guebuza wird gewinnen. Zwei Tage später verkündet er der Welt vor laufenden Fernsehkameras: «Die drei grössten Herausforderungen, denen sich meine Regierung mit aller Kraft stellen wird, sind: Die Bekämpfung von Korruption, Armut und Aids». Mittlerweile sind drei Monate vergangen es ist März 2005. Die Kinder der Grundschule in Chiure werden noch immer unter einem Mangobaum unterrichtet. Um das Dach zu reparieren, fehlt das Geld. Nelson starb zwei Tage nach den Wahlen. Am Tag vor seinem Tod haben wir noch einen HIV-Test gemacht. Nelson war HIV-positiv, genauso wie zirka 25 000 andere Menschen in unserem Distrikt Männer, Frauen und Kinder. Dr. Jochen Ehmer Jochen Ehmer ist im Oktober 2004 mit seiner Frau Céline Ehmer und seinem zweijährigen Sohn Leo nach Moçambique ausgereist und wird für zwei Jahre in Chiure Sede arbeiten. Während des Notfalldienstes behandelt SolidarMed-Arzt Jochen Ehmer ein Kind mit akuter Mangelernährung. Foto: Peter Schweizer 4

Am «Seboche Hospital» können zahlungsunfähige Patientinnen und Patienten ihre Rechnung mit Naturalien begleichen. Foto: Rudolf Fischer Ein Schaf statt Geld LESOTHO In allen Spitälern, die SolidarMed in Lesotho unterstützt (siehe Kasten), klagt die jeweilige Administration über Patientinnen und Patienten, die ihre Arztrechnungen nicht begleichen können. Die finanziellen Ausfälle, die für die Krankenhäuser durch Zahlungsunfähigkeit der Klientinnen und Klienten entstehen, sind nicht unerheblich. Bei einer Aufenthaltsdauer von sieben Tagen schuldet eine Patientin oder ein Patient dem «Paray Hospital» beispielsweise 91 Maloti (rund 17 Franken), die Kosten für Konsultationen, Blutuntersuchungen, Medikamente oder Röntgenbilder ausgeschlossen. Kranke, die nicht bezahlen können, weist man aus humanitären Gründen jedoch ungern ab, denn die Chance, dass sie anderswo preiswerter medizinisch versorgt werden, ist oft gering. Entweder liegen die billigeren staatlichen Krankenhäuser in weiter Entfernung, oder aber sie sind bereits überfüllt oder personell unterbesetzt. Viele Patientinnen und Patienten klären die Administration überdies erst am Ende ihres Aufenthaltes über ihre Zahlungsunfähigkeit auf - zu spät also, als dass die Krankenhausleitung sie noch abweisen könnte. Dann wartet man bei der Entlassung des Patienten auf deren Verwandte, die den Genesenen abholen werden, und bittet diese zur Kasse. Doch in den meisten Fällen erscheinen keine oder ebenso zahlungsunfähige Familienmitglieder. Bereits beim Spitaleintritt die Finanzen schriftlich regeln Im «Seboche Hospital» hat man sich deshalb bereits vor längerer Zeit eine Strategie angeeignet, der Zahlungsunfähigkeit der Patientinnen und Patienten zu begegnen, die gravierende materielle Schäden für das Krankenhaus verhindert. Bereits bei Spitaleintritt fragt die Administration den Patienten, wie es um seine finanzielle Lage bestellt ist, und klärt ihn darüber auf, dass er, erweist er sich als zahlungsunfähig oder -unwillig, die Rechnung mit Naturalien zu begleichen habe. Schriftlich SOLIDARMED UNTERSTÜTZT IN LESOTHO DREI SPITÄLER SolidarMed unterstützt in Lesotho mit ärztlichem und technischem Personal die Qualität der medizinischen Versorgung, die Entwicklung von Führung und Management sowie durch vorbeugenden Unterhalt die Werterhaltung von Gebäuden und Anlagen. Den drei Partnerspitälern in Paray, Seboche und Roma gewährt SolidarMed darüber hinaus finanzielle Unterstützung von je 40 000 Franken pro Jahr. Die Schule für Hilfspflegepersonal in Paray, im zentralen Hochland Lesothos, erhält einen jährlichen Betriebskostenbeitrag von 25 000 Franken. 5

SolidarMed unterstützt in Lesotho drei Partnerspitäler mit finanziellen Beiträgen und mit medizinischem und technischem Know-how. Foto: Joël Tettamanti KURZNACHRICHTEN Rückreise Lesotho Ende März haben Martin und Sandra Gimmi zusammen mit ihren Kindern Timo, Michelle und Silvan ihren Einsatz am «Seboche Hospital» in Lesotho beendet. Familie Gimmi reiste im Dezember 2002 nach Lesotho aus. Nach einem einem sechswöchigen «on the job training» am «Maluti Hospital» war Martin Gimmi ab Januar 2003 als Arzt am Spital in Seboche tätig. wird festgehalten, über welche Naturalien der jeweilige Patient verfügt. Will der Patient beim Austritt einen Teil der Krankenhauskosten mit einem Tier bezahlen, so muss er dieses nach Seboche bringen, sodass das Schaf oder die Kuh eingeschätzt werden kann. Ein Schaf nimmt die Krankenhausleitung für 300 bis 400 Maloti, eine Ziege für rund 200 Maloti und ein Huhn für 20 Maloti an Zahlung. Sandra Gimmi betätigte sich derweil neben Haushalt und Kinderbetreuung an Aktionen für Waiseninder, bei der Renovation der Primarschule oder bei der Verschönerung des Spielgruppenraumes. Das SolidarMed-Team dankt Familie Gimmi recht herzlich für die vergangene Zusammenarbeit und wünschen ihr einen guten Start in ihrem neuen Zuhause in Diessenhofen. Die Tiere werden von zwei Männern im krankenhausinternen Stall betreut. Peter Duner, SolidarMed-Arzt in Seboche, erzählt, dass immer mehr Patientinnen und Patienten wegen mangelnder Zahlungsunfähigkeit diese Zahlungsform in Anspruch nehmen müssen. Und was macht man mit Patientinnen und Patienten, die über keine Tiere verfügen? Auch für sie hat man in Seboche eine Lösung gefunden, indem sie dem Krankenhaus für eine gewisse Zeitspanne eines ihrer Felder zum Nulltarif verpachten können. Dieses darf das Personal der Spitalküche als Gegenleistung für die medizinische Versorgung für den Gemüseanbau nutzen. So kann letztlich jeder zumindest einen Teil der Spitalkosten begleichen, denn jeder Basotho verfüge über mindestens zwei kleine Felder, sagt Sister Immaculata, Oberschwester im «Seboche Hospital». Barbara Bleisch Barbara Bleisch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ethik-Zentrum der Universität Zürich und nebenberuflich als Journalistin tätig. Sie hat im Oktober 2004 eine Reise nach Lesotho unternommen, wo sie ihre frühe Kindheit verbracht hat. Ihr Vater, Arnold Bleisch, ist Arzt und hat zusammen mit seiner Familie von 1973 bis 1975 für SolidarMed einen Einsatz in Lesotho geleistet. Hat eine Patientin oder ein Patient weder Geld noch Naturalien als Zahlungsmittel zur Verfügung, so greift das Spitalpersonal auf ihren/seinen Grund und Boden zurück. Das Spitalpersonal nutzt das Feld dann während einer gewissen Zeit zum Gemüseanbau. Foto: Eugen Anderhalden 6

Ambassador Club würdigt Christian Seelhofer SolidarMed-Arzt Christian Seelhofer wurde im Februar vom Schaffhauser Ambassador-Club für seinen unermüdlichen Einsatz in Afrika geehrt. Gewürdigt wird bei der jährlichen Ambassador-Verleihung Idealismus und grosses Engagement. Der SolidarMed-Arzt Christian Seelhofer hat im Jahr 2002 mit seiner Frau Annemarie seine Praxis in Beringen gegen ein Spital in Zimbabwe getauscht und setzt sich seither unermüdlich für seine Patientinnen und Patienten in Afrika ein. Für dieses Engagement wurde er nun vom Ambassador Club Schaffhausen ausgezeichnet. SolidarMed gratuliert Christian Seelhofer ganz herzlich zu dieser Auszeichnung. Geehrt und zum Botschafter ernannt werden vom Ambassador-Club Persönlichkeiten, die sich für Mitmenschlichkeit und Völkerverständigung einsetzen. Berichte im Schleitheimer Boten Für Schaffhausen ist der frühere Dorfarzt von Beringen ein Botschafter aus Zimbabwe, der es versteht, eine Brücke von Afrika in die Schweiz zu schlagen. Martin Edlin, Mitglied des Schaffhauser Ambassador-Clubs, würdigte in seiner Festrede neben dem Arzt-Einsatz die zahlreichen Berichte im Schleitheimer Boten, mit denen Christian Seelhofer viele Menschen an seinem Alltag in der Fremde teilhaben lässt: «Er lehrt uns, andere Kulturen besser zu verstehen und zu begreifen.» Dr. Chistiano Persi, Präsident des Ambassador-Clubs Schaffhausen, überreicht Dr. Christian Seelhofer den Ambassador-Preis. Foto: Urs Allenspach Zähigkeit und Toleranz Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel und Musiker Josef Matare schlagen, trommeln und klatschen mit den Gästen im Casino Schaffhausen afrikanische Stimmung herbei. Foto: Urs Allenspach Christian Seelhofer betreut zusammen mit einem zweiten SolidarMed-Arzt, Clemens Truniger, am «Musiso- Hospital» in Zimbabwe 150 000 Menschen. Dort, wo Christian Seelhofer und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SolidarMed im Einsatz stehen, herrscht eine immer schneller fortschreitende, andauernde Katastrophe: Allein 6 000 Menschen sterben in Afrika jeden Tag an Aids. An den Spitälern finden die Ärzte minimale technische Ausrüstungen vor, ihre Arbeitsplätze befinden sich in abgelegenen, ländlichen Gebieten und das Arbeitsvolumen ist enorm: Die Arbeit unter solchen Bedingungen verdient grössten Respekt und grossen Dank. Um in Afrika als Arzt erfolgreich arbeiten zu können, braucht es neben sehr guten beruflichen Qualifikationen zusätzliche Talente. SolidarMed-Vorstandsmitglied Urs Allenspach brachte es in seiner Laudatio auf den Punkt: Es brauche Ruhe in den Entscheidungen, Zähigkeit, Hartnäckigkeit und Geduld, es brauche Bescheidenheit und Toleranz sowie die Freude am Kontakt mit anders Denkenden und anders Lebenden und vor allem die Bereitschaft, seinen Lebensstil anzupassen und die Fähigkeit, jeden Tag Neues zu lernen. Neues lernen durften auch die zahlreich anwesenden Gäste: Der zimbabwische Musiker Joseph Matare ermunterte die Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel und das Publikum, afrikanische Instrumente zu spielen. Singend und klatschend wurde ein Hauch Afrika herbei getrommelt. Der Bogen zur europäischen Kultur spannte zum Abschluss die Pianistin Antje Maria Traub mit der Arabeske von Schumann. Kathi Jungen, Vorstandsmitglied 7

75 Prozent der einheimischen Ärztinnen und Ärzte verlassen Lesotho zu Gunsten einer Stelle in Südafrika. Foto: Eugen Anderhalden LESOTHO Das Gesundheitssystem in der Krise Im Januar veröffentliche der Ombudsmann Lesothos einen Bericht über das nationale Überweisungsspital in Maseru, «Queen II». Das Dokument liest sich streckenweise wie eine Horrorgeschichte: «Die grundlegendste Ausrüstung fehlt ganz einfach... öfter gehen die Medikamente aus, und die Lieferanten halten sich mit raschem Ersatz zurück, da die Regierung ein schlechter Zahler ist. Fast alle Abteilungen sind personell unterdotiert und das bestehende Personal ist überarbeitet, demoralisiert, frustriert und demotiviert. Die Gebäude befinden sich in einem unbeschreiblichen Zustand des Zerfalls und die Umgebung wirkt in hohem Mass verwahrlost...» Der Bericht führt weiter aus, dass in verschiedenen Abteilungen zwar Ersatz für kaputte oder ausgediente Geräte geliefert worden war, dass dieser aber, zum Teil seit Jahren, unbenutzt herumlag, weil die Lieferanten auf Grund unbezahlter Rechnungen die Installation unterlassen hatten oder das Personal nicht für die Arbeit mit den neuen Geräten ausgebildet worden war. Der Ombudsmann formulierte ätzende Kritik an den Zuständen in den Bettensälen und meinte ironisch, das einzig Positive sei die Qualität des Unterhaltungsprogramms für die Patientinnen und Patienten, da in allen Sälen Fernsehgeräte vorhanden seien. Die Empfehlungen des Ombudsmann an die Adresse des zuständigen Ministeriums waren schneidend, und er stellte die Frage, ob ein Minister, der solches zu verantworten habe, in einem demokratischen Staat weiterhin das Vertrauen des Publikums geniessen dürfe. 80 Prozent der einheimischen Ärzte ausgewandert Während der Minister die Verantwortung für das weit verbreitete Missmanagement im öffentlichen Gesundheitswesen wohl nicht von sich weisen kann, liegt die Lösung des Personalproblems klar ausserhalb seiner Reichweite. Das «Queen II Hospital» hat 42 Sollstellen für Ärztinnen und Ärzte, von diesen sind weniger als zehn durch Basothos besetzt. In den vergangenen 50 Jahren absolvierten zirka 300 Bürgerinnen und Bürger Lesothos ein Medizinstudium. Davon sind vielleicht 50 gestorben oder aus dem Beruf ausgeschieden. 15 einheimische Ärzte arbeiten zur Zeit direkt im Dienst des Ministeriums (einschliesslich jene im Spital «Queen II»); die etwa 70 nicht durch Einheimische besetzten Stellen im öffentlichen Gesundheitsdienst teilen sich Kontingente von chinesischen und kubanischen Medizinern sowie Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten aus afrikanischen Ländern, hauptsächlich aus Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo. Etwa 20 einheimische Ärzte arbeiten in einer privaten Praxis im Land, 16 davon in Maseru. Vielleicht weitere 20 sind nach Grossbritannien, Kanada oder in die USA ausgewandert, während der grosse Rest, um die 180, in Südafrika tätig ist. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass über 80 Prozent aller einheimischen Ärzte das Land verlassen haben, 75 Prozent zu Gunsten einer Stelle in Südafrika. Rudolf Fischer, Geschäftsführer 8