Nachhaltigkeit und Konsum: die FairTrade-Bewegung

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Transkript:

Nachhaltigkeit und Konsum: die FairTrade-Bewegung Bettina von Reden 2009 verzeichnet einen traurigen Rekord erstmalig hungern weltweit über eine Milliarde Menschen. Ursache der Ernährungskrise sind vor allem höhere Nahrungsmittelpreise in Kombination mit sinkenden Einkommen durch die globale Wirtschaftskrise, die in besonderem Maße Menschen in Entwicklungsländern trifft. Auch die Folgen des Klimawandels kommen langsam bei den Produzent/innen vieler Produkte an, die am Ende in unseren Kühlschränken und Regalen stehen. Mehr denn je ist es notwendig, dass die Nahrungsmittelindustrie ebenso wie andere Branchen soziale Verantwortung für die Produzentinnen und Produzenten in Entwicklungsländern übernimmt, um so einen Beitrag zur Verringerung der Armut und zur Ernährungssicherheit zu leisten. Ein Umdenken bei den Verantwortlichen kann vielfach jedoch nur durch die entsprechende Nachfrage auf den hiesigen Märkten erreicht werden. Mit dem Ziel, Verbraucherinnen und Verbraucher über die Zusammenhänge des Welthandels aufzuklären und die Möglichkeit alternativer Handelsstrukturen aufzuzeigen entstand vor rund 60 Jahren die Fair-Handels-Bewegung und bringt seither Produzenten, Konsumenten, Unternehmen, Handel und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Die Entstehung einer Bewegung Die Idee des Fairen Handels kam gleichzeitig in mehreren Ländern auf, unter anderem den Benelux-Ländern, den USA und Großbritannien. In Deutschland entstand die Fair-Handels-Bewegung aus Protestaktionen gegen wachsende Ungerechtigkeit im Welthandel. Vor allem die konfessionellen Jugendverbände aej und BDKJ initiierten 1970»Hungermärsche«, 30.000 marschierten mit. Aus Kritik an der offiziellen Entwicklungspolitik heraus gründeten sie die»aktion Dritte Welt Handel«mit dem Ziel politischer Bewusstseinsbildung und dem Motto: Lernen durch Handeln. In den Folgejahren boten immer mehr Aktionsgruppen auf Märkten oder nach Gottesdiensten fair gehandelte Produkte an und es entstanden erste sog.»dritte-welt-läden«. 1975 wurde der Weltladen-Dachverband als Interessensvertretung gegründet und es begann ein allmählicher Professionalisierungsprozess. Heute gibt es über 800 Weltläden und tausende Aktionsgruppen. Rund 50.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich und bilden damit die größte und aktivste entwicklungspolitische Bewegung in Deutschland. Seite 1

Um den Warenimport zu erleichtern, nahmen zu Beginn der 1970er Jahre die ersten Fair-Handels- Importorganisationen ihre Arbeit auf. So entstanden die GEPA The Fair Trade Comanpy mit den Gesellschaftern Aktion Dritte Welt Handel, Weltladen-Dachverband und kirchlichen Entwicklungsdiensten. Aus dem Verein EL PUENTE heraus wurde die gleichnamige Importorganisation gegründet. Weitere Importorganisationen wie BanaFair und dwp eg entstanden in den 1980er Jahren. Inzwischen bieten über 30 anerkannte Fair-Handels-Importeure ein vielfältiges Sortiment fair gehandelter Waren an. Auf der Suche nach neuen Absatzwegen : die Entwicklung des Fairtrade-Siegels Durch den Zusammenbruch des Kaffeeabkommens 1989 fiel der Weltmarktpreis für Kaffee bis Anfang der 1990er Jahre stark ab. Die Handelspartner im Süden fragten daher verstärkt nach zusätzlichen Vermarktungsmöglichkeiten außerhalb der Aktionsgruppen und Weltläden, die nur bestimmte Gruppen von Verbraucherinnen und Verbrauchern erreichten. Die GEPA weitete daraufhin ihren Vertrieb als erstes Fair-Handels- Unternehmen auf Supermärkte, Bio- und Naturkostläden sowie auf Großverbraucher und den Versandhandel aus. Schnell wurde deutlich, dass im konventionellen Handel eine Kennzeichnung notwendig sein würde, um fair gehandelte Produkte abzuheben. 1992 wurde daher die Siegelorganisation TransFair e.v. gegründet, um mit Hilfe eines unabhängig kontrollierten Siegels auch konventionelle Vertriebswege für den Absatz fair gehandelter Produkte zu erschließen. Im Supermarktregal konnten nun Verbraucherinnen und Verbraucher fair gehandelte Produkte am unabhängigen TransFair-Siegel erkennen. Auf diese Weise wurde es auch konventionellen Firmen möglich, in den Fairen Handel einzusteigen. Der gesiegelte Faire Handel entwickelt sich seither rasant. 1997 wurde die internationale Dachorganisation Fairtrade Labelling Organizations International (FLO e.v.) mit Sitz in Bonn gegründet, um die Aktivitäten der bis dahin entstandenen diversen Siegelinitiativen in Europa, Japan und Nordamerika sowie der wachsenden Produzentennetzwerke in Afrika, Asien und Lateinamerika zu koordinieren und gemeinsame Standards zu entwickeln. Ab 2002 wurden die Siegel in den verschiedenen Ländern vereinheitlicht, so dass heute Verbraucherinnen und Verbraucher in 22 Ländern fair gehandelte Produkte am einheitlichen Fairtrade-Siegel erkennen können. In Deutschland hat TransFair 2009 rund 150 Lizenznehmer, die über 1.000 verschiedene Produkte mit dem Fairtrade-Siegel in rund 30.000 Supermärkten, Bio- und Naturkostläden, in über 10.000 gastronomischen Einrichtungen und in den rund 800 Weltläden verkaufen mit Erfolg: Seit 2004 wächst der Faire Handel jedes Jahr zweistellig, 2008 wurden Waren im Wert von 258 Millionen Euro umgesetzt. Seit 2006 mit Lidl der erste Discounter ein Sortiment fair gehandelter Produkte dauerhaft in die Regale gestellt hat, sind die Produkte für noch Seite 2

mehr Menschen in ihrem alltäglichen Einkauf ohne zusätzliche Wege erhältlich und neue Käuferschichten werden angesprochen. Damit begegnet Fairtrade dem am häufigsten genannten Hinderungsgrund für den Kauf fair gehandelter Produkte der Erhältlichkeit an den Stätten des alltäglichen Einkaufs. Die Vergabe des Siegels erfolgt dabei nach einheitlichen und öffentlich zugänglichen Kriterien für jedes Produkt unabhängig vom Ort des Verkaufs. Fairtrade : Standards und Ziele Unter einer Vielzahl von Siegeln nimmt das Fairtrade-Siegel durch die Garantie der Einhaltung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Mindeststandards eine besondere Stellung ein. Dieser umfassende Ansatz ist angesichts von Klimawandel und globaler Nahrungsmittelkrise dringlicher denn je. Die Standards werden in einem transparenten Prozess entwickelt, an dem Vertreterinnen und Vertreter der Produzentengruppen, der Siegelinitiativen und des Handels sowie Entwicklungshilfeexperten teilnehmen. Zu den wirtschaftlichen Standards gehört die Zahlung angemessener, kostendeckender Preise, die Zahlung von Fairtrade-Prämien für eigene Projekte der Produzentenorganisationen, Beratungen, langfristige Handelsbeziehungen und auf Wunsch Vorfinanzierung von Ernten bis zu 60 Prozent des Warenwerts. Die sozialen Standards beinhalten die ILO- Kernarbeitsnormen zu Arbeitszeiten, Arbeitssicherheit und -gesundheit, Versammlungs- und Verhandlungsfreiheit, Diskriminierungsverbot, Verbot von illegaler Kinderarbeit und Sklavenarbeit. Die ökologischen Standards beinhalten eine Liste verbotener Substanzen nach WHO-Empfehlung, den schonenden und sparsamen Umgang mit Böden und Wasser, eine sorgfältige Energie- und Abfallbewirtschaftung und ein Verbot gentechnisch veränderter Organismen. Die Umstellung auf Bio-Anbau wird durch Beratungen und einen zusätzlichen Preisaufschlag für Bio-Produkte gezielt gefördert. Oft ist der Faire Handel die Voraussetzung für die Produzentenorganisationen, sich die kostspielige und zeitaufwändige Umstellung auf den Bio-Anbau leisten zu können und das entsprechende Wissen zu erwerben. Die anfänglich nur auf die kleinbäuerliche Wirtschaft ausgerichteten Standards wurden um Standards für abhängig Beschäftigte ergänzt, um den Bedürfnissen der verschiedenen Anbauweisen in verschiedenen Ländern gerecht zu werden und mit dem Fairen Handel auch diesen Menschen zu einer menschenwürdigen Existenz verhelfen zu können. Zudem existieren bereits vielerorts Mischformen, in denen Kleinbauernorganisationen und Plantagen gemeinsam ihre Produkte über den Fairen Handel vermarkten, sich in Qualitätssicherung und Transport unterstützen. Insgesamt verfolgt der Faire Handel natürlich das Ziel, möglichst viele Produkte der Produzentenorganisationen zu fairen Handelsbedingungen in hiesigen Geschäften zu verkaufen, um so Armut zu reduzieren und eine eigenständige Entwicklung in den Herkunftsländern der Produkte zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Produ- Seite 3

zentinnen und Produzenten aber auch weitergehend befähigt werden, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Dies geschieht vor allem durch die Weitergabe von Wissen über die Strukturen des Welthandels, durch Qualitätsverbesserungen und die gemeinsame Entwicklung von Diversifizierungskonzepten, die die Abhängigkeit von einzelnen Produkten verringern. Durch Beratungen und Projekte wird versucht, mehr Anteile der Wertschöpfungskette in den jeweiligen Ländern zu belassen und auch die heimischen Märkte stärker zu erschließen. So wird insgesamt darauf hingearbeitet, den Produzentenorganisationen auch unabhängig von den konkreten Verkäufen fair gehandelter Produkte bessere Perspektiven zu eröffnen. Langfristig muss es das Ziel sein, die allgemeinen Handelsbedingungen dahingehend zu verändern, dass alle Produkte, die aus Entwicklungsländern zu uns kommen, den Produzentinnen und Produzenten ein menschenwürdiges Leben, eine nachhaltige Anbau- und Fertigungsweise und Investitionen in die Zukunft zu ermöglichen. Dies ist nicht zuletzt in unserem ganz eigennützigen Interesse, um Landflucht zu verhindern und die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern, um die Destabilisierung ganzer Regionen durch Armut, Kriege und Klimawandel zu bekämpfen. Zahlreiche Studien und Vorschläge international anerkannter Wirtschaftswissenschaftler, wie beispielsweise das Werk des Nobelpreisträgers Joseph E. Stiglitz und seines Koautors Andrew Charlton»Fair Trade for all«(2005) oder die aktuelle Studie»Ökologischer Landbau und Fairer Handel in Entwicklungsländern«der Universität Kassel und des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft GmbH (DITSL), verweisen auf die wichtige Rolle, die faire Handelsstrukturen in diesem Zusammenhang spielen und auf den Fairen Handel als Beispiel für ein funktionierendes alternatives Handelskonzept. Politik mit dem Einkaufskorb Spätestens seit den Shell-Boykotten in den 1980er Jahren ist klar: Verbraucherinnen und Verbraucher haben Macht und die Entscheidungen im alltäglichen Einkauf können ein Umdenken bei den Entscheidern von Industrie und Handel sowie in der Politik bewirken. Die steigenden Absatzzahlen fair gehandelter Produkte bewegen immer mehr Unternehmen und Handelsketten dazu, die Nachfrage nach ethisch verantwortlicher Produktion und einer transparenten Herkunft der Produkte ernst zu nehmen. Gleichzeitig erkennen durch ihre Erfahrungen im Fairen Handel immer mehr teilnehmende Firmen weitere Vorteile, zum Beispiel die Liefersicherheit hochwertiger Rohstoffe, die durch langfristige und vertrauensvolle Handelsbeziehungen entstehen kann. So entwickelt sich allmählich ein alternatives Handelssystem, von dem alle Seiten profitieren. Doch der Einkauf für den Privatgebrauch ist nur ein Baustein. Ebenso wichtig sind die Schaffung eines Bewusstseins und die Entschei- Seite 4

dung für fair gehandelte Produkte bei Großverbrauchern, beispielsweise in der Gastronomie, aber auch bei der kommunalen Beschaffung z. B. von Arbeitskleidung oder Baustoffen. Auch hier können engagierte Bürgerinnen und Bürger ein Umdenken einfordern und Veränderungsprozesse anstoßen. Bürgerbeteiligung bewegt Seit Januar 2009 können sich deutsche Städte, Kreise und Gemeinden um den Titel»Fairtrade-Stadt«bewerben. Die Kampagne wird von TransFair e.v. getragen und bringt unterschiedliche Akteure aus Handel, Politik und Zivilgesellschaft zusammen. Jeder und Jede kann mit der Gründung einer Steuerungsgruppe oder Teilnahme an derselben den Prozess beginnen, um die fünf Kriterien zu erfüllen, die nötig sind, Fairtrade-Town zu werden. Ob im Rathaus, im Weltladen, im Sportverein oder im Lebensmitteleinzelhandel der Faire Handel bietet mit der Kampagne vielerorts Anknüpfungspunkte. Spielraum nach oben Rund 44 Prozent der Bevölkerung kaufen inzwischen mindestens gelegentlich ein fair gehandeltes Produkt, viele weitere unterstützen die Idee des Fairen Handels, setzten ihre positive Einstellung aber noch nicht in konkretes Handeln um. Trotz des kontinuierlichen Wachstums und des großen Vertrauens der Bevölkerung in das unabhängige Fairtrade-Siegel hat der Faire Handel immer noch einen geringen Marktanteil von nur rund einem Prozent. Dies kann nur durch gemeinsame Anstrengungen in der Bildungsarbeit und der Politik und durch ein Umdenken breiter Bevölkerungsschichten verändert werden. Der Spielraum ist da: Viele zertifizierte Produzentenorganisationen verkaufen nur Teile ihrer Produktion über den fairen Handel und viele weitere hoffen auf eine verstärkte Nachfrage nach sozial verantwortlicher Produktion, um diese als Argument gegenüber Arbeitgebern und Importeuren für eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen nutzen zu können. Der Faire Handel ist kein Allheilmittel, aber er ist ein marktpolitisches Instrument, das Standards setzt, Beispiele für das Machbare gibt und es in Ergänzung der»klassischen«entwicklungshilfe jeder und jedem privat und als Entscheider/in in Unternehmen, Institutionen und Politik ermöglicht, Armut in Entwicklungsländern zu reduzieren und einen respektvollen Umgang mit Menschen und Ressourcen weltweit zu pflegen. Autorin Seite 5

Bettina von Reden studierte Wirtschaft und Chinesisch, promoviert aktuell im Bereich Regionalwissenschaften Ostasien und ist parallel seit 2003 für die Siegel-Initiative TransFair, Verein zur Förderung des Fairen Handels mit der»dritten Welt«e.V., im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Für das Forum Fairer Handel, Netzwerk der Fair-Handels-Akteure in Deutschland, koordiniert sie die Faire Woche, die vom 13. bis 26. September 2010 zum neunten Mal bundesweit stattfindet. E-Mail: b.vonreden@transfair.org www.transfair.org www.fairewoche.de www.fairtrade-towns.de Redaktion Newsletter Stiftung MITARBEIT Wegweiser Bürgergesellschaft Redaktion Newsletter Bornheimer Str. 37 53111 Bonn E-Mail: newsletter@wegweiser-buergergesellschaft.de Seite 6